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Wir passieren diverse Schaufenster, vor einem davon bleibe ich schließlich ruckartig stehen.

„Sieh mal, Vel! Die verkaufen magische Spiegel!"

Vel blickt über meine Schulter in den Laden. „Sieht so aus."

„Ich weiß, die sind ziemlich teuer, aber wäre das nicht großartig? Wenn wir uns welche kaufen, könnten wir uns immer sehen! Dann müssten wir nicht jedes Mal warten, bis die Briefe mit dem Schiff ankommen. Oh, Vel, lass uns welche mitnehmen!"

Ich bin Feuer und Flamme. Unwillkürlich male ich mir vor meinem inneren Auge aus, wie ich abends in meinem riesigen Bett sitze und Vel über den Spiegel kontaktiere. Ich müsste mich niemals einsam fühlen. Wir könnten jeden Abend miteinander reden, sie könnte mir erzählen, was sie auf ihren Reisen alles erlebt, und ich könnte ihr berichten, wie es mir an der Akademie ergeht. Wenn ich mich über Mr Winterbourne ärgere – was mit Sicherheit oft vorkommen wird, das sagt mir mein Gefühl –, könnte ich mich bei Vel ausheulen und wenn ich neue Freunde finde, könnte ich sie ihr direkt vorstellen. Ein Telespiegel wäre einfach wundervoll!

Die Fähigkeit, solch einfache Gegenstände wie Spiegel mit Zaubern zu belegen, war schon immer den Helionen vorbehalten und ich war schon immer neidisch darauf. Sie erscheint mir so viel nützlicher als meine eigenen Fähigkeiten, die ich die meiste Zeit ja doch nicht richtig nutzen kann.

Vel scheint kurz nachzudenken, dann nickt sie. „Du hast recht, das ist eigentlich eine richtig schöne Idee."

Ein kleines Glöckchen ertönt, als wir den Laden betreten. Ausschließlich Spiegel scheint es hier zu geben, und sie versprechen die wundersamsten Dinge: Die meisten davon lassen einen fremde Orte sehen, manche beantworten nur bestimmte Fragen, andere dienen als Kommunikationsmittel. Wenn man besonders viel Geld ausgeben möchte, kann man sich auch einen fast zwei Meter großen Ganzkörperspiegel kaufen, durch den man angeblich sogar reisen kann. Zehntausend Pfund kostet er. Fasziniert bleibe ich davor stehen.

„Wenn die jungen Damen zwei Paraspiegel kaufen, können Sie sich jederzeit gegenseitig besuchen", ertönt eine männliche Stimme hinter mir und ich fahre herum. Ohne dass ich es gehört habe, hat der Verkäufer den Raum betreten, ein Helion mittleren Alters in einem feinen schwarzen Anzug. Sein Haar ist bereits ergraut und ein paar kluger Augen sieht mich durch winzige runde Brillengläser an. Sein Blick schweift kurz nach oben und ich weiß, dass er das sichelförmige Mal auf meiner Stirn wahrnimmt.

„Oha, Seleninnen!", sagt er und nickt anerkennend. „Habe schon ewig keine mehr getroffen. Was für eine Ehre! Sind Sie Studentinnen an Mr Winterbournes Akademie?"

„Ich nicht mehr", sagt Vel, „aber meine Schwester, ja. Ab morgen."

„Herzlichen Glückwunsch", sagt der Mann. „Dann ist der große Spiegel wohl nichts für Sie, Reisemagie ist in der Akademie verboten."

„Wäre ja auch zu schön gewesen." Ich seufze. „Dann hätten wir uns jeden Abend besuchen können, Vel."

Meine Schwester lacht. „Mal ganz davon abgesehen, dass ich keine Zeit dafür hätte, hast du die hoffentlich auch nicht. Du wirst Freunde finden und die Abende mit ihnen verbringen. Und lernen musst du auch. Wir sind eigentlich für einen einfachen Telespiegel gekommen", fährt sie nun an den Verkäufer gewandt fort. „Etwas, mit dem wir uns unterhalten können."

Der Verkäufer nickt, wendet sich ab und öffnet einen der Schränke, die die Wände säumen. Kurz darauf legt er eine kleine Auswahl verschiedener Handspiegel auf einem Tresen ab und bedeutet uns, näherzukommen.

„Sie funktionieren alle gleich", erklärt er uns, während er die Modelle auf der Oberfläche ausbreitet, sodass wir alle einzeln betrachten können. „Ich nehme an, Sie möchten etwas mit Ton? Etwas günstiger wären ansonsten Modelle, in denen man sich nur sehen, jedoch nicht miteinander sprechen kann."

„Mit Ton!", sagen Vel und ich gleichzeitig.

Der Helion nickt. „Dann sind das hier unsere beliebtesten Modelle. Die meisten davon kosten zwischen zweihundert und fünfhundert Pfund, je nach Optik. Sehen Sie, dieser hier ist recht schlicht, der liegt im unteren Spektrum ..." Er hält einen ganz einfachen quadratischen Spiegel in die Höhe, der lediglich in einen simplen Rahmen aus Silber eingefasst wurde. „... wohingegen dieses Modell zum Beispiel weiter oben angesiedelt ist." Nun zeigt er mir einen etwas größeren Handspiegel mit Griff und einem ovalen Glas in einem aufwändig verzierten Goldrahmen, der mit unzähligen roten Kristallen geschmückt ist. Er ist hübsch, meine Aufmerksamkeit wurde jedoch von einem anderen Modell gefangen genommen.

„Was ist mit dem? Was kostet der?", frage ich und nehme den Spiegel vorsichtig in die Hand. Er ist ziemlich klein, verglichen mit den anderen, und kreisrund. Auch er hat einen Griff, allerdings etwas kürzer, gerade so lang, dass ich ihn mit der Faust umgreifen kann. Der Rahmen um das Glas ist silbern und schlicht, rundherum wurden jedoch Sterne eingraviert und am oberen Ende prangt ein schwarzer Stein in Form eines Sichelmondes. Er ist wunderschön.

Der Verkäufer stutzt kurz, danach erscheint ein etwas schiefes Lächeln auf seinem Gesicht. „Oh. Nun ja, junge Miss, das ist eigentlich unser billigstes Modell. Bitte entschuldigen Sie, das hat hier eigentlich nichts zu suchen, da habe ich wohl nicht richtig aufgepasst. Der Stein ist nicht echt, es ist nur Plastik. Der Rahmen ist aus einfachem Blech. Um ehrlich zu sein, hatte ich bereits mit dem Gedanken gespielt, ihn zu entsorgen."

„Was, im Ernst?" Fassungslos starre ich den Verkäufer an, dann den wunderschönen Telespiegel in meiner Hand. „Aber funktioniert er?"

„Er funktioniert einwandfrei, so wie alle anderen", sagt er. „Sie müssen nur die magische Formel aussprechen und schon wird die Verbindung hergestellt. Aber ich hätte wirklich ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihnen dieses Modell verkaufe. Es liegt nun bereits seit Jahren in diesem Laden, der ursprüngliche Wert ist längst verfallen. Nicht dass er jemals besonders hoch gewesen wäre. Als Selenin möchten Sie doch sicher ein Modell haben, das eher zu ihrem Stand passt."

Er streckt seine Hand aus und erwartet offensichtlich, dass ich ihm den Gegenstand zurückgebe. Unwillkürlich drücke ich den Spiegel an mich.

„Und man kann sich durch ihn auch unterhalten? Oder nur sehen?", hake ich nach.

Der Verkäufer seufzt. „Auch unterhalten. Sie haben sich wohl schon entschieden, was? Ich kann Sie nicht von einem unserer hochwertigeren, moderneren Modelle überzeugen?"

Ich schüttle den Kopf, muss jedoch grinsen. „Ich finde ihn wirklich ganz großartig! Was wollen Sie denn dafür?"

„Wissen Sie was? Sie bekommen ihn geschenkt. Ich hätte ihn ohnehin irgendwann weggeworfen und um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, was er mich gekostet hat. Vielleicht war es auch ein Werbegeschenk, so billig wie er verarbeitet ist."

Strahlend drücke ich das Teil an mich.

„Dankeschön!"

„Nichts zu danken. Empfehlen Sie mein Geschäft gern weiter."

„Das werde ich!"

Vel lässt sich noch die anderen Modelle zeigen und entscheidet sich am Ende für einen Handspiegel in Herzform, dessen Rahmen aus Jade gefertigt wurde; sie bezahlt dreihundert Pfund dafür.

Der Helion verpackt unsere Spiegel in Seidenpapier und legt uns zwei Zettel dazu, auf denen der Spruch für die Verbindung steht – ein einfacher Vierzeiler, wenn ich es erst ein paar Mal gemacht habe, werde ich ihn auswendig können und den Zettel wegwerfen, aber bis es so weit ist, ist er eine hilfreiche Gedankenstütze.

Wir verabschieden uns und verlassen den Laden. Und ich fühle mich ziemlich gut, weil ich nun das Gefühl habe, meine Schwester nicht komplett verlassen zu müssen.

What happened at Winterbourne AcademyWhere stories live. Discover now