Kapitel 1

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Biep. Biep. Biep.

Stöhnend schaltete ich den Wecker aus. Es war drei Uhr nachts. Ich stieg vollständig angezogen aus dem Bett, schleifte meine Isomatte, meinen Schlafsack und die große Reisetasche unter dem Bett hervor und brachte sie mitsamt meiner Handtasche nach unten. Dort zog ich den leicht zerknitterten Zettel unter dem Pulli hervor und legte ihn auf den Küchentisch. Es war der Brief an meine Mutter.

Liebe Mama,

ich möchte, dass du weißt, dass ich keine bessere Mutter als dich hätte haben können und du keinesfalls daran Schuld bist, dass ich gerade nicht mehr da bin. Allerdings wurde ich von jemandem hintergangen und belogen und würde gerne Abstand von ihm nehmen und ein bisschen Zeit für mich haben. Ich habe mein Handy dabei. Im dem Moment, indem du diesen Brief liest, sitze ich wahrscheinlich gerade im Auto und langweile mich. Ich melde mich bei dir! Ich hab dich lieb! :-*

Deine Liana

P.S.: Ich habe genügend (eigenes!) Geld dabei und außerdem bin ich ja nicht für immer aus der Welt.

Ich schnappte mir meine Autoschlüssel, verfrachtete all mein Gepäck in meinen Golf und fuhr los. Wohin, wusste ich nicht.

-4 Stunden später-

Ich fuhr müde auf eine Raststätte und sah auf die Uhr. Es war kurz nach sieben Uhr morgens. Ich war die ganze Zeit ohne Pause gefahren und jetzt vollkommen fertig. Ich dachte an meine Mutter. Wahrscheinlich hielt se gerade fassungslos den Brief in der Hand und heulte sich die Augen aus dem Kopf. Ich lächelte. Das war eine der Schwächen meiner Mutter, dass sie sehr nah am Wasser gebaut war. Ich stieg aus und machte es mir mit einem Kopfkissen und einer Decke auf der Rückbank gemütlich. Augenblicklich war ich eingeschlafen.

-2 1/2 Stunden später-

Ich schlug vorsichtig die Augen auf. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon halb zehn Uhr am Vormittag war. Ich kramte mit schmerzendem Rücken mein Handy heraus und schaltete es an. Ich hatte sieben Anrufe in Abwesenheit und 10 Nachrichten. Zuerst sah ich mir die Nachrichten an. Sechs waren von Sarah, auf die ich keine Lust hatte und sah mir stattdessen die (eine!) von Ben an.

Sarah hat es dir gesagt, oder? Es tut mir Leid, wir hätten dir früher etwas sagen sollen. Aber ich hab mich nicht getraut und Sarah wollte nicht einfach so zu dir, ohne dass ich es weiß. Jetzt hat sie gesagt, dass sie es nicht mehr aushält, dich zu hintergehen und ist zu dir gegangen... Bitte gib uns noch eine Chance! Ich weiß, es ist schwer, aber wir wollen wirklich deine Freunde sein, auch, wenn das, was wir getan haben, scheiße ist! Bitte!!!

Ja, allerdings ist es scheiße, was sie getan haben! Mir traten die Tränen in die Augen. Natürlich ist es scheiße, dass die beste (und einzige) Freundin mit deinem Freund flirtet und dann auch noch mit ihm zusammen kommt, ohne dir etwas zu sagen! Ich schnaubte. Dann öffnete ich die drei Nachrichten von meiner Mutter.

Schatz, bitte komm zurück! Oder sag mir, wo du bist! Oder was passiert ist! Lass mich dir helfen!

Zusammen schaffen wir das! Alles wird wieder gut!

Ich habe dich auch sehr, sehr lieb.

Wie süß von Mama. Wahrscheinlich hatte sie mich auch angerufen. Ich hörte die Mailbox ab. Die ersten vier Nachrichten waren von Sarah, in der sie mich schluchzend bat, ihnen zu vergeben und sie zurückzurufen. Letzteres nahm ich mir für die weitere Fahrt vor. Die nächsten drei Nachrichten kamen von Mama, worin sie mich anflehte, mich bei ihr zu melden oder noch besser einfach nach Hause zu kommen. Ich beschloss, in dem Restaurante der Raststätte einen Kaffee zu trinken und dabei meiner Mutter Bescheid zu geben, dass ich wohlauf war. Gesagt, getan.

Während ich meinen Kaffee schlürfte, rief ich meine Mutter an. Schon nach dem 1. Tuten nahm sie ab.

„Hallo?" - „Hallo, Mama!" - „Lilli? Oh, Gott sei Dank, dass du anrufst. Geht's dir gut? Wo bist du? Und kommst du bitte wieder her? Wenn du mir alles erzählst, können wir zusammen eine Lösung für dein Problem finden! Ich frage mich wirklich, wer dich hintergehen würde! Ich meine, du bist doch herzensgut!" - „Jetzt halt aber mal die Luft an, Mama. Mir geht es gut. Ich sage dir nicht, wo ich bin, damit du mir nicht hinterherfährst, ich hoffe, du verstehst das. Aber ich brache jetzt wirklich einfach Zeit für mich, um in Ruhe nachzudenken, ja? Ich komme ja wieder. Nimm es als kleine Ferien deiner Tochter! Ich verspreche auch, mich jeden Tag bei dir zu melden, okay?" - „Bist du dir ganz sicher?" - „Hundertprozentig, Mama!" - „Dann wünsche ich dir viel Entspannung im Urlaub!" - „Danke, Mams! Du bist die Beste!"

Nachdem ich aufgelegt hatte, überlegte ich, wohin ich überhaupt fahren wollte. Letzte Nacht bin ich ja wirklich etwas überstürzt los. Ich sah durchs Fenster. Auf dem Parkplatz liefen Menschen aus aller Herren Länder vorbei. Frauen mit Kopftuch, laute Italiener, ein Mädchen mit einer London-Tasche... Das war es! London! Da wollte ich eigentlich schon immer mal hin! Und mein Englisch war auch gut genug, stellte ich fest, als ich ein paar Vokabeln im Kopf durchging. Schnell stand ich auf, bezahlte und rannte zum Auto. Ich stieg ein, schaltete mein Navi an, das wegen fehlenden Zielinformationen ausgeschaltet war, und fuhr los in Richtung Flughafen.

Was ist schon fair? (slow updates)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt