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Während ich allein esse und dabei immer wieder an Emmy denke, die sich mit Sicherheit wundert, warum ich nicht komme, lasse ich den Blick aus dem Fenster schweifen. Ein wolkenloser blauer Himmel spannt sich draußen über den Dächern von Londaris und es scheint vollkommen windstill zu sein, die Baumwipfel bewegen sich kaum. Irgendwann werde ich auch das Thema mit diesem Zimmer ansprechen müssen. Das Essen ist die eine Sache, aber nach wie vor möchte ich in einen der Gemeinschaftsräume umziehen. Nachdem ich Mr Winterbourne heute allerdings schon einmal verärgert habe und mir auch nicht sicher bin, wie er die Sache mit dem Essen auffassen wird, warte ich damit lieber noch ein paar Tage.

Ich stehe auf und gehe zur Kommode, um meinen Telespiegel zu holen. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber vielleicht hat Vel ja zufällig Zeit. Noch immer bin ich ziemlich aufgelöst und habe das Bedürfnis, mit jemandem über meinen ersten Tag zu reden. Er ist ja noch nicht einmal zur Hälfte geschafft, aber bisher läuft es irgendwie gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.

Wie zu erwarten war, kann ich Vel jedoch nicht erreichen. Und so bleibe ich mit meinen Gedanken allein.



Nach dem Mittagessen gibt es drei trockene Stunden ohne weitere Zwischenfälle in indorischer Wirtschaftskunde bei einem kahlköpfigen Professor namens Mr Lyall – ebenfalls Helion –, danach ist mein erster Unitag beendet. Die Studentinnen strömen aus dem Hörsaal und Rabinja rempelt mich absichtlich mit der Schulter an, als sie an mir vorbeigeht, ich beschließe aber, sie zu ignorieren.

„Wir könnten uns ein bisschen in den Park setzen", schlägt Emmy vor, als wir unsere Sachen in die Taschen zurückpacken. „Das schöne Wetter genießen. Nächste Woche soll der Sommer endgültig vorbei sein, wir sollten die Sonne noch nutzen." Sehnsüchtig wirft sie einen Blick nach draußen in Richtung Himmel.

„Wie ist das eigentlich für euch im Winter?", frage ich neugierig. „Ich meine, fällt es euch sehr schwer, wenn das Sonnenlicht schwindet?"

„Es geht", sagt sie, während wir uns als letzte auf den Weg zur Tür nach draußen machen. „Man merkt schon, dass die Magie nicht so stark ist wie im Sommer, vor allem dann, wenn die Sonne sich tagelang nicht blicken lässt. Aber es ist ja nicht so, dass sie komplett weg ist, sie ist nur etwas schwächer. Und wir leiden nicht besonders. Wir müssen nur etwas besser mit unserer magischen Energie haushalten. Wie ist es bei dir? Ich stelle es mir total umständlich vor, wenn man sein Herz mit Mondmagie füllen muss."

„Nein, es geht. Mondmagie ist ja viel stärker und da reicht meistens schon eine halbe Stunde, bis der Speicher voll ist." Ich grinse. „Zuhause haben wir keine Vorhänge und unser Schlafzimmer ist so gebaut, dass der Mond fast immer ins Zimmer scheinen kann. Und im Sommer lassen wir nachts die Fenster auf, dann geht es noch besser."

„Ich finde das so toll", schwärmt Emmy, „irgendwie romantisch!"

Ich schüttle nur den Kopf.

„Weißt du", sage ich, „so mystisch und besonders das alles klingt, eigentlich ist es meistens doch ziemlich nutzlos. Die meisten Sachen sind ja doch verboten. Es wäre viel cooler, wenn ich Gegenstände beeinflussen könnte. Gestern war ich mit meiner Schwester in einem Geschäft für magische Spiegel. Sowas würde ich gerne können! Worauf bist du denn geprägt worden?"

„Auf Schlüssel." Emmy grinst. „Und du hast recht, das ist wirklich praktisch, weil ich quasi jede Tür öffnen und verschließen kann, wie ich Lust habe. Ich habe aber auch eine Freundin, die auf Tassen geprägt wurde, das ist eher langweilig."

Ich versuche mir vorzustellen, auf welchen Gegenstand ich wohl in meiner Kindheit geprägt worden wäre, wenn ich eine Helionin wäre. Und was ich damit anfangen könnte. Die Prägung findet bereits sehr früh statt und jeder Sonnenmagier prägt sich auf nur eine Sache, die dann für den Rest seines Lebens sein magisches Subjekt ist. Wenn man also auf Spiegel geprägt wird, kann man seine Magie ausschließlich auf Spiegel anwenden – das allerdings in jeder nur denkbaren Form und das finde ich ziemlich cool. Als wir Kinder waren, waren Vel und ich sehr viel mit unseren Eltern unterwegs; vermutlich wären wir beide auf Schiffe geprägt worden. Dann hätte ich jetzt vielleicht ein fliegendes Schiff. Irgendwie wäre das sehr viel besser als meine Seleninnenkräfte, die ich nicht richtig nutzen kann. Während Sonnenmagie nur bei Gegenständen funktioniert, funktioniert Mondmagie nur bei Lebewesen – und selbstverständlich ist es verboten, dass ich die ungefragt bei anderen einsetze.

„Hey, da hinten ist Penko!", stößt Emmy aus, als wir gerade durch das große eiserne Tor den Park betreten. Sie hüpft auf und ab und winkt. Als ich ihrem Blick folge, sehe ich in einiger Entfernung einen blonden Jungen unter einem Baum sitzen, der zu uns hinüberblickt, die Hand hebt und zurückwinkt.

„Komm, ich mach euch miteinander bekannt", sagt Emmy, nimmt meine Hand und schleift mich mit sich. „Penko ist total nett, er hat auch erst angefangen, ist aber logischerweise in einem der Männerkurse. Ich kenn ihn aber noch von früher, er kommt auch aus Londaris und wir waren schon zusammen in der Schule, du wirst ihn mögen!"

What happened at Winterbourne AcademyWhere stories live. Discover now