Ein Vollpfosten auf Rollen - Kapitel 1.2

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Ein Vollpfosten auf Rollen - 1.2



Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt und wische verlegen darüber. Dann sehe ich, dass er mir immer noch versöhnlich die Hand hinhält, um mir auf die Beine zu helfen.

»Vergiss es, die Hand gebe ich dir nicht«, murmle ich.

Ist das Erstaunen in seinem Blick?

»Oh, ähm ... okay«, sagt er und zieht seine zurück. »Es war keine Absicht. Ehrlich.«

Offenbar hat er nicht kapiert, warum ich das gesagt habe.

»War nicht so gemeint«, beginne ich zu erklären und verhasple mich beim Reden. Mit mürrischem Blick rapple ich mich hoch. »Meine Hände schmerzen echt höllisch, und da brauche ich nicht noch jemanden, der sie zusätzlich zerquetscht.« Zum Beweis strecke ich ihm meine geröteten Handflächen unter seine Nase – die wie ich finde für sein kantiges Gesicht etwas zu groß geraten ist.

Er schaut gar nicht hin.

Ein kurzes, unbehagliches Schweigen folgt und seine Füße spielen unruhig mit dem Skateboard.

»Ich habe dich nicht gesehen.«

Na toll! Ich lasse ihn nicht weitersprechen. Er trifft einen wunden Punkt. Diese dämlichen, an den Haaren herbeigezogenen Entschuldigungen habe ich so was von satt!

Hab dich nicht gesehen ...

Oh, du bist auch noch hier ...

Hab dich vergessen ...

Blablabla ...

So ein Szenario hab ich zur Genüge mit meinem Ex durchgespielt und deswegen reagiere ich bei dem Thema leicht über. Eigentlich habe ich gehofft, diese Sprüche genauso aus meiner Erinnerung streichen zu können wie die gemeinsame Zeit mit Nils. Das gestaltet sich allerdings schwieriger, als mir lieb ist. Aber so ist das nun mal, wenn man dieselbe Schule besucht und dem Ex somit zwangsläufig immer wieder über den Weg läuft.

»Wie nett«, presse ich hervor. Okay, fairerweise muss ich dem Typ zugutehalten, dass er ja nicht wissen konnte, wie allergisch ich auf solche Entschuldige-ich-bin-ein-wandelnder-Halbgott-Sprüche reagiere. Dennoch braucht er mir ja nicht noch extra dick unter die Nase zu reiben, wie unsichtbar ich für ihn bin. »Aber schon okay«, füge ich hastig hinzu, um ihn endlich loszuwerden - obwohl meine Hände anderer Meinung sind und lauthals protestieren, weil sie immer noch heftig schmerzen. Nichts ist okay!

»Na, dann.« Noch einmal grinst er, ganz so, als ob ich nichts weiter gesagt hätte. »Man sieht sich.«

Und mit diesen Worten verschwindet er auf seinen vier Rollen unter den Füßen.

»Lieber nicht«, murmle ich leise, auch wenn er mich bestimmt längst nicht mehr hören kann.

Kurz verharre ich, schaue ihm nach, wie er zwischen dem grauen Himmel und den Regentropfen verschwindet, dann stapfe ich weiter und biege um die Ecke. Bis zum Schultor sind es nur noch wenige Schritte.

»Das gibt bestimmt eine fette Erkältung«, brumme ich und steige die steinerne Treppe empor, die zum Tor führt.

Was gäbe ich jetzt für trockene Klamotten!

Bevor ich die Schule betrete, höre ich, wie hinter meinem Rücken jemand meinen Namen ruft.

»He, Zara!«

Meine Lippen verformen sich zu einem Lächeln. Es ist meine Freundin Lila. Obwohl sie ziemlich klein ist, fällt sie durch ihren geschmacksverirrten Stil in Sachen Klamotten so aus dem Rahmen, dass keiner sie übersieht – wie heute, mit ihren ständig die Farbe wechselnden Haarsträhnen, dem grell-pink-orangen Lippenstift und dem neongrünen Shirt. Okay, manchmal driftet sie auch ins Extreme ab. Wenn sie die Toleranzschwelle der Geschmacksverirrung überschreitet, sieht sie viel eher aus wie eine Miniaturversion von Olivia Jones. Aber trotzdem ist Lila ein Mensch, ohne den ich mir mein Leben nicht mehr vorstellen kann. Wenn es mir schlecht geht, brauche ich nur einen Anruf zu tätigen und keine Minute später steht sie vor meiner Haustür.

»Bei Hades! Was ist dir denn passiert?«, ruft sie entrüstet, während ihr Blick an meinem vor Dreck triefenden Oberteil hängenbleibt. Ihrem Ausruf der Bewunderung (oder des Entsetzens?) ist unschwer zu entnehmen, dass sie ein totaler Fan der griechischen Mythologie ist.

»So charmant wie eh und je«, stichle ich und drücke sie kurz zur Begrüßung, besser gesagt, ich versuche es, denn Lila hält einen gehörigen Sicherheitsabstand zwischen sich und meinem Dreckshirt. Oh, ich vergaß zu erwähnen, dass sie manchmal zu einer gehörigen Portion Oberflächlichkeit neigt. Aber wenn wir uns deswegen hin und wieder anzicken, vertragen wir uns meistens schon im nächsten Moment wieder. Das gehört bei uns einfach dazu.

»Nichts für ungut, aber ...«, entschuldigt sie sich mit einem schiefen Lächeln.

»Schon verstanden«, winke ich ab.

Sobald wir den Korridor betreten, beginne ich mich mühsam aus meiner Jacke zu schälen. Alles klebt auf meiner Haut und das klamme Shirt hinterlässt bei jeder Bewegung eine unangenehme Kälte. Zudem sehe ich aus, als hätte ich ein Schlammbad hinter mir.

Gerade als ich denke, dass dieser Donnerstagmorgen nicht noch katastrophaler werden kann, bemerke ich einen total unheimlichen Typen im Schulkorridor. Ganz in Schwarz, fast so, als ob er bloß ein Schatten seiner selbst wäre. Irgendwie gruselt es mich bei dem Gedanken. Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt, aber mir ist sofort klar, dass er nicht hierher gehört. Es ist nicht, weil er zu alt aussieht. Auch nicht wegen seines dunklen Erscheinungsbildes. Doch da ist so ein Gefühl, ganz tief in mir drin. Er hat die Kapuze so tief ins Gesicht gezogen, dass ich kaum was davon erkennen kann. Nur seine dunklen Augen, schwärzer als die Nacht, blitzen bedrohlich unter dem Kapuzenrand hervor. (Es fehlen nur noch Pfeil und Bogen und der Typ könnte mit Oliver Queen aus Arrow konkurrieren!)

Stadt der Verborgenen (Die Phoenicrus-Trilogie 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt