Hanahaki- Glühender Hibiskus

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»Blutbefleckte Orchideenblüten bahnen sich den Weg aus meinem verrotteten Körper, hinterlassen eine Spur aus unvollkommenen Herzen.«

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Es war inzwischen eine ganze Woche vergangen, seitdem Tim über Jans Krankheit erfahren hatte, auf die wohl schlimmste vorstellbare Weise und ohne ein weiteres Wort Jans Wohnung verlassen hatte. Sie hatten sich in den letzten Tagen voneinander distanziert; nicht nur trafen sie sich nicht mehr, auch schrieben sie nicht mehr regelmäßig miteinander.

Dies hatte verschiedene Gründe, der Kontaktabbruch aber war beiden zu verschulden. Tim hatte Zeit gebraucht, um zu verarbeiten, dass Jan die ganze Zeit eine so große Last für sich behalten hatte. Er wusste, dass sein Freund nie verpflichtet dazu wahr, ihm davon zu erzählen und trotzdem fühlte er sich verraten und verletzt, vor Allem weil er mit aller Überzeugung glaubte, dass Jan sich in jemand anderen verliebt hatte.

Tim wollte nicht noch mehr Zeit damit verschwenden, zu überlegen, wer der geheimnisvolle Mann wohl sein möge, weswegen er Abstand zu seinem Freund gebraucht hatte.

Als Jan gemerkt hatte, dass Tim sich nicht mehr meldete war er sich sicher, dass Tim den Kontakt aus Enttäuschung abgebrochen hatte und traute sich nicht, den Größeren anzurufen. Sein Hanahaki hatte sich seit dem Tag drastisch verschlechtert; er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen, ohne einen unangenehmen Juckreiz in seinem Rachen zu spüren. Auf der anderen Seite verschwand sein Tourette fast vollständig. Er hatte viel seltener Tics, wenn überhaupt, dann nur noch motorische und kaum vokale, doch das änderte nichts an seinem Zustand. Es machte ihn verrückt und er wusste, dass mit jedem verstreichenden Tag seine Zeit schneller zu Ende ging.

Doch nicht nur Jan musste um sein Schicksal fürchten, auch Tim fühlte neben der unerwiderten Liebe zu seinem besten Freund ein ungewöhnlich starkes Kratzen in seinem Hals.

Erst hatte er geglaubt, er hatte sich lediglich erkältet und dass es nach ein paar Tagen wieder verschwinden würde, doch stattdessen wurde es mit jedem vergangenen Tag unerträglicher und als er eines Tages kleine rote Spritzer aushustete, wusste er, dass sein Zustand nicht mehr normal war.

Und dann, eines unerwarteten Nachmittags, war der Hustenreiz zurückgekehrt und zusammen mit dem Blut fand Tim eine geschlossene Blüte in seiner Handinnenfläche wieder. Sie war länglich und grün, mit einer gelben Kappe und soweit Tim sie wiedererkannte, gehörte sie zu einem Löwenzahn, der noch nicht blühte.

Tim kannte diese Blüten aus seiner Kindheit, als er im Sommer durch den kleinen Garten hinter ihrem Haus lief, der bestückt war mit einem gelb strahlenden Sternenmeer und sich nach ein paar Wochen in unzählige kleine, weiße Monde zu verwandeln schien.

Jetzt zu realisieren, dass er genau so eine Blume in diesem Moment auf seiner Hand hielt; doch nicht, weil er sie aus dem Sternenmeer gepflückt hatte, sondern weil sie in seinen Lungen wuchs, riss ihn zäh aus seinen Gedanken und löste ein leichtes Übelkeitsgefühl in ihm aus. Großartig., dachte sich Tim. Es war so weit, er spuckte Blumen für seinen besten Freund, der seine Liebe nicht erwidern konnte, weil er in jemand anderen verliebt war.

Tim blickte auf die blauen Orchideen, die auf seinem kleinen Esstisch standen und die er für Jan gekauft hatte, als er darauf bestanden hatte, allein zu seiner Ärztin zu gehen.

Weil seine Mutter wusste, dass es Tims Lieblingsblumen waren, hatte sie ihm erzählt, dass lediglich diese Woche ein Blumengeschäft der Stadt blaue Orchideen verkaufte, doch als Tim sie kaufen wollte nachdem er bei Jan zu Besuch war, hatte der Laden schon geschlossen und auf dem Weg zurück zu seinem Auto war sein Handy heruntergefallen. An diesem Abend hatte er noch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, Jan zu antworten.

Flowers in my lungs    |Gewitter im KopfWhere stories live. Discover now