Kapitel 5

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Nachdem wir wohlbehalten aus dem Flieger gestiegen waren und an der Ausgabe das Gepäck abgeholt hatten, begann die Suche nach ihm.

Ich konnte mich nicht an ihn erinnern, egal wie sehr ich es versuchte. Ehrlich gesagt hatte ich nicht einmal nachgefragt, wie er denn aussah. Ich wollte es einfach selbst sehen.

"Lass uns gehen", sagte meine Mama und griff an meine Schulter.

Gemeinsam machten wir uns auf den Weg nach Draußen, vor den Haupteingang. Immer wieder sah ich mich um, ob vielleicht jemand auf uns wartete, vielleicht er. - Fehlanzeige.

Draußen war der Himmel nicht mehr verregnet, wie bei uns in Charlotte bei der Abreise. Es war schönes Wetter, die Morgensonne schien uns entgegen und eine leichte Briese wehte. Schönes Wetter= Gute Laune? - Nein.

Ich fühlte mich leer und durchsichtig. Hier gehörte ich nicht hin.

"LINDA & AVA HARSEN"

Das war das erste, was uns entgegenleuchtete, als wir ein paar Meter gingen. Eine große, schlanke Frau hielt das neongelbe Schild nach oben während sie vor einem schwarzen Wagen wartete.

"Mrs. Harsen und Tochter?.. Janette, die Assistentin von Mr. Harsen. Steigen sie ein." Ach du Scheiße, der Kerl hatte eine Assistentin.

Niemand sagte ein Wort, während sie uns durch Miami koordinierte und trotz dichtem Verkehrts beneidenswert cool blieb.
Nach einiger Zeit des Fahrens kamen wir in einer ruhigeren, aber dennoch zentralen Gegend Miamis an.
Die Häuser waren ebenso modern wie wohl auch teuer und ich staunte nicht schlecht, als Janette die Einfahrt in eine private Tiefgarage einbog.

"Hier wären wir dann. Mr. Harsen wird sie oben erwarten, ich begleite sie und danach begebe ich mich wieder an die Arbeit.", sagte Janette zu uns während wir durch die große Garage liefen und sie an einer großen Eisentür eine Zahlenkombination eintippte, die uns den Weg in die Wohnung Freigab.
Wir stiegen die paar wenigen gefliesten Treppenstufen hinauf und standen mitten in einem riesigen Raum, der laut Janette das Wohnzimmer war.
Der Boden war aus grauem poliertem Stein und die Möbel aus Leder. Ansonsten waren alle Möbel in Hochglanzschwarz, ebenso wie die Küche, die an den Wohnbereich angrenzte.

"Ich.. Eh.. Kann mich nicht daran erinnern, dass Mr. Harsen diesen Edlen Stil bevorzugt. Ebenso wenig wusste ich von seinem Vermögen", gab meine Mutter von sich, die als erstes von uns beiden die Worte gefunden hatte.

"Weißt du, Linda..." - Ein Mann im Anzug tauchte hinter der milchgläsernen Tür auf, die das Wohn-Esszimmer von anderen Räumen angrenzte.
"... Ich habe mich beruflich weiterentwickelt. Das hat es mir möglich gemacht, in dieser Preisklasse zu Wohnen und zu Arbeiten. "
Verdammte Scheiße. Meine Mutter war dem Anschein nach hin und weg von ihm.

Ich kam mir ein wenig vor wie bei '50 Shades of grey'.
Welch ein Klischee.

"Ist dem so, Robert? Inwiefern darf ich 'weiterentwickelt' denn verstehen?" Sie sah ihm direkt in die Augen.
Er trat näher an sie heran.
"Ein echter Mann weiß, was er will. Ich bin mittlerweile einer der besten Anwälte Miamis... Das sollte einiges erklären." Sein Blick fiel nun auf mich.
"Ava. Du siehst umwerfend aus. Ein Vorzeigestück bist du geworden... Wie deine Mutter."
Schmeichelhaft war er ja, das musste man ihm lassen.
Ich räusperte mich kurz und sagte: " Um es in deinen Worten zu sagen: Du machst eben keine halben Sachen." Er sah überrascht aus, ebenso wie meine Mutter.
Er lächelte.
"Nun zu den Zimmern", sagte er und Janette kam wie aus den Wolken gefallen um die Ecke.
"Lass nur Janette. Ich quartiere meine Frauen gern selbst ein." Er ließ meine Mutter nicht aus den Augen.
Das kann ja heiter werden.

Mein Zimmer war ein Traum. King-sized Bett, ein riesiges Fenster, begehbarer Kleiderschrank und Zugang zu einem eigenen Bad. Alles in weiß und cremetönen gehalten.
Als ich gerade dabei war, einige Sachen auszupacken, kam mein Vater herein.
"Na? Gefällts dir?", fragte er mich und ging durchs Zimmer, um sich aufs Bett zu setzen. Schien also etwas längeres zu werden.
"Es ist richtig schön.. Genau meinen Geschmack getroffen.." Er lächelte wieder, als ich das sagte.
"Freut mich. Hör zu Ava, ich weiß, wir haben eine Menge Zeit miteinander verpasst und ich weiß, dass es dir nicht gut geht, aber du sollst wissen, dass ich dir deinen Aufenthalt hier so angenehm wie möglich machen möchte."
Ich stockte und hörte auf, meine Sachen in den Schrank zu räumen und trat aus diesem heraus.
"Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich dazu sagen soll.. Eh.. Danke?"
Er sah mich einfach nur ein. Eindringlich. Eine gefühlte Ewigkeit. Ich sah Tränen.
Ich hatte einen Vater.
Diese Erkenntnis (die zwar offensichtlich war, aber schwer zu glauben, wenn man immer allein mit Mama ist) schockte mich so sehr, dass ich einfach gemeinsam mit ihm losheulte.
Er stand auf, um mich in eine Umarmung zu ziehen, und so standen wird da.
Er roch gut.
Vertraut.
Wir standen eine Weile so da und ließen Emotionen der letzten Jahre freien Lauf.
Als wir uns schließlich wieder gefangen hatten, wischte er sich die letzten Tränen ab und
trat zurück.
"Wie wärs, wenn wir nachher zu dritt Essen gehen? Als Familie. Ich habe einen Tisch reserviert. Du solltest dich frisch machen gehen, das Bad ist dort", sagte er und zeigte an die Badtür.
"Ja, keine schlechte Idee... denke ich. Eh.. Wieviel hat das hier eigentlich alles gekostet? Das ist doch alles ein Vermögen!"
Er sah skeptisch aus. "Geld, Ava, spielt keine Rolle. Wir sehen uns unten."

Ich war mehr als nur wahnsinnig verwirrt.

Ava || Nash Grier FFWhere stories live. Discover now