Schutzgeld

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In der Mensa treffe ich mich wie immer mit Kendra. Wir haben mittlerweile einen Stammtisch, an dem sie bereits auf mich wartet.

„Hey Süße, hast du Hunger? Ich hab heute etwas von zu Hause mitgebracht.", sagt sie und hält mir ein Sandwich vor die Nase. Dankbar für richtiges Essen schnappe ich es mir und beiße genüsslich hinein. 

Während der Pause planen wir das Wochenende. Sie erzählt mir euphorisch von einer Party in einem Club, in dem nie nach dem Alter gefragt wird. Ich weiß nicht, wie Melinda dazu steht, wenn ich auf Partys gehe, für die ich eigentlich viel zu jung bin. Zu Hause habe ich das öfter gemacht, es hat sowieso niemand gemerkt. Vielleicht sage ich ihr einfach, dass ich bei Kendra übernachte, das macht vieles leichter.

„Und? Klappt es mittlerweile besser mit dir und Ben?", fragt sie beiläufig. Ich zucke mit den Schultern und beiße erneut von meinem Sandwich ab. „Von seinen Stimmungsschwankungen bekommt man ein Schleudertrauma. Wie kommt es eigentlich, dass er nur in Kunst & Kultur in unserer Klasse ist? In den anderen Stunden habe ich ihn noch nie gesehen" 

„Naja, er ist eigentlich schon älter. Ben ist zwei Stufen über uns, aber als das bei ihm unterrichtet wurde, war er so gut wie nie da. Der Lehrer gibt ihm eine Chance, das Fach zu bestehen, sonst kann er sich das Abi abschminken."

Ein schwarzhaariger Typ setzt sich plötzlich neben Kendra und legt den Arm um sie. „Hey Babe, geht alles klar mit Samstag?", fragt er sie und beißt in ihr Sandwich. Sie lacht und blickt ihn dabei verliebt an. „Na klar, Maria ist dabei. Das ist übrigens mein Freund Jason." 

Jason mustert mich und lächelt mich freundlich an. Ich war überrascht, dass sie einen Freund hat, noch dazu dass er auf unserer Schule ist, doch wir hatten bisher noch nicht über so etwas gesprochen. Jason hat ein paar Tattoos am Hals und an den Armen und ein Lippenpiercing, was ihm ziemlich gut steht.  

Als ich zu Hause ankomme, wartet Melinda bereits mit einem Auflauf auf mich. Wir haben bisher noch nie wirklich zusammen gegessen. „Danke fürs Kochen. Es schmeckt sehr gut.", sage ich. 

„Sehr gerne", beginnt sie lächelnd. "Wir hatten bisher noch keine Zeit, uns richtig zu unterhalten. Fühlst du dich wohl hier?" Ich nicke und erzähle ihr von der Schule und von Kendra. „Es freut mich, wie schnell du Anschluss gefunden hast." 

Als unser Gespräch wieder abebbt, denke ich an Ben. Seine Reaktion lässt mir keine Ruhe und er scheint Melinda zu kennen. Ich frage mich, ob ich sie auf ihn ansprechen sollte. Vielleicht konnte sie mir erklären, was es mit seinem Verhalten auf sich hat.

Ich fasse meinen Mut zusammen und erzähle ihr von dem heutigen Ereignis. Sie lehnt sich zurück, schaut auf den Teller und kaut ewig auf ihrem letzten Bissen rum. 

„Nun, ich wusste, dass das irgendwann kommt." Sie erzählt mir davon, dass sie sich vor vielen Jahren schweren Herzens dazu entscheiden musste, Schutzgeld an eine Gang aus dem Viertel zu zahlen. Wenn sie es nicht tun würde, würden diese und andere Gangs ihr Café regelmäßig vorbeikommen und ihr Café zerstören. Diese Leute machen einen gefügig, egal wie lange es dauert. 

Ihre Kundschaft kommt so gerne her, weil sie wissen, dass sie hier geschützt sind und mittlerweile hat sie sogar ein ganz gutes Verhältnis zu den Leuten aus dieser Gang. Sie wissen, dass sie sich auf sie verlassen können und andersrum genauso. 

„Und Ben ist einer von ihnen...", beendet sie ihre Erklärung. Mir wird schlecht. Ich arbeite in der Schule mit einem Gangmitglied zusammen, das Schutzgeld von meiner Tante erpresst? 

Bisher konnte ich mich immer von allem fern halten und ausgerechnet jetzt, wo es zu Hause angeblich zu gefährlich für mich geworden ist, treffe ich hier auf jemanden, der noch gefährlicher für mich sein könnte. 

Nach dieser Information habe ich noch weniger Lust, mit meinen Eltern zu telefonieren. Ich falle müde auf mein Bett und denke über das, was Melinda mir erzählt hat, nach. Ben war also in einer Gang... und das blaue Auge vermutlich nur eine Nebensächlichkeit für ihn. 

Wieso wollte jemand, der in so etwas verwickelt war, unbedingt seine Fächer zusammen kriegen, um dann Abitur zu machen? 

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWhere stories live. Discover now