Herz über Kopf |Jowi

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Nowi konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal eine Party so genossen hatte. Gut, es Party zu nennen war vielleicht ein bisschen übertrieben - es war eher ein gemütliches Beisammensein mit Alkohol, guter Musik und engen Freunden. Gab es überhaupt einen besonderen Anlass? Er wusste es nicht und es war ihm auch egal. Brauchte es denn einen besonderen Anlass, um mit seinen besten Freunden beisammen zu sein?

Wie er den Blick zu so durch die Runde schweifen ließ, blieb er schließlich an Johannes hängen, der seinen Blick bereits erwiderte. Ein Kribbeln durchfuhr ihn. Er hatte ihn lang nicht mehr so angesehen. Mit dieser Intensität, diesem Brennen, das nach etwas verlangte, bei dem er sich nicht sicher war, ob er es ihm noch geben konnte.
Nowi hatte versucht es zu verstehen, was da manchmal zwischen ihnen war. Diese Verbindung, die ihn zu ihm zog. Diese Verlangen nach etwas, was er nicht beschreiben konnte. Was er einfach fühlen musste.

Ihre Blicke trafen sich erneut, bevor Johannes sich wieder zu seinem Gesprächspartner zuwandte - nicht ohne ihm noch ein freches Grinsen zuzuwerfen. Nowi nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. Es war bereits halbleer.

Er konnte sich ganz genau vorstellen, was Johannes gerade dachte. Er hatte es selbst schon so oft gedacht. Wenn er ihm auf der Bühne Konfetti zuwarf, wenn Johannes zu ihm ans Schlagzeug kam, wenn sie sich auf diese eine bestimmte Weise anschauten, die in ihm alles zum brennen brachte und er sich nichts sehnlicher wünschte, als das Johannes ihn hier sofort und auf der Stelle vögelte.

Aber der Zug war abgefahren. Sie waren inzwischen beide über vierzig. Aus heißen One Night Stands hatte sich nie mehr gebildet. Wollte sich nie mehr bilden. Immerhin waren sie eine Band. Das hatte Vorrang. Egal wie schmerzhaft und falsch es sich anfühlte, Hannes schlafend in dem noch warmen Bett zurückzulassen. Es war richtig.

"Jungs, können wir euch schon allein lassen? Es ist bereits viel später als wir geplant haben und eigentlich wollten wir den Kleinen nicht so lang allein lassen." Steff sah ihn zerknirscht an. Als wäre es eine Zumutung ihn und Hannes das allein machen zu lassen.

"Na klar, haut schon ab. Die paar Leute kriegen wir schon rausgeschmissen. Wenn einer einmal den Anfang macht, folgen die anderen eh meist ganz schnell." Thomas klopfte ihm auf die Schulter, während Steff die Runde machte und sich voll allen verabschiedete. Und wie Nowi es vorrausgesehen hatte, löste Steff und Thomas Verabschiedung eine Welle des Gehens aus.
Eh er sich versah, waren Hannes und er fast allein im Raum.

Sein Blick suchte erneut den von Johannes. Er klopfte Fabi grad beherzt auf die Schulter und lachte vermutlich über einen seiner Witze. Wie auf Kommando musste auch Nowi grinsen. Egal wie viel Zeit verging, wenn Hannes lachte, sah er immer noch genauso aus wie damals. Damals, als es noch so einfach schien Hals über Kopf etwas zu tun, ohne es zu bereuen. Hannes schien seinen Blick zu spüren, denn er kam zu ihm.

"Da ich gerade die letzten Personen zur Tür hinausgeworfen hab, soll ich dir noch beim aufräumen helfen oder machen wir das morgen?" Erstaunt sah Nowi sich um, aber Fabi, der gerade dabei war seine Jacke anzuziehen war tatsächlich abgesehen von ihnen beiden der letzte im Raum. Wann war das denn passiert?

"Ich glaube wir könnten ja schon mal anfangen... außer du alter Mann bist so müde, dass du sofort nach Hause ins Bett willst. Ist es nicht schon lange nach deiner Schlafenszeit?" Empört schlug Hannes ihm vor die Brust, aber seine Augen glänzten dabei liebevoll.

"Musst du grad sagen. Aber ich kann schon verstehen, dass du niemanden zeigen willst, dass du es nicht mehr schaffst so schnell zu sein wie früher. Das kratzt schon am Ego, wenn man nur noch fünf Teller statt zehn tragen kann."

Nowi hatte die Macht jetzt und hier diese unbefangene Situation mit Spannung und Elektrizität aufzuladen. Er wusste es. Hannes wusste es. Sie schienen beide nur darauf zu warten. Ein warmer Schauer rannte Nowis Rücken herunter. Er konnte diesen Abend jetzt in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Er wollte diesen Abend in diese ganze beatimmte Richtung lenken. Doch seine Rationalität protestierte. Sie hatten sich gerade von ihrem letzten Fehltritt erholt. War es da richtig sie direkt wieder ins Gefühlschaos zu stürzen? Nein. Denn würden sie sich auch diesmal davon erholen? Das letzte Mal war achon knapp gewesen, sein Herz trug immer noch Narben davon.

"Dann lass uns mal anfangen, sonst sind wir morgen noch hier." War das Enttäuschung in Hannes Blick? Dabei wusste er genau, dass es besser so war, das zwischen ihnen nicht nochmal erneut ins Chaos zu stürzen. Wenn es sich nur nicht so falsch anfühlen würde...

Er begann die leeren Flaschen zusammen zu räumen, während Hannes die Teller sammelten und in den Geachirrspüler stellte. Wie sie so still nebeneinander herarbeiteten, bereute Nowi seine Worte. Diese seltsame Stille mochte er gerade überhaupt nicht.

"Ich glaube mit dem Rest werden wir auch morgen fertig", meinte Hannes schließlich, "Weißt du wessen Handy an der Box angeschlossen war?"

"Hannes..." Ein verzweifelter Versuch die Lage zu verbessern. Genau das war es, wovor er sich gefürchtet hatte. Dass alles wieder hochkommen würde und sie beide wieder vergessen würde, wie sie miteinander umgehen sollten.

"Now, es ist ok. Ich weiß, dass das keine gute Idee ist. Nicht nach unserer Geschichte. Aber... manchmal fällt es mir so furchtbar schwer dich einfach so gehen zu lassen." Hannes Augen waren schmerzerfüllt, aber er brachte trotzdem ein Lächeln zustande. Eine Hand hatte er unbewusst in seien Richtung ausgestreckt. Es tat Nowi in der Seele weh, wie er sie beachämt wieder senkte. Wie sehr wollte er diese Hand an seiner Wange fühlen, wollte fühlen, wie sie ihn liebkoste und ihn sich gut fühlen ließ.

Nowi ging einen Schritt auf ihn zu. Ein Funke Hoffnung durchbrach den Schmerz in Hannes blaugrauen Augen.

Rational gesehen, wäre es längst Zeit gewesen, dass er gegangen wäre. Er hätte mehr als eine Gelegenheit gehabt, heute zu gehen und diesen Sturm hinter sich zu lassen, bevor er überhaupt aufzog. Doch die Gelegenheit dafür hatte er alle verpasst, ja verpassen wollen. Denn er wollte hierbleiben. Sein Kopf schrie ihn an zu gehen, seine Beine in die Hand zu nehmen und vor diesem Tornado aus Gefühlen, Chaos, Schmerz und Erinnerungen zu fliehen. All das, während sein Herz ihn anflehte hier und jetzt bei Hannes zu bleiben. Ihn nicht so gebrochen stehen zu lassen.

Er trat einen weiteren Schritt näher. Wie von selbst legten sich Hannes Hände auf seine Hüfte, während seine eigenen sich um Hannes Nacken legten.

Dieses eine verdammte Mal würde er sein Herz über seinen Kopf stellen und einfach bleiben. Er wusste, dass das alles zwischen verkomplizieren würde, aber konnte etwas falsch sein, wenn es sich so richtig anfühlte?

Er zog  Hannes die letzten Zentimeter zu sich runter und küsste ihn endlich auf die Lippen.

Herz über Kopf.

Laut GedachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt