Say Goodbye

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"Hallo Frau Iwan, mein Name ist Mona Smith. Ich habe ihre Anfrage für unsere Unterkunft in San Mateo gesehen und wollte mich kurz bei Ihnen melden.", sagt die Frau am Telefon. "Ja, Hallo Frau Smith. Das ging aber schnell.", sage ich überrascht, denn schließlich habe ich die E-Mail erst gestern Abend versendet. "Bei uns hat sich gerade zufällig jemand abgemeldet und wir haben einen Platz frei, denen ich Ihnen gerne anbieten würde." Mein Herz macht einen Satz. Ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich einen Platz in so einer tollen Unterkunft kriegen könnte. "Wirklich?", frage ich ungläubig. "Ja, wirklich.", lacht sie. "Es gibt da nur einen Haken, sie müssten bis heute Abend um 20 Uhr hier sein. Heute kommen alle neuen Teilnehmer an und später können wir Sie leider nicht in das Programm einbeziehen. Ich habe gesehen, dass Sie in Oakland wohnen, das ist ja quasi gegenüber.", sagt sie freundlich. "Ich...ja, na klar, das kriege ich hin.", sage ich ohne groß darüber nachzudenken. "Prima, dann trage ich Sie in unser System ein." Und mit diesen Worten legt Mona Smith auf.

Ich lasse mich auf mein Bett fallen und gehe das Gespräch noch einmal im Kopf durch. Endlich habe ich auch mal Glück, endlich. Diese Einrichtung ist perfekt. Es gibt Wickelkurse, Kurse zum richtigen Umgang mit Babys und Kleinkindern, Sportangebote, ärztliche Betreuung, einfach alles und das für sehr wenig Geld. Ich wäre mehr als dämlich, wenn ich nicht heute Abend um Punkt 20 Uhr dort sein würde. Aber das heißt auch, dass ich mich von allen verabschieden muss - und dass ich endlich mit Ben sprechen muss.

Ich packe meinen Koffer und sammle alle meine Klamotten zusammen, auch wenn ich das meiste davon in den nächsten Monaten sowieso nicht tragen kann. Dann entscheide ich mich dafür, als erstes mit Melinda darüber zu sprechen. Ich habe die Unterkunft in letzter Zeit ein paar Mal erwähnt, aber nie konkret darüber gesprochen, dass ich da wirklich hin möchte. Sie sitzt im Wohnzimmer und schaut sich Böden für das Café an. "Hey", sage ich und sie dreht sich um. "Hey. Sag mal, was hältst du von einem richtigen Holzboden? Es ist zwar aufwendig, den zu pflegen, aber er würde so gut zum Tresen passen." Ich muss schmunzeln. Seit dem sie sich dafür entschieden hat, dass Café wieder zu eröffnen und auf den Schutz von Lio, beziehungsweise von Ben, zu verzichten, strahlt sie wieder übers ganze Gesicht. "Ich finde die Idee super.", sage ich und lasse mich neben ihr auf das Sofa fallen. "Ich muss dir etwas erzählen.", sage ich. Sie legt die Zeitschriften beiseite und schaut mich mit großen Augen an. "Worum geht's?" Ich atme tief durch und dann erzähle ich ihr, dass ich mich für einen Platz in der geförderten Unterkunft beworben habe, weil ich nicht an meiner jetzigen Schule bleiben möchte, dass ich das Gefühl habe, hier raus zu müssen, aber auch nicht zu meinen Eltern kann. Ich erzähle ihr von der großen Unterstützung dort und dass ich ja gar nicht weit weg bin. Sie lächelt, doch ihre Augen sind glasig. "Das ist eine wundervolle Idee.", flüstert sie. "Ich werde dich ganz oft besuchen, dafür lasse ich meinen alten Van reparieren." Wir umarmen uns. "Ich danke dir so sehr für alles. Ich weiß, dass es nüchtern betrachtet so aussieht, als wäre mein Leben das pure Chaos, aber ich weiß endlich, was ich will und wer ich bin.", sage ich und meine es genau so. "Das weiß ich. Du bist eine starke, erwachsene Frau geworden."

Ich drücke die Klingel und gehe einen Schritt zurück. Kendra öffnet die Tür und strahlt über das ganze Gesicht. "Hey, was machst du denn hier?", fragt sie freudig überrascht. Wir umarmen uns. "Ich muss dir etwas erzählen.", sage ich und folge ihr ins Haus. Und dann erzähle ich ihr von der Unterkunft und allem anderen. Ich sehe, wie sie die Informationen verarbeitet und ständig von Freude zu Trauer wechselt. "Heute Abend?", fragt sie. Ich nicke. "Ja, ich werde heute Abend hinfahren und dort bleiben, bis das Baby da ist." Sie nickt. "Und kann ich dich da auch besuchen?", fragt sie leise. "Natürlich.", lache ich. Wir sitzen eine Weile schweigend da. "Wirst du es heute Ben erzählen?", fragt sie, als könne sie meine Gedanken lesen. "Ja, ich muss. Aber er kann mich nicht aufhalten, ich werde hier verschwinden und dafür sorgen, dass unser Kind ein gutes zu Hause bekommt." Sie fährt sich durch ihr gelocktes Haar. "Okay.", seufzt sie. "Weißt du, ich freue mich für dich, auch wenn ich es dir gerade nicht so zeigen kann. Meine Emotionen spielen verrückt. Erst stand Jason hier gestern vor der Tür und entschuldigt sich für sein Verhalten und dann heute du mit der Nachricht, dass du von hier weg gehst." Ich ziehe eine Augenbraue hoch. "Jason war hier?" Sie nickt. "Ja, und er hat mir versprochen, dass er aufhört Drogen zu verkaufen." Ich muss schwer schlucken. Wenn das doch nur das einzige Problem wäre. "Und du hast ihm verziehen?", frage ich. "Erstmal ja. Mal sehen, wie er sich in der kommenden Zeit so schlägt.", schmunzelt sie. Und in diesem Moment entscheide ich mich dafür, einen Zwischenstopp einzulegen und bei Jason vorbeizuschauen.

"Wer ist da?", hallt es durch die Gegensprechanlage. "Maria.", sage ich. "Maria?", wiederholt Jason ungläubig. "Ja, mach die Tür auf." Es summt und ich öffne die Tür. Das letzte Mal war ich an Kendras Geburtstagsparty bei Jason. Er steht mit Jogginghose und Oberkörperfrei um Türrahmen. Er sieht verschlafen aus. "Was machst du hier?", fragt er zur Begrüßung. "Ich muss mit dir reden.", sage ich und gehe an ihm vorbei in die Wohnung. Als ich das Wohnzimmer betrete, sehe ich Taylor, der auf der Couch liegt und schläft. Es riecht wie in einem Schnapsladen hier. "Habt ihr euren Ausstieg gefeiert?", sage ich ironisch. Er schaut mich verwirrt an und begreift dann, was ich meine. "Du hast mit Kendra gesprochen?" Ich nicke. "Ja und deshalb bin ich hier." Er setzt sich auf einen Sessel und sieht mich an. Taylor dreht sich und öffnet stöhnend die Augen. Als er mich sieht, reißt er sie auf und setzt sich aufrecht. "Maria, was machst du hier?", fragt er entsetzt. "Auch schön dich zu sehen. Ich will mit Jason über seinen Ausstieg aus dem Drogenbusiness sprechen." Ich verschränke die Arme. "Also: Drogen oder alles? Ist das ein richtiger Ausstieg oder verarscht du Kendra nur?" Seine Miene wird finster und Taylor fährt sich durchs Haar. "Das geht dich gar nichts an.", sagt Jason. "Oh doch, du belügst MEINE beste Freundin und ich warne dich, sie noch einmal so zu verletzen." Er schüttelt den Kopf. "Du weißt gar nichts, Maria. Aber wenn es dich beruhigt: Ich steige komplett aus. Ich bin durch mit allem." Die Antwort überrascht mich. "Wie kommt es denn dazu?", frage ich ohne eine Antwort zu erwarten. "Ich bin einfach fertig mit meinem Job.", sagt er und ich weiß genau, worauf er abzielt. Er spricht von dem Typen, dem angeblichen Handlanger von Mirko. Ich will gar nicht wissen, was genau er damit meint und ignoriere diese Provokation. "Gut, dann ist das ja geklärt und ich kann verschwinden.", sage ich.

Als ich die Wohnung wieder verlassen will, springt Taylor auf und stellt sich vor mich. "Was genau meinst du mit verschwinden?", fragt er. Jason verdreht die Augen und verschwindet in der Küche. "Ich werde weggehen.", sage ich. Er schaut mich mit großen Augen an und überlegt. "Warum?" Ich verdrehe die Augen. "Weil ich weggehen möchte, mehr brauchst du nicht zu wissen." Als ich mich an ihm vorbei drängeln möchte, hält er meine Handtasche fest. Sie fällt von meinem Arm und landet auf dem Boden. Als ich mich bücke, um die Sachen einzuräumen, entdeckt Taylor den Mutterpass, der aus meiner Tasche gefallen ist. Ich will ihm den Pass entreißen, aber er hält ihn fest. Er liest die Aufschrift und schaut mich an. Es dauert eine Weile, bis er registriert, was das bedeutet. "Du bist..." ich unterbreche ihn mit einem zischen. "Sag nichts.", sage ich drohend. "Aber..." Endlich lässt er den Pass los und ich verstaue ihn in meiner Tasche. "Von Ben...?", fragt er. "Na von wem denn sonst, Taylor? Ja." Scheiße. Ich wollte nicht, dass irgendjemand sonst davon erfährt. Ich atme tief durch. "Taylor, du darfst niemandem etwas davon erzählen, bitte.", flehe ich ihn an. Er fährt sich durchs Haar und lehnt sich an die Wand. Er schaut zur Decke und schüttelt den Kopf. "Weiß er es denn wenigstens?" Schuldig schaue ich zu Boden. "Noch nicht, aber ich erzähle es ihm heute noch. Versprichst du es mir?" Er nickt und räuspert sich. "Ich verspreche es. Oh man, ist das krass..." Ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen und flüchte aus der Wohnung.

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWhere stories live. Discover now