the love you want

Par jxqxxlxnx

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WERBUNG IN EIGENER SACHE

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Par jxqxxlxnx

PAUL

Jans Grinsen reicht von einem Ohr bis zum anderen, als er Ledianas Spitznamen auf dem Bildschirm meines Handys entdeckt.

Schon als ich vorhin auf dem Heimweg gewesen bin, hat er mehrfach versucht, mich zu erreichen. Jeden einzelnen seiner Anrufe habe ich durchklingeln und in meiner Mailbox landen lassen. Im Bus hat mich die Geduld verlassen und ich habe den Flugmodus eingeschaltet, damit meine Musik nicht ständig unterbrochen wird.

«Ist das die Kleine von gestern?» Er erinnert mich beinahe schon an diese gruselige Grinsekatze.

Genervt schnaubend nehme ich ihm mein Handy aus der Hand, während er versucht es zu entsperren. «Warum verrätst du mir deinen Pin eigentlich nicht? Immerhin kennst du meinen auch.»

Ich verdrehe die Augen und drehe mich so, dass er keinen Blick auf mein Handy erhaschen kann.

«Vier, drei, zwei, eins ist nicht schwer herauszufinden», entgegne ich gereizt.

dina_16:43: danke nochmal, für alles. wie kann ich mich bei dir revanchieren?

Auch heute früh hat sich herausgestellt, dass nicht miteinander schlafen die richtige Entscheidung gewesen ist.

Sie hat eine Schulter zum Anlehnen gebraucht und jemand, der für sie da ist. Keinen One-Night-Stand.

«Ich sag es dir, Nana ist der Wahnsinn. Sie hat eine Ausstrahlung, die mich sofort in ihren Bann zieht. Verstehst du, was ich meine?», schwärmt er.

Ohne eine Reaktion meinerseits, träumt Jan weiter: «Wenn das zwischen dir und diesem Mädchen was Ernstes werden sollte, dann können wir immer auf Doppeldates und so einen Scheiß gehen.»

Wow, den hat es ja wirklich erwischt. Am liebsten würde ich den Döner, mit dem Jan unangekündigt vor meiner Tür aufgetaucht ist, wieder ans Tageslicht lassen. Ihn zu essen ist mir leichter gefallen als sonst. Mein Magen hat auch ziemlich vor Hunger rebelliert. Allerdings warte ich nur darauf, dass die altbekannte Übelkeit einsetzt, weil es zu viel oder zu schnell gewesen ist.

Seit geraumer Zeit habe ich das Gefühl, dauerhaft mit einer Magenschleimhautentzündung herumzulaufen. Jans Anwesenheit macht das nicht besser, denn er stresst mich ziemlich.

«Mhm», grummle ich und starre konzentriert auf die Buchstaben, die ich eintippe.

Gerade wünsche ich mir, dass ich mit meiner Familie einkaufen gegangen wäre. Sie sind mir entgegengekommen, als ich zur Tür herein gestolpert bin. Wahrscheinlich hätte das Jan aber auch nicht aufgehalten und er hätte vor der Tür gewartet, bis wir wieder da sind.

«Was ist denn los mit dir? War der Sex so scheiße oder hat sie dich nicht rangelassen?» Im Augenwinkel kann ich sehen wie seine Augen groß werden und er seinen Kopf neigt. «Oder hast du keinen hochbekommen?», flüstert er.

Laut aufstöhnend werfe ich den Kopf in den Nacken. «Es war gut, sehr gut sogar. Kannst du jetzt bitte deine Klappe halten und essen, statt mir auf die Eier zu gehen?», fahre ich ihn an. Lügen ist nicht die feine englische Art, ich weiß. Aber ich habe jetzt wirklich keine Energie auf eine Diskussion.

Dass Jan trotz ihres Zustands mit ihr geschlafen hätte, weiß ich. Doch ich will es jetzt einfach nicht hören.

Jan hebt abwehrend die Hände und isst endlich weiter. Normalerweise verputzt er sein Essen in wenigen Atemzügen. Wenn sein quasselndes Ich zum Vorschein kommt, kann es sich um Jahre handeln, bis er fertig ist.

«Aber im Ernst», setzt er wieder an, nachdem er aufgegessen hat. «Kannst du dir das vorstellen, wir beide auf einem Doppeldate und in festen Händen?»

Nein, kann ich nicht.

«Das mit Lediana und mir wird nichts Ernstes. Wir halten es unverbindlich», zerstöre ich seine Illusion.

Seine Augen werden groß. «Du und etwas Unverbindliches?» Er setzt Anführungszeichen mit seinen Fingern in die Luft, als hätte er etwas sarkastisches gesagt.

«Ja», entgegne ich trocken, sammle unsere Verpackungsreste vom Tisch auf und werfe sie in den Müll.

«Geht es dir wirklich gut?» Sein Blick ist skeptisch und wirkt auf mich, als würde er mich geradewegs durchblicken.

Aus der Angst heraus, dass er irgendetwas in meinen Augen lesen kann, wende ich ihm den Rücken zu und beginne unsere Teller von Hand zu spülen.

«Hast du deine Tage oder so?»

Ich wünschte, Becca wäre hier, die hätte ihm für den Kommentar die Augen ausgekratzt.

Sobald er sich neben mich an die Theke gelehnt hat, entdecke ich noch viel mehr Geschirr, das Eric hier abgestellt haben muss.

Die Spülmaschine ist voll und sauber, deshalb kümmere ich mich auch noch darum. Mir ist gerade jede Ablenkung willkommen.

Während dem Ausräumen, Abtrocknen und im Schrank verstauen, liegt Jans Blick auf mir. Mein Herz macht die ganze Zeit über komische und anstrengende Sprünge.

Irgendwann seufzt Jan laut und zieht meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. «Ich weiß nicht, ob die Idee so gut ist. Du bist nicht gemacht für sowas. Du bist durch und durch ein Mensch, der glücklich ist, wenn er festgebunden ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Freiheit, die ihr einbildet, euch zu geben, gesund für dich ist.»

Schnaubend drücke ich mich zwischen ihm und der Kochinsel vorbei, um ins Wohnzimmer zu gelangen. Ist ihm klar, was er da gerade von sich gibt?

Er ist doch derjenige, der seit Monaten mit mir spielt.

«Paul, ich mache mir nur Sorgen. Ich will nicht, dass sie dich verletzt», schiebt er nach.

«Sie trauert ihrem Ex nach, wir haben Spaß, das war's.» Ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig. Es geht ihn nichts an, was zwischen mir und Dina läuft.

Um dem Thema vollends entweichen zu können, lassen wir uns auf das Sofa fallen und ich drücke Jan einen Controller in die Hand.

Je öfter ich gewinne, desto mehr hebt sich meine Stimmung wieder.

«Das kann doch nicht sein!», ruft Jan empört und schubst mich zur Seite.

Lachend stütze ich mich auf einem Ellenbogen ab und versuche nicht im Spiel zu sterben. Ich bin schon immer besser in Super Smash Brothers gewesen als er.

Als ich ihm sein zweites Leben raube stürzt Jan sich plötzlich auf mich. Ich lasse mich fallen und ziehe meine Arme an, damit ich ihn nicht unnötig berühre. Mein Herz bleibt stehen und der Blonde windet sich auf mir, damit ich keine Möglichkeit habe weiter zu spielen, aber er sich dennoch bewegen kann.

Ich kann mich nicht wehren. Ich bin wie paralysiert. Mir rauscht das Blut in den Ohren, mir ist merkwürdig wohlig schlecht und ich glaube ich habe meine Stimme verloren. Er ist so nah, viel zu nah. Sein Geruch beißt mir etwas in der Nase.

Auch wenn ich will, dass er von mir runter geht, würde ich gerne meine Arme um ihn legen und ihn noch näher zu mir ziehen.

Nach einem Sieg zieht er sich freudig wieder zurück. Ich rapple mich mühselig auf und lege meine Hände auf seinen Arm, um ihn noch weiter wegzuschieben.

Ich strecke meinen Rücken durch und entdecke meinen Controller hinter mir, auf dem ich gelegen haben muss.

Plötzlich fühle ich mich erbärmlich. Mir ist kalt und schlecht.

Jan lacht amüsiert auf, als ich mir mit zerknirschtem Gesicht über den Rücken reibe. Controller sind wirklich nicht bequem.

«Was guckst du denn so?», gluckst er und grinst wie ein Weltmeister. «Sie es so, Pech im Spiel, Glück in der Liebe.» Jan legt eine Hand auf meine Schulter und zieht einen mitleidigen Schmollmund.

Grummelnd schiebe ich seinen Arm von mir und stehe auf.

«Wo gehst du hin?», fragt er entrüstet.

«Aufs Klo.»

Ich glaube, ich könnte mir einen ganzen Lastwagen kaltes Wasser ins Gesicht spritzen und es würde nichts bringen. Jeder Gedankengang schwebt an mir vorbei, ich kann ihn weder greifen noch laut aussprechen. Meine Atmung stolpert und mein Herz schreit nach Erlösung.

Mir entfährt ein selbstgefälliges Lachen. Wieder breitet sich ein bitterer Geschmack auf meiner Zunge aus. Eigentlich passt das ganz gut, denn verbittert bin ich allemal.

Über den Spiegel sehe ich einem Wassertropfen zu, wie er mir vom leicht stoppeligen Kinn kullert und ins Waschbecken tropft. Schwer seufzend trockne ich mein Gesicht und mache mich drauf und dran, wieder zurück ins Wohnzimmer zu gehen. Verwirrt ziehe ich die Stirn kraus, als ich Knurren und Ächzen aus dem Wohnzimmer höre.

Als ich in die Küche linse entdecke ich meine Mutter, die angestrengt zwei volle Tüten auf die Arbeitsplatte hievt. «Ich sage es dir mit deinem Bruder einkaufen zu gehen ist wie mit einem kleinen Kind.»

Sie beginnt auszuräumen und legt drei Packungen Kekse zur Seite.

Ich helfe mir mit der Kühltasche und entdecke unzählige Joghurt mit der Ecke. Die brünette Frau verdreht die Augen. «Frag nicht, die waren im Angebot.»

Schmunzelnd schüttle ich den Kopf und räume alles in den Kühlschrank. Ich entdecke auf die Joghurt mit den Schokokugeln und muss leicht lächeln.

«Ohne die hätte er den Laden nicht verlassen», lächelt Mama. An der Anzahl kann ich erkennen, dass er weiß, dass es mir nicht gut geht. Allerdings werde ich sie vermutlich Becca unterjubeln. Das ist auch ihre Lieblingssorte.

Als ich auch bei der letzten Tasche mit anpacken möchte, schüttelt Mama nur den Kopf. «Danke, Schatz. Geh zu den anderen ins Wohnzimmer, ich schaffe das schon.»

Lächelnd legt sie mir eine Hand auf die Wange und gibt mir mit ihrer Hüfte einen Schubs Richtung Tür.

Im Nebenraum sind Eric und Jan damit beschäftig gegeneinander ein Rennen zu fahren, während Papa neben ihm immer wieder zuckt und ah oder oh macht, wenn einer der beiden von der Straße abkommt.

«Komm schon Jan! Gleich hast du ihn.» Mein Vater lehnt sich aufgeregt nach vorne und stützt seine Arme auf seine Knie.

«Du bist keine große Hilfe, Papa!», mault mein Bruder beleidigt.

Bei der Szenerie vor mir zieht sich alles in mir zusammen. Diese Zusammengehörigkeit und diese gelassene Stimmung sollten beinahe verboten sein.

Von dem Moment an, als ich Jan das erste Mal für ein Projekt in der elften Klasse mit nach Hause gebracht habe, war er ein Teil der Familie. Meine Eltern haben ihn aufgenommen wie einen dritten Sohn.

Selbst Josie hat ihn toleriert und keinen Aufstand gemacht.

Jan führt einen Freudentanz auf, als er Eric kurz vor der Ziellinie überholt.

«Was soll der Scheiß!», schimpft Eric. «Mit dir spiele ich nicht mehr.»

Papa lacht herzlich, sodass sich ein Lächeln auf meine Lippen schleicht. «Seit wann bist du denn so eine Memme?» Er legt seine Hand in den Nacken seines ältesten Sohnes und knetet ihn leicht, sodass Eric seinen Kopf einzieht, um Papas Hand loszuwerden.

Die blauen Augen meines Bruders landen auf mir. «Paul!», ruft er und ich zucke zusammen. Ich stehe immer noch im Türrahmen, geplättet von dem Szenario vor mir. «Du spielst doch bestimmt eine Runde mit mir.» Das ist keine Frage, sondern eine klare Aufforderung gewesen. Deshalb rutscht Jan zur Seite und klopft neben sich, damit ich mich zwischen ihn und meinen Bruder setzen kann.

Beide Controller sind eingesteckt und das Kabel würde nicht reichen, wenn ich versuchen würde Abstand zwischen Jan und mich zu bringen.

Augen zu und durch.

Tief und zittrig atme ich ein, als das Rennen startet und ich Jan unmittelbar neben mir spüre. Während des Rennens drückt er immer wieder auf den Controller, um mir zu helfen. Dass er mir dabei, aber gefährlich nahekommt und unsere Arme sich gelegentlich streifen, tut alles andere als mir zu helfen.

Irgendwann gerate ich so aus dem Konzept, dass ich meinen Wagen in einer Kurve gegen die Wand setze und nichts dagegen tue, sondern wie eingefroren auf den Fernseher starre.

«Was machst du denn?», fragt Jan hektisch. Bevor er allerdings etwas unternehmen kann, habe ich das Rennen schon verloren.

Das Geräusch eines Auslösers reißt mich aus meiner Starre. Mama ist zu uns gestoßen und fotografiert uns, wie wir zu viert auf dem Sofa sitzen und unsere Blicke auf einem Bildschirm kleben. Jan beginnt zu posieren und zieht Grimassen, während ich einfach nur mit leicht geöffnetem Mund zu meiner Mutter starre.

«Also, egal wie alt ihr werdet, ihr bleibt wohl immer meine kleinen Buben», lacht sie und sieht sich die Schnappschüsse an. Kopfschüttelnd verlässt sie uns wieder.

Jan nimmt mir den Controller wieder weg und Eric gibt seinen an unseren Vater weiter.

Ich lasse mich nach hinten fallen und sehe den anderen dabei zu, wie sie die Videospiele wechseln. Ich rege mich nicht mehr, bis auf ein Kopfschütteln, als mir angeboten wird, dass ich auch gerne wieder eine Runde spielen kann.

Eric hilft Mama und Papa in der Küche und Jan tippt auf seinem Handy herum.

«Willst du mit uns essen?» Mama streckt den Kopf zu Tür rein und lächelt.

Der Blonde schüttelt den Kopf. «Nein, danke. Ich treffe mich gleich noch mit einer Freundin.»

Mir wird augenblicklich schlecht. Dennoch begleite ich Jan zur Tür und schiebe meine Hände in meine vorderen Hosentaschen. «Was erhoffst du dir eigentlich von dem ganzen?», frage ich, obwohl ich es eigentlich gar nicht wissen möchte. Ich glaube die Antwort schon zu kennen.

Er zuckt mit den Schultern, aber scheint im selben Moment auf Wolke sieben abzuheben. «Ich lasse es auf mich zukommen.»

Während dem Abendessen erzählt Papa Mama begeistert von den Spielen, während Eric immer wieder etwas einwirft. Ich sitze nur daneben und muss mich bei jeder Gabel zwingen etwas zu essen.

Irgendwann schweift die Unterhaltung zu Jan. Ich schalte auf Durchzug, nur den Laut seines Namens nehme ich wahr und die besorgten Blicke meines Bruders, der mir gegenübersitzt. Ich bin erleichtert gewesen, dass er vorhin zu sehr auf das Videospiel fokussiert gewesen ist, statt mich zu beäugen und mich dabei zu beobachten, wie ich mich verhalte.

Ich trete ihn, damit er aufhört, aber das Einzige, was er tut ist sich zu revanchieren. Am liebsten würde ich ihm zurufen, dass er aufhören soll und es schon in Ordnung ist, aber das kann ich nicht in der Gegenwart unserer Eltern.

Außerdem ist nicht alles gut, es tut weh und ist manchmal unerträglich.

Ich höre auf zu versuchen meinem Bruder etwas über Blicke zu vermitteln und sehe ihn einfach nicht mehr an.

Es ist spät, als ein Anruf von Ewa bei mir eingeht.

Mit gerunzelter Stirn lehne ich meine Gitarre gegen meinen Nachttisch. Normalerweise kündigt sie sich an. «Hallo?»

«Paul Elvis Itterheim!», donnert sie. Ewa klingt allerdings alles andere als böse. Es schwingt ein Hauch Besorgnis in ihrer Stimme mit.

Ich seufze und lasse mich in mein Kissen fallen. Sie hätte niemals anwesend sein dürfen, als meine Eltern beschwipst vom Wein fröhlich und stolz wie Oskar erzählt haben, dass wir nach Michael Jackson und Elvis Presley benannt wurden. Papa und Erics Mutter haben das zwar angefangen, aber Mama hat das natürlich so toll gefunden, dass sie das gleich übernehmen wollte.

«Jan hat dir was gesteckt, oder?» Mit einer Hand reibe ich mir verzweifelt über das Gesicht.

Ein lautes Seufzen dringt zu mir. «Wie geht's dir?»

«Fantastisch», entgegne ich sarkastisch. So wirklich weiß ich gar nicht, wie es mir geht. Es ist irgendwie alles oder nichts.

«Krieg ich auch noch eine ehrliche Antwort?» Ewas Stimme ist so ruhig und sanft, dass sie fast schon eine tröstende Wirkung auf mich hat.

«Von ziemlich beschissen, bis ich fühle gar nichts, ist alles dabei.» Ich bin mir ziemlich unschlüssig, ob es normal ist sich so zu fühlen, wenn man mitten in einer Identitätskrise steckt.

Eigentlich wusste ich schon immer, dass ich auf Frauen stehe. Seit ich allerdings angefangen habe Gefühle für Jan zu entwickeln, bin ich mir bei gar nichts mehr sicher. Immerhin könnte Jan auch nur sowas wie eine Ausnahme sein.

An dieser Stelle möchte ich auch gar nicht verheimlichen, dass ich mir das wünsche. Es ist nichts daran verkehrt queer zu sein. Vielmehr ist es dieses lähmende und merkwürdige Gefühl, das ich gerne los wäre. Es lässt mich wie ein Aussätziger fühlen. Wie ein Klecks bunter Farbe, auf einer sonst weißen Leinwand.

«Hast du das Gefühl, dass es dich weitergebracht hat?» Sie meint das nicht verurteilend. Ewa hat durch langes Grübeln und Nachdenken herausgefunden, dass sie lesbisch ist. Ihr ist klar, dass nicht jeder damit weiterkommt. Andere müssen sich ausprobieren, um wirklich zu wissen, was sie wollen.

Wo ich mich allerdings dazu zählen würde, kann ich nicht sagen. Ich habe weder das Ziel noch das Bedürfnis mich von Bett zu Bett zu hangeln, noch schreckt mich Sex mit anderen vollkommen ab.

Man könnte meinen, dass es aktuell etwas kompliziert für mich ist, herauszufinden, was ich mag und was nicht.

«Keine Ahnung was Jan dir erzählt hat, aber es hat keinen Sex gegeben», stelle ich direkt richtig.

Es ist ein Rascheln zu hören, vermutlich hat sie sich anders hingesetzt. «Nicht?»

Ich seufze. «Der Moment war einfach nicht der richtige.»

«Okay», erwidert Ewa.

Wir verfallen ins Schweigen, bis es wieder aus mir rausbricht: «Was stimmt eigentlich nicht mit mir?» In mir steigt Frust gepaart mit Trotz auf. Es ist so verdammt nervenzerrend, sich nicht zu begreifen.

«Paul...» Ewa wirkt verletzt. «Mit dir ist alles richtig

«Ich- ich weiß nicht...», stammle ich und reibe mir verzweifelt mit meiner freien Hand über mein Gesicht.

«Denkst du denn, dass mit mir etwas falsch ist?» Ich durchschaue ihr Spiel. Sie versucht es mit umgekehrter Psychologie.

«Nein», widerlege ich und seufze.

«Warum glaubst du dann, dass bei dir etwas nicht stimmt?»

«Weil...», ergeben lasse ich die Schultern hängen. «Ich weiß es wirklich nicht...»

«Du würdest niemals zu jemandem in deiner Situation sagen, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Es ist vollkommen okay, seine Sexualität zu hinterfragen oder sich neu zu erfinden. Wäre es nicht schade, wenn wir irgendwann aufhören würden, uns weiterzuentwickeln?» Sie macht eine kurze Pause, in der sie selbst Luft zuholen scheint. «Es ist nicht fair, dass du so hart zu dir selbst bist.»

Ihre Worte lösen mehr in mir aus, als ich es mir wünschen würde. Sie hat recht, keine Frage. Trotzdem sträubt sich etwas in mir. Ich bin noch nicht bereit dazu, mein neues Ich zu ergründen und die Illusion zu zertrampeln, die andere und irgendwie auch ich selbst von mir haben.

Erschöpft lasse ich mich nach hinten auf mein Bett fallen. «Ewa?», frage ich und starre an die weiße Holzdecke.

«Hm?», höre ich auf der anderen Seite der Leitung.

«Hab ich dir schonmal gesagt, wie dankbar ich bin? Also dafür, dass du für mich da bist und dir alle meine Sorgen anhörst.»

«Hast du, aber ich höre es immer wieder gern.» Es ist nicht abzustreiten, dass sie gerade grinsen muss.

«Nein, im Ernst, ohne dich wäre ich schon lange untergegangen.»

«Ich glaube nicht, dass du das würdest, aber das tut gut zu hören», lacht sie.

Wir hängen beide wieder unseren Gedanken nach, ehe Ewa nochmal das Wort ergreift. «Irgendwann würde ich dich wirklich gerne mal mehr unter queere Leute bringen. Nicht morgen, aber auch nicht übermorgen. Eben dann, wenn du so weit bist. Das würde dir gut tun.»

Den Rest des Abends denke ich über meine vergangenen Beziehungen nach. Ich denke viel an meine erste richtige Freundin Mel und frage mich, ob ich wirklich immer so desinteressiert gewesen bin, wenn sie für männliche Prominente geschwärmt hat.

Während meiner Grübelei und dem Schlaf, der mir dabei verloren geht, fällt mir auf, dass ich mir aktuell nicht vorstellen könnte, eine weitere Beziehung mit einer Frau einzugehen. Zumindest aktuell nicht. Vollkommen abschreiben möchte ich es nicht.

Vielleicht wird es an der Zeit, sich einzugestehen, dass meine Interessen sich deutlich verschoben haben. 

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