Vier

87 5 1
                                    

»And even if I never forget you baby

Tonight I'm gonna let your memory baby go

Oh it's sad I know

But at least I got my friends

Share a raincoat in the wind

They got my back until the end

If I never fall in love again

Well at least I got my friends.«

Friends - Aura Dione


Mit bis zum Rand gefüllten Einkaufstüten verließen wir spät am Abend die Mall und verstauten allesamt schwer schnaufend im Kofferraum meines Autos. In meinen Augen sollte man Shopping wirklich als Sport betiteln, denn Gewichte stemmen konnte sich vom Tragen der vielen, schweren Tüten nun wirklich nicht besonders unterscheiden. Müde ließen wir uns in die Sitze fallen und ich startete den Motor, woraufhin er leise anfing zu schnurren. Geschickt lenkte ich den viel zu monströsen Wagen aus der Parklücke und steuerte in Richtung Ausfahrt des Parkhauses zu. Irgendwie konnte ich es immer noch nicht ganz begreifen wie ich es jemals geschafft hatte, mit diesem Auto richtig umzugehen. Denn ich hatte diesen Wagen anfangs sicherlich nicht freiwillig fahren wollen. Er war ein Erbstück gewesen, weswegen ich mich letztlich zähneknirschend dazu entschieden hatte, ihn doch anzunehmen. Und nun lag er mir sehr am Herzen, auch wenn es einfach nur ein stinknormales Auto war. Die Abendsonne schien uns ins Gesicht, weswegen Amy und ich den Sonnenschutz hinunter klappten.

»Möchtest du noch was essen gehen?«, fragte ich Amy, während ich den Blinker setzte und das Lenkrad nach links zog.

»Klar gerne! Wie wäre es mit dem Reese's?«

»Und das fragst du noch?«, entgegnete ich ihr lachend. Das Reese's war seit Jahren unser liebstes mexikanische Restaurant der ganzen Stadt. Es hatte auch nicht nur aus Zufall denselben Namen wie die von Schokolade umhüllten Erdnussbutter-Kern Süßigkeiten, sondern er war pure Absicht. Denn dieser Laden war das reinste Reese's Paradies. Nahezu alle Desserts bestanden zu mindestens fünfzig Prozent aus genau dieser Süßigkeit und auch zu jeder Quittung legten sie diese stets dazu. Obwohl wir schon seit Jahren dort essen gingen wussten wir bis heute nicht, wie dieses Konzept zustande gekommen war. Meist machten Amy und ich Witze darüber, dass die Inhaber dieses Restaurants einfach nur total auf Reese's abfahren würden. Vielleicht war es so, wir würden es wohl niemals erfahren.

Langsam ließ ich den Wagen in eine Parklücke rollen und zog die Handbremse fest, da das Restaurant sich auf einem kleinen Hügel etwas weiter oberhalb der Stadt befand. Da es bereits anfing zu dämmern und die Temperaturen sich langsam etwas senkten beschloss ich, meinen geliebten oversized Pullover aus dem Kofferraum zu kramen. Somit stieß ich also die Fahrertür auf und ging zum hinteren Teil des Wagens, um die Heckklappe zu öffnen. Nach kurzem Suchen zog ich ihn hinter einer der vielen Tüten hervor und zog ihn schnell über mein Top. Der weiche Stoff schmiegte sich an meine Haut und mit einem Gefühl von Geborgenheit ließ ich die Klappe möglichst leise wieder zufallen.

»Ich habe so unfassbar großen Hunger.«, jammerte Amy, während wir in Richtung des Restaurants schlenderten. Am Eingang begrüßte uns einer der Kellner freundlich und führte uns zu einem Platz, welcher recht weit im hintern Teil des großen Raumes lag. Der kleine Tisch mit zwei Stühlen stand genau einem Fenster, durch welches man hinunter auf die Stadt sehen konnte. Die vielen Lichter der Werbetafeln und beleuchteten Fenster blinkten uns entgegen und ergaben ein wunderschönes Bild. Dies war nur einer der Gründe, warum ich hier so gerne essen ging.

Wir nahmen jeweils der Anderen gegenüber Platz und gaben direkt unsere Getränke Bestellung auf. Im Grunde genommen kannten wir die Gerichte in und auswendig, jedoch wurden uns trotz allem die dünnen, in Leder eingehüllten Speisekarten gereicht, bevor die Kellnerin mit den roten, hoch zusammengebundenen Haaren wieder hinter der Theke verschwand.

»Schon eine Idee, was du essen wirst?«, fragte ich Amy nach einiger Zeit, sah kurz auf, um dann wieder unaufmerksam in der Karte herumzublättern.

»Ach, wahrscheinlich wieder das übliche. Mit Tacos kann man einfach nie was falsch machen«, stellte sie lächelnd fest und legte ihren Blick auf den Schriftzug des Gerichts fest, bevor sie die Speisekarte neben sich auf dem Tisch platzierte. Sie faltete die Hände unter ihrem Kinn übereinander und sah mich aus großen Augen erwartungsvoll an.

»Tja ich schätze, dass es bei mir auch auf das übliche hinauslaufen wird. Den guten alten Wraps kann ich einfach nicht widerstehen«, erklärte ich ihr, während sie mit den Augen rollte und mir meine Karte aus der Hand nahm, damit ich auch ja nicht etwas an meiner Entscheidung ändern konnte. »Wie geht's Bennet?«, erkundete ich mich und ließ meinen Rücken gegen die Stuhllehne fallen.

»Ich schätze ganz gut. Zumindest hoffe ich das, denn seine Eltern haben ihn wieder auf diese Farm in Utah verschleppt. Das sind mindestens vier Stunden von hier.« Sie ließ ihren Kopf in die Hände sinken und seufzte laut.

»Du meinst dieses grässliche Ding auf dem er noch nicht mal richtigen Empfang hat?«, fragte ich sie mitleidig und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es kann doch nicht sein, dass er nichts dagegen tun kann. Er ist siebzehn verdammt, da kann er seinen Eltern doch wohl weiß machen, dass er auf sowas in seinem Alter einfach keine Lust mehr hat!«

»Das sage ich ihm doch auch ständig. Aber du kennst ihn ja, er macht es einfach nicht. Er möchte ja angeblich seine Eltern nicht enttäuschen. Was er dabei aber nicht merkt ist die Tatsache, dass er im Gegensatz zu ihnen genau das mit mir macht. Er enttäuscht mich immer wieder.«

Tröstend legte ich meine Hand auf ihren Arm. Ein paar Sekunden später kam erneut die Kellnerin zu unserem Tisch. Auf ihrem runden Tablett balancierte sie geschickt unsere Getränke und stellte sie eins nach dem anderen vor uns ab. Danach nahm sie unsere Bestellungen auf, die wir nach wie vor nicht mehr geändert hatten. Ich fragte mich, ob wir jemals etwas anderes essen würden.

Die hellen Scheinwerfer erleuchteten die dunkle Landstraße. Mal wieder hatten Amy und ich über Stunden hinweg in unserem liebsten Restaurant gesessen und natürlich kein Ende gefunden. Irgendwann war es uns jedoch trotzdem etwas zu spät geworden, weswegen wir uns nun in meinem Wagen auf dem Weg nach Hause befanden. Amy aß genüsslich ihre Reese's und leckte sich zum Schluss die Finger. Ich hingegen war noch viel zu voll von den großartigen Wraps, weswegen ich mir meinen Anteil der Süßigkeiten für später aufhob. Immerhin konnte ich ja niemals wissen, ob sie in naher Zukunft mein Leben retten würden. Denn 1. war ich ein Mädchen, welches öfter mal Heißhunger auf Süßes hatte, 2. total auf den Kram stand und 3. gerne immer etwas auf Lager hatte. Für schlechte Zeiten oder so.

Trotz der Dunkelheit kannte ich jeden möglichen Weg zurück nach Hause. Wie oft war ich als kleines Mädchen die Straßen entlanggelaufen mit der Intention, mir jede Straßenecke und jeden Hauseingang zu merken. Und das nur, damit ich mich niemals verlaufen würde. Denn als ich mit meiner Mum von Seattle nach Flagstaff gezogen war, hatte es einiges an Zeit gekostet, mich neu einzugewöhnen. Mein altes Leben hinter mir zu lassen und mit einem neuen Kapitel zu beginnen: genau das war damals meine Aufgabe gewesen. Und nun fuhr ich mit meiner besten Freundin durch die Gegenden, als würde es nichts selbstverständlicheres geben. Als wäre ich schon immer hier gewesen.  

Between The LinesWhere stories live. Discover now