12 Tage April

minemarei tarafından

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April hat es nicht leicht. Da reicht es nicht, dass sie durch ihren Namen jedes Jahr zum Opfer zahlreicher Ap... Daha Fazla

Vorwort
Widmung
Der erste Tag
Der zweite Tag
Der dritte Tag
Der vierte Tag
Der sechste Tag
Der siebte Tag
Der achte Tag
Der neunte Tag
Der zehnte Tag
Der elfte Tag
Der zwölfte Tag
Danksagung
Zusätzliches Material
Das Uhrwerk
April Updates und YouTube

Der fünfte Tag

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minemarei tarafından

Tag Nummer 5 oder Ostersonntag und Rätselraten

Am Ostersonntag wachte ich voller Tatendrang auf und lief im Schlafanzug ins Erdgeschoss, in dem mein Vater gerade damit beschäftigt war die Schokoladenostereier überall zu verteilen.

Meine erdrückende, deprimierende Stimmung von gestern war verschwunden und wurde ersetzt durch viel zu überschäumende Liebe und ich hätte meinen Dad gerne volle Kanne abgeknutscht, allerdings steckte er gerade mit dem Kopf voran im großen Schrank, der in der Küche stand und in dem das Geschirr gelagert wurde. Also verschob ich jegliche anhängliche Kuschelaktion auf später.

"Dad bist du sicher, dass es schlau ist direkt neben Mum's gutem Porzellan Ostereier für die zwei Rabauken zu verstecken?", fragte ich skeptisch.

Er versuchte sich umständlich aus dem bunt bemalten Schrankungetüm zu befreien und stieß sich prompt den Kopf.

"Nein. Ich habe nur die alte Keksdose gesucht. Ich hatte überlegt ein bisschen zu backen und morgen Kekse mit zu Oma zu nehmen." Er rieb sich den Kopf und verzog das . Ich lachte ein bisschen. Wenigstens war jetzt klar, von wem ich meine Tollpatschigkeit hatte.

"Sie steht oben auf dem Schrank drauf.", informierte ich ihn grinsend und lachte noch ein wenig mehr.

"Oh. Ja das hätte ich eventuell früher merken sollen. Ich hätte mir auf jeden Fall die Beule erspart. Gut das du den Überblick hast!", sagte er und jetzt prustete ich endgültig los.

„Genau... Ich habe den Überblick und draußen flog gerade eine Kuh am Fenster vorbei und hat mir zugewinkt...", frotzelte ich und mein Dad hob nur skeptisch die linke Augenbraue.

"Sind die Monster noch am Schlafen?", fragte ich und wechselte so das Thema.

"Tief und fest. Wir waren aber gestern auch echt erst spät wieder zu Hause. Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass du nicht aufgewacht bist. Torben hat einen neuen Lautstärke-Rekord aufgestellt, während ich versucht habe Mika die Treppe hochzutragen ohne ihn aufzuwecken."

„Ist er schon bei Granny eingeschlafen?", wollte ich wissen und war ein bisschen traurig, dass ich nicht doch mitgegangen war. Gleichzeitig war ich mir jedoch sicher, dass ich die Stimmung nur heruntergezogen hätte und das wollte ich nun wirklich nicht. Es reichte ja, wenn ich mich selbst alleine bemitleidete, da musste ich nicht auch noch allen anderen eine Last sein. Es war schon die richtige Entscheidung gewesen zu Hause zu bleiben. Glücklicherweise hatte ich den besten, verständnisvollsten Dad der Welt und er hatte gleich bemerkt, dass ich nur ein bisschen Zeit für mich brauchte und alles würde wieder ins Lot kommen. Ich war ihm mehr als dankbar dafür, dass er mir diese Zeit und das Vertrauen, dass ich aus eigenem Antrieb aus meinem tiefen, schwarzen Loch herauskommen würde, entgegenbrachte. Bisher hatte ich es ja auch immer geschafft.

„Ja. Du kennst ihn doch. Um neun ist er auf dem Teppich eingeschlafen und ist seitdem nicht mehr aufgewacht.", antwortete mein Dad und riss mich aus meinen Überlegungen.

„Ich wünschte ich hätte so einen tiefen Schlaf. Dann würde Torben mich vielleicht auch nicht immer aufwecken.", feixte ich und mein Dad lachte.

„Niemand auf dieser Welt hat so einen tiefen Schlaf wie Mika und den braucht er bei einem Bruder wie Torben wohl auch."

Ich nickte zustimmend.

Dann schaute ich mich in unser von Sonne durchleuchteten Küche um. Das Basilikum hatte mein Vater wohl inzwischen entsorgt und ich gestattete mir einen kurzen Moment der Trauer. Ich hatte das Basilikum gemocht.

Ansonsten sah unsere Küche aus wie immer: die bunten Kacheln an der Wand über der Herdplatte, die anderen Kräuter in ihren glasierten, mit gekringelten Aufschriften versehenen Töpfen und die türkis gestrichene Wand, die heute durch die Sonne beinahe aussah, als würde sie leuchten.

Ich mochte unsere Küche. Aus irgendeinem Grund bekam man direkt gute Laune, wenn man sie betrat und es kam nicht selten vor, dass ich Stunden mit einem guten Buch in der Hand und einer dampfenden Tasse Tee vor mir hier verbrachte.

Aber etwas störte das Bild und ich brauchte ein paar Augenblicke und Gedanken bis ich darauf kam, was es war.

"Die Ostereier sind aber schon versteckt, oder? Die Rabauken werden uns bestimmt nicht mehr lange in Frieden die Sonne genießen lassen." Ich reckte mich gähnend nach meiner liebsten XXL-Tasse, die auf dem obersten Regalbrett stand und damit viel zu weit weg war für meinen Geschmack.

"Verdammt!" Mein Dad klatschte sich mit der Hand gegen die Stirn und ich erschreckte mich so sehr, dass ich fast alle Tassen aus dem oberen Fach herunter gefegt hätte.

„Das habe ich total vergessen! Dabei hat Mika gestern noch die ganze Zeit davon geredet, wie sehr er sich auf Ostern freut.", verzweifelt sah er mich an und ich atmete einmal tief durch. Dann nickte ich fest entschlossen.

„Du übernimmst die Küche und den Flur und ich kümmere mich ums Treppenhaus und das Wohnzimmer!", bestimmt ich kurzerhand und fischte die Ostersüßigkeiten aus ihrem Versteck im Gemüsefach des Vorratsschrankes. Das war der mit Abstand sicherste Ort um in diesem Haus Süßigkeiten zu verstecken, wenn man nicht wollte, dass jemand unbefugtes sie verspeiste ohne mit der Wimper zu zucken.

Schneller als das Sonnenlicht flitzten wir durchs Haus und versteckten die bunten Eier an allen möglichen und unmöglichen Orten.

Ein paar plazierte ich im Treppengeländer und betete innerlich, dass sie nicht wieder herunterfallen würden, wenn die Zwillinge die Treppe herunterpolterten. Weitere Ostereier versteckte ich im Wohnzimmer hinter den Kissen, in der DVD-Schublade und in den Blumentöpfen auf der Fensterbank. Den Schokoladen-Osterhasen legte ich vorsichtig in den Korb mit meinem Sockenstrickzeug und hoffte dabei innerlich, dass Mika ihn finden würde und nicht Torben. Sollte Torben mein Strickzeug durchwühlen konnte ich mir sicher sein, dass hinterher ein paar Maschen von der Nadel gerutscht waren.

Ich versteckte gerade die letzten Ostereier im Schuhregal, keine Sekunde zu früh, als auch schon Mika und Torben in die Küche stürmten und dabei den Stuhl umwarfen, der noch vor dem Küchentresen stand, weil ich anders nicht an meine Teetasse gekommen war.

"Ostereier suchen!", schrien sie im Chor und innerhalb weniger Augenblicke war das ganze Haus komplett auf den Kopf gestellt. Innerlich seufzte ich ein wenig, weil ich genau wusste, wer den ganzen Spaß später wieder aufräumen durfte.

Mika war wie immer der erfolgreichere Sammler gewesen. Torben war zu laut und verbrachte zu viel Zeit damit über seine Funde zu prahlen, während Mika einfach klammheimlich all seine Schätze zusammensuchte. Nicht, dass es einen großen Unterschied machen würde, denn die Beute wurde am Ende sowieso immer gerecht zwischen allen Teilnehmern aufgeteilt. Trotzdem versuchte Torben jedes Jahr einen Wettstreit daraus zu machen und verlor auch jedes Jahr kläglich gegen seinen Zwilling.

Während meine Brüder beide den größeren Teil der Beute für sich beanspruchen wollten und mein Dad den Schlichter spielte, versuchte ich in der Küche ein Frühstück auf die Beine zu stellen.

Die Betonung lag dabei auf versuchen!

Ich schaffte es wirklich alles zu versauen. Meine Nudelaufläufe schafften es gleichzeitig verbrannt und nicht ganz gar zu sein und selbst meine Toasts waren sowohl verkohlt, als auch labbrig.

Es lag wirklich nie am Rezept, es war eher so als hätten sich sämtliche Küchengeräte gegen mich verschworen, um mir das Leben als Köchin zu versauen und zur Hölle auf Erden zu machen.

Auch heute hatte die Pfanne an mir und meinem Rührei wieder irgendetwas auszusetzen und sabotierte und an allen Ecken und Enden.

Mein Vater betrat die Küche und rümpfte die Nase, als er sah das ich mich mal wieder am Herd versuchte. Ich seufzte resigniert. Schön dass man meine Bemühungen zu schätzen wusste...

Er nahm mir den Pfannenwender aus der Hand und schwang ihn wie ein Zepter durch die Luft.

"Lass mal mein Schatz. Ich mache das schon. Wie wär's wenn du statt hier die Küche in Schutt und Asche zu legen, mal den Briefkasten leeren würdest?", fragte er und ich war ein bisschen froh, dass er anscheinend beschlossen hatte das Rührei zu retten.

Also nickte ich stumm und schnappte mir den Briefkastenschlüssel aus der großen Schale die im Flur auf dem Schuhregal stand und in der sich niemals nur Schlüssel befanden.

Im Moment lagen neben einem Plektrum von irgendeinem Indie-Underground Konzert, ein paar Ringen und (Igitt! War das etwa ein Zahn?) einer Visitenkarte außerdem eine Wäscheklammer und die Aluminiumhülle eines Teelichtes, aus der jemand einen etwas missgebildeten Schwan geformt hatte, in der Schale. Mit spitzen Fingern fischte ich nach dem Schlüssel und machte mir innerlich eine Notiz, dass ich ganz dringend später dieses Chaos beseitigen musste.

Ich schlüpfte in die viel zu großen Armeestiefel meines Dads, warf mir meine Secondhand-Lederjacke über und rannte durch den winzigen Vorgarten zum Briefkasten.

Dabei zog ich die Jacke fester um mich herum. Es war mal wieder unnatürlich frostig für den April, aber was sollte man machen?

Ich musste ein bisschen mit dem Schlüssel im rostigen Schloss herum ruckeln, bis die Klappe aufsprang und ich hineinlangen konnte.

Ich hatte bei dem Part immer ein bisschen Angst, das mich etwas biss, seit ich bei Tom und Jerry in einer Folge mal eine ganz ähnliche Situation gesehen hatte. Unser Briefkasten war wie unser Haus. Ein bisschen alt und schief und angerostet, aber schön und heimelig und seit ich und Junia ihn im letzten Frühling mit Lack bemalt hatten passte er auch farblich zum inneren unseres Hauses.

