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Ein Raunen geht durch die Menge. Ich setze mich im Schneidersitz auf den Boden, schließe meine Augen und beginne, die magische Formel zu murmeln.

„Alakorathia Solventra, Vindariela Valandoria, Aerithyra Asenoria!", flüstere ich. Ich blinzle einmal kurz, um mich zu vergewissern, dass ich noch immer die Aufmerksamkeit meiner Zuschauer habe. Die Menschen in der ersten Reihe sind noch ein Stück nähergetreten, diejenigen, die weiter hinten stehen, recken ihre Hälse, um einen besseren Blick auf mich und meine Show erhaschen zu können. Ich habe ihre volle Aufmerksamkeit, aber noch möchte ich die Spannung ein wenig genießen.

„Alakorathia Solventra, Vindariela Valandoria, Aerithyra Asenoria!", sage ich erneut meinen albernen Spruch, diesmal noch ein wenig lauter. Der Ton hallt von den Hauswänden um den großen Platz wider. Das Stimmengewirr um mich herum schwillt an, die Ungeduld meiner Zuschauer wächst. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Die Wahrheit ist, dass die Formel überhaupt nichts bewirkt, es sind Fantasiewörter, die ich nach ein paar Gläsern Wurzelschnaps im Dunstigen Abgrund zusammen mit Emeric erfunden habe. Es war seine Idee. Er meinte, ich könnte noch ein bisschen mehr Tamtam machen und dass es den Leuten gefallen würde, und er hat recht behalten. An dem Abend in der Kneipe haben wir uns über die Idee kaputtgelacht, aber Tatsache ist, dass meine Einnahmen sich fast verdoppelt haben, seit ich meine Auftritte auf diese Weise aufpoliert habe. Es ist natürlich nicht nur der Spruch, auch meine Kleidung habe ich geändert, mein ganzes Gebaren. Ich trage nun einen Hosenanzug aus flatternden grauen und schwarzen Fetzen, der an Ärmeln und Hosenbeinen mit rotfunkelnden Steinen verziert ist. Eine weitere Idee von Emeric, der mir das Teil sogar eigenhändig genäht hat. Er ist ein begnadeter Schneider. Letztlich war es vermutlich zu einem großen Teil Emerics Anzug, der mir meine Berühmtheit und den Spitznamen Aschekönigin eingebracht hat.

„Alakorathia Solventra, Vindariela Valandoria, Aerithyra Asenoria!", sage ich nun zum dritten Mal. Diesmal rufe ich es fast, meine Stimme ist tief und rauchig und ich gebe mir Mühe, sie so düster und geheimnisvoll wie nur möglich klingen zu lassen. Gleichzeitig konzentriere ich mich nun auf die Wärme, die durch meine Adern spült, atme tief ein und aus, bündle die Energie in mir und visualisiere sie. Vor meinem inneren Auge sehe ich grelles Licht, weißglühend, sengend heiß. Das Gefühl schießt durch meine Arme bis in meine Handflächen hinein, und dann spüre ich es, das leise Kitzeln an meinen Fingerspitzen, und im selben Moment kreischt im Publikum jemand auf. Weitere Schreie folgen, dann ungläubiges Gelächter, und einen Herzschlag später brandet Applaus auf.

Endlich öffne ich meine Augen wieder und nun kann ich das Lächeln nicht mehr zurückhalten. Über meinen Händen, die ich zu einer Schale geformt habe, schwebt ein winziger Ball aus Feuer. Er wärmt mich, aber ich verbrenne mich nicht daran, ich verbrenne mich nie. Noch besser als das Ergebnis meines Zaubers ist allerdings das, was vor mir auf dem Boden steht: Der kleine Korb ist bereits jetzt randvoll mit silbernen und goldenen Münzen.

Ich versuche, beim Anblick des Geldes nicht allzu breit zu grinsen und stattdessen etwas Geheimnisvolles in mein Lächeln zu legen, weiß allerdings nicht so recht, ob mir das gelingt. Das müssen mehr als fünfzig Erdensplitter sein, was ich auf den ersten Blick überschlagen kann. Genug für zwei Rationen von Adiras Medizin. Mein Herz hüpft.

Langsam erhebe ich mich aus meinem Sitz. Diesmal schließe ich die Augen nicht mehr, sondern fixiere mein Publikum mit meinem Blick, einen nach dem anderen. Ein paar Kinder stehen in der ersten Reihe, sie müssten in Tristans Alter sein, nicht älter als zwölf. Mit großen Augen sehen sie zu mir auf, die Münder zu einem erstaunten O geformt. Ein etwas jüngeres Mädchen versteckt sich ängstlich hinter dem Bein seiner Mutter. Die Erwachsenen beobachten mich mit einer Mischung aus Neugierde, Skepsis und leiser Bewunderung.

Einen Moment lang lasse ich meinen Blick über die Menge schweifen, versuche, besonders würdevoll und erhaben auszusehen, und sage nichts. Dann, ganz plötzlich, mache ich einen Satz nach vorne.

Die Kinder kreischen und stürzen zurück, das Murmeln der Älteren schwillt wieder an. Wie gebannt haften ihre Blicke auf mir und der Feuerkugel in meinen Händen. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht loszulachen. Diesen kleinen Effekt mag ich bei meinen Auftritten am liebsten, er verfehlt nie seine Wirkung; sollte jemand kurzzeitig abgelenkt gewesen sein, so kann ich mir spätestens jetzt wieder ihrer vollen Aufmerksamkeit sicher sein.

„Aldurion Voranthis, Seraphira Elantara, Thaladoria Solmenar!", rufe ich den zweiten Teil meiner Formel und es klingt so bedrohlich, dass die Menge einen kleinen Schritt zurückweicht. Und dann schwillt der Ball an, wird größer und größer, fliegt höher und höher, weit über die Köpfe der Menschenmenge hinweg. Ich lasse ihn dabei nicht aus den Augen. Die Beschwörungsformeln mögen erfunden und nutzlos sein, doch Blickkontakt hilft mir, sobald ich einmal die physische Berührung des Feuers verloren habe.

Alle Köpfe fliegen in den Nacken, die Blicke sind nach oben in die Finsternis gerichtet, in der nun die kleine Sonne schwebt, die ich meinem Publikum versprochen habe und für die ich in ganz Tremoris berühmt bin. Noch immer halte ich sie mit meinem Blick fest und kann den Menschen nicht in die Gesichter schauen, aus Angst, einen Fehler zu machen. Doch was ich höre, lässt mein Herz höherschlagen und erinnert mich daran, dass ich das hier nicht nur für das Geld mache, sondern auch für dieses wunderbare Gefühl, den Menschen etwas geben zu können, von dem sie noch tagelang sprechen werden, vor allem die Kinder. Ihnen mit meiner albernen kleinen Vorführung eine echte Freude machen zu können.

Wir haben die Sonne gesehen!

Ich höre aufgeregtes Gemurmel, staunende Rufe, Lachen, Seufzen, Jauchzen.

Dann zähle ich meine Atemzüge bis zehn, wie jedes Mal. Und schließlich platzt die Feuerkugel mit einem lauten Knall. Nun gibt es kein Halten mehr. Die Menschen jubeln, rufen, klatschen. Tosender Applaus spült über mich hinweg. Endlich wende ich den Blick ab und sehe dabei zu, wie die Funken auf meine Zuschauer hinabregnen, wie sie sich knapp über ihren Köpfen in Asche verwandeln. Sehe das Leuchten in den Augen der Kinder, das Strahlen auf ihren Gesichtern, beobachte sie dabei, wie sie auf und ab hüpfen, lese auf ihren Lippen „Nochmal!". Nehme das Lächeln und das anerkennende Nicken der Erwachsenen in mir auf, spüre das Glück, das bei dem Anblick durch meine Venen strömt und mich von innen wärmt.

Und dann, ganz langsam, verbeuge ich mich, und während der Applaus noch einmal zur vollen Lautstärke aufbrandet, beobachte ich, wie weitere Münzen in meinem Korb landen, so viele, dass sie oben bereits wieder herauskullern.

Cinder & Blood: The darker Side of MidnightWhere stories live. Discover now