born to die ✘ the hunger game...

By TheDarkFlame

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BORN TO DIE. ❝BUT WHAT IF THE MONSTERS COME?❞ i used to ask my sister, when i was a little girl. she lo... More

Cαтo & Clove - Borɴ To Dιe.
PROLOG: Lιɢнт Iɴ Tнe Dαrĸɴeѕѕ.
♯Cнαpтer O1 ~ Oɴce Upoɴ A Tιмe.
♯Cнαpтer O2 ~ Welcoмe To My Lιғe.
♯Cнαpтer O3 ~ Tнe Deαdly Decιѕιoɴ.
♯Cнαpтer O4 ~ Beιɴɢ Hυɴтed Aт Nιɢнт.
♯Cнαpтer O5 ~ Tнe Gιrl Iɴ Tнe Mιrror.
♯Cнαpтer O6 ~ Tнe Reαpιɴɢ Dαy.
♯Cнαpтer O7 ~ Oɴ Tнe Edɢe Oғ Teαrѕ.
♯Cнαpтer O8 ~ New Allιeѕ Aɴd New Eɴeмιeѕ.
♯Cнαpтer O9 ~ Toмorrow Wιll Be Kιɴder.
♯Cнαpтer 1O ~ All We Hαd Iѕ Tαĸeɴ Awαy Froм Uѕ.
♯Cнαpтer 11 ~ Eɴтerιɴɢ Tнe Cαpιтol.
♯Cнαpтer 12 ~ Tнe вoy wнo αlwαyѕ lαυɢнed.
♯Cнαpтer 13 ~ Soмe ѕмαll dιѕpυтeѕ wιтн yoυr ғrιeɴdѕ.
♯Cнαpтer 14 ~ Lιĸe A Grecιαɴ Goddeѕѕ.
♯Cнαpтer 15 ~ Tнe Deer Wιтн Tнe Goldeɴ Aɴтlerѕ.
♯Cнαpтer 16 ~ Welcoмe тo тнe Freαĸѕнow.
♯Cнαpтer 17 ~ Mαy Tнe Oddѕ Be Ever Iɴ Yoυr Fαvor.
♯Cнαpтer 18 ~ Tнere Wιll Be Hope Aѕ Loɴɢ Aѕ Yoυ Sтιll Dreαмιɴɢ.
♯Cнαpтer 19 ~ See Yoυ Jυѕт Tнe Wαy Yoυ Reαlly Are.
♯Cнαpтer 2O ~ Tнe Sтαr Croѕѕed Loverѕ Froм Dιѕтrιcт Two I
♯Cнαpтer 21 ~ Tнe Sтαr Croѕѕed Loverѕ Froм Dιѕтrιcт Two II
♯Cнαpтer 22 ~ Dreαм Awαy Froм Tнe Preѕeɴт.
♯Cнαpтer 23 ~ Plαyιɴɢ Hιde αɴd Seeĸ.
♯Cнαpтer 24 ~ Helpғυl Advιceѕ Aɴd Lαѕт Iɴѕтrυcтιoɴѕ.
♯Cнαpтer 25 ~ Trαιɴιɴɢ Hoυrѕ Aɴd Dιғғιcυlт Iмpedιмeɴтѕ I
♯Cнαpтer 26 ~ Trαιɴιɴɢ Hoυrѕ Aɴd Dιғғιcυlт Iмpedιмeɴтѕ II
♯Cнαpтer 27 ~ Tнe Uɴeхpecтed Iɴтerroɢαтιoɴ.
♯Cнαpтer 28 ~ Wнeɴ Teαrdropѕ Tυrɴ To Aѕнeѕ I
♯Cнαpтer 29 ~ Wнeɴ Teαrdropѕ Tυrɴ To Aѕнeѕ II
♯Cнαpтer 3O ~ Wнeɴ Teαrdropѕ Tυrɴ To Sɴowғlαĸeѕ.
♯Cнαpтer 31 ~ I Doɴ'т Wαɴт To Dιe So Yoυɴɢ.
♯Cнαpтer 32 ~ Soмeтнιɴɢ Sтrαɴɢe Iѕ Goιɴɢ Oɴ Here.
♯Cнαpтer 33 ~ We Are A Teαм.
♯Cнαpтer 34 ~ Trιcĸѕ Aɴd Tнreαтѕ.
♯Cнαpтer 35 ~ Fυɴ Iɴ Gαмeѕ.
♯Cнαpтer 36 ~ Heαrтғelт Syмpαтнy.
♯Cнαpтer 37 ~ Iт'ѕ Sυcн A Crυel World, Iѕɴ'т Iт?
♯Cнαpтer 38 ~ Teαrѕ, Cнrιѕтмαѕ αɴd Uɴιcorɴ Cαĸe.
♯Cнαpтer 39 ~ Oɴe Moмeɴт ιɴ Tιмe.
♯Cнαpтer 4O ~ Tнαт Tнιɴɢ αвoυт New Yeαrѕ Eve.
♯Cнαpтer 41 ~ Reαl ... Or Noт Reαl?
♯Cнαpтer 42 ~ Solvιɴɢ Tнe Pυzzle.
♯Cнαpтer 43 ~ Mιdɴιɢнт Coɴverѕαтιoɴѕ.
♯Cнαpтer 44 ~ Trυѕт Aɴd Dιѕтrυѕт.
| 45. COUNTDOWN
| 47. PRIVATE SESSIONS
| 48. DRESSES AND SCORES
| 49. HOW TO BE MYSELF
| 50. THE GIRL ON FIRE
| 51. UNTIL MIDNIGHT
| 52. STAY WITH ME
STRANGE LANDS.
| 53. ALMOST LOVER
| 54. SIXTY SECONDS
| 55. FIRST KILLS
| 56. LITTLE BIRD
| 57. FAKE LOVE
| 58. ALLIES
| 59. SILENT NIGHT
| 60. LAST CHRISTMAS
| 61. KINGDOM OF ISOLATION
| 62. LOVERBOY
| 63. THE CAREERS
| 64. FIRE AND BLOOD
| 65. DEADLY SMOKE
| 66. ALIVE AND WELL
| 67. GOLDEN CAGE
| 68. MIDNIGHT TERRORS
| 69. SILK HEART
| 70. THE HUNT
| 71. MIDNIGHT MEMORIES
| 72. TRACKER JACKERS
| 73. HALLUCINATIONS
| 74. FROZEN
| 75. SHATTER ME
| 76. LET IT GO

| 46. DEMONS

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By TheDarkFlame

[ ACT ONE: WILD HEARTS. ]
[ CHAPTER FORTY SIX: DEMONS ]

▬▬▬▬

THOR CRANE

▬▬▬▬

DEMONS IN THE HALLS, DEMONS ON THE WALLS, DEMONS IN MY MIND, DEMONS YOU WILL FIND.

▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬▬

IN DER LOGE war es stickig. Die Luft schien abgestanden und der penetrante Duft furchtbar süßen Parfüms waberte durch den Raum, drohte jede seiner Poren mit dem ekelhaften Gestank zu überziehen. Thor rümpfte angewidert die Nase und rückte ein Stück von dem vermeintlichen Übeltäter, dem alten Mr. Eduardson ab.

Der senile Kerl, der mitsamt dunkelblauem Haar und pink bemalten Wangen gegen das Älterwerden kämpfte, saß zwei Plätze links von ihm und häufte sich soeben Weintrauben auf den bereits vollen Teller, nicht bemerkend, dass die Hälfte seines Obstvorrats bereits auf den Boden tröpfelte.

Thor verdrehte die Augen. Wieso sie den alten Knacker nicht endlich feuerten, war dem Friedenswächter ein Rätsel; andererseits war der Posten des Spielmachers längst nicht mehr so beliebt wie früher - zahlreiche Todesfälle hatten die Begeisterung an jenem Jobangebot abflauen lassen.

Thor seufzte und fuhr sich müde übers Gesicht.

Die Gespräche der übrigen Spielmacher, die es sich in der Loge bequem gemacht hatten, um dem heutigen Einzeltraining beizuwohnen, vermischten sich zu einem gemurmelten Haufen Belanglosigkeiten, die in seinen Ohren dröhnten und für ein hartnäckiges Stechen in seinem Kopf sorgten.

Wann war dieses Theater endlich vorbei?

Wann begann das Einzeltraining?

Und wieso war er überhaupt hier?

Wegen seinem Bruder.

Natürlich.

Thor warf einen prüfenden Blick nach links. Seneca saß direkt neben ihm und unterhielt sich wild gestikulierend mit Mr Eduardson.

Der Friedenswächter schnaubte angesichts des falschen Enthusiasmus und nahm einen Schluck von dem tiefvioletten Getränk, das ihm ein Mann mit feuerroter Haartolle aufgedrängt hatte. Es schmeckte genauso künstlich wie er vermutet hatte, was ihn dazu veranlasste, den Inhalt in die Topfpflanze rechts von ihm zu schütten.

Alle um ihn herum waren in elegante Roben und teure Anzüge gekleidet; alle waren sie herausgeputzt, hatten in Parfum gebadet, und sich kopfüber in einen Tuschkasten gestürzt. Kaum jemand sah aus wie ein gewöhnlicher Mensch; im Gegenteil, die meisten wirkten, als könnten sie jederzeit bei einer extravaganten Zirkusshow mitmachen.

Er passte nicht hierher - in seinen dunklen Kleidern, dem militärischen Haarschnitt, und der abweisenden Miene, die auf seinem Gesicht lag.

Genauer gesagt wusste er nicht einmal mehr, wieso er die Einladung seines Bruders überhaupt angenommen hatte.

Sprach man vom Teufel, drang auch schon Senecas dröhnendes falsches Lachen an sein Ohr.

Er wandte den Kopf, sah seinen Bruder, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, wie er Versprechungen machte, die er ohnehin nicht vorhatte, einzuhalten.

Thor schnaubte erneut. Das hier war nicht seine gewohnte Umgebung - mit dieser Welt, die sein Bruder so liebte, eine Welt aus falschen Vorstellungen, versteckten Lügen, abgenutzten Luxusgütern und billigem Glamour, wusste er rein nichts anzufangen.

Immer mehr Personen drängten sich an ihm vorbei, ließen sich in die purpurfarbenen Samtsessel sinken, die Hände um voll beladene Teller geklammert.

Im hinteren Bereich der Loge hatte man ein prächtiges Mittagsbuffet aufgebaut, an dem man sich alles nehmen konnte, was das Herz begehrte, doch Thor hatte selten weniger Appetit verspürt.

Er sehnte sich nach dem einfachen schmucklosen Sandwich, das er sonst um diese Uhrzeit von einem Imbiss abseits der Hauptstraßen kaufte, bevor er seine Schichten im Untergrund des Kapitols absolvierte.

Wieso war er überhaupt hier?

Die Frage überkam ihn aufs Neue, und sie mit der Tatsache abzuspeisen, dass sein Bruder ihn eingeladen hatte, verursachte ihm ein merkwürdiges Ziehen im Magen.

Der Geruch nach gerilltem Fleisch, frischem Obst und heißer Suppe vermischte sich mit den aufdringlichen Parfümdüften, und Thor spürte Übelkeit in sich aufkommen. Nein, er hatte definitiv keinen Hunger.

»Mr. Crane?«

Thor sah auf, bevor er realisierte, dass die folgende Frage wohl eher an seinen Bruder gerichtet sein würde. Das war schließlich Senecas Reich und er hatte hier - theoretisch - nichts verloren.

Doch gerade als er den Blick senken wollte, fing er aus dem Augenwinkel den erwartungsvollen Ausdruck Mr. Eduardsos auf, und gleich daneben die missbilligende Miene seines Bruders.

Offenbar hatte Seneca ihn etwas gefragt.

Oder es war dieser blauhaarige Idiot gewesen.

Vollkommen egal, am Ende waren sie beide Sklaven des Kapitols.

Wie du, spottete sein Unterbewusstsein, doch Thor ignorierte es gekonnt.

»Verzeihung?«, erkundigte er sich mit einem feinen, kaum merklichen Lächeln.

Zufrieden sah er, wie Seneca daraufhin mit den Zähnen knirschte. Thors Verhalten schien ihm zu missfallen, und für diese kleinen Momente lebte der schwarzhaarige Friedenswächter.

»Ich sagte gerade, was für eine Freude es ist, Sie heute bei uns begrüßen zu dürfen, Mr Crane«, meinte - nein brüllte - Mr. Eduardson, denn der alte Mann hatte offenbar einen gewaltigen Hörschaden, etwas, das Thors Lächeln noch ein wenig breiter werden ließ. »Es ist immer schön, zu sehen, dass auch die Friedenswächter Teil unserer kleinen Welt sind. Ich schätze, wir alle leisten am Ende des Tages unseren Beitrag, damit die Mühle weiterläuft, nicht wahr?«

Er lachte hustend und verschlang gierig zwei Weintrauben auf einmal.

Thor hob träge eine Augenbraue.

»Mit ›der Mühle‹ meinen sie wohl die lästige Angelegenheit der Hungerspiele?«

»Was mein Bruder damit sagen wollte«, wandte Seneca geschwind ein, als er die leichten Falten auf Mr. Eduardsons Stirn bemerkte, die entstanden waren, kaum dass Thor die Spiele als unwichtig eingestuft hatte, »ist, dass die Hungerspiele für die Armee der Friedenswächter eine enorme Belastung darstellt - all die Soldaten die abkommandiert werden müssen, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen und auf die Kinder aufzupassen; all die Sicherheitsvorkehrungen, die Testläufe, und natürlich die zusätzlichen Arbeitsstunden, die absolviert werden, während wir hier herumsitzen, und uns vergnüglichen Gesprächen widmen«, sein Bruder schenkte dem alten Mann an dieser Stelle eines seiner gewinnendsten Lächeln, bei dem Thor am liebsten gewürgt hätte, »aber wie Sie schon richtig bemerkt haben, symbolisieren wir am Ende des Tages doch alle einen wichtigen Bestandteil zur Erhaltung unserer Welt.«

Senecas Blick lastete bei diesen Worten länger auf Thor, als unbedingt nötig; seine Augen hart und kalt wie Eis, doch um seine Lippen spielte ein triumphierendes kleines Grinsen, angesichts seiner kleinen Ansprache.

Thor lächelte schmal, dann wandte er sich ab.

Touché.

Zumindest für den Moment.

»Glaub nicht, ich wüsste nicht, wieso du hier bist - und was du da versuchst«, murmelte Seneca, nachdem Mr. Eduardson sich seinem anderen Sitznachbarn zugewandt hatte.

Thors Gesicht zeigte den gut einstudierten Anflug leichter Verwunderung.

»Du hast mich eingeladen, Bruder« sagte er. »Oder erinnerst du dich etwa nicht mehr daran?«

Gespielte Besorgnis lag nun auf seinen Zügen.

Seneca schnaubte abfällig, sich nicht die Mühe machend, mit weiteren Höflichkeitsfloskeln zu antworten.

»Du bist ein Heuchler, kleiner Bruder. Ein eifersüchtiger Heuchler noch dazu. Du versuchst mich zu blamieren, mir meinen Platz hier wegzunehmen. Das hast du immer schon getan, auch als wir noch Kinder waren. Immer wolltest du das haben, was mir gehört, was mir rechtmäßig zusteht ...«

Senecas Gesicht hatte inzwischen eine rote Färbung angenommen, so sehr hatte er sich in seinen Hassmonolog vertieft.

Thor lächelte gedehnt, nicht im Geringsten beeindruckt oder gar verletzt von den Worten seines Bruders.

»Reden wir hier von etwas Bestimmtem? Oder willst du einfach nur deinen Frust bei mir abladen - mal wieder?«

Seneca öffnete den Mund auf, um zu antworten, wurde jedoch durch den hellen Klang eines Gongs unterbrochen.

Augenblicklich nahmen auch die letzten Spielmacher ihre Plätze in den pompösen Sesseln ein. Gläser klirrten, Geflüster wurde laut, doch verglichen mit dem dröhnenden Stimmengewirr wenige Sekunden zuvor, herrschte nun fast schon Totenstille.

Das Gitter, welches den Eingang der Trainingshalle versperrte, fuhr nach oben, ließ eine schlanke Gestalt hinein, bevor es nach unten sauste und erneut im Boden einrastete.

Thors Blick blieb widerwillens an dem Mädchen hängen, das soeben den Raum beteten hatte.

Glimmer Lovelace.

Goldblondes Haar, feine Gesichtszüge, und ein wunderschönes Lächeln, mit dem sie nun die Spielmacher bedachte.

Auf den ersten Blick sah sie ungemein liebenswürdig aus - mit ihren großen, flaschengrünen Augen, der leicht nach vorn geschobenen Unterlippe, und ihrem beinahe schüchternen Auftreten. Doch hinter der Fassade waren ihre Schritte sicher, ihre Gedanken geschärft, und in diesen wunderschönen Augen, in denen Thor von Trauer bis Arroganz alles gesehen hatte, entdeckte er den kleinen, aber doch sichtbaren Funken Berechnung, der sich hinter ihrer Showeinlage versteckte, als sie nach und nach die Loge und deren Besucher in Augenschein nahm.

Sie weiß ganz genau, welche Wirkung sie auf andere hat, schoss es ihm durch den Kopf, und ein seltsames Gefühl überkam ihn.

Kurzzeitig trafen sich ihre Blicke, und er erkannte einen Ausdruck von Überraschung auf ihren Zügen, bevor sich ihre Miene neutralisierte. Nicht eine Sekunde wankte das strahlende, leicht naive Lächeln, das sie für das heutige Einzeltraining reserviert hatte.

»Mein Name ist Glimmer Lovelace. Ich komme aus Distrikt eins.«

Ihre Stimme klang melodisch, fein und sanft wie die Klänge eines Glockenspiels, mit absichtlich zittrigem Unterton.

Thor bemerkte, dass sie es inzwischen geschafft hatte, sämtliche Spielmacher in ihren Bann zu ziehen. Er lächelte schmal. Oh ja, sie war in der Tat die perfekte Schauspielerin.

Kurz überkamen ihn Zweifel - wie oft hatte sie bei ihren Gesprächen ihre Fähigkeiten gegen ihn genutzt? Während des Verhörs? Sie hatte es versucht, ja, aber er hatte sie durchschaut (er hatte sie doch durchschaut, oder nicht? Natürlich hatte er das. Er hatte bisher jeden durchschaut. Sie hatte ihm ganz sicher nichts vormachen können).

Waren diese Gespräche, die Unterhaltungen in der Bar, die traurigen Geständnisse ... war das überhaupt echt gewesen? Hatte er sich nur eingebildet, eine Art Verbundenheit (für diesen Gedanken hätte er sich am liebsten geohrfeigt) zwischen ihnen gespürt zu haben? Hatte sie ihre Tränen benutzt, um sich sein Mitleid zu erschleichen?

Doch was kümmerte es ihn überhaupt?

Es interessierte ihn doch gar nicht.

Das alles war vollkommen belanglos.

Er hatte einen netten Abend gehabt, seinem Bruder ein Schnippchen geschlagen, und -

»Sie können anfangen«, meinte Seneca in diesem Moment gönnerhaft, und riss Thor aus seiner Selbstverleugnung. In den Augen des Spielmachers, so eisblau wie seine eignen, glitzerte ein fanatisches Funkeln, dass dem Friedenswächter nicht verborgen blieb.

War sein großer Bruder etwa noch immer besessen von ihr?

Thor runzelte die Stirn, registrierte aus dem Augenwinkel, wie Glimmer auf die Station fürs Bogenschießen zumarschierte und den geschwungenen Bogen aus der Halterung nahm - doch sein Fokus lag nun ganz und gar auf Seneca - der wiederum konnte die Augen nicht von der hübschen Blondine lassen, die soeben ein paar Pfeile in ihrem Köcher verstaute.

Er will sie immer noch für sich, wurde Thor klar, und sein Mund verzog sich zu einer missbilligenden Grimasse.

Das war nicht richtig.

Alles, was Seneca tut, ist nicht richtig, flüsterte ihm sein Unterbewusstsein zu, und ausnahmsweise gab Thor jenem Recht.

Glimmer wäre bei weitem nicht die erste Tributin, die der Spielmacher versuchte in sein Apartment zu locken - und sie wäre sicher nicht die letzte, die eine Woche später durch eine unerwartete Wendung der Spiele - sei es ein Mutationsangriff, eine überraschend ausgelöste Explosion, oder der plötzliche Zusammenstoß mit anderen Tributen - ihr Leben dafür ließ.

Und alles nur um Senecas Fehler zu vertuschen - denn wenn jemand Wind von einer Affäre zwischen einem Tributen und dem obersten Spielmacher bekam, dann waren Senecas Tage gezählt. Vielleicht würde man ihn nicht gleich exekutieren - aber seinen Job wäre er definitiv schneller los, als er den Mund öffnen konnte, und eines seiner berühmten Lügenmärchen entkommen ließ.

Bisher war es Thor egal gewesen. All die naiven jungen Mädchen, die seinem Bruder in dessen Wohnung folgten, dumm genug, die Regeln zu missachten, dumm genug, zu glauben, sie könnten sich dadurch einen Vorteil verschaffen ...

Doch plötzlich, jetzt in diesem Moment, seine Gedanken bei der Szene in der Bar, fragte er sich, wie naiv diese Mädchen wirklich gewesen waren; ob sie wirklich so dumm waren, wie er angenommen hatte, ob sie wirklich freiwillig mit seinem Bruder mitgegangen waren ...

Glimmer war keineswegs dumm. Und doch - wäre er nicht vorbeigekommen, hätte er seinen Bruder nicht verscheucht ... Wer wusste dann, was ihr passiert wäre? Vielleicht hätte Seneca sie einfach gegen ihren Willen mitgeschleift. Vielleicht hätte ...

»Glaubst du wirklich, du kannst sie vor mir beschützen?«

Thors Kopf schnellte nach links.

Auf Senecas schmalen Lippen lag ein eigentümliches, spöttisches Lächeln.

Es ist, als hätte er meine Gedanken gelesen, schoss es dem Friedenswächter durch den Kopf, während er sich um die neutrale, abweisende Maske bemühte, die den größten Teil des Tages auf seinem Gesicht klebte.

»Beschützen? Wieso sollte ich das wollen? Sie ist ein dummes Kind und ich habe keinerlei Interesse an ihr.«

Lügen, flüsterte sein Unterbewusstsein höhnisch. Lügen, Lügen, Lügen, du magst sie, du hast sie schon einmal vor Seneca beschützt ...

Ja, das hatte er.

Das hatte er, aber nur, damit er seinem Bruder eins auswischen konnte, damit -

Lügen, zischte sein Unterbewusstsein, doch es klang nicht länger höhnisch, es klang enttäuscht.

Ein Bild erschien vor seinem inneren Auge - das Bild eines rundlichen Mädchens mit kastanienfarbenen Locken und vollen Lippen. Ich mag es nicht, wenn du lügst, hallte ihre kindliche Stimme in seinem Kopf wider. Das Mädchen hatte ihre kleinen Hände um seine geschlungen und trotzig die Unterlippe vorgeschoben. In ihren dunkelblauen Augen funkelte Enttäuschung.

Geh weg, befahl Thor, und schob das Bild fort. Geh weg, geh weg, geh weg -

»Bist du wieder einmal bei deiner Selbstverleugnung angekommen, Bruder?«

Nicht, dass diese Stimme besser wäre, die ätzende, selbstgefällige Stimme seines verhassten Bruders ...

»Wenn ich mich recht entsinne, hast du das auch über sie gesagt - über Megan.«

Wieder das Bild, Megans Bild, Megans Gesicht, Megans -

»Niemand hat geglaubt, du könntest eine Affäre mit einem dreckigen Küchenmädchen anfangen; niemand außer mir. Ich kenne dich, Bruder. Megan kannte dich auch. Du bist gebrochen, also suchst du jemanden, der dein Herz mit Glück füllen kann, irgendjemanden - sei es die unschuldige, naive Megan, oder Estelle ...«

Estelle.

Nicht Estelle, dachte Thor, nicht Estelle, nicht an Estelle denken, nicht - doch es war zu spät.

Estelle.

Haare aus flüssigem Sonnenlicht und geschmolzenem Bernstein, seidig, weich und glatt; ihre Augen, mandelförmig, und sanft und blau wie das Meer. Die Haut rein und weiß und cremig wie Porzellan. Kleine Hände mit langen Fingern und rosafarbenen Nägeln; ein herzförmiges Gesicht, und Augenbrauen, so dünn und gerade wie feine Pinselstriche. Nicht wie Megan, ganz und gar nicht wie Megan; nicht rundlich, sondern schlank, nicht ungeschickt, sondern grazil, schmale Lippen, nicht volle, mit einer kleinen Stupsnase, und statt der dreckigen, ausgeblichenen Schürzenkleider, elegante, teure, fließende Stoffe aus Brokat und Gold und Juwelen ...

»Oh ja, Estelle war ganz anders. Die anderen haben es vielleicht nicht gesehen, aber du und ich, wir kannten sie - wenn man die kleine rebellische Prinzessin beiseite wischte, war sie ein arrogantes, hinterhältiges Miststück. Aber du mochtest sie, nicht wahr? Alle haben geglaubt, du wärst so viel mehr, als nur ihr Aufpasser ... aber sie hat dich nicht geliebt, oder doch? Nein, du warst ja nur ihr Freund, ihr Bodyguard. Iron war es, den sie wollte, der genauso hinterhältig und verschlagen war wie sie ... Sag, Bruder, hat es dir das Herz gebrochen, als sie gegangen ist? Geflohen, ohne dich vorher einzuweihen? Ihren besten Freund auf der ganzen Welt?«

Es macht ihm Spaß, dachte Thor, eisern gegen die Dämonen der Vergangenheit ankämpfend. Es amüsiert ihn, dass er sie getötet hat, Megan und Estelle und -

»Oh, sie wird sterben«, flötete sein Bruder genau in diesem Moment. »Glimmer Lovelace. Sie wird sterben, und wenn ihre Gegner sie nicht töten«, sein Blick huschte zu Glimmer, die soeben Pfeile auf die Trainingspuppen abschoss, jeder Treffer ein Todesstoß, »dann werde ich es tun. Deine kleine Fantasie von ihr als Siegerin, und du als der Held in strahlender Rüstung wird niemals wahr werden. Du wist sie verlieren, genau wie du Megan und Estelle verloren hast.«

Er schäumte beinahe vor Schadenfreude, genoss Thors innerlichen Kampf mit der Vergangenheit, und all die Geister, deren Gesichter ihn heimsuchten, Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute. Doch lieber würde er in einem See glühender Lava ertrinken, als seinem Bruder zu zeigen, wie sehr dessen Worte ihn zerstörten.

»Du bist ein Arschloch. Aber das weißt du ja.«

Belanglosigkeit.

Gleichgültigkeit.

Seneca warf ihm einen prüfenden, ungläubigen Blick zu.

Als er nicht fand, wonach er allem Anschein nach gesucht hatte, wandte er sich schmollend ab.

Thors Gesicht zierte ein kalter Ausdruck, doch innerlich schäumte er vor Wut.

Deswegen bin ich hier, begriff er bitter auflachend. Deswegen hat er mich eingeladen. Um mich zu foltern.

Machtspiele.

Durch einen unglücklichen Zufall in dieses Chaos hineingeraten, hineingeraten zwischen Glimmer und Seneca, musste er nun die Grausamkeiten seines Bruders ertragen.

Doch ihn konnte Seneca nicht töten.

Ihm konnte er nicht anhaben.

Ihn konnte er nicht zerstören - zumindest nicht mehr, als er es schon getan hatte, vor so vielen Jahren.

Aber sie ...

Machtspiele, Eifersucht, Intrigen und alles auf Kosten eines siebzehnjährigen Mädchens.

»Sie ist besser, als ich dachte«, bemerkte Seneca nun, sich in seinem Sessel hin und her drehend.

Thor richtete seine Aufmerksamkeit auf das Einzeltraining, Glimmers Einzeltraining, und musste mit einem seltsamen Gefühl, einem Mix aus Stolz und Wehmut, feststellen, dass sein Bruder Recht behielt.

Sie war gut. Besser als gut.

Im Bogenschießen konnte ihr keiner etwas vormachen - sie schoss bis zu drei Pfeile gleichzeitig ab, wovon jeder sein Ziel an einer tödlichen Stelle fand.

Hals.

Kopf.

Herz.

Da sein Bruder offenbar auf eine Antwort seinerseits zu warten schien, zuckte Thor mit den Achseln, einen desinteressierten Ausdruck auf dem Gesicht.

»Sie ist nicht übel.«

»Nicht übel? Sie ist unglaublich talentiert. Talentiert genug für den Untergrund ... oder wie siehst du das?«

Wieder trafen sich die Blicke der Brüder.

Der Untergrund.

Thor konnte nicht behaupten, er hätte nicht darüber nachgedacht, und das öfter als nur einmal ...

Seneca schien den kleinen Funken Hoffnung, der in seinen Augen aufblitzte, registriert zu haben, denn er grinste. Es war ein böses Grinsen - eines das Thor zur Genüge kannte - und fürchtete.

Da der Friedenswächter seinem Bruder eine Antwort schuldig blieb, sprach Seneca munter weiter.

»Ja, wie ich erst letztens gehört habe, ist das wohl der Ort, an dem du die meisten Stunden deines Tages verbringst. Natürlich immer mit dem Bezug zur Arbeit ... Thybalt sagte mir, du würdest sogar dort schlafen. Wie wär's da mit ein bisschen Gesellschaft?«

»Nein, danke«, antwortete Thor nach einem unangenehmen einminütigen Schweigen und wandte endgültig den Blick von seinem Bruder ab.

Er begnügte sich damit, Glimmer anzusehen, die in diesem Moment durch den Hindernisparcours flitzte, und dabei eine beeindruckende Wendigkeit an den Tag legte; ihr unterlief kein einziger Fehler, jeder Sprung saß perfekt, und die Trainer konnten sie nicht einmal mit ihren Schlägern erwischen.

Es ist wahr, dachte er bewundernd - nein, nicht bewundernd, bestenfalls mäßig interessiert - sie wäre eine wahre Bereicherung für das Kapitol.

Das sahen offenbar auch die anderen Spielmacher so, denn sie alle tuschelten aufgeregt. Manche nickten anerkennend, und nur wenige schenkten dem Buffet mehr Beachtung als der Blondine, die jetzt Messer auf die Dummies warf.

Senecas Lächeln sprach Bände.

»Oh ja, sie ist definitiv gut genug für den Untergrund. Aber ob ich das bewillige, nach allem, was zwischen uns dreien vorgefallen ist ...«

Er hat so ein Talent dafür, auch noch in der Wunde zu bohren, dachte Thor, und umklammerte die Lehnen des purpurfarbenen Sessels fester als nötig.

»Weißt du, meine Gedanken schweifen immer wieder zurück zu jenem Abend ... wo du dich in meine Angelegenheiten einmischen musstest. Erneut. Und bei diesem Gedanken ... sträubt sich alles in mir dagegen, euch beide händchenhaltend in den Sonnenuntergang schlendern zu sehen - Symbolisch gesprochen, natürlich«, fügte er hinzu, und sein Grinsen wurde gönnerhaft. »Ich weiß, im Untergrund mangelt es wohl etwas an der Kraft der Sonne.«

Er hält sich wirklich für unglaublich komisch, begriff Thor.

Er selbst hätte dagegen nicht unamüsierter sein können.

Doch er ließ sich nichts anmerken, zuckte bloß gleichgültig mit den Schultern.

Vielleicht, wenn er seinen Bruder überzeugen konnte, sie würde ihm nichts, aber auch gar nichts bedeuten ...

Was sie nicht tut, belehrte er sich selbst zähneknirschend. Sie bedeutet mir rein gar nichts.

Diesmal war es nicht Megans Stimme, die ihn der Lüge bezichtigte, und auch Estelle hielt sich im Hintergrund. Trotzdem, das anklagende Schweigen, das seinen Kopf daraufhin füllte, war um ein Vielfaches grausamer.

»Ich weiß, dass du sie magst. Deine Gleichgültigkeit kannst du dir bei mir sparen. Ich kenne dich zu gut. Das solltest du langsam wissen.«

Meine Geduld ist beinahe aufgebraucht, dachte Thor, und wandte den Blick genervt nach links.

»Kannst du auch mal die Klappe halten? Du nervst«, meinte er unverblümt, und erfreute sich an dem wütenden Gesichtsausdruck Senecas. Aber nein, natürlich konnte sein Bruder seinen Mund nicht halten.

»Du bist so ein Heuchler-«

»Na, na, also wenn jemand hier ein Heuchler ist, dann ja wohl du«, spöttelte der Friedenswächter, und gab sich keinerlei Mühe, seinen Bruder mit leeren Höflichkeitsfloskeln abzuspeisen. »Und ich mag sie nicht. Sie bedeutet mir nichts.«

Halbwahr.

Natürlich bedeutete sie ihm etwas, irgendetwas, auch wenn er nicht wusste wieso, weshalb, warum, oder wie - aber mögen? Mochte er sie?

Nun, sie tat ihm leid.

Hatte ihm leidgetan.

Er entschuldigte sich äußerst selten bei jemandem - und wenn, dann nicht, weil er sich wirklich schuldig fühlte, doch einem Vorgesetzten konnte man schlecht gleichgültig und ignorant gegenübertreten.

Aber bei ihr, da hatte er sich wirklich schuldig gefühlt - vielleicht weil er wirklich einen Fehler gemacht hatte. Sie vorschnell verurteilt hatte. Sie verunsichert, bedroht, ihr Leid zugefügt hatte.

(nicht, dass es ihn bisher gekümmert hätte.)

Aber sie - sie hatte eine Entschuldigung verdient gehabt.

Aber davon abgesehen, abgesehen von der Tatsache, dass sie den gleichen Schmerz teilten, ein Leben, durchzogen von Qual und Leid; abgesehen von der unglücklichen Fügung, dass ein Ergebnis der Vergangenheit sie verband; absehen von der Tatsache, dass er sich (und auch das geschah äußerst selten) so ... hilflos gefühlt hatte, während sie weinend vor ihm saß, das Gesicht tränennass und verzweifelt, als die Lichter darauf fielen, und ohne jedwede Hoffnung - so viel Schmerz - ja, absehen davon, hatten sie kaum etwas gemeinsam.

Sie war eines dieser Mädchen.

Jemand, der sich aus der Wirklichkeit, der grausamen, aussichtslosen Realität, hinein in eine perfekte Welt träumte.

Sie wäre gern eine Prinzessin.

Sie liebte Luxus und Extravaganz.

Teurer Schmuck, edle Ballkleider, hübsche Masken -

(aber so viele lügen, so viele geheimnisse ...)

Sie träumte von einem Happy End, einem »Glücklich bis ans Ende ihrer Tage«, so wie es diese kitschigen Märchenbücher anpriesen.

Sie wollte gerettet werden.

Und vor allem glaubte sie an Liebe - an wahre Liebe, dabei wusste Thor, dass es wahre Liebe nicht gab, konnte es nicht geben, und er verstand nicht, wieso sie nach wie vor daran festhielt, an dieser lächerlichen Vorstellung, denn ...

Er wusste, was sie aus Liebe getan hatte. Aus der einfachen, blinden Überzeugung heraus, ihre ach so große Liebe wäre nicht so grausam, nicht so schrecklich ...

Prostitution.

Diebstahl.

Mord.

Er sagte ihr, er wüsste nicht, wieso sie das getan hatte?

Das war gelogen.

Er wusste es, und am liebsten hätte er ihr gesagt, wie dämlich es gewesen war - doch er hatte gesehen, wie sie zusammenzuckte, bei jedwedem Geräusch, wie sich ihre Schultern anspannten, zitterten, krümmten, als würde sie jeden Moment einen Schlag erwarten; wie sich ihre Hände verkrampften, ihre Fingernägel in die Handflächen schnitten bis es blutete; er hatte in ihre Augen gesehen, wusste, da war immer auch Furcht, immer auch Panik ...

Sie war gebrochen.

Er hatte sie gebrochen - Logan.

Glimmer war nicht die einzige, die seinetwegen Verbrechen begangen hatte - die für ihn gestohlen hatte, gemordet hatte, die ihren Körper für ihn verkauft hatte - doch sie war die einzige, die seine Grausamkeiten überlebt hatte.

Aber all das Blut, das nun an ihren Händen klebte ... und alles für die wahre Liebe.

Lächerlich.

Es machte ihn wütend.

(und traurig.)

Vor allem, dass sie nach all dem noch immer nicht dazugelernt hatte.

Denn wem wollte er bitte etwas vormachen?

Es war offensichtlich, dass sie ihn anziehend fand; und das sicher nicht nur vom Aussehen her. Wann immer sie in den letzten Tagen Hilfe benötigt hatte - er war stets zur Stelle gewesen, wenn auch meist unabsichtlich. Wahrscheinlich (wenn man die unschöne Angelegenheit des Verhörs außer Acht ließ, was Glimmer nicht allzu schwer zu fallen schien) sah sie ihn in Gedanken bereits als eine Art Ritter in strahlender Rüstung an, jemanden, der die hilflose Prinzessin rettete, wann immer sie Rettung benötigte, genauso wie in diesen Märchenbüchern, die sie so unheimlich gern las - er nahm zumindest an, dass das ihre bevorzugte Literatur war.

(dabei war er mitnichten ein held, und sicher auch kein ritter, bedachte man die tatsache, dass er log, sie anlog, doch was hätte er auch anderes tun können, er arbeitete schließlich für das kapitol, für jene leute, die sie am liebsten tot sehen wollten, denen einzelne menschenleben nichts, gar nichts, bedeuteten ... er konnte ihretwegen nicht mit dem gesetz in konflikt geraten, er wollte ihretwegen auch gar nicht mit dem gesetz in konflikt geraten, verdammt, er war das gesetz ...)

Das alles ... Dass sie noch immer nicht hinter die Fassade blicken konnte, nein, blicken wollte (denn im lesen von menschen schien sie gut, nicht perfekt, aber immerhin hatte sie nach logan irgendetwas gelernt, obwohl er sich kaum anmaßen konnte, darüber zu urteilen) ... irgendwie enttäuschte ihn das.

Vor allem, dass sie ihn idealisierte, störte ihn ungemein.

Musste er deswegen so häufig an sie denken? Weil es ihn verwirrte - nein, nicht verwirrte; aufregte, verärgerte - dass sie ihn als etwas sah, das er nicht war? Und auch nicht sein wollte?

Oder lag es daran, dass sie hübsch war? Mehr als nur hübsch, flüsterte eine kleine Stimme in ihm, doch er verdrängte sie - Nein, daran konnte es nicht liegen. Es gab viele hübsche Mädchen. Dank seines Jobs kannte er eine ganze Menge schöner Frauen - Siegerinnen, Betreuerinnen, Stylistinnen, ja, auch Friedenswächterinnen, und zahlreiche Adlige. Doch an die verschwendete er kaum einen zweiten Blick, und niemand, fast niemand, war es wirklich wert, dass er auch nur in Gedanken bei ihnen verweilte.

Glimmer war anders.

Thor verzog den Mund zu einem missbilligenden Lächeln.

Leicht verschwommen, wie auch all die anderen Erinnerungen von ihr, hörte er Estelle, wie sie ihm aus einem Buch vorlas. Keinem kitschigen Buch; genau wie er würde Estelle ihre Zeit nicht damit vergeuden, ewigen Liebesschwüren zuzuhören; nein, irgendeine alte Geschichte, die sie aus der Schlossbibliothek gestohlen hatte.

Er erinnerte sich an ihr Haar, wie es sich langsam aus dem goldenen Haarschmuck hervorstahl, wie die Strähnen im Wind tanzten, und die frische Brise an ihrem weißen Kleid zerrte. Die Luft hatte nach Regen gerochen, und wie jeden Donnerstag hatten sie auf der hellblauen Decke im Palastgarten gesessen.

Ihre Stimme, kaum mehr als ein Wispern in seinen Gedanken - ihre rosaroten Lippen, wie sie Wörter und Verse formten, die teilweise vom heulenden Wind verschluckt wurden.

Er erinnerte sich an den Vers, den Vers, der seiner jetzigen Lage gleichkam; der Vers, in dem die Protagonistin der Geschichte ihren späteren Geliebten beschrieb - als so anders beschrieb, anders als all die anderen. In der Ferne hörte er sein eigenes Lachen, laut, gefolgt von einem spöttischen Kommentar. Doch Estelles Blick war träumerisch in die Ferne geglitten, vorbei an den hohen Mauern des weißen Palastes und den wachsamen Augen der Palastwachen.

Jetzt wusste er, dass sie an Iron gedacht hatte; an den Jungen, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte, für den sie alles getan hätte. Sollte Thor sich jemals dazu entschließen, an wahre Liebe zu glauben - das beste (und einzige) Beispiel dafür waren Iron und Estelle. Zwei junge Menschen, die trotz der Grausamkeiten, die sie begangen - die ihnen widerfahren, die sie zusammengeführt hatten, alles, aber auch alles füreinander aufgegeben hatten. Und das nur wegen der Chance auf ein gemeinsames Leben, weit weg von Wachen, königlichen Pflichten und Intrigen.

Er hoffte, sie waren glücklich, wo immer sie auch waren.

Er hoffte, sie waren vor allem lebendig - er weigerte sich strikt, auch nur daran zu denken, dass seine beste Freundin vielleicht nichts mehr als ein flüchtiger Gedanke war - dass ihre Knochen inzwischen irgendwo verscharrt sein könnten, und alles, was sie geopfert hatte, all ihr Andenken mehr und mehr in Vergessenheit geriet.

Glimmer riss ihn zurück in die Gegenwart, Glimmer, mit ihrem silbernen Bogen und den dünnen Pfeilen, so schön, so tödlich ...

Sie ist die perfekte Mischung aus Megan und Estelle.

Hör auf, so zu denken, befahl Thor sich schroff. Hör auf, an sie zu denken. Estelle ist fort, wahrscheinlich wirst du sie nie wiedersehen, und Megan ...

(die süße, liebe megan, die trotz allem, was er getan hatte, was sie ihn hatte tun sehen, stets an seiner seite geblieben war, bis sie es schlichtweg nicht mehr konnte, weil ...)

Megan ist tot.

Tot, tot, tot, mit dunkelblauen Lippen und angeschwollenem Gesicht; großen, leeren Augen, den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet, die nackten Füße starr und leblos im seichten Wind baumelnd; mit gebrochenem Hals und dreckverschmiertem Kleid.

Tot.

Und weder sie, noch Estelle (estelle, von der nichts blieb außer leeren räumen mit staubbedecktem mobiliar, lang vergessenen gesprächen, samt leeren worten und einem alten porträt im zweiten stock des präsidentenpalastes) haben es verdient, durch eine schwache Version ihrerseits ersetzt zu werden.

Und ebenso wenig hatte Glimmer es verdient, den Ersatz für jene zu spielen, die er verloren hatte; als bloße Chance zu dienen, sein kaputtes Herz mit so etwas wie Glück füllen zu können.

Nicht, nach all dem, was sie hatte durchmachen müssen. Es wäre weder ihr gegenüber fair, noch würden es Megan und Estelle gutheißen. 

(aber sie sind ja nicht mehr hier.)

Und doch, obwohl Thor sich versuchte einzureden, dass er es nicht brauchte - kein Glück, keine Freude, dass alles okay war, und vielleicht stimmte das, aber okay war nun mal weit entfernt von gut - mit Glimmer hatte er wenigstens irgendetwas empfunden - abgesehen von Wut, Frustration, abgesehen von Eintönigkeit und Desinteresse - und wenn es nur Zufriedenheit war ... weil er ihr geholfen hatte; Zufriedenheit und Bestätigung, weil er für sie dagewesen war, als es niemand sonst getan hatte.

Es war fast schon genug gewesen.

Vielleicht, wenn sie die Spiele gewann ... oder, wenn er es schaffte, ihr einen Platz im Untergrund zu beschaffen ... vielleicht könnte er dann glücklich sein.

Er war Realist, er sah kein Happy End wo keines war, aber vielleicht ging es ja auch gar nicht darum, vielleicht ... vielleicht zählte nicht das Ende der Geschichte, sondern vielmehr all die schönen Momente, die glücklichen Momente auf dem Weg zur Katastrophe ... vielleicht wäre das genug. Vielleicht wäre es wie mit Megan. Und mit Megan war er glücklich gewesen - meistens jedenfalls.

Seine Gedanken dienten seinem Unterbewusstsein als Nahrung, trickreich und spöttisch wie dieses war, beschwor es bereits, den kleinen Hoffnungsschimmer ausnutzend, Bilder herauf, immer wiederkehrende Wechsel zwischen Megan und Glimmer.

Rote Locken vermischten sich mit blonden Strähnen, leuchtend und hell wie Meeressand; große, runde Augen aus Lapislazuli; nicht mandelförmig und nicht grün, wie der Untergrund eines Sees; nicht tief und verloren, unnahbar und traurig ...

Megan war klein gewesen, ihr Kopf hatte kaum bis an seine Schultern herangereicht. Glimmer dagegen war groß und schlank mit ebenmäßiger Haut, Haut aus Seide - aber vom Wesen her - genauso dumm und unschuldig und leichtgläubig und naiv und -

Und jetzt war Megan tot.

Und es wäre nicht allzu unwahrscheinlich, dass Glimmer bald dasselbe zustieß.

Vor allem, da sein Bruder ...

Sein Bruder. Thors Kopf schnellte nach links, wo Seneca mit überschlagenen Beinen auf seinem Sessel hin und her wippte. Noch fünf Minuten.

Fünf Minuten, dann konnte Thor von hier verschwinden, von diesem Ort, den er verabscheute, der stickigen Loge, die all die Oberflächlichkeiten des Kapitols vereinte - und wo er über zitternde Kinder lachte, die mit tödlichen Waffen spielten.

Das hier war nicht seine Welt.

Seine Welt lag im Untergrund, zwischen Mauern aus dickem Stein und verzwickten Mechanismen; seine Welt lag in Kommandozentralen, in engen Büros mit zahlreichen Akten; in Gefängniszellen und in Verhören mit zitternden Gegenübern.

Seine Welt lag bei Lycra, seiner Kollegin, seiner derzeitigen Ablenkung, der Person, die einer guten Freundin nahe kam, jemand, der wie er die Drecksarbeit des Kapitols erledigte.

Er arbeitete nicht im Vordergrund, er mied das Scheinwerferlicht, er führte ein Leben im Schatten, abseits des Glamours, anders als sein Bruder.

Und er wollte, dass alles so blieb wie es war ... nun ja - fast alles.

Glimmer war nun beim Schwertkampf, parierte jeden Schlag den Trainer Albert gegen sie zu führen versuchte, und schlug ihm schließlich binnen einer Minute das Schwert aus der Hand.

Dann ging sie zurück zum Bogenschießen, legte einen ihrer grazilen Pfeile in die Sehne, eine Bewegung, so flüssig und perfekt, so natürlich, als wäre sie mit der Begabung fürs Bogenschießen schon auf die Welt gekommen.

Wie um diese Tatsache zu bestätigen, fand erneut ein Pfeil seine Bestimmung im Herz eines Trainingsdummies.

Einige Spielmacher klatschten.

Seneca dagegen wirkte äußerst verstimmt.

»Sie ist zu gut.«

Thor hielt es für besser, den Mund zu halten, konnte sich des überheblichen Lächelns jedoch nicht erwehren, das sich auf seine Lippen schlich.

»Aber das hat nichts zu sagen«, meinte Seneca, wie zu sich selbst. »Ich kann immer noch ... vielleicht gebe ich ihr ja eine sechs, statt der zehn, die sie verdient hätte.«

»Nun, das entscheidest du nicht allein«, antwortete Thor, und ließ vielsagend den Blick durch die Loge schweifen.

Seneca verzog das Gesicht.

»Da hast du leider Recht.«

Das Schweigen breitete sich aus.

Noch drei Minuten.

Seneca, offenbar gelangweilt, und ebenfalls ungeduldig die Zeit abwartend, warf seinem kleinen Bruder einen eindringlichen Blick zu - einen ernsten, nachdrücklichen Blick, einen, den der Friedenswächter bisher selten bei dem Spielmacher gesehen hatte.

»Was ist?«

»Ich will dir nur sagen, dass - entgegen deinen ... Verleugnungen mir, und wahrscheinlich auch dir selbst gegenüber - ich, selbst objektiv gesehen, eine Beziehung - welcher Art auch immer - zwischen dir und ihr nicht erlauben werde. Nicht mal, weil ich dir Böses will, aber ... nicht, wenn so viel dabei auf dem Spiel steht«, sagte Seneca schlicht.

Thor hätte am liebsten laut aufgelacht. Glaubte Seneca allen Ernstes, der bloße Versuch (denn es war nichts weiter als das, ein Versuch, nichts weiter als eine Fassade) seriös zu erscheinen, und ihn mit (ihm durchaus bewussten) Gründen zu konfrontieren, würde ihn davon abhalten etwas zu tun, wenn er es denn tun wollte?

Offensichtlich.

»Ich brauche deine Erlaubnis nicht«, konterte der Friedenswächter gleichmütig, etwas, das Seneca zum Ausrasten brachte.

»Das ist mir doch scheißegal, was du brauchst! Ich sage dir, Thor, ich werde es bestimmt nicht dulden, dass du ihr all unsere Geheimnisse auf dem Silbertablett präsentierst, und das alles nur, um sie ins Bett zu kriegen! Im Übrigen glaube ich kaum, dass du dich diesbezüglich schwer anzustrengen bräuchtest - Sie ist eine Hure, nur falls dir das entfallen sein sollte, und - Sag mal, willst du vielleicht noch irgendwo hin, Bruder?«, unterbrach er seinen Monolog, sichtlich irritiert von Thors immer währenden Blicken auf seine Armbanduhr.

»Oh, eigentlich«, meinte der Friedenswächter gedehnt, »ist mir eingefallen, dass ich bis heute Abend noch ein paar Akten sortieren muss - weswegen ich mich nach diesem Einzeltraining leider unverzüglich nach unten begeben sollte. Das alles ist mir schrecklich peinlich - ich weiß, du wirst meine Gesellschaft sicher sehr vermissen.«

Seneca verzog missbilligend das Gesicht, nahm die offenkundige Lüge jedoch stillschweigend zur Kenntnis, und begnügte sich stattdessen damit, in sein Mikrofon zu brüllen.

»Das Training ist beendet, Miss Lovelace! Sie können nun gehen!«

Glimmer sah leicht überrascht auf, den Bogen noch immer in der Hand.

Sie schien sich jedoch relativ schnell zusammenzureißen, und warf den Anwesenden ein letztes strahlendes Lächeln zu, bevor Trainer Albert sie aus der Halle geleitete.

Kaum, dass sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, wurde es in der Loge wieder laut. Gespräche wurden fortgesetzt, Zahlen in die Luft geworfen, und ein jeder eilte zum Buffet, um seinen Teller aufzufüllen. Unter ihnen wurde die Halle bereits gesäubert; Angestellte putzten den Boden, zogen Messer und Pfeile aus den Trainingspuppen und verstauten die Waffen in ihren zugewiesenen Boxen.

Seneca erhob sich aus seinem Sessel, glättete sein Jackett, und marschierte zu den anderen Spielmachern hinüber, offenbar die Punkte diskutierend. 

Thor witterte seine Chance, und sprang eilig auf, um zum Ausgang zu gelangen - in seiner Hast hätte er beinahe Mr. Eduardson umgestoßen, der, schwer auf seinen Gehstock gestützt, zu den übrigen schlurfte.

Am Hauptmonitor wurde nun Glimmers Bild eingeblendet; neben ihr eine große Neun.

Der Friedenswächter nickte bedächtig. Neun war nicht sonderlich schlecht, nicht herausragend natürlich, aber immerhin auch nicht so mies, dass man sie dafür aus dem Karrierobündnis geworfen hätte.

Mit einem letzten Blick auf Seneca, der nun gezwungen lächelnd mit einigen Spielmachern scherzte, verschwand Thor durch den tiefroten Vorgang, der die Loge von dem dahinterliegenden Gang trennte, und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl.

DIE AUFZUGTÜREN SPRANGEN auf, und Thor trat hinaus in einen schwach beleuchteten Gang.

Erdgeschoss.

Die Luft hier war deutlich besser - kalt und klar mit dem Geruch nach Desinfektionsmitteln; nicht vergleichbar mit der verbrauchten Luft der Loge und dem Essengeruch, der den dortigen Raum durchzogen hatte.

Kaum ein Geräusch war zu hören - nur das sanfte »Pling« des Fahrstuhls, dessen Türen sich hinter ihm schlossen, und seine eignen Schritte, die schwer und gleichmäßig auf dem geputzten Boden widerhallten.

Thor bog in den nächsten Gang ein - der ebenso aussah wie der vorige.

Der Friedenswächter lächelte schmal.

Hier, in den verzweigten Fluren, dem Labyrinth aus Stahltüren, Sicherheitschecks und nacktem Stein fühlte er sich weitaus wohler als in der belebtem Loge der Spielmacher. Nur wenige fanden sich an diesem Ort ohne Karte zurecht; und wie sonst auch waren die Gänge des Erdgeschosses düster und verlassen.

Nun, nicht ganz verlassen, dachte Thor, als er einen kurzen Blick auf einen blonden Haarschopf mit zahlreichen Locken erhaschte.

Er war sich sicher, sie hatte ihn bemerkt, noch bevor er sie im nächsten Gang an die Wand drängte, und ihr die kunstvolle Perücke vom Kopf riss.

Pechschwarzes Haar, dunkel wie Rabenfedern, kam zum Vorschein, ergoss sich über ihre schmalen Schultern. Augen, kalt und klar wie Eis, bohrten sich in seine eigenen.

Isobel.

»Vorsicht damit«, meinte sie mit einem trägen Lächeln, und einem Kopfnicken in Richtung der Mähne an blonden Haaren - wieso musste es ausgerechnet blond sein? - die er in der Hand hielt. »Ich brauche sie noch.«

»Oh, daran besteht kein Zweifel«, antwortete er zähneknirschend, die Stimme gesenkt, mit deutlich drohendem Unterton.

Alles, was sie tat, war zu lächeln.

»Du bist wütend.«

Er sagte nichts, und sie legte den Kopf schief.

»Auf mich?«

»Nein.«

Sie seufzte leise.

»Seneca?«

Sein Schweigen schien ihr Antwort genug.

»Ihr müsst euch endlich aussöhnen-«

»Aussöhnen? So wie du mit ihm? Er hat doch dafür gesorgt, dass du verbannt wurdest, seine Schuld ist es, dass du nun aufpassen musst, auf welcher Kamera du dich blicken lässt - überhaupt, dass du jetzt mit dieser lächerlichen Verkleidung herumläufst, ist seine Schuld. Er hat uns verraten - uns, und Estelle. Uns das Leben zur Hölle gemacht. Und du vergibst ihm, einfach mal so, mir nichts, dir nichts? Und erwartest von mir das Gleiche? Vielleicht magst du ja einen Hang zur Sentimentalität haben, Schwester - für mich gilt das allerdings nicht.«

Isobel starrte ihn an, die Augen hart, obwohl er glaubte, Tränen in ihren Tiefen schimmern zu sehen. Sein Gesicht wurde kaum merklich weicher.

»Hat es ihn denn je interessiert, was wir wollten? Nein, immer ging es um nur ihn, um seine Wünsche, seine Bedürfnisse. Er hat unser Vertrauen nicht verdient. Meins nicht, Schwester ... und auch deins nicht.«

Isobel senkte den Kopf, presste die Lippen zusammen.

»Worüber habt ihr gestritten? Ging es um sie - um das Mädchen aus Distrikt eins? Wie war gleich ihr Name - Glitter?«

»Glimmer«, korrigierte er sie rasch, mit der Richtung des Gesprächs deutlich unzufrieden.

Isobel beließ es bei einem neugierigen Blick, bevor sie sich zusammennahm, und ihre Perücke aus seinem Griff befreite.

»Wo gehst du hin?«, erkundigte sich Thor, nachdem sie die blonden Locken wieder auf ihrem Kopf platziert hatte.

»Hoch. Ein Kleid abholen. Möchtest du mich begleiten?«

»Hab zumindest nichts Besseres zu tun«, meinte der Friedenswächter - die Akten waren schließlich nur dazu gedacht, Seneca zu entkommen.

Isobel klatschte freudig in die Hände, und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Gut, dann lass mich vorgehen, und komm in fünf Minuten nach.«

Er nickte mechanisch.

»Und Thor?«

»Hm?«

»Es ist nicht verboten, Gefühle zuzulassen; ein Herz zu haben. Das macht uns menschlich. Vielleicht solltest du deines öfter benutzen.«

Schweigen. Dann -

»Bist du dir da ganz sicher? Du weißt ja, was letztes Mal passiert ist, als ich mich dazu entschloss, gewisse Gefühle zuzulassen.«

Ihre Blicke trafen sich. In Isobels Augen konnte er Verständnis aufblitzen sehen. Verständnis und Trauer und Mitgefühl.

»Es bringt keinen von uns weiter, an der Vergangenheit festzuhalten, Thor. Sie würde wollen, dass du glücklich bist. Sie beide würden das wollen.«

»Vielleicht«, sagte er, da sie auf eine Antwort zu warten schien. »Vielleicht hast du Recht.«

Isobel nickte und drückte ein letztes Mal seine Hand, bevor sie um die Ecke des Ganges verschwand.

Fünf Minuten später starrte Thor noch immer auf einen dunklen Fleck in der gekachelten Steinwand, die Worte seiner Schwester abwägend.

Glimmer. Tränen auf den Wangen, Hände, die zitterten; ein pinkes, bodenlanges Kleid, Federn im Haar; Vanille auf der Haut.

Die Dämonen, die versuchten, ihm mit Megans Augen und Estelles Lächeln Schuldgefühle einzureden, verblassten langsam, ihr Schreien wurde schwächer. Das war nicht neu; sie würden sich bald wieder einen Weg zu seinem von Hass und Schmerz zerfressenden Herzen bahnen, und in seinen Kopf eindringen, aber für den Moment ...

Vielleicht hat Isobel wirklich Recht. Vielleicht sollte ich auf sie hören.

Einen Entschluss fassend, marschierte der Friedenswächter zum Fahrstuhl zurück, ein leises Lächeln auf den Lippen.

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(author's note:)

Hᴀʟʟᴏ, ɪʜʀ Lɪᴇʙᴇɴ! so, das war auch schon das erste (und einzige) update während meiner zweimonatigen urlaubsreise. ich hoffe, das kapitel hat euch gefallen - das schreiben fiel mir relativ leicht und ich konnte ein wenig mit einem neuen schreibstil herumexperimentieren. keine sorge, falls ihr nicht gleich alles versteht (ein wenig spannung muss ja aufkommen); was genau es mit dem untergrund auf sich hat, wird erklärt werden, sobald die tribute in die arena gelangen.

wer sich fragt, wer mir als vorlage für megan & estelle dienen, hier ein kurzer cast einblick: holliday grainger als megan oakland & natalie dormer als estelle lacroix. beide werden - ebenso, wie seneca, thor, isobel & iron - auch in meiner nächsten geschichte »broken crown« auftauchen, die voraussichtlich im dezember erscheint und die vorgeschichte jener charaktere beleuchtet.

zum abschluss möchte ich wie immer allen danken, die mich seit der letzten aktualisierung unterstützt haben: plaindaisies, July112, BlackGirlNumber1, Melina_1000, AnnixEspinosax, Chrissitinchen und TheDarkTemptation. ich wünsche euch noch einen schönen restmontag & eine erfolgreiche woche! Eυre Zoey.

➤ dieses kapitel möchte ich meinem vater widmen. alles, alles gute zum geburtstag, lieber papi. danke, dass du immer für mich da bist und mich verstehst & wir immer super viel spaß zusammen haben. du bist einer der wichtigsten menschen auf der ganzen welt und ich hab dich ganz ganz doll lieb ♥ dieses kapitel ist für dich <3 happy birthday!

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