Ich fühlte ein kleines Paket und etwas, das wahrscheinlich die Tageszeitung war.

Ich nahm beides heraus und sah mir das Päckchen genauer an.

Es war in rosa Geschenkpapier mit Teddybären darauf eingewickelt. Ich musste lächeln. Das Geschenkpapier war ein Insider von meiner Mum und mir gewesen und mir schwoll das Herz ein bisschen an beim Anblick.

Wir hatten das Papier irgendwann mal beim Weihnachtsgeschenkeshoppen entdeckt und fanden es beide so furchtbar, dass wir es gleich mitgenommen hatten, um andere Leute damit zu quälen.

Ein Jahr lang hatten wir einfach jeden mit diesem Geschenkpapier in den Wahnsinn getrieben bis es irgendwann alle war und unsere Opfer von ihrer Qual erlöst hatte.

Mein Vater musste irgendwo ein weiteres Exemplar aufgetrieben haben. Das war so unglaublich süß von ihm, dass mir unwillkürlich doch die Tränen in die Augen schossen.

An der Packetschnur hing ein kleiner Zettel mit meinem Namen darauf. Es war ein bisschen krakelig geschrieben, genauso wie die Schrift von meinem Dad nun einmal war.

Ich legte die Zeitung auf dem taufeuchten, gepflasterten Weg zu unserer roten Eingangstür ab und löste die Tesatreifen vorsichtig vom Papier.

Eigentlich war ich keine dieser Personen, die mega vorsichtig mit ihrem Geschenkpapier umgingen, ich war mehr der "Ob heil oder nicht ist doch egal... Hauptsache ausgepackt!"-Geschenkeauspacktyp, aber dieses Geschenkpapier hier würde ich aufbewahren und in meine Geheimniskiste unter mein Bett legen, damit ich es hervorholen konnte, um mich darüber zu freuen.

Das Papier war entfernt und ich faltete es vorsichtig an den bereits vorhandenen Knicken. Im Gegensatz zur Zeitung klemmte ich es mir jedoch vorsichtig unter den Arm, damit es nicht vom Tau beschädigt wurde.

Ich hielt eine kleine, filigrane Schatulle aus Holz mit silbernen Beschlägen in der Hand.

Mir stockte der Atem.

Ich kannte diese Schatulle. Fast so gut wie meine eigene Westentasche, immerhin hatte sie fast 10 Jahre lang auf dem Nachttisch meiner Mutter gestanden und auch noch nach ihrem Tod war die Schatulle Bestandteil des Schlafzimmerbildes meines Dads gewesen.

Ich öffnete sie vorsichtig. Darin lag die lange und feingliedrige Kette meiner Mutter. Der Anhänger war eine kleine silberne Münze, eigentlich eher ein rundes Plättchen mit zwei Seiten. Die eine Seite zeigte das Sternzeichen meiner Mutter und die andere, das meines Vaters. Er hatte ihr diese Kette zu ihrem ersten Hochzeitstag geschenkt.

Mir traten erneut die Tränen in die Augen. Das war das schönste Ostergeschenk der Welt und konnte mit Sicherheit von nichts mehr getoppt werden. Niemals.

Ich legte mir die Kette vorsichtig um den Hals und rannte, nicht ohne vorher den Briefkasten abzuschließen und die Zeitung aufzuheben, zurück ins Haus und in die Küche.

Ich umarmte meinen Dad stürmisch und knutschte ihn jetzt doch volle Kanne ab.

"Dankeschön.", flüsterte ich.

"Es wurde Zeit das sie wieder getragen wird! Vielleicht findest du irgendwann jemanden mit dem du neue Erinnerungen an diese Kette sammeln kannst.", er lächelte.

Ich nickte.

Die Kette war wunderschön und ich würde sie in Ehren halten. Für meine Mum und meinen Dad und ihre Liebe und alles was sie füreinander uns für uns getan hatten und jetzt wurde ich doch tatsächlich sentimental.

Irgendwie war mir klar, dass mein Dad nie wieder eine Frau so sehr lieben würde wie Mum, aber ich wünschte es mir trotzdem für ihn. Meine Eltern waren etwas Besonderes gewesen.

Das Frühstück verlief einigermaßen reibungslos, auch wenn die Zwillinge von ihren Süßigkeiten dermaßen Zucker-high waren, dass ich überlegte mir doch noch ein paar Ohropax zuzulegen. Natürlich nur für Notfälle.

Nach dem ich mein Rührei verputzt hatte, lieferte ich mir mit Torben einen Wettlauf ins Bad, um mir die erste Ladung heißes Wasser zu sichern.

Man musste nämlich jedes Mal eine halbe Stunde warten bis wieder welches kam und dazu hatte ich heute nun wirklich nicht den Nerv.

Nach dem Duschen zog ich mich an und erledigte endlich meine Hausaufgabe.

Jetzt wo ich ein bisschen Abstand zu der ganzen Geschichte, die da gerade mit ihm ablief, hatte kam es mir alles eher wie ein sehr komischer Traum auf Drogen vor.

Ein schöner komischer Traum auf Drogen, aber trotzdem wie ein Traum auf Drogen. Nicht, dass ich mit Drogen irgendwelche Erfahrungen gemacht hätte, aber so in etwa stellte ich mir das vor.

Um 15.00 Uhr kam unsere Tante Katie, die Schwester meiner Mutter, vorbei und wir aßen ein paar Kekse, die mein Dad gebacken hatte, während ich mit mir und der Schule beschäftigt gewesen war.

Sie schenkte den Zwillingen kleine Tütchen mit selbstgemachten Bonbons, die ein wenig aussahen wie zusammengeschmolzene und malträtierte Bären und erzählt stolz, das sei ihr neustes Hobby.

Tante Katie war sehr experimentierfreudig was neue Sachen anging. Meistens endet das in einer Katastrophe die einem nuklearen Holocaust nah kam, aber immerhin hatte sie Spaß daran gehabt. Das hatte sie selbst dann noch gesagt, als sie mit gebrochenem Bein im Krankenhaus lag, nachdem sie beim Skifahren auf Tuchfühlung mit einer Tanne gegangen war.

„Auch Tannen brauchen hin und wieder Zuwendung!"

Auch ihre Bonbons waren eigentlich nur ein riesiger Haufen Bonbonmasse mit Gesichtern, aber die Zwillinge waren glücklich.

Ich bekam die getrocknete Blüte einer schwarzen Calla über die ich mich tatsächlich wie eine Irre freute und die Katie von einer ihrer Reisen nach Südafrika für mich mitgebracht hatte.

Ich hatte zwar nicht wirklich einen grünen Daumen, aber bei getrockneten Blumen kann man ja nicht mehr wirklich etwas falsch machen und schwarze Callas hatten mich schon immer fasziniert.

Ich schenkte ihr im Gegenzug ein Stück des rosa Teddypapiers, das sie lächelnd annahm und in ihre Geldbörse neben dem Bild von meiner Mum, ihr und mir im Streichelzoo platzierte.

Sie war eine der wenigen Personen, die es hübsch gefunden hatten, aber sie war auch eine ziemlich wunderliche Persönlichkeit mit vielen verrückten Ideen und vielen verrückten Besitztümern. Ihr Wohnzimmer bestand zum Großteil aus einem Sammelsurium an verschiedenen Stehlampen in allen möglichen Formen, Farben und Ausführungen.

Als sie sich um 17.00 Uhr wieder verabschiedete musste ich ihr versprechen sie mal wieder besuchen zu kommen, um ihre neuen Errungenