6 | Das, in dem ich Glück brauche

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„An Ihrer Stelle würde ich diesen Satz nicht zu Ende führen, Herr Franken.", machte Frau Lammer endlich auf sich aufmerksam und Malte sprang bis unter die Decke. Sein Gesicht wurde erst kalkweiß und dann puterrot. Vor seinem inneren Auge sah er die zweite Verwarnung seiner schulischen Laufbahn. Er tat mir leid. Er hatte nur ausgesprochen, was jeder dachte, aber er war immer derjenige der dabei erwischt wurde.

„Klappe.", raunzte er seine beiden besten Freunde wütend an. Vor lauter Lachen hielten sie sich ihre Bäuche.

Frau Lammer schien Malte seine Worte über den Schulleiter nicht übel zu nehmen. Ganz im Gegenteil. Auch sie unterdrückte ein Glucksen. Nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, fiel auch Malte in das Lachen seiner Mitschüler ein. Als sie uns dann über den Wandertag aufklärte, verflog auch das letzte bisschen Anspannung, die auf ihm gelegen hatte. Wenn es um außerschulische Veranstaltungen ging, die nichts mit Lernen zu tun hatten, war Malte Feuer und Flamme. Meistens versuchte er die Entscheidungen so lange es ging hinauszuzögern, damit möglichst viel der Unterrichtszeit draufging.

Der Vorschlag mit dem Freizeitpark kam von Aiden. Mein Herz klopfte plötzlich schneller.

Er hatte mir erzählt, dass er noch nie einen Freizeitpark besucht hatte. Damit konnte er den ersten Punkt seiner Wunschliste abhacken. Neben meine Wut auf ihn mischte sich zu allem Übel ein klein wenig Freude, und das machte mich sogar noch wütender. Obwohl ich sauer auf ihn war, freute ich mich für ihn. Langsam verstand ich, was mein Bruder immer gemeint hatte, wenn er sagte, ich sei zu nett.

„Fürs nett-sein bekommst du in dieser Welt nichts. Damit erreichst du nichts. Nur Kopfschmerzen. Du darfst nicht immer einfach alles tun was man von dir verlangt oder erwartet. Du musst auch an dich selbst denken, hörst du?" Das war einer der wenigen guten Ratschläge, dir mir mein Bruder je gegeben hatte. „Außer wenn ich dir etwas sage. Dann musst du natürlich darauf hören." Mein zehnjähriges-Ich war ziemlich leicht zu kontrollieren gewesen und bis ich 13 wurde, folgte ich ihm wie ein dressierter Hund. Diese Zeiten waren längst vorbei, doch ich war immer noch zu nett. Nett und naiv. Keine besonders gute Kombination.

Eva war ähnlich begeistert über unser geplantes Ausflugsziel. Sie war kaum zwei Wochen in der Schule und schon sollte sie einen Tag davon im Freizeitpark verbringen.

„An meiner alten Schule gab es keine Wandertage. Das heißt früher schon, aber einmal haben ein paar Leute Alkohol unter die Schüler gebracht. Am Ende des Tages war die Hälfte meiner Klasse ordentlich berauscht. Einer musste sogar von unserem Schulleiter in Schach gehalten werden. Danach wurden die Wandertage abgeschafft.", erklärte sie uns in der Fünf-Minuten-Pause. Davon hätten Emma und ich nur träumen können. Wir waren nicht immer in derselben Klasse gewesen. Der Wandertag war deswegen weit davon entfernt einen Platz auf unserer Top-10 Lieblingstage des Jahres zu erhalten. Schlimm genug, dass man sich die Hälfte des Tages körperlich anstrengen musste. Dann sollte man auch noch sozial sein und sich mit seinen Mitschülern, die man kaum kannte, unterhalten? Das war eindeutig zu viel verlangt. Aus diesem Grund war ich froh, dass nicht nur Emma, sondern auch Eva mit von der Partie waren. Ich hoffte der Ausflug würde dadurch um einiges entspannter werden. Außerdem konnten sie mich zu zweit viel besser von meinem Gedankenkarussell ablenken.

Später in der Pause stellte sich das Schicksal erneut gegen mich. Frau Lammer hatte sich mit den anderen Lehrern abgesprochen und war dazu auserkoren worden, mir die schlechten Nachrichten zu überbringen. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass ich ab jetzt wieder normal am Unterricht teilnehmen sollte. Offenbar hatte sie auch mit Mom gesprochen, die ihr von Paul und seiner Reha erzählt hatte. Von ihr wusste sie auch, dass er Ende der Woche wieder nachhause kam und sich auf einem guten Weg der Besserung befand.

„Ich möchte dich nicht überfordern, aber langsam sollten wir wieder zum gewohnten Alltag zurückkehren. Ich weiß ja, dass du immer sehr aufmerksam bist und gut mitarbeitest, auch wenn du dich nur selten meldest. Die letzten Wochen werde ich nicht mit in die Benotung einfließen lassen. Ebenso wenig meine Kollegen. Da musst du dir keine Sorgen machen. Ich habe selbst Geschwister und kann mir nicht vorstellen, wie ich mich fühlen würde, wenn..."

Katara - Bound To Trust (2)Where stories live. Discover now