Delirium

By InVivereVeritas

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„Also, nur damit wir uns beide richtig verstehen: Ich besorge deinem Vater den Job und als Gegenleistung gehö... More

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2. Kapitel
3. Kapitel *
IV
V
6. Kapitel *
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VIII
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30. Kapitel
31. Kapitel
XXXII
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XXXVII
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XL
XLI
42. Kapitel *
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XLIV
XLV
46. Kapitel
47. Kapitel
XLVIII
XLIX
50. Kapitel
51. Kapitel
LII
LIII
54. Kapitel
Danke

XII

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By InVivereVeritas

Wir erreichten die Krankenhauseinfahrt und noch bevor Jake sein Motorrad abstellen konnte, lief ich bereits in die Ambulanz. Die Schwester hinter dem Tresen sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, ihr Blick fuhr über mein Outfit. „Ich suche Amber Hastings." Ich versuchte meine Stimme zu kontrollieren nur war die Verzweiflung nicht zu überhören.

Die Schwester hörte das auch und stand auf. „Kommen Sie mit, ich bringe sie hin. Es geht ihr den Umständen entsprechend, die Notversorgung ist gelaufen. Hier" Sie reichte mir ein Taschentuch „Nehmen Sie dieses Bon Bon, Sie riechen nach Alkohol."

Ich nahm es an und fühlte unwillkürlich Dankbarkeit gegenüber dieser Frau. Vermutlich kannte sie 1000 dieser Situationen, trotzdem blieb sie neutral. Mit Sicherheit gab es besseres als Nachts zu arbeiten und sich um angetrunkene Angehörige zu kümmern, doch statt unfreundlich zu sein oder sich zu beschweren ging sie weiter und bog in einen Raum ab.

Auf der Trage lag Amber in ihrem Pony Schlafanzug den sie so liebte, ihre Augen verquillt und ein Katheter zwischen ihren Beinen. Als sie mich sah schluchzte sie auf das es mir das Herz brach. Ungeachtet der Infusionen und dem EKG Gerät umarmte ich sie und ihre zarten kleinen Arme schlangen sich um mich. Beruhigend fuhr ich ihr durch das Haar, während ihre Tränen mein Oberteil durchtränkten. „Pscht, ich bin da. Alles wird gut, wir kriegen das hin." Eine Lüge, das wusste ich, denn die Kinderversicherung würde nur für die Notversorgung aufkommen, die Krankheit nicht geheilt werden. Und solange Dad keine Versicherung hatte, würde sich daran nichts ändern. Aber das durfte ich diesem kleinen Wesen in meinen Armen nicht sagen.

Ihr Körper wurde von dem Schluchzen geschüttelt und hilflos strich ich über ihre Haare. Ich hatte immer einen Plan, ich wusste immer was zu tun ist, aber hier zu hocken, meine kleine Schwester im Arm zu halten die zunehmend ihre Hoffnung und ihre Fröhlichkeit verlor, das war zu viel. Zumindest für mich. Dads Hand strich über meinen Rücken und ob es am Alkohol lag oder nicht, ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Stumm tropften sie auf Ambers Locken. Gott ich konnte doch nicht vor meiner Schwester weinen! Ich atmete tief durch und unterdrückte meine aufkeimende Angst vor den unvermeidbaren. „Was wird gemacht?", fragte ich als ich mich zu Dad wandte. Dave saß auf einem Stuhl, sein Blick verloren in Leere.

„Sie haben ihr ein Katheter gelegt und Diuretika gespritzt. Die Blutwerte kommen gleich erst." Ich nickte unbestimmt, in der Zeit schaute ich mir die Monitore an. Alles sah stabil aus, die Infusion tropfte in einer beruhigenden Regelmäßigkeit weiter. In ihrem Katheter beutel sammelte sich bereits Urin, die ausschwemmenden Medikamente schienen schon zu wirken.

„Mach mal ein bisschen Platz Ambrosia." Sie rutschte und ihr Gesicht zuckte kurz vor Schmerz auf. Aber sie hatte sich schnell unter Kontrolle, dass ein Teil in mir langsam starb. Sie war zu jung für diese Scheiße. Sie sollte nicht mit ihren 10 Jahren andere Sorgen haben. Ich setzte mich auf die frei gewordene Stelle und nahm ihre Hand in meine. „Wie war deine Feier? Hast du einen Prinz gefunden?", fragte sie mit schwacher Stimme.

„Sie war gut, ich hatte viel Spaß und ja ich habe einen Prinzen kennengelernt." Es entsprach nicht der Wahrheit, aber ich hätte ihr alles erzählt, nur damit sie sich besser fühlte. Müde schloss sie ihre Augen.

„Das ist gut. Du musst ihn uns vorstellen. Und er muss Barbie mögen.", murmelte sie leise.

„Aber warum muss er denn Barbie mögen?"

„Damit er das mit mir gucken kann. Sonst bekommt er nicht meine Schwester." Ich lachte leise auf denn gegen diese Art von Logik kam ich nicht an.

Es klopfte und leise trat Jake durch die Tür. Amber schlug natürlich direkt wieder ihre Augen auf und musterte ihn kritisch. „Dein Prinz trägt aber eine Lederjacke. Ein Prinz trägt keine Lederjacke."

„Und soll ich dir was verraten? Er kam auch nicht mit einem Pferd, sondern mit einem Motorrad.", flüsterte ich laut genug damit es alle hören konnten.

Kritisch beäugte sie ihn, ihr Urteil fiel immer mehr ins Negative. „Welcher Prinz fährt denn Motorrad?" Sie schaute ihm ernst in die Augen. „Bist du überhaupt ein Prinz?"

„Ich befürchte nicht." Jake zuckte entschuldigend mit den Schultern und Amber legte ihren Kopf zurück in das Kissen.

„Hm. Magst du Barbie?"

„Selbstverständlich, Barbie in Schwanensee ist einer meiner Lieblingsfilme, aber" Er sprach leiser, so als würde er ihr ein Geheimnis verraten „das bleibt unter uns ok?"

Doch so schnell ließ sich Amber nicht überzeugen. Sie kreuzte ihre Arme vor der Brust. "Wie heißt Barbie denn in Schwannensee?"

"Odette." Begeistert nickte Amber. Jake lachte und sah mich an. „Ich lass euch auch wieder alleine, wollte nur sehen ob es euch gut geht. Wenn du irgendetwas brauchst, dann melde dich ja?"

Ich stand auf und umarmte Jake, was ich mich nie im Leben vorher getraut hätte. Offensichtlich führte der schlechte Zustand meiner Schwester dazu, dass ich ungeahnten Mut in mir fand.  „Danke."

„Das war doch selbstverständlich." Er drehte sich zu Amber und verbeugte sich formal „Mylady, ich freue mich auf unser nächstes Zusammentreffen." Wie eine Königin wedelte sie mit der Hand und ihr Kichern schallte in diesem sterilen Raum wieder. Jake verabschiedete sich und ging zur Tür hinaus.

„Ich mag ihn.", verkündete sie ihr Urteil und ich drückte ihre Hand. „Ich auch." Wieder erklang ein Klopfen und ein Arzt kam hinein, in seiner Hand mehrere Zettel. Er stellte sich kurz vor, aber ich verstand seinen Namen nicht.

„Also ihre Nierenwerte sind im Kritischen Bereich, sie stand kurz vor einer Urämie. Das heißt, die Abfallstoffe die normalerweise ausgeschieden werden müssen, haben sich im Blut angereichert und führten dazu, dass sie kollabierte. Sie hat zu wenig Eisen und benötigt Calcium um die Knochen zu stärken. Das Rezept habe ich hier." Er durchsuchte seine Zettel bis er einen kleinen, gelben Zettel fand und ihn Dad reichte.

„Gut, ansonsten können Sie ihre Tochter mit nach Hause nehmen. Der Katheter muss erst einmal liegen bleiben, schreiben Sie auf wie viel sie trinkt, mehr als 1,5 Liter sollten es nicht werden, sonst sind die Medikamente sinnlos. Im Beutel sollten auch dann 1,5 Liter sein, plus minus 300 ml. Wenn das nicht der Fall ist, müssen Sie sich hier noch einmal vorstellen. Sonst sehen wir uns in einer Woche wieder." Er nickte Dad einmal zu, dann verschwand er wieder. Wie, das war alles?

„Entschuldigt mich.", sagte ich und folgte dem Arzt. „Doktor! Entschuldigung aber soll das alles sein?" Er drehte sich um, offenbar überrascht mich zu hören.

„Sie sind die Schwester oder?" ich nickte und er seufzte. „Hören Sie, das was wir machen ist schon mehr als die Versicherung zahlt. Aber auf Dauer wird Ihre Schwester sterben, wenn sie keine Dialyse bekommt oder eine neue Niere. Glauben Sie mir, auch mich trifft es sie so gehen zu lassen, aber mir sind die Hände gebunden. Wenn Ihr Vater versichert wäre, wäre das nicht das Problem, aber das ist er nun mal nicht."

„Das heißt, nur weil wir kein Geld haben wird sie nicht ausreichend behandelt?"

Er seufzte und fuhr sich durch das Haar. „Das System ist leider so. Mir sind die Hände gebunden." wiederholte er sich und es klang, als würde es sich eher sich selbst sagen als mir. Wortlos drehte er sich um und verschwand um die Ecke. Regungslos blieb ich stehen und sah ihm nach. Das war alles? Mehr würde nicht passieren? Die Tränen stiegen in mir auf ohne dass ich sie aufhalten konnte. Die Wut festigte sich in mir, sie führte dazu, dass noch mehr Tränen liefen. Ich ließ mich an der Wand hinuntergleiten und umklammerte meine Beine. Das konnte doch nicht wahr sein. So könnte es unmöglich weiter gehen.

„Hier." Die Schwester von eben reichte mir ein Taschentuch. Dankbar nahm ich es und entfernte die Überreste meines Makeups. „Es bringt Sie nicht weiter aufzugeben. Das wird Ihrer Schwester nicht helfen. Wissen Sie was sie gesagt hatte, als sie wieder wach wurde?" Ich schüttelte den Kopf. „ 'Wo ist meine Schwester? Meine Schwester muss erst bei mir sein!' Sie ließ sich gar nicht mehr beruhigen, auch nicht von Ihren Vater." Sie seufzte. "Sie braucht Sie und Sie haben nicht den Luxus jetzt in Selbstmitleid zu versinken." Sie tätschelte meinen Kopf und richtete sich wieder auf. „Du bist stark Mädchen, jetzt musst du noch stärker sein." Sie reichte mir die Hand und half mir aufzustehen. Dann reichte sie mir etwas zu trinken.

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich Durst hatte, aber ich trank den Becher in wenigen Zügen leer. Dann drückte ich meine Schultern durch und atmete tief ein. Eine wilde Entschlossenheit machte sich in mir breit, stärker als jemals zuvor wollte ich mein Ziel erreichen. Nein, ich würde mein Ziel erreichen. „Danke." Sie nickte, dann ging sie. 

Ich lief zurück zu meiner Familie und Amber schien wieder zu schlafen. Dave und Dad sahen müde und erwartungsvoll zu mir auf und ich verstand was die Schwester meinte: meine Familie brauchte mich, denn ich war die die alles zusammenhielt. Würde ich versagen, dann würde alles zerbrechen. Ich würde zerbrechen.  Meine Stimme klang fest als ich sprach. Fester als ich erwartet hätte. „Wir können gehen."  Ich würde alles tun um Amber ein normales, glückliches Leben zu ermöglichen und meine Familie zu schützen. 

Koste es was es wolle, kein Preis konnte dafür zu hoch sein.

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