Fünf (Teil 2/2)

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»Hallo Reeva O'Grady«, sagte er, zog seine Hand langsam durch das Buchregal zurück und ließ mich praktisch völlig allein auf der anderen Seite zurück. Eigentlich mochte ich ihn noch nach seinem Nachnamen fragen, jedoch verflog diese Chance, indem er sich plötzlich in Bewegung setzte und hinter den Büchern aus meinem Blickfeld verschwand. Enttäuschung machte sich in mir breit und ich fragte mich, warum das so war. Ich kannte ihn erst seit ein paar Minuten und sollte aufhören, mich so sehr darüber aufzuregen. Als ich mich zum Gehen wandte, hörte ich Schritte hinter mir, drehte mich jedoch nicht um.

»Hey, wo willst du denn hin?«, hörte ich ihn fragen und mein Herz machte einen kleinen Sprung. Möglichst lässig drehte ich mich wieder um und war davon überwältigt, ihn nun direkt vor mir stehen zu haben. Er war wirklich sehr groß. Vielleicht erschien es mir auch nur so, weil ich so klein war, jedoch würde ich auf Dauer eine Nackenstarre bekommen, wenn ich die ganze Zeit zu ihm hochsehen müsste. Er trug eine schwarze Jeans und dazu ein olivfarbenes Henley Shirt, welches sich an seine Oberarme schmiegte.

» Ich ... Äh«, setzte ich an, jedoch unterbrach er mich, indem er sagte: »Du brauchst dich nicht zu erklären. Wir kennen uns erst seit ein paar Minuten.«

Ich lächelte, da ich froh war, dass er mich nicht hatte antworten lassen. Denn würde er mich nicht unterbrochen haben, hätte ich nicht die geringste Ahnung gehabt, was ich auf seine Frage geantwortet haben sollte.

»Wenn du magst, können wir uns gerne da drüben hinsetzten«, sagte er und zeigte auf eine kleine Nische, am Ende des Raumes. Bevor ich jedoch viel zu enthusiastisch hätte antworten können, klingelte sein Handy und seine gute Laune kippte ein wenig, während er dieses aus seiner Hosentasche zog und sich ans Ohr hielt.

»Ja Mum?«, meldete er sich und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln nachdem er mit seinen Lippen wortlos das Wort »Entschuldige« geformt hatte. Dabei musste er sich nicht entschuldigen. Ich kannte ihn wirklich nicht und auch wenn er mir echt sympathisch erschien, musste es ihm nicht leidtun. Ich trat vom einen Fuß auf den anderen, da es mir unangenehm war, völlig tatenlos in der Gegend herumzustehen. Wäre ich jedoch einfach weitergegangen, wäre das super unhöflich gewesen.

»Ich dachte, dass Rubin erst in einer Stunde abgeholt werden müsste«, sagte er in das Handy und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Okay. Mach dir keine Sorgen Mum, ich kümmere mich darum«, waren seine letzten Worte, bevor er sein Handy wieder zurück in seine Hosentasche gleiten ließ.

»Es tut mir so leid«, entschuldigte er sich nun offiziell. »Der Ausflug meines Bruders ist vorzeitig beendet worden. Ich muss ihn dringend abholen, da ich das Auto genommen habe«, fügte er hinzu.

»Kein Ding, ich hätte auch bald wieder losgemusst«, log ich. Ich wusste nicht, warum ich es tat. Vielleicht, weil ich ihm nicht ein allzu schlechtes Gewissen machen wollte.

"Sehen wir uns bald wieder?«, fragte er und ich merkte, wie er dabei etwas nervös wurde, da er sich nun wieder durch die Haare strich. Irgendwie machte ihn diese Geste noch viel sympathischer. Ich sollte mich wirklich zusammenreißen und nicht alles toll an ihm finden, wobei mir das ziemlich schwer fiel.

"Ich bin fast jeden Tag hier. Mit Ausnahme von Donnerstag, da bin ich arbeiten.", sagte ich und lächelte ihm zu. Seine Miene hellte sich auf und er straffte seine Schultern.

»Na dann bis "Fast jeden Tag mit Ausnahme von Donnerstag"«, zitierte er mich und ich musste grinsen. »Es war schön dich zu treffen Reeva«, sagte er. Die Art und Weise, wie er meinen Namen aussprach, jagte mir eine leichte Gänsehaut über die Arme.

»Bis dann, Aiden«, antwortete ich und sah ihm dabei zu, wie er langsam in Richtung Ausgang der Bibliotheken schlenderte, die mittlerweile in das Abendlicht der Sonne eingetaucht war.

Nun ging auch ich zum Schalter und ließ meine Bücher einscannen, bevor ich sie in meine Tasche stopfte und mich auf den Weg zum Auto machte. Auch abends war es in Flagstaff meist noch recht warm, wenn es langsam auf den Sommer zuging. Vor ein paar Wochen war noch reinster Frühling gewesen, jedoch hatte sich dies innerhalb einiger Tage geändert und nun waren die Temperaturen angenehm warm, im Gegensatz zum Hochsommer, den ich am liebsten im kühlen verbrachte und somit möglichst das direkte Sonnenlicht vermied. Schon vor mehreren Jahren hatte ich beschlossen, dass ich für den Sommer einfach nicht gemacht war. Ich stieg ins Auto und nachdem ich mich in den Verkehr eingereiht hatte beschloss ich, meine Mum anzurufen.

»Hallo Schatz, wo steckst du?«, meldete sie sich nach dem zweiten Klingeln. Ich war überrascht, denn meist hörte sie ihr Handy nicht und rief mich erst nach 10 Minuten zurück.

»Ich fahre gerade zurück nach Hause«, sagte ich in die Freisprechanlage. »Soll ich noch irgendwas mitbringen?«

»Nein, das brauchst du nicht. Ich hab das Essen fast fertig.«

»Okay ich beeile mich, bis gleich«, verabschiedete ich mich und legte auf. Während ich mit der linken Hand das Lenkrad festhielt, kramte ich mit der anderen in dem CD-Berg, welcher sich in der Mittelkonsole angehäuft hatte. Stolz zog ich nach kurzer Zeit mein »Oh Wonder« Album heraus, schob die Disc in den Player und ließ mich ganz in den Bann von »All We Do« ziehen, während die Straßenlaternen an mir vorbeizogen und ihr Licht mir den Weg nach Hause wieß.

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⏰ Last updated: Jan 06, 2017 ⏰

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