Jahr 4: Kapitel 9 - Leid

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Der Unterricht begann nach den Weihnachtsferien, wie er es immer tat. Amina forderte deutlich mehr von ihren Klassen. Ihre Alchemie-Klassen mussten die Fehler in den an der Tafel stehenden Experimentabläufen finden, bevor sie diese ausführten und ihre Arithmantik Klassen bekamen deutlich schwierigere Aufgaben. Amina sah viele ihrer Schützlinge verzweifeln und war umso erstaunter, dass Granger sich so lange den Stress antat, jedes Schulfach zu belegen. So oft, wie sie den Zeitumkehrer brauchte, war sich Amina nicht sicher, ob es eine gute Idee war, der Schülerin dieses Arbeitspensum überhaupt zu erlauben. Für ihre Hausaufgaben durfte sie ihn nämlich nicht benutzen. Zudem fragte die braunhaarige Schülerin nach dem Unterricht oft noch verschiedene Dinge. Sie war ihr in ihrem Wissensdurst fast ein wenig unheimlich. Amina hatte auch das Gefühl, die Schülerin wurde in das falsche Haus eingeteilt.

Trotz dessen, dass das Unterrichten ihr Spaß machte, bekam sie inzwischen oft Kopfschmerzen, wenn sie zu lange unter Menschen war. Sie hörte ununterbrochen viel zu viele Gedanken und konnte manchmal nicht mehr sagen, zu wem das Gefühl, dass sie gerade verspürte, überhaupt gehörte. Sie mied die Gesellschaft anderer Menschen immer mehr und zog sich auch vor dem Kollegium zurück. Lediglich mit Severus und Albus hielt sie es eine Zeit lang aus, ohne Kopfschmerzen zu bekommen.

Anfang Februar saß sie in ihrem Büro und schrieb einen Brief an die Flamels, als es an ihrer Tür klopfte. Sie hatte schon gut eine Minute vorher gewusst, wer auf dem Weg zu ihr war. „Kommen Sie rein, Minerva.", bat sie, die Verwandlungslehrerin einzutreten. Diese öffnete auch sogleich die Tür. Amina konnte ihre Überraschung und Sorge spüren. „Hallo, Amina.", begrüßte die Ältere sie. Sie legte die Feder zur Seite und sah Minerva dabei zu, wie sie die Tür schloss. „Amina, was ist los mit Ihnen? Man sieht Sie gar nicht mehr und Sie sehen krank aus.", fragte die strenge Lehrerin sie. Amina seufzte. Sie hätte es sich denken können, dass ihr verhalten auffiel. Minerva war eine sehr aufmerksame Person.

„Wollen Sie einen Tee?", fragte sie. Minerva nickte und setzte sich auf einen der Besucherstühle. Amina goss Tee auf und reichte ihr eine Tasse. Erst als sie sich wieder gesetzt hatte, antwortete sie. „Ich halte die Gesellschaft anderer nicht aus. Zu viele Gedanken und Emotionen. Es wird immer schlimmer.", erklärte sie mit ruhiger, aber erschöpfter Stimme. Selbst von Severus hatte sie die Tage einige Gedanken aufgeschnappt, auch wenn er bei Weitem die angenehmste Gesellschaft war. Er beherrschte Okklumentik nach ihr mit Abstand am besten. Selbst ihr Urgroßonkel konnte damit nicht mithalten. Ihre morgendlichen Tai-Chi-Übungen hatte sie inzwischen in den Verbotenen Wald verlegt, um nicht ständig einen Schlossbewohnenden zu belauschen. Dazu noch der Schlafmangel wegen der nächtlichen Rundgänge...

„Haben Sie mit Albus darüber gesprochen?", fragte Minerva sie voller Mitleid. Sie schien zu ahnen, dass diese Veränderung durch die ständigen Analysen kam. Amina nickte. „Er sagte, ich sollte lernen, damit umzugehen. Wenn es nur so einfach wäre. Es ist alles so laut und voll.", erklärte Amina und fuhr sich mit der Hand über ihr Gesicht. „Das arme Ding. Albus sollte nicht so streng zu ihr sein.", hörte sie Minervas Gedanken. „Hat Severus vielleicht einen Trank für Sie, der zumindest ein wenig hilft?" Amina schüttelte den Kopf. „Er hat bereits ein paar versucht, aber sie zeigen keine Wirkung. Er arbeitet daran, wenn er Zeit hat. Aber durch die ganze Situation kommt auch er nicht zu viel Freizeit. Im Moment ist das Beste, was ich tun kann, mich von möglichst allen Situationen fernzuhalten, bei der ich mehr als einer Person ausgesetzt bin. Nehmen Sie meine Abwesenheit im Lehrkräftezimmer also bitte nicht persönlich. Doch nach dem Unterricht..." Sie beendete den Satz nicht, sondern nahm einen Schluck ihres Tees.

„Verstehe. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Sie waren sonst immer bei unseren Ausflügen in die Drei Besen dabei und auch im Lehrkräftezimmer vermisst man Sie. Severus ist auch um einiges Umgänglicher, wenn Sie dabei sind. Gestern hat er mir mal wieder unter die Nase gerieben, welches Haus die letzten Jahre den Quidditch-Pokal bekommen hat." Ihre Kollegin schnaubte beleidigt. „Ich sag Ihnen mit Potter und seinem Feuerblitz haben seine Slytherin keine Chance." Amina musste schmunzeln. „Ich denke, ich kann ihn ein klein wenig von seiner Prahlerei abhalten. Hat Potter den Besen denn schon wieder?" „Ja, er hat ihn vorhin von mir bekommen. Zum Glück sind Filius und Rolanda noch vor dem Spiel fertig geworden. Aber lenken Sie nicht vom Thema ab! Was gedenken Sie wegen Ihrer Situation zu unternehmen?" Minerva sah sie streng hinter ihrer Brille hervor an.

„Sie haben mit Quidditch angefangen.", murmelte sie und fuhr fort: „Ich werde nicht viel dagegen tun können, außer mich zurückzuziehen. Die Analysen kann ich nicht einstellen und die sind vermutlich der Auslöser, dass ich so empfindlich bin. Wenigstens kann sich keiner an mir vorbeischleichen. Auf einem freien Feld habe ich inzwischen eine Reichweite von gut zweihundert Fuß. Das ist mehr als das Vierfache, was normal für mich ist. Ich werde mehr trainieren müssen. Vielleicht sollte ich auch mal etwas anderes außer Tai-Chi ausprobieren. Zudem hatte ich vor, die Flamels um Rat zu fragen.", sagte Amina. Minerva seufzte.

„Sie sollten sich nicht überanstrengen. Falls Sie etwas brauchen, sagen Sie es ruhig. Ich helfe Ihnen gerne." „Danke, Minerva. Das weiß ich zu schätzen. Sobald ich eine Lösung habe, bin ich auch gerne bei sämtlichen Ausflügen in die Drei Besen wieder dabei." „Das hoffe ich doch. Charity und Bathsheda trinken immer viel zu viel, wenn Sie sie nicht zur Vernunft bringen.", sagte die Ältere und schüttelte dabei den Kopf. Amina musste schmunzeln, als sie die Bilder ihrer betrunkenen Kolleginnen in Minervas Kopf sah. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, diese Bilder nicht zu sehen. Zum Glück löste ihr Schwur sich nur aus, wenn sie willentlich in den Kopf eines Verbündeten eindrang. Andernfalls wäre sie schon lange tot.

Beim Abendessen in der Großen Halle war es ihr viel zu laut und aufgewühlt. Das in mehrfacher Hinsicht. Severus hatte ihr vor einigen Tagen angeboten, sich in der Zeit des Festmahls in seinem Geist aufzuhalten, sonst würde Amina es überhaupt nicht mehr bei den Essen aushalten. Doch trotzdessen konnte sie noch viele der Gedanken und Gefühle wahrnehmen, als würde sie sich nicht auf einen bestimmten Geist konzentrieren. Severus schien in gewisser Weise auch darunter zu leiden, denn er bekam in dieser Zeit alles mit, was auch Amina von ihrem Mitmenschen empfing. Trotzdem beschwerte er sich nicht und ließ es über sich ergehen. Dies rechnete sie ihm hoch an.

Von dem Gryffindor-Tisch bemerkte sie Potter, welcher bestürzt und auch ein wenig wütend war, Granger, die wütend und entsetzt war und auch den jüngsten Weasley-Sohn, welcher traurig und wütend war. Offensichtlich war er traurig über den Tod seiner Ratte. Die Schuld dafür gab er dem Kater von Granger, wenn Amina es richtig verstand. Sie selbst bezweifelte, dass die Ratte tot war. Wahrscheinlich hatte Pettigrew begriffen, dass er enttarnt wurde und hatte mal wieder seinen Tod vorgetäuscht. Dieses Vorgehen hatte schließlich schon einmal funktioniert.

Amina fand für ihre Theorie am selben Abend noch Bestätigung. Als sie am Abend ihre Analyse machte, bemerkte sie, dass der Animagus sich in den Abflussrohren herumtrieb anstatt im Gryffindorturm. Er schien nicht mehr so ängstlich wie noch am Morgen. Vermutlich ging er davon aus, in Sicherheit zu sein.

Amina hatte Albus am Tag nach Halloween von ihm erzählt. Ihr Urgroßonkel sagte ihr, sie solle ihm gut im Auge behalten. Er würde auf einen guten Zeitpunkt warten, um ihn zu stellen. Sie hatte nicht widersprochen und würde ihn noch informieren müssen, was Pettigrew eingefädelt hatte. Zumindest stellte er keine wirkliche Bedrohung für Potter dar.

Als das nächste Quidditch-Spiel der Gryffindors anstand, ging es ihr noch schlechter. Der Meister hatte ihr geraten, ihren eigenen Geist in sich einzuschließen, um so ihre Kräfte einzudämmen. Doch er wusste selbst nicht, wie sie dies anstellen sollte. Auch Severus war mit seinem Latein am Ende. Er hatte absolut jeden Trank, von dem er dachte, er könne helfen, für sie gebraut. Ohne Erfolg. Amina selbst verbrachte sehr viel Zeit in der Bibliothek und auf den Ländereien. Dies fand Fang anscheinend sehr schön, denn der Hund begleitete sie oft bei ihren Spaziergängen, wenn Hagrid gerade keine Zeit für ihn hatte.

Amina sollte auch bei diesem Spiel aufpassen, dass kein Dementor sich in die Nähe des Feldes wagte. Albus wusste um ihren Zustand, doch auch er konnte nichts für sie tun. Er hatte ihr lediglich zur Meditation geraten, was das Ganze für Amina jedoch verschlimmerte, anstatt zu helfen. Ihr war es nach der Meditation fast nicht gelungen, ihre eigenen Gedanken zu hören. Die ihrer Mitmenschen beanspruchten den Platz in ihrem Kopf für sich.

Am Spielfeld war schon einiges los. Wenigstens war das Wetter um einiges besser als bei dem letzten Spiel von Gryffindor, dem sie beiwohnen musste. Sie setzte sich wieder auf die leere Tribüne. Möglichst weit weg von den restlichen Zuschauenden. Doch dieses Mal kamen die Dementoren nicht. Sie hatten wohl von dem letzten Mal, als sie ihrem Patronus begegneten, gelernt. Sie hatte sich verschiedene Bücher zu Gedankenzaubern aus der Bibliothek mitgebracht und fing an, diese zu studieren, während das Spiel lief. Immer wieder musste sie über Lee Jordan und Minerva schmunzeln. Der Schüler kommentierte sehr oft den Besen von Potter anstatt des Spiels und Minerva schimpfte daraufhin mit ihm. Es war äußerst unterhaltsam. Zu ihrem Frust fand sie bis zum Ende des Spiels auch in diesen Büchern nichts Brauchbares. Sie würde später noch zu Irma gehen und nach anderen Büchern fragen, die noch tiefer in die Gedankenmagie gingen.

Die Alchemistin - Bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt