Paws on Glass

By kaddyabby

415K 29.8K 7.9K

Kathleen stolpert in ein Geheimnis, von dem sie als Mensch niemals erfahren sollte und stürzt sich damit in e... More

Vorwort und Veröffentlichung
1: Eine aufreibende Nacht
2: Nicht das, was es scheint zu sein
3: Doppelter Besuch mit Folgen
4: Verzerrte Realität
5: Mit offenen Karten hinter verschlossenen Augen
6: Unter Wölfen
7: Abschied auf unbefristete Zeit
8: Kaffeekränzchen und Nachtgespenster
9: Ahnungslosigkeit birgt Gefahren
10: Geheimniskrämereien und die Entführung
11: Als alles gut werden sollte
12: Zweisam einsam
13: Nach dem Schmerz folgt die Heilung
14: Fünf Stunden Freiheit
15: Ungeahnte Seiten und aufregende Begegnungen
16: Das Schweigen hat ein Ende und mit ihm beginnt etwas Neues
17: Unstimmigkeiten auf einem neuen Niveau
18: Vergangenes und Zukünftiges
19: Der Durchschnitt ist die Normalität
20: Unglück kommt unverhofft
21: Einen Wimpernschlag lang
22: Aus Sturheit schöpft man Kraft
23: Vertrauen wächst langsam und verdorrt schnell
24: Das Desaster und das kleine Wunder
25: Zurück auf Anfang
26: Der König betritt das Feld
27: Eine klare Ansage
28: Zwischen fremden Fronten
29: Aus Traum wird Alptraum
30: Verdrängung hält die Tatsachen nicht ewig auf
31: Die Tücken der Einsamkeit - eine Versuchung
32: Wenn der Schleier fällt
33: Vom Himmel in den Sturm
34: Kein Plan ist auch ein Plan
35: Das Silber des Nordens
36: Durchsetzungskraft überwiegt Respekt
37: Irrfahrt der Gefühle
38: Der schleichend verwirrende Wandel
39: Narben heilen nie
40: Ein Fluch als Preis für Vertrauen
41: Rot auf Weiß
42: Hochgefühl schreibt das Ende
43: Ein Deal
44: Böses Erwachen
45: Die Jagd beginnt
46: Mitten im Chaos stehend
47: Einsicht trifft dich wie ein Schlag
48: Trübes Schwarz, goldenes Herz
50: Verlorenes findet wieder zusammen
51: Zwei Seiten derselben Münze
52: Ein Feuerwerk der Hoffnung wegen
53: Wie ein Sonnenaufgang nach tiefster Dunkelheit
54: Im Norden ein Licht
55: Der Blick ins Ungewisse
56: Geschichten, die nicht mal das Leben schreiben könnte
57: Die Last des Neuen
58: Rückkehr
59: Der Alpha des Südens I
60: Der Alpha des Südens II
61: Der gebrochene Frieden
62: Ein Entschluss fordert seinen Preis
63: Das Unheil und das Ende
64: Mein Platz an deiner Seite
65: Machthungrige Diskussionen
66: Keine Drohung, ein stummer Vorschlag
67: Ein Kuss für zwei
68: Heute, morgen und übermorgen
69: Sehnsucht nach Leben I
70: Sehnsucht nach Leben II

49: Ein verlorenes Leben gespickt mit Mysterien

3.5K 333 171
By kaddyabby

Meine Entscheidung, bei Gideon zu bleiben und den Werwolf, den ich eigentlich hätte jagen sollen, ziehen zu lassen, schien nicht meine beste gewesen zu sein. Genau dieses Gefühl des Zweifels fühlte sich an wie ein Déjà-vu, das meine Erinnerungen zurückholen wollte, es jedoch nicht schaffte.

„Was ist denn schon wieder schiefgelaufen?", schimpfte Gideon aufgebracht und schmiss seine Schusswaffe ins Gras, als ich auf ihn zugelaufen kam. Ich sprang automatisch zurück, wollte diesem Gewehr nicht näher sein als unbedingt nötig. „Ich habe Spuren in der Nähe gefunden und musste zurück."

„Spuren?", erkundigte ich mich keuchend, packte mir übertrieben schmerzerfüllt an die Brust. Der stechende Schmerz war zwar noch vorhanden, klang aber immer weiter ab. Doch das wusste Gideon nicht und ich konnte ihn so von meinem Fehlverhalten und dem vermeintlichen Werwolf ablenken.

„Wo ist deine Kette? Und was ... Mist!" Er griff fluchend meine Schultern und drückte mich zu Boden, tastete mich behutsamer ab. Ich erschauderte angewidert unter seinen Berührungen. „Wenigstens bist du noch bei Bewusstsein", merkte er an und zog eine Augenbraue hoch. „Bist du auf einen Werwolf gestoßen?" Ich schüttelte stumm den Kopf. „Die Spuren waren zu groß, sie können nicht von ihm stammen, also treibt sich hier noch einer rum. Mist! So kann ich dich nicht mehr rauslassen."

Er zückte sein Handy und schien mit unserem Fahrer oder einem anderen seiner Untergebenen zu telefonieren. Sein Gesicht lag im Schatten, die Augen gänzlich verschluckend. Dann tauchten die ersten, schwarz gekleideten Männer zwischen den Kieferstämmen auf. Jeder von ihnen trug eines dieser monströsen Gewehre, als hätten sie in der Nähe nur auf Gideons Befehl zum Angriff gewartet. Welches Spiel spielte dieser Mann nur und welche Rolle nahm ich dabei ein?

„Nehmt sie mit zurück ... und ihn auch."

Ich wandte mich blitzschnell um, befürchtete bereits, dass Gideon den schwarzen Werwolf namens Damian irgendwie ausfindig gemacht hatte und betäuben konnte – ihm traute ich so eine unmögliche Aktion mittlerweile zu –, stutzte dann allerdings. Ein kleiner Junge, nein der kleine Junge aus der Stadt kam plötzlich auf uns zu. Ahnungslos schweifte mein Blick zwischen ihm und Gideon hin und her. Der Junge war also derjenige, den der Mann verfolgen wollte? Er war die Angelegenheit, um die er sich kümmern musste?

Ohne weitere Umschweife - und weil ich einen Anfall vortäuschte, mich also nicht wehren oder Fragen stellen durfte - packten mich die Männer und schleppten mich zum Wagen, der einige hundert Meter weit entfernt parkte. Ich spähte zu Gideon, der den Jungen vor sich her trieb. Der Kleine wirkte keinesfalls verängstigt, eher abwesend. Sie stiegen nicht in einen der Wagen, gingen an uns vorbei und weiter durch den Wald. Ich wollte etwas sagen, Gideon nachrufen, aber einer der Männer schubste mich auf die Rückbank und gleichzeitig heulte der Motor auf. Kurz darauf wurde ich auch schon durchgeschüttelt, denn dieser Wagen war sicherlich nicht dafür ausgelegt, durch das Unterholz zu brettern.

Der Regen prasselte auf das Autodach, verwandelte die Scheiben in ein Mosaik aus Tropfen, die das fahle Licht der Straßenlaternen reflektierten. Eine einzige, matschige Brühe aus Grau und einem kühlen Blau mischten sich draußen zusammen, verfälschten die Sicht auf die Stadt. Meine Finger schmerzten, weil ich sie so angestrengt in die Sitze gerammt hatte. Zumindest fuhren wir nun über eine richtige Straße.

Ich schaute hinab auf meine Hände, die in meinem Schoß lagen. Kratzer zeichneten blasse Muster auf die Haut und meine Fingernägel waren eingerissen. Ich begann jeden Finger zu massieren, die Blutzufuhr zu fördern und erschrak. Eine Erinnerung blitzte in meinen Gedanken auf. Ein Oberkörper ganz und gar von tiefen Wunden durchpflügt. Anhand des Körperbaus musste er ein Mann gewesen sein. Ein großer Mann, der viel trainierte. Größer als Damian, der mir sogleich durch den Kopf schwirrte. Wer war dieser Verletzte und konnte er trotz dieser Wunden noch leben?

Ich schüttelte mich und kratzte mich am Arm. So viel Blut, erinnerte ich mich, konnte die Szene in meinem Gedächtnis aber nicht weiter ausbauen. Meine Sicht beschränkte sich auf seinen Körper, der in Ketten gelegt war und die rote Blutlache zu seinen Füßen. Ich musste mich ablenken oder würde mich jeden Moment übergeben.

Der graue Regenschleier verdichtete sich und ich konnte lediglich einzelne Konturen der Gebäude, die an uns vorbeischnellten, ausmachen. Ab und zu jedoch lichtete sich die Wolkendecke an einer Stelle. Dann sah ich einen Mann, der mit einer Zeitung über dem Kopf in einem Bushäuschen Schutz suchte. Oder den beleuchteten Eingang einer Bäckerei, die bereits geschlossen hatte, aber einer Mutter mit Kind als Unterstand vor dem Regen diente.

Die Fahrt zurück zu Utopia schien viel schneller zu verstreichen als der Weg zur Jagd. Eben war ich noch einem Werwolf begegnet, der mich wiedererkannt hatte und mich mitnehmen wollte, und nun stand ich genau vor der Organisation, die ihn töten wollte. Einer Vereinigung aus schier Wahnsinnigen, die mir ein fremdes Herz eingepflanzt hatten. Jedenfalls wenn ich Damian Glauben schenken durfte und das tat ich skurrilerweise. Mir war nicht klar, woher er wusste, wieso das Herz in meiner Brust nicht mir gehörte, doch auf so eine Theorie würde niemand kommen können, wenn nicht ein Funke Wahrheit darin steckte.

Als ich das Foyer betrat, das so sauber und unberührt wirkte, konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten. Meine Kleidung war durchnässt und hing schwer an meinem Körper, wie Gewichte, die mich zu Boden zerrten. Die Männer folgten mir auf Schritt und Tritt, sogar meinen Schwenker nach links ahmten sie nach, obwohl dieser lediglich meiner Erschöpfung geschuldet war. Ich schloss die Augen für einen Moment und lehnte mich an die Wand neben dem Fahrstuhl.

Meine Hand legte sich wie von selbst auf meine Brust, wo mein Herz schlug. Nein, es war nicht mein Herz, sondern das dieses Ryans und etwas in mir verzehrte sich regelrecht danach, mehr über ihn zu erfahren. Ihn zu suchen und ... ein Beben erfasste mich. Ich schaute auf, aber niemand außer mir schien davon betroffen zu sein. Das Herz in meiner Brust raste, als sei es der Flügelschlag eines Kolibris.

Der Fahrstuhl öffnete sich so leise, dass ich ihn überhört hätte, wenn die Männer, die ihn verließen, nicht so aufgebracht diskutiert hätten. Ich kannte keinen von ihnen und machte mir in meinem Zustand nicht die Mühe, sie genauer zu betrachten. Ein Detail, auf das ich jedoch achtete, war ihre Haarfarbe. Braun, dunkelbraun und einer in einem fahlen Blond. Keiner von ihnen ähnelte auch nur im Geringsten dem Mann, dem ich ihm Saal begegnet war. Wieso dachte ich gerade jetzt an ihn?

„Ihr seid vor uns angekommen, wie schön."

Gideons genervter Tonfall und sein plötzliches Auftauchen so nah vor mir verschreckten mich. Und er war nicht allein, sondern wurde von dem Jungen begleitet, dem die aschblonden Haare nass im Gesicht klebten. Sein Blick traf meinen und er lächelte leicht.

„Wer ist das?", fragte ich Gideon endlich. Meine Stimme klang schwach und ächzend, als stünde ich in der Blütephase einer Erkältung. „Und wo hast du ihn aufgegabelt?"

„Ein entlaufenden Experiment, das ich wieder einfangen musste. Wenigstens ist er schneller zu mir gekommen, als ich es von ihm erwartet hätte und das ohne großen Aufwand. Im Gegensatz zu deiner Leistung, die jedes Mal im Desaster endet."

Ich machte mich kleiner und senkte den Blick. Natürlich war er mit meiner Arbeit unzufrieden, was hatte ich auch anderes erwartet? Immerhin warf mich mein schmerzendes Herz immer aus der Bahn und ich begann, seine Machenschaften zu hinterfragen. Es konnte nur noch wenige Tage dauern, da würde er Verdacht schöpfen.

„Hast du die Kette zerstört?", wollte er wissen und runzelte die Stirn.

Mein Körper spannte sich an. Wie sollte ich ihm das glaubwürdig erklären? Das Halsband wurde von den Kiefern eines Werwolfes zermahlen, diesen Schanden hätte ich unmöglich anrichten können. Nicht einmal, wenn ich mit voller Kraft und einem Stein darauf eingeschlagen hätte. Also zuckte ich unwissend mit den Schultern und hoffte das Beste.

„Du kannst dich nicht daran erinnern, wie du deine Kette von deinem Hals genommen und in ihre Einzelteile zerlegt hast? Hilfe hattest du dabei ja wohl kaum oder solltest du mir etwas verschweigen?" Ich schüttelte den Kopf, zog die Schultern höher und presste meinen Rücken an die Wand. „Überleg noch mal. War jemand bei dir, bevor ich gekommen bin?"

„Nein", antwortete ich mit fester Stimme. „Ich weiß nicht mehr, was passiert ist. Nachdem ich die Selbstschussanlagen aufgestellt hatte, begann meine Brust zu schmerzen und ich landete auf dem Boden. Vielleicht habe ich das Halsband in diesem fieberartigen Anfall abgerissen, sicher bin ich mir aber nicht. Bitte, ich würde das nicht absichtlich machen."

Er legte den Kopf schräg und musterte mich eingehend, wandte sich dann jedoch verständnisvoll ab und winkte den Jungen heran. Ich atmete gedämpft aus, musste den Schock und mein beinah aufgeflogenes Spiel erstmal verarbeiten. Der Geruch des Mooses hing noch in meiner Kleidung, ebenso wie der Duft des Nadelwaldes. Mein Puls verlangsamte sich und bevor ich das Gleichgewicht verlieren konnte, schlangen sich zwei dürre Arme um meine Taille.

„Verdammt! Ich habe doch gesagt, du sollst mit mir kommen", brüllte Gideon durch das Foyer, sodass sich die Männer aus dem Fahrstuhl neugierig zu uns drehten. Der bebrillte Mann stapfte auf uns zu und riss den Jungen von mir, dessen Hände ins Leere haschten. „Los jetzt, du solltest ihr nicht zu nahe kommen."

Ich verstand nicht so recht, warum Gideon solch harsche Worte benutzte, aber mein Herz zog sich erneut krampfend zusammen. Wieso? Weil der Junge mich berührt, mich umarmt oder weil Gideon ihn so brutal von mir genommen hatte? Oder würden diese elendigen Schmerzen einfach auf ewig in meiner Brust pochen, mich für eine Sünde, für einen Mord strafen, den ich nicht begangen hatte? Zumindest erinnerte ich mich nicht daran, dass ich jemanden ermordet und dessen Herz geraubt hatte. Aber ich erinnerte mich ohnehin an nichts, was mit Werwölfen und Utopia zu tun hatte.

Oder ... ich wagte es nicht, diesen Gedanken zu enden, doch musste mich dazu zwingen. Was, wenn dieses Herz einem Werwolf gehörte? Wenn ich ihn gejagt, ihn – Ryan – gefangen und umgebracht hatte? Meine Hand zitterte, die Finger erkalteten und ein plötzlicher Schwindel drückte mich fester an die Wand. Ich sank langsam zu Boden, Gideons prüfenden Blick auf mir.

Ich war eines seiner Experimente, richtig? Niemand anderes hätte es zustande gebracht, einem Menschen das Herz eines anderen einzusetzen. Vielleicht sogar das Herz eines Werwolfes. Ich biss mir auf die Lippe, schmeckte das Blut und der rostige Geschmack brachte mich allmählich zurück in die Realität.

Denk rational, Kathleen, redete ich mir zu. Eine Sache nach der anderen. Was musste zuerst angepackt werden? Meine Zusammenbrüche würden so schnell nicht stoppen und Gideon zerbrach sich offensichtlich in diesem Augenblick den Kopf, wie er meinen Zustand stabilisieren könnte. Außerdem würde er mich nicht mehr aus dem Gebäude, vermutlich nicht mal mehr aus seinem Labor lassen. Meine Suche nach Antworten musste demnach hier beginnen.

Ein leichtes Zupfen an meine Ärmel schreckte mich auf. „Alles okay, Kathleen?", fragte der Junge und hockte vor mir, die braunen Augen fahl und glanzlos.

„Du ... kennst meinen Namen?"

Er nickte.

„Wer bist du und wieso hat Gideon dich hierher gebracht?"

Mein Blick schweifte zu dem Mann, der seine Brille zurechtrückte und sich den Arm rieb. Scheinbar hatte sich der Junge losgerissen und ihn dabei verletzt. Ich unterdrückte den Schmerz und den Schwindel, suchte in dem kindlichen Gesicht einen Anhaltspunkt, der meine Erinnerungen auffrischen könnte, allerdings erfolglos.

„Ich bin Joshua", erklärte er und legte den Kopf schief, schaute dann Gideon an. „Kann ich nicht bei ihr bleiben?"

„Nein."

„Aber ich ..."

„Nein, du hast mir schon genügend Probleme bereitet." Der Mann strich sich die Jacke glatt und nahm Joshua an der Hand. Er wand sich mir zu, schien besorgt. Jedenfalls wirkte sein Blick besorgter als zuvor. „Du bleibst hier. Ich hole dich gleich, nachdem ich ihn gesichert habe."

Schweiß rann meinen gekrümmten Rücken hinab und mein Körper fühlte sich an, als würde er brennen. Ich nickte stumm und sah ihnen nach, wie sie im Fahrstuhl verschwanden. Die rot leuchtenden Pfeile an der Schaltfläche deuteten an, dass sie nach unten fuhren. Ich wollte von diesem Ort verschwinden, doch wohin? Den Werwolf Damian suchen und dann? Nein, die Informationen, die ich benötigte, um mein Gedächtnis wiederzuerlangen, würden nicht bei ihm liegen, das sagte mir das Herz in meiner Brust.

Ich ordnete meine Gedanken. Mein körperlicher Zustand war die eine Sache, die andere mein geistiger. Sollte mein Verstand noch intakt sein, bedeutete das, dass alles wahr sein konnte. Das fremde Herz, der Tod dieses Ryans und meine Verbindung zu den Werwölfen, die ich eigentlich jagen sollte. Ich brauchte Gideons medizinische Kenntnisse, um zu überleben und seine Unterlagen, um mehr über mich und den Besitzer des Herzens herauszufinden.

Sachte strich ich mir die wirren Strähnen hinter mein Ohr. Ich musste eine ganze Menge recherchieren, um einen Überblick von dem zu bekommen, was wie ein großes Puzzle mit Teilen, die nicht zusammenpassten, vor mir lag.

Ryan.

Dieser Name rief ein komisches Gefühl in mir hervor, anders als bei Damian und Joshua, der mich ebenfalls wiedererkannt hatte. Der Junge konnte mich von Utopia kennen, auf jeden Fall gehörte er zu Gideons Experimenten.

Ryan.

Ich wiederholte den Namen immer und immer wieder, bis sich meine Kehle beinahe vollkommen zugeschnürt hatte. Keuchend stützte ich mich auf dem Boden ab. Ich musste ein Bild zu diesem Namen, zu dieser Person in meinem Inneren finden. Damian kannte Ryan und mich, also müsste ich ihn schon einmal gesehen haben.

Die Kälte des glatten, weißen Bodens des Foyers durchströmte meine Finger, konnte die Hitze, die von meiner Brust ausging, nicht abschwächen. Ein Ringen ertönte in meinem Kopf, machte es mir unmöglich zu denken. Alles drehte sich. Dann Stillstand. Ich blinzelte. Das Dröhnen in meinem Schädel breitete sich in mir aus und ich spürte, wie meine Lungen sich mit der stickigen Luft des Foyers füllten. Ich atmete tief ein und aus, rappelte mich auf und strauchelte zur Tür. Keiner hielt mich auf, einige blickten mir lediglich nach.

Die frische Luft löschte das Feuer in mir und ich lief weiter, auch wenn es weiterhin in Strömen regnete. Egal, ich war eh bis auf die Unterwäsche durchnässt und konnte ein paar andere Sinneseindrücke, die mich von den Schmerzen ablenkten, gebrauchen. Ich hatte kein festes Ziel, irrte wie eine Betrunkene erst vor dem riesigen, gläsernen Gebäude herum und endete schließlich vor einem großen Parkplatz. Von da aus überquerte ich eine Straße, die zu einer anderen Uhrzeit sicher viel befahren war. Wie spät war es überhaupt?

Ein einziges Auto brauste mit wahnsinniger Geschwindigkeit an mir vorbei und durch eine Pfütze, sodass ein Schwall Wasser mich erfasste. Statt zu fallen, konnte ich jedoch mein Gleichgewicht halten. Ich stutzte, denn vor wenigen Minuten schien es mir unmöglich gerade zu laufen und jetzt brachte mich nicht einmal eine Welle Pfützenwasser zu Fall.

Das war jedoch nicht mein Verdienst. Ein sanfter Druck an meiner Schulter und die Wärme an meinen Rücken alarmierten mich, doch ich konnte mich von der Person hinter mir nicht losmachen. Zwei starke, große Hände hielten mich fest. Die Hände eines Mannes. Ich wollte um Hilfe schreien, aber eine seiner Hände legte sich auf meinen Mund und erstickte mein Kreischen.

„Scht", machte er viel zu nah an meinem Nacken und half mir auf die Beine, die mir beim Versuch ihn abzuschütteln, weggeknickt waren. Sein Tonfall wirkte zurückhaltend und zaghaft, als wolle er mich wirklich nicht noch mehr verschrecken. „Ich lasse dich jetzt los, aber bleib bitte auf dem Bürgersteig."

Gesagt, getan. Er hielt sich an sein Wort und gab mich frei. Ich zögerte, spürte seine Augen auf mir. Als ich den nötigen Mut gefasst und mich ihm zugewandt hatte, war er derjenige, der zurückwich. Ich folgte seiner hektischen Bewegung, die einen gewaltigen Abstand zwischen uns brachte.

„Du bist der Mann aus dem Besprechungssaal", merkte ich an. Ich zweifelte zwar an meiner eigenen geistigen Verfassung, aber es war wahr. „Du hast mich so angestarrt ... Ich meine, alle haben mich angestarrt, aber du ..." Ich räusperte mich, während der blonde Mann vor mir geduldig abwartete, bis ich weitersprach - seine Augen nicht mehr als Schlitze, die Mundwinkel tief nach unten verzogen und die Schultern angespannt. „Wer bist du?"

Continue Reading

You'll Also Like

1M 39.9K 67
"Hattest du jemals einen feuchten Traum?" Clementine Sage konnte Carlson Wise schon seit deren Kindheit nicht ausstehen. Seine Fragen waren lächerli...
19.2K 701 27
Alena Meissel, die Schwester von Alisha Meissel. Besser gesagt Zwillingsschwester und trotzdem sind sie völlig verschieden im Charakter. Alisha ist a...
1.1M 27.9K 62
&& Wird komplett überarbeitet. Grammatik und Logik Fehler sind vorhanden&& ,,Wer bist du und was machst du auf unserem Territorium?", Knurrte der M...
2M 99.4K 52
Tia ist nur ein Mensch und wird daher ständig in der Schule gemobbt was sie immer mehr an ihre Grenzen bringt. Eines Tages in Sport kommt es erneut z...