Kapitel 70 - Goldregen

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"Wir müssen in das Labor, es ist nicht das gleiche Gift wie bei Katsu", sagt Ann bestimmt und steht auf.

"Gift?"

"Als du die Tür zum Archiv geöffnet hast", erkläre ich ihr. Sie hat nach dem einatmen keine Symptome gezeigt, ich hätte sie trotzdem von Ann durchchecken lassen sollen. Sayuuri krabbelt aus dem Bett und signalisiert, dass sie alleine stehen kann als Ann sie stützen möchte.

Wir laufen durch die Gänge in Richtung des Labors. An der Treppe bleibt Sayuuri stehen, schließt einen Moment die Augen und schluckt schwer. Ich kann gerade noch einen Arm um sie legen, als ihre Beine nachgeben. Ich spiele mit dem Gedanken sie einfach hochzuheben und zu tragen, aber ich verwerfe ihn gleich wieder, als ich zu Ann sehe.

"Hilfst du mal", fordere ich sie auf und ziehe meine Augenbrauen wartend hoch. Sie geht auf die andere Seite und zusammen stützen wir Sayuuri, die versucht wieder auf die Beine zu kommen. Im Labor angekommen setzen wir sie auf eine Krankenliege und sie lässt sich kraftlos nach hinten gegen die Wand fallen. Ann zieht sich ein Paar medizinische Einweghandschuhe über und holt ein langes Wattestäbchen aus einer der Schubladen.

"Ich nehme an die Einnahme erfolgte über die Atemwege?"

"Ja", antworte ich.

"Ich muss einen Abstrich von deinem Rachen nehmen. Und hier", sagt sie und stellt einen Eimer auf die Krankenliege.

"Wofür ist der?", fragt Sayuuri mit angeekeltem Gesicht.

"Naja falls dein Würgereflex ausgelöst wird. Jetzt Mund aufmachen", sagt Ann mit ihrem Befehlston und zögernd hört das Mädchen auf der Liege. Sobald Ann ihren Abstrich hat läuft sie zu ihren Geräten auf der anderen Seite und Sayuuri bekommt einen kleinen Hustenanfall. Ich sehe ungeduldig zu Ann, die immer noch dabei ist ihre Geräte anzustellen. Kann sie nicht ein bisschen schneller machen? Ich höre ein leichtes Röcheln und merke sofort, dass Sayuuri schwerer atmet und sich in Richtung Herz greift. Ich versichere mich, dass Ann voll auf ihre Arbeit konzentriert ist und nehme Sayuuris Hand, welche sich in ihren Pulli verkrampft hat.

"Leg dich hin, dann fällt dir das Atmen leichter", weise ich ihr an und sie nickt nur schwach. Sie folgt meiner Anweisung, legt sich auf die Seite und zieht ihre Beine an den Körper. Sie ist in den letzten Minuten noch blasser geworden und ihr Gesicht sieht ein wenig eingefallen aus. Wie oft will sie mir noch Sorgen bereiten? Von einem Hai angegriffen, gefoltert, ertrunken und jetzt noch vergiftet.

Ich stelle fest, dass sie immer noch meine Hand hält und sehe unauffällig zu Ann. Sie hat nichts mitbekommen, denn sie sieht sich die Probe unter einem Mikroskop an.

"Warum hast du mir nicht gesagt, wie du dich fühlst?", frage ich streng aber so leise, dass nur sie es hören kann. Ich versuche einen emotionslosen Ausdruck beizubehalten, aber mein Kiefer spannt sich trotzdem an.

"Als wir zu dir gegangen sind ging es mir schon wieder besser. Es wurde erst schlimmer, als ich aufgewacht bin", antwortet sie und sieht mich mit ihren glasigen Augen an. Bei dem Anblick kann ich nicht weiter einfach so kalt bleiben. Ich bin auch nicht wirklich auf sie sauer, ich ärgere mich eher über mich selbst. Als ich höre wie Ann aufsteht ziehe ich sofort meine Hand weg und stecke sie in meine Taschen.

"Und?", frage ich und beobachte, wie sie zu einem Bücherregal läuft und nach einem Buch zu suchen scheint.

"Ich habe eine Vermutung", sagt sie und als sie ein Buch nimmt, kommt sie zu uns und legt es neben Sayuuri. Sie blättert darin herum und an der Seite des Armbandes kann ich sehen, dass es in dem Buch um Giftpflanzen geht. "Die Symptome passen zu mehreren Giften, aber aufgrund meiner Analyse konnte ich es ziemlich eingrenzen"

Alice in BorderlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt