Ka mahina

61 10 1
                                    

Ein lautes Kreischen durchdrang unangenehm grell die wolkenverhangene Vollmondnacht. Dichtes Schwarz hatte sich über den weiten Ozean gelegt. Die Sterne wurden von umhertreibenden, dunkelgrauen Wolkenfetzen verdeckt, die nicht einmal der Mond zu durchbrechen wagte. Ungestüm richtete die See ihren Frust auf dieses kleine Holzboot, welches sich verzweifelt seinen Weg durch die Naturgewalt zu suchen begann. Gefährlich schwankend machte es sich vom blütenreinen, weißen Sandstrand auf.

Im Rücken die furchteinflößenden Klippen, die sich wie grausame Wächter in die Höhe stemmten und alles Gute in seinen schwarzen Tiefen zu verschlingen versuchten. Undurchdringlicher Nebel hatte sich über die höchsten Stellen gelegt und ließ somit die Größe der Klippen nur erahnen. Der schaurige Abgrund, der sich zwischen ihnen auftat, der war allerdings nur zu gut sichtbar. In Form einer riesigen Klaue schien er nach jedem greifen zu wollen, der sich auch nur in seine Nähe wagte.

Das kleine Boot, das hatte seinen Kurs jedoch von ihnen weg gewählt. Eine weise Entscheidung. Doch nicht etwa ohne Grund. Nein, denn es hatte ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen. Das Tor "ka mahina". Der einzige Weg, um die bleiche Gestalt zu retten, die im hinteren Teil des kleinen Bootes ihren Platz gefunden hatte.

Kalkweiß lag sie auf dem Holz. Das braune, wallende Haar umstrich sanft und doch so bestimmt ihr kantiges Gesicht. Die Augenlider hatte sie fest geschlossen, aber den Mund zierte ein leichtes Lächeln auf den schmalen Lippen. Die dünnen Arme und Beine, die kaum mehr als die bloßen Knochen waren, sprachen von ihrer Krankheit. Ein ärmliches Stück Stoff, welches schon zu lange nicht gewaschen worden war, war ihr um den zarten Körper gewickelt worden. Die Arme mochte wohl nicht viel älter als vierzehn sein.

Ein junger Bursche hatte sich derweil über sie gebeugt. Die braunen Augen waren vor lauter Sorge wohl noch dunkler geworden, als sie sowieso schon waren. Tiefe Schatten hatten sich unter sie gelegt. Das verfilzte, strubbelige, schwarze Haar hatte schon lange keinen Kamm mehr gesehen und die dunkelblaue, verwaschene Jeans war auch nicht gerade die Neueste. Genauso wie sein weißes Hemd, das vor lauter Dreck eher graubraun schien.

Das Holz unter seinen Füßen knarzte beängstigend laut, als er sich langsam aufrichtete. Die Augen konnte er kaum von dem Mädchen nehmen. Aus Angst ihr nächster Atemzug würde ihr letzter sein. Zu schwach war ihr Herz seit Tagen, als dass sie noch viel länger leben mochte.

Doch ob Avan wollte oder nicht, er musste wieder die Ruder besetzen, selbst wenn auch er am Ende seiner Kräfte war. Der Weg bis hierhin war lang gewesen. Doch seine Schwester sterben lassen? Nein, das konnte er einfach nicht! Sie musste das schaffen! Entschlossenheit rang sich mit aller Kraft an die Oberfläche der Gefühle, die der Junge gerade empfand. Mit neuer Kraft ruderte er weiter mit der Strömung mit.

Die Wellen wurden indes immer größer und gewaltiger. Aus dem sanften plätschern, das zu Anfang noch gegen das Boot gestoßen war, waren nun stürmische Wellen geworden. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto kolossaler wurden sie.

Das morsche Holz konnte schon jetzt fast nicht mehr all seine Bestandteile zusammenhalten. Lange würde es nicht mehr aushalten. Dessen war sich Avan nur zu gut bewusst. Panik bildete sich in ihm und begann sich wie ein schwerer Stein über sein Herz zu legen. Die erdrückende Last, die er sprichwörtlich auf seinen Schultern trug, die war einfach zu groß. Seine Atmung wurde unkontrollierter, während das Meer es ihm gleich tat und ebenfalls unruhiger wurde. Das Wasser war kein so klares Blau mehr, wie es am Strand gewesen war. Nun schäumte weiß auf dem grauem Wasser, in welchem sich Monsterwellen zu bilden begannen, die mit voller Wucht die unruhige See durchzogen.

Eine von ihnen brauste genau vor ihnen auf. Fast senkrecht schoss das Boot in die Höhe. Panisch riss Avan seine Augen auf und sprang zu seiner Schwester. In der Hoffnung, sie somit irgendwie vor diesen Monstertaten der Natur beschützen zu können. Doch das zusätzliche Gewicht auf dem hinteren Teil des Bootes, ließ es nach hinten kippen. Mit einem spitzen Angstschrei fielen sie beide aus ihm heraus.

Gefangen in Gedanken - KurzgeschichtenWhere stories live. Discover now