»Also sind ihnen keine Vorfälle in ihrem näheren Umfeld bekannt, keine Partner, die er bedroht hat.«

Ihre Frage verwirrte mich. Ich schüttelte den Kopf. Es gab keine Männer in meinem Leben seit den Vorfällen mit Matt.

Sie stellte noch ein paar normale Fragen, zur Party, zu meinem Sturz und dann durfte ich gehen. Ich konnte nicht mal sagen, wie lange ich da drin gewesen war, aber es schien wohl eine halbe Ewigkeit gewesen zu sein, denn draußen war es bereits dunkel als Christian mich zu seinem Auto führte.

»Du siehst fertig aus.« Er legte seinen Arm um mich. Mein Hals schmerzte vom vielen reden, weswegen ich nur zustimmend nickte. Mein Kopf lehnte an seiner Schulter. Mir war bewusst geworden, wie knapp das alles gewesen war.

»Hat Matt versucht...« Ich konnte es kaum aussprechen. Aber ich musste es wissen. Ich musste wissen, ob er wirklich eine Waffe bei sich gehabt hatte.

»Er hat sich selbst angeschossen.« Christians Stimme war kalt und man hörte heraus, dass er keinerlei Mitleid hatte.

»Er wollte auch mich erschießen.« Es war keine Frage. Uns beiden war klar, dass es seine Absicht gewesen war.

Er konnte mich kaum ansehen.

»Man weiß es nicht, Jenna. Man wird ihn dazu auch nicht mehr befragen können.«

»Ich weiß.« Mir war klar, dass ein Vater ihn nicht künstlich am Leben erhalten würde und es war auch nichts, was man sich für ihn wünschen konnte. Vielleicht würde er so endlich seinen Frieden finden. »Es tut mir leid, Chris.«

»Du musst dich für nichts entschuldigen. Nichts davon ist deine Schuld.« Er strich mir die Haare aus dem Gesicht, ehe er mich fest in seine Arme nahm. »Du lebst und mehr zählt nicht.«

»Können wir noch irgendwo hin, wo das Leben normal ist? Bevor wir wieder...« Es fiel mir schwer daran zu denken, dass ich gleich durch diesen Flur gehen sollte, auf dem all das vorgefallen war.

»Gern«, meinte er und öffnete mir die Autotür. Ich schlüpfte auf den Beifahrersitz und schnallte mich an.

Wir fuhren zum Hafen und spazierten dort eine Weile nebeneinanderher. Die frische Luft und seine Nähe taten mir gut. Sie waren aktuell alles was ich brauchte, um mich zu beruhigen. Doch der Gedanke daran, dass unser Flur nicht mehr das war, was er einmal war, schmerzte. Obwohl es zu viele witzige Momente gab, die ich mit ihm verband.

»Woran denkst du?«

»Nichts.« Ich konnte mir das Grinsen jedoch nicht verkneifen.

»Spuck es aus.« Sein Blick war herausfordernd. Die linke Augenbraue nach oben gezogen, musterte er mich, als könne er so die Antwort in mir lesen.

»Daran wie Ramona dich ausgesperrt hat.« Sie war nicht die Einzige, die ein Drama auf dem Flur veranstaltet hatte.

»Ramona?«

»Na diese Blonde, die du auf meiner Erstsemesterparty in der Lagerhalle abgeschleppt hast.«

»Als du das kleine Schwarze anhattest?«

Ich hatte gewiss nie ein kleines Schwarzes an? Er schien mich doch absichtlich verwirren zu wollen.

»Schwarze Shorts, ein schwarzes Top. Deine Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Du sagtest mir, du hättest extra für mich das kleine Schwarze angezogen.«

Perplex starrte ich ihn an. Dass ich mich daran erinnern konnte, okay. Aber er?

»Seitdem habe ich dir vor jeder Party gesagt, du sollst das kleine Schwarze anziehen.« Er grinste breit.

»Verdammt und ich bin drauf reingefallen.« Ich schlug ihm leicht gegen den Oberarm. Denn jedes Mal trug ich eine schwarze Hose und ein schwarzes Top. Es wurde zu meinem Standartoutfit.

»Drei Semester habe ich auf diesen Moment gewartet, Babe. Verdammt. Ich dachte du durchschaust es schneller.« Er zog mich fest an seine Seite.

Er erinnerte sich also nicht nur daran, was ich damals trug, oder zu ihm sagte. Er forderte mich indirekt immer wieder dazu auf, mich in ein ähnliches Outfit zu werfen. Warum? Ich würde mir noch überlegen müssen, wie ich dahinterkam. Aber erst mal würde ich mich dem Albtraum stellen und durch diesen Flur gehen müssen.

»Wann hast du es ohne Angst wieder auf das Bike geschafft?«

Ihm war sicher klar, was ich mit der Frage bezwecken, aber nicht direkt aussprechen wollte.

»Nie, die Angst fährt immer mit, vor allem wenn du fährst.«

Ich schlug ihm gegen den Arm. Ich meinte es ernst, er sollte es nicht als Anreiz sehen mich zu ärgern.

»Witzig, Chris.«

»Du bist nicht allein.« Er drehte sich kurz zu mir um. »Wir sind alle für dich da. Du musst das nicht allein durchmachen und wenn du...« Er holte tief Luft, als wolle er etwas sagen, was ihm wirklich schwerfiel.

Ich blickte ihn eindringlich an seinen Satz zu beenden.

»Rick hat die Wohnung bezugsfertig gemacht. Du könntest dort jederzeit einziehen.«

Die Wohnung. In all der Zeit war es mir nie wichtig genug gewesen, ihm davon zu erzählen, dass ich mit Rick zusammenleben wollte. Ab dem nächsten Semester.

»Ich wollte es dir sagen.« Zähneknirschend blickte ich zu Christian.

»Schon gut, Jen. Es geht hier um dich. Du sagst, was dir guttut.« Er schluckte, als befürchte er, dass ich das Housing verlassen würde. Heute. Und damit alles hinter uns lassen würde, was es für uns bedeutete.

»Ich weiß nicht.«

»Es ist okay, du entscheidest, wo du dich wohler fühlst. Es geht hier um dich und um niemand anderen.«

Es war nicht egal wie ich mich entscheiden würde. Es ging hier nicht nur um mich. Es ging um uns und es ging auch um Fiona. Wo ich mich wohler fühlte? Verdammt, das konnte ich ihm nicht sagen, nicht jetzt. Nicht nach dem was gerade passiert war. Er würde es falsch verstehen. Ich würde ihn damit in eine Lage bringen, in die er nie wollte. Ich wollte in seinen Armen bleiben, bei ihm sein und alles andere um mich herum vergessen.

»Lass uns sehen, ob ich die Nerven verliere.« Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Mir war klar, wie das alles enden würde. Ich kannte mich zu gut und diese Bilder aus meinem Kopf nicht los.

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