Ein Vollpfosten auf Rollen - Kapitel 1.3

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Ein Vollpfosten auf Rollen - 1.3



»He, Lila«, flüstere ich und zerre sie ungestüm am Jackenärmel. Irgendwie ist mir plötzlich so schwindelig. Sicher eine lästige Nebenwirkung meines Beinahe-Sturzes oder des Fast-blutige-Hände-Anblicks. Trotz des Schwindels bringe ich ein »Wer ist das?« hervor.

Doch Lila ist in ihrem üblichen Labermodus und registriert weder meine Frage noch mein Gezupfe, geschweige denn diesen Fremdkörper von Kerl.

Als ich erneut zu ihm rüber blicke, ist er verschwunden. Einfach weg. Vom Erdboden verschluckt. Ich blinzle, reibe mir die Augen und für den Bruchteil einer Sekunde frage ich mich ernsthaft, ob er bloß meinem übernächtigten Hirn entsprungen ist? Denn ganz offensichtlich hat ihn keiner bemerkt. Mal wieder der tragische Beweis dafür, dass ich immer und überall aus der Reihe tanze. Vielleicht habe ich ihn auch aus dem einfachen Grund als Einzige wahrgenommen, weil er genau neben meinem Spind aufgetaucht war.

»Zara, deine Negativität verursacht bei mir Migräne«, sagt Lila gerade, aber ich höre nur mit halbem Ohr hin. Sie fängt wieder mit der alten Leier über meinen Ex Nils und seiner Geburtstagsfete an, bei der ich mich endgültig und für immer von ihm getrennt habe. Die Edelzicke Cilia hat dabei eine nicht ganz unbedeutende Nebenrolle gespielt. Ich vermute, dass zwischen den beiden etwas gelaufen ist, habe aber keine Beweise dafür. Cilia ist bildhübsch, hat die Figur eines Topmodels, ist dementsprechend gekleidet, hat leider auch echt was im Köpfchen und geht bedauerlicherweise in meine Klasse! Aber was soll's. Das alles gehört fortan zu meiner Vergangenheit, was Lila irgendwie immer noch nicht zu akzeptieren scheint. Ich stöhne innerlich laut auf, denn sie redet bereits seit geraumer Zeit auf mich ein.

»Ich schwör dir hoch und heilig, Nils hat im Rox nicht mit Cilia rumgemacht. Jetzt verurteil ihn doch nicht so.«

»Verurteilen? Ich habe doch keinen Ton dazu gesagt«, gehe ich in den Verteidigungsmodus über, während ich beinahe meine Tasche verliere, weil mir plötzlich wieder schummrig vor Augen wird.

»Schweigen ist manchmal ein stärkeres Argument als jedes Wort«, kontert Lila und so wie sie mich ansieht (mit diesem leidgeplagten Ausdruck im Gesicht), wissen wir beide, dass sie damit ins Schwarze getroffen hat.

Ich blinzle noch einmal und fahre mir mit meinen Händen über das Gesicht. Mensch, es wird höchste Zeit, dass die Ferien beginnen.

»Schon gut«, murmle ich abwesend und muss mich mit einem Mal festhalten. Ich taumle mehr in Richtung meines Spinds, als dass ich aufrecht gehe. Ehrlich gesagt fühle ich mich beschissen.

Als ich endlich an dem Schrank ankomme, um mein Chemiebuch aus dem Stapel aus Notizen und zerfetzten Papieren herauszukramen, bin ich heilfroh, dass ich mich an der Spindtür festhalten kann.

Auch meine Sportsachen befinden sich noch in diesem Chaos, was bedeutet, dass ich zumindest ein trockenes Oberteil anziehen könnte. Wenn ich es denn finden würde. Verdammt, in dem Durcheinander (Chi-Fluss gleich null) würde ich nicht mal einen Elefanten wiederfinden. Meine Freunde nennen mich nicht umsonst: die wandelnde Chaosqueen.

»Zara, sag mal hörst du mir überhaupt zu?«, dringt Lilas Stimme zu mir durch. »He, ihr seid das Traumpaar schlechthin! Wie kannst du das alles einfach so aufgeben? Und mal ehrlich, er hat vielleicht vier, na ja, höchstens sechs Mal mit Cilia geredet und ihr dabei vielleicht dreimal wirklich in die Augen geschaut. Das ist aber überhaupt nicht das Problem. Bestimmt hätte er gar nicht mit ihr geredet, wenn du ihn nur ein Mal beachtet hättest.«

»Ach Lila, du bist echt eine unverwüstliche Optimistin«, seufze ich. »Aber sieh es doch endlich ein: Es ist aus zwischen Nils und mir. Ende, Schluss, basta.«

»Nur noch eines ...« Lila zieht mich am Arm zurück und baut sich direkt vor mir auf. »... dein Freund -«

Ich unterbreche sie sofort. »Sorry, aber ich hab echt keinen Bock auf einen Kerl, dessen Verständnis von Erfolg darin besteht, möglichst galant von einem Bett ins nächste zu hüpfen. Außerdem weiß der Geier, was er sich dabei alles für Seuchen einfängt.« Okay, das ist vielleicht übertrieben, aber es soll Lila endlich die Augen für Nils wahren Charakter öffnen.

»Uäh, bei Hades!« Lila klappt die Kinnlade runter. Nur kurz, dann rümpft sie angewidert die Nase, begleitet von einem empörten Augenverdrehen. »Ein verseuchter Nils? Das will ich mir nicht mal ausmalen.«

Ich hingegen muss in diesem Moment die Augen schließen und meine Finger krallen sich in das Erstbeste, was ich zu fassen kriege. Unglücklicherweise erwischt es Lilas Unterarm.


Ich widme dieses Kapitel dir, liebe Nina, weil du mir gleich das Gefühl vermittelt hast, hier bei Wattpad zu Hause zu sein und dafür danke ich dir von !

Stadt der Verborgenen (Die Phoenicrus-Trilogie 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt