Mein großes Mädchen

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Ein Schwall an Erinnerungen überflutete mich so sehr, dass ich für einen kurzen Augenblick dachte meine Beine würden versagen. Der Teufelstopf lag vor uns, genauso, wie ich ihn vor über fünf Jahren verlassen hatte. Der Holzzaun, der Sand, Willis Wohnwagen und die schrecklich konstruierte Tribüne, die die Jungs damals gebaut hatten. Alles etwas veraltet und heruntergekommen, aber es schien, als würde sich noch immer jemand regelmäßig um die Gegend hier kümmern. Der Anblick überwältigte mich genauso wie damals. Irgendwie beruhigte mich der Gedanke, dass sich hier nicht wirklich etwas verändert hatte. Es war beinahe, als wären die Wilden Kerle hier noch immer präsent, und das lag nicht nur an den Schriften an dem Zaun.

„Darf ich?" Fragte Ally mich plötzlich, sie hüpfte bereits auf und ab und deutete auf den Teufelstopf. „Natürlich." Und schon rannte sie los. Ihre blonden Zöpfe flogen dabei im Wind und ich konnte ihr glockenklares Lachen sogar noch hören, als sie den Teufelstopf schon längst betreten hatte. Es war ein unglaublich schönes Gefühl, meine Tochter dort spielen zu sehen, wo ich eine so wunderbare Zeit verbracht hatte. Alice hatte allem Anschein nach irgendwo einen Fußball gefunden, denn sie war bereits dabei auf das, im Verhältnis zu ihr ziemlich große Tor zu schießen. Zum Glück hatte ich sie heute morgen dazu überreden können , nicht ihr Lieblingskleid anzuziehen. Stattdessen trug sie eine Jeanslatzhose und darunter einen schwarzen Strickpulli, auch die Gummistiefel konnte ich ihr ausreden, dafür trug sie jetzt schwarze Turnschuhe. Allys Mantel hatte ich schon längst über meinen Arm gelegt, da es doch etwas wärmer war, als ich erwartet hatte und Alice sich deshalb ohne Pause beschwert hatte.

Langsam machte ich mich auf den Weg den Hügel hinunter, Alice dabei nicht aus den Augen lassend. Sie strahlte einfach so viel Freiheit und Freude aus, wie sollte man da auch seine Augen von ihr nehmen. „Mommy!" Rief sie und winkte mir zu, „Spielst du mit?" Ich lächelte. „Ich komme sofort." Antwortete ich schnell, schaute mich nochmal sicherheitshalber um, zog meinen eigenen Mantel aus und legte sie auf die alte Tribüne. Auch ich hatte mich praktischer Weise für eine einfache Jeans, einen weißen Strickpulli und Turnschuhe entschieden, also das perfekte Outfit, um mit einem vierjährigen Mädchen Fußball zu spielen.

Schließlich begab ich mich zu Alice und gemeinsam schossen wir auf das große Tor. Ich zeigte ihr, so weit es mir und ihr möglich war, kleinere Tricks und gab ihr Tipps bezüglich des Dribbelns. Selbstverständlich war der Ball im Vergleich zu ihren noch recht kurzen beinen viel zu groß, aber Spaß hatten wir trotzdem. Wir rannten, schossen, warfen und lachten. Wir lachten so viel, dass ich schon beinahe Bauchschmerzen bekam. Während des Spielens bemerkte ich immer wieder, wie sehr ich Fußball eigentlich vermisst hatte.

„Mommy guck mal!" Rief Alice und schoss so kräftig sie konnte in das Tor. „Wow Ally!" Meinte ich anerkennend und war etwas schockiert über die Schusskraft, die dieses kleine Mädchen bereits besaß. „Du wirst mal ein richtiger Profi." Sie grinste stolz, „Ich bin sogar schon besser als du." Ihr Grinsen veränderte sich und ich konnte den Schalk in ihren Augen erkennen. „Na warte." Sagte ich und rannte auf sie zu. Laut quietschend drehte sie sich um und rannte davon. „Gleich hab ich dich!" Meine kurzen Haare flogen um meinen Kopf, die Sonne war bereits dabei unterzugehen und tauchte die Umgebung in ein leicht oranges Licht. Schnell packte ich mir Ally und drehte mich lachend mit ihr im Kreis.

„Mama!" Ally lachte, „Deine Haare kitzeln mich!" Ich lachte und strich mir eine kurze Haarsträhne hinter mein Ohr. Ich hatte Ally wieder auf dem Boden abgesetzt und mich zu ihr gehockt. Ihr leuchtenden Augen und das Lächeln auf ihren Lippen, brachte auch mich zum Lächeln. „Es so toll hier." Flüsterte Alice und legte ihre Stirn an meine. „Ja, das ist es." Ich strich ihr zärtlich über ihre weiche Wange. „Aber wir sollten vielleicht noch ein bisschen Fußball spielen, denn wir müssen bald zurück." Allys lächeln verschwand und sie zog einen kleinen Schmollmund. „Noch nicht." Ich grinste, „Morgen müssen wir aber schon früh aufstehen. Wir fahren doch morgen wieder nach Hause." Versuchte ich ihr zu erklären, „Ich will aber noch nicht nach hause." Sie verschränkte trotzig ihre Arme und ich seufzte. „Ich weiß, aber wir kommen ja bestimmt bald wieder. „In Berlin kann man aber nicht so gut Fußball spielen wir hier." Sagte sie traurig und ließ ihr Schultern hängen. Mein Herz zog sich für einen Augenblick schmerzhaft zusammen, denn Alice hatte recht. „Wir kommen wieder, ich verspreche es dir. Aber weil man in Berlin nicht so gut Fußball spielen kann wie hier, spielen wir jetzt noch eine Runde. Okay Mini?" Fragte ich liebevoll und zauberte Alice damit wieder ein Grinsen ins Gesicht. Sie nickte kräftig, „Und ich gewinne!" „Das glaub ich nicht." Meinte ich nur und folgte ihr lachend zum Ball.

Die schwarz gekleideten Gestalten, die uns vom Hügel aus beobachteten nahmen wir dabei überhaupt nicht wahr.

„Du schaffst es Mini!" Feuerte ich sie an, während sie konzentriert versuchte mir den Ball abzunehmen. „Gib nicht auf." Ihr Blick war aufmerksam auf meine Beine gerichtet, zwischen denen sich der Ball befand. „Ha!" Sie hatte es tatsächlich geschafft. Mit einem riesigen Gewinnergrinsen auf den Lippen rannte sie, so schnell es der Ball vor ihren Füßen zu ließ, zum Tor. „Mommy, ich kann's!" Rief sie begeistert. „Ja, du kannst es!" Stimmte ich ihr zu und joggte neben ihr her. „Und jetzt ins Tor!" Sie schoss und traf. Die Tatsache, dass sie nur einen Meter von der Torlinie entfernt war, ignorierten wir beide einfach. Erneut hob ich sie hoch, „Das ist mein großes Mädchen!" Sie lachte und streckte ihre Arme aus. Ally hatte viel zu viel Energie. Nach diesem kurzen Torjubel schnappte sie sich erneut den Ball und rannte in die Mitte des Spielfelds. Mein Blick folgte ihr lächelnd, doch das Lächeln gefror, als ich die Gestalten auf dem Hügel entdeckte. Stocksteif stand ich da, kein Muskel meines Körpers bewegte sich, ich glaubte nicht mal mehr blinzeln zu können. Dort standen sie und ich hatte keine Ahnung, wie lange sie uns schon beobachteten.

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Ich sag da mal erstmal nicht zu. Lasst es auf euch wirken, denn jetzt wird es spannend. Sorry an dieser Stelle für den miesen Cliffhanger. Das nächste Kapitel ist schon fertig und kommt vermutlich noch heute, also keine Sorge.

Liebe Grüße

Lea

Remember meWhere stories live. Discover now