Held und Tragödie - Kapitel 2.2

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Held und Tragödie - 2.2


»Götter im Olymp, was für ein Kerl!«, höre ich Lila aufgeregt hauchen.

Während Herr Grönefeld wie ein Wasserfall plappert, hört der Typ ihm zu und nickt hin und wieder bestätigend. Er sieht sich noch nicht mal in der Klasse um. Wie er da steht, wirkt er äußerst selbstsicher, wenn nicht sogar überheblich. Wie seine schwarzen Haare aussehen. Leicht verwuschelt, nicht etwa so, als würde er Stunden vor dem Spiegel mit Gel und Wachs verbringen, damit jede Locke in eine andere Richtung wippt. Nein, sie sehen aus, als würden sie ganz natürlich so fallen, doch genau das tun sie bestimmt nicht. Mit Sicherheit!

Herr Grönefeld beschließt offenbar den Neuen seinem Schicksal zu überlassen, nachdem er ihn kurz als Ben-irgendein-Nachname vorgestellt hat. Daraufhin teilt Frau Malkan ihn ausgerechnet Cilia als Schützling zu. Und da erwische ich mich, wie ich sein Gesicht eindringlich mustere. Mann, der hat echt die schönsten grünen Augen, die ich je bei einem Typen gesehen habe.

»Ähm, Zara, lass mal«, sagt Chris und entzieht mir das Reagenzglas, das ich total verkrampft zwischen meinen Fingern halte. »Wir wollen doch niemanden umbringen.«

»Nein, heute ausnahmsweise mal nicht«, gebe ich zurück.

Chris, sonst um keinen blöden Spruch verlegen, seufzt nur und ich ertappe ihn dabei, wie er zu Cilia hinüberschielt. Ohne es zu wollen wandert mein Blick zu ihrem neuen Tischnachbarn, der sofort völlig ins Experiment vertieft ist, konzentriert die Brauen zusammenzieht und dabei einfach umwerfend aussieht. Mit einem Mal, so als könne er spüren, dass ich ihn beobachte, hebt er seinen Blick und erstarrt mitten in der Bewegung. Ich kann es nicht mit Worten beschreiben, aber dieser Moment fühlt sich unglaublich an, als ob meinem Magen plötzlich Flügel gewachsen wären und ich zu schweben beginne. Alles um mich herum gerät in Vergessenheit, zumindest für ein paar Augenblicke - doch plötzlich bohren sich andere Augen in mein Gesichtsfeld.

»Muss dein Held heute etwa alles alleine erledigen?«, fragt Chris.

»Tut mir leid«, wispere ich. »Ich war in Gedanken.« Bei ihm!, hänge ich für mich noch an und hoffe nur, dass Chris mir das nicht anmerkt. Hastig rede ich weiter. »Also, was lassen wir als nächstes explodieren?«, versuche ich völlig locker zu fragen, aber wenn ich nervös bin, schwafle ich meist nur wirres Zeugs. Ich fühle mich irgendwie immer noch atemlos, zwinge mich aber, mich auf den Kolben und das Reagenzglas zu konzentrieren und scheine mich tatsächlich wieder unter Kontrolle zu haben. Als ich gegen meinen Willen erneut einen heimlichen Blick hinüberwerfe, ist der Neue gerade dabei, sich mit den Fingern sein wirres Haar aus der Stirn zu streifen, dann lächelt er - doch es gilt nicht mir.

Im selben Moment, als ich in seinem Anblick zu versinken drohe, endet die Tragödie (Titel: Chemiestunde und andere Katastrophen) mit der Pausenklingel. Nicht nur ich springe auf als säße ich auf heißen Kohlen, sondern die gesamte Klasse. Dadurch verliere ich Ben auch gleich wieder aus den Augen. Es ist keineswegs so, dass mich das stört, ganz im Gegenteil, ich bin heilfroh, wenn ich nichts weiter mit ihm zu tun habe. Ehrlich.

»Was starrst du denn für überdimensionale Löcher in die Luft?«, stichelt Isa, die sich mit mir in den Schulkorridor hinauszwängt. »Suchst du vielleicht irgendwas? Oder irgendwen?«

»Suchen?«, frage ich. Wieso krächze ich wie eine Uroma? Und wieso glühen meine Wangen, als ob sie mich bei etwas Verbotenem ertappt hätte?

»Na, vielleicht einen gewissen Kerl?«

»Ähm ... sicher nicht«, empöre ich mich. Erst beim zweiten Atemzug begreife ich, dass Isa nicht auf den Neuen, sondern den unheimlichen Typen von heute Morgen anspielt.

»Okaaaaay«, grinst sie und zieht dabei das Wort misstrauisch in die Länge.

Isa ist echt 'ne Wucht. Ich blicke in ihr hübsches Gesicht mit den meeresblauen Augen und der beneidenswert reinen Haut. Sie hat immer einen passenden Spruch auf Lager. Ja, Schlagfertigkeit liegt ihr im Blut - auch wenn ihre Wortwahl manchmal ziemlich heftig ausfällt.

»Mädels, wartet auf mich«, dringt Chris' Stimme zu uns durch, während er sich umständlich mit beiden Ellenbogen durch die Schülerschar zwängt, um uns einzuholen. Sein Gesicht glänzt, seine Wangen sind gerötet. Man sieht wieder mal deutlich, dass er viel zu viel Zeit vor dem Bildschirm verbringt, anstatt sich hin und wieder mal eine Jogginghose überzuziehen, um eine Runde an der frischen Luft zu laufen. »Ihr habt nicht zufälligerweise gerade von mir gesprochen?«

»Du musst dein Selbstvertrauen echt einem Gott gestohlen haben«, sage ich kopfschüttelnd.



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Bestimmt erkennt ihr, wer der Typ auf dem Bild sein sollte, oder?

Stadt der Verborgenen (Die Phoenicrus-Trilogie 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt