Meint sie, dass von mir die größere Gefahr ausgeht?

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Wesley


Ich habe Junes Illusion eines perfekten Lebens innerhalb von Sekunden ruiniert.

Ein einziger Satz hat gereicht, um ihrer Traumwelt einen gewaltigen Riss zu verpassen, durch den Zweifel in Erinnerungen eindringen.

Habe ich gezögert?

Ja.

Tat es dennoch gut, ihr mitzuteilen, an was für einen Widerling sie sich die letzten Jahre hing?

Definitiv.

Auch, wenn der entgeisterte Ausdruck auf ihrem Gesicht dafür sorgt, dass sich Mitleid in mir regt. Zum Glück nur ein klitzekleines Bisschen, dass ich mit einem Tritt zurück in die Ecke schieben kann.

»Du lügst.« Ihre Unterlippe zittert und die Selbstsicherheit, die bis eben in ihren Augen flackerte, ist vollständig erloschen. Das eh schon stumpfe Haar scheint noch mehr an Glanz verloren zu haben.

Sie scheint nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein.

»Wesley, nimm diesen Hund hier weg!«, lenkt Troy mich von der verstörten, jungen Frau ab. Nur widerwillig löse ich mich und entdecke den großen Kerl, der sich halb hinter der Türzarge versteckt, weil ihn der Hund anknurrt.

Mir entweicht ein genervter Laut, als ich das Tier sanft mit dem Bein in eine andere Richtung drücke. Der Hund wirkt verwirrt, will mich anbellen, doch da habe ich ihn schon in das Schlafzimmer verfrachtet und die Tür zugezogen.

»Besser?«, entkommt es mir höhnisch, als ich mich umdrehe, wofür ich von Troy ein abfälliges, kurzes Grinsen zugeworfen bekomme.

»Raus.«

Es ist so leise, dass ich es fast überhört hätte – wäre da nicht diese überraschende Schärfe in der Stimme, die die Luft zerschneidet.

Verdutzt schaue ich zu June, über deren Wangen Tränen in Flüssen rinnen. Sie hängen an ihrem Kinn, tropfen auf den Kragen ihres Pullovers. Doch bei ihrem Anblick denke ich keine Sekunde an Traurigkeit.

Wir werden mit purem Abscheu gestraft.

»Raus«, wiederholt erneut mit derselben Härte.

Es wäre zwei gegen ein.

Sie wäre kein Hindernis. Wir könnten sie so schnell zum Schweigen bringen. Ich würde sie in Schach halten, während Troy weiter sucht.

So leicht.

Junes Augen bohren sich in meine.

Kein Zeichen von Schwäche, nur Kränkung und abgrundtiefe Abneigung.

Unruhig fahre ich mir mit der Zunge über die trockenen Lippen. Dann blicke ich zu Troy und gebe ihn mit einem kleinen Kopfnicken zu verstehen, dass wir ihrer Aufforderung folgen werden. Die Verwunderung in seinem Gesicht blitzt für einen Moment auf, doch er versteckt sie vor June. Mit harter Miene geht er zurück ins Wohnzimmer und ihr höre, wie er seinen Laptop zuklappt. Der große Kerl kommt mit schweren Schritten zurück und drängt sich an June vorbei.

Sie ignoriert ihn, ist voll auf mich fixiert.

Meint sie, dass von mir die größere Gefahr ausgeht?

Ich behalte die entspannte Maske und greife nach dem kleinen Notizblock, dem kleinen Schrank liegt, der im Flur steht. Achtlos schlage ich eine Seite auf und reiße ein Stück Papier ab. Mit dem roten Kugelschreiber, auf dem ein billiger Werbetext steht, notiere ich meine Telefonnummer. Dann ziehe ich einen kleinen USB-Stick aus meiner Jackentasche, den ich nur wegen eines seltsamen Bauchgefühls eingepackt habe.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 20, 2022 ⏰

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