Böses Blut

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Unser Gespräch ist verstummt seit dem ich diesen mysteriösen Typen angesprochen habe. Mit tiefen Falten auf der Stirn tippt Ben hastig in sein Handy und verkündet dann, dass wir gehen müssen. 

Ich stehe auf, er greift eilig meine Hand und zieht mich mit sich in Richtung Parkplatz. Ich spare mir meine Fragen für die Autofahrt auf, aber Bens Reaktion gefällt mir gar nicht. 

"Wohin fahren wir?", frage ich. 

"Zu dir natürlich", sagt er und setzt sich in den Wagen. 

"Ben, was ist los? Bitte rede mit mir", seine hektische Art springt auf mich über, ich spüre wie ich immer nervöser werde. 

"Ich muss mit Melinda sprechen. Du gehst gleich einfach schon vor in dein Zimmer und ich komme nach, verstanden?" 

"Nein", antworte ich energisch. "Ich will dabei sein, wenn du mit ihr sprichst. Wer verdammt nochmal ist dieser Typ?"

"Das sage ich dir, nachdem ich mit Melinda gesprochen habe. Und du wirst so lange in dein Zimmer gehen und die Tür hinter dir schließen" Er schaut mich mit einem bedrohlichen Blick an, den ich versuche zu ignorieren, auch wenn er sich wie ein Stein auf meine Brust legt. 

"Ich bin doch kein kleines Kind. Dieses Geh-auf-dein-Zimmer Ding hat vor 10 Jahren vielleicht funktioniert." 

"Muss ich dich im Auto einsperren oder dich wie ein kleines Kind in dein Zimmer tragen?" Ich schaue genervt aus dem Fenster, atme tief durch, damit meine Tränen wieder verschwinden. 

Als wir ankommen und die Küche betreten, schaut Ben mich mit hochgezogener Augenbraue an.

Mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem tödlichen Blick stampfe ich die Treppe hoch und schließe die Tür hinter mir. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und starre an die Decke. 

Erst als ich die gedämpften Stimmen der beiden höre, richte ich mich wieder auf. 

Sie müssen in der Küche stehen, denn ich verstehe nur einzelne Wortfetzen. Ich halte mein Ohr an die Tür, um sie besser zu verstehen, doch es funktioniert nicht wirklich. 

Ich höre nur Worte wie "wie kannst du", "eure Schuld" und "mein Problem".

Als ich Bens Schritte auf der Treppe höre, haste ich zur anderen Seite des Zimmers, lehne mich an das Fensterbrett und schaue gebannt zu meiner Tür. 

Ich sage nichts und warte, bis Ben schließlich den Anfang macht. 

"Danke, dass du hier gewartet hast", sagt er mit einem seufzen und schürzt seine Lippen. Er lässt sich an den Rand meines Bettes fallen, während er mich mit müden Augen anblickt. 

 Ich nicke ihm missmutig zu. 

"Setz dich zu mir", fordert er mich auf und widerwillig lasse ich mich in einem sicheren Abstand neben ihm fallen. 

Nach einigen schweren Atemzügen seinerseits, erzählt er mir von seinem Onkel. Dieser Onkel wurde vor Jahren beschuldigt, seinen Vater ermordet zu haben, um selber Anführer zu werden. Das hat nicht funktioniert und er wurde verbannt. 

Man hätte ihn getötet, hätte man Beweise gefunden, aber die gab es nicht. Er musste wegziehen und durfte keinen Kontakt mehr zu jemandem aus Oakland aufbauen. 

Ich schüttle überfordert den Kopf. "Das ist furchtbar, das tut mir Leid", sage ich mit belegter Stimme, doch Ben erwidert nichts. Er drückt lediglich seine Hand auf meinen Oberschenkel. 

"Das war also dein Onkel? Und wieso ist er hier bei Melinda?", frage ich schließlich. 

"Ich denke, das sollte Melinda dir selber sagen. Ich werde mich darum kümmern, dass er wieder aus der Stadt verschwindet" 

In meinem Kopf herrscht pures Chaos. 

"Wie wirst du dich darum kümmern?" Ben sieht mich an. 

"Er hat sich nicht an das gehalten, was ihm gesagt wurde. Jetzt werden wir ihn daran erinnern"

 "Ist Melinda in Gefahr?", frage ich besorgt, denn das alles klingt nicht gerade nach einem netten Typen von nebenan. 

"Nein. Ich passe auf euch beide auf... und Ich muss jetzt los" 

Mit diesen Worten steht er auf, küsst mich und verlässt den Raum. Minutenlang starre ich weiter auf den Platz, an dem er zuvor gesessen hat. 

Melinda sitzt am Esstisch und starrt ins Leere, als ich die Treppe runterkomme. 

"Hey", sage ich vorsichtig, doch scheine sie damit aus ihren Gedanken zu reißen. 

"Hey", erwidert sie mit einem gezwungenen Lächeln und greift nach ihrer Kaffeetasse. Ich setze mich auf den Stuhl gegenüber und eine Zeitlang sagt keiner von uns ein Wort.  

"Das war also Bens Onkel?", flüstere ich in die Stille hinein. 

Sie stützt sich auf ihren Ellbogen ab und schaut mich an. "Was hat Ben dir gesagt?" 

"Nicht viel, deswegen frage ich dich" Ich will hören, was sie darüber zu sagen hat. 

Sie seufzt, reibt sich angestrengt über ihren Nasenrücken. "Ich war mit ihm zusammen" 

Es dauert eine Weile, bis der Inhalt ihrer Antwort bei mir ankommt. "Was?!", frage ich ungläubig und sie nickt gedankenverloren. 

"Wir waren früher zusammen. Ich habe dir von ihm erzählt, allerdings habe ich diesen Part ausgelassen. Als damals alles schwieriger wurde und Bens Eltern ermordet wurden, habe ich mich von ihm entfernt. Es wurde nie aufgeklärt, ob es wirklich Mirko war oder jemand anderes. Die offizielle Version lautete natürlich ein Bandenkrieg, bei dem der Chef ums Leben kam"

In ihren traurigen Augen spiegelt sich der Schmerz der letzten Jahre wieder. Die Liebe, die sie hat gehen lassen und die Fragen, die geblieben sind. 

"Glaubst du, er hat es getan?" 

Erst zögert sie, doch dann nickt sie mir entschlossen zu.

"Ja, das glaube ich. Er war zu der Zeit total außer Kontrolle. Das alles macht etwas mit den Männern da draußen. Sie verändern sich. Ich habe ihn nicht mehr wieder erkannt und hatte teilweise sogar Angst vor ihm. Sie Leben nur noch für ihren Codex und für Geld. Es gibt nichts anderes außer Macht, Bruderschaft und Feinde"

Sie presst verbittert die Lippen aufeinander, tief in Gedanken versunken.

"Mirko wollte, dass ich den Laden aufgebe und mit ihm verschwinde, eigentlich wollte er mich dazu zwingen. Ich habe mich an Lio gewendet und ihm gesagt, dass ich zu ihnen stehe, zu Oakland und nicht zu Mirko. Damit habe ich ihm damals den Rest gegeben. Er ist verschwunden und Jahre lang wusste niemand, wo er war. Bis er neulich vor der Tür stand" 

Der Mann mit dem schwarzen Van. 

"Es klingt komisch, aber ich habe mich gefreut ihn zu sehen. Doch dann wurde es irgendwie komisch..." 

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, seine einstige Liebe unter diesen Umständen wiederzusehen. 

"Was will er hier?", frage ich. 

"Rache. Das war sie alle wollen. Ich weiß nicht, wieso jetzt und hier, aber er will Rache. Er wollte mich dazu bringen, Lio in einen Hinterhalt zu locken, aber das werde ich natürlich nicht tun" 

Ich bewege mich unruhig auf dem Stuhl hin und her. 

"Hast du Lio gesagt, was los ist?" 

Ihr Gesicht verzieht sich. 

"Ich hätte es tun sollen, aber ich wollte erst alleine rausfinden, was er hier möchte. Es hätte ja auch sein können, dass er mich..." 

Sie beendet ihren Satz nicht. Da wird mir klar, wie verletzt sie ist. Sie hat die Hoffnung niemals aufgegeben, dass sie und Mirko wieder zueinander finden können und alles nur ein Missverständnis war. 

"Lio wird sauer sein. Ich werde ihn gleich mal anrufen", damit verlässt sie die Küche. 


Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt