Zwei (Teil 2/2)

74 9 0
                                    


Als ich die Augen aufschlug, war es schon stockdunkel draußen. Bis auf die Lichterkette, die ich letzten Winter um meinen Spiegel gehangen hatte, konnte ich nahezu nichts erkennen. Mum war wohl hereingekommen und hatte sie angeschaltet. Schläfrig richtete ich mich auf und griff nach einem schwarzen Haargummi, welches ich vor ein paar Tagen auf meinem Nachttisch abgelegt hatte. Ich stellte mich vor den Spiegel und versuchte mir einen Dutt zu binden. Jedoch scheiterte ich kläglich daran und brauchte noch zwei weitere Versuche, um wenigsten irgendwie annehmbar auszusehen. Mürrisch öffnete ich die Tür und trat leise in den Flur hinaus. Man konnte von unten die Geräusche des Fernsehers aus dem Wohnzimmer hören, weswegen ich fix den Gang entlang in Richtung Badezimmer schlich, sodass ich ja nicht bemerkt wurde. Ich öffnete den Schrank neben dem Waschtisch, nahm Zahnbürste und Zahnpasta heraus und fing an, mir die Zähne zu putzen. Währenddessen versuchte ich mit der anderen Hand ein Abschminktuch aus der Packung zu ziehen und begann, mir das linke Auge abzuschminken. Fertig mit dieser Seite wechselte ich sowohl Zahnbürste als auch Abschminktuch in die andere Hand und begann mit der nächsten. Das Tuch warf ich in hohem Bogen in den Mülleimer und traf erstaunlicherweise genau hinein, woraufhin ich erstmal ein kleines Freudentänzchen machte und danach meinen Mund mit Wasser ausspülte. Ich stütze meine Hände rechts und links von mir auf den kalten Waschtisch und betrachtete mein Gesicht. Zum ersten Mal seit Jahren konnte ich mich wieder darüber freuen, keine tausende von kleinen Kratern darauf zu entdecken. Ich ließ den Wasserhahn laufen und Wusch mir das Gesicht und somit auch den Dreck des Tages ab. Das kalte Wasser tropfte an meinem Gesicht herunter und ich suchte nach einem Handtuch, um es abzutrocknen. In meinem Kopf ging ich durch, ob ich wirklich nichts vergessen hatte, schaltete schließlich das Licht aus und ging wieder zurück in mein Zimmer. Aus einer meiner viel zu vollen und überquellenden Schubladen kramte ich eine kurze Jogginghose und ein lockeres Shirt heraus, welche beide unfassbar gut nach Weichspüler rochen. Für ein paar Sekunden hielt ich mir den weichen Stoff an die Nase und atmete den wunderbaren Duft ein, bis ich mich schließlich umzog und zurück in mein warmes Bett kroch. Unter meiner Decke suchte ich vergeblich nach meinem Buch, bis ich es hinter meinen Kissen hervorgucken sah und zufrieden danach griff. Im Dämmerlicht blätterte ich eine Seite nach der anderen um und tauchte in eine völlig andere Welt ein. Mit der Zeit wanderte der Mond immer weiter durch mein Zimmer, bis ich irgendwann erschrocken feststellte, wie spät es geworden war. Gähnend hielt ich mir die Hand vor den Mund, schlüpfe noch ein letztes Mal aus meinem Bett, um die Lichterkette auszuschalten und rannte wieder zurück. Ich zog mir die Bettdecke bis unters Kinn und sah nach oben, um durch das Fenster am Kopfe meines Bettes den Mond in der Dunkelheit betrachten zu können. Selbst aus solch einer riesigen Entfernung konnte man die tiefen, schwarzen Schatten erkennen. Ich fragte mich immer wieder, wie so etwas möglich war, warum der Mond nicht schon längst an diesen riesigen Kratern kaputt gegangen war. Denn wir Menschen würden schließlich auch irgendwann an zu vielen Narben vergangener Ereignisse kläglich zerbrechen. 

Between The LinesWhere stories live. Discover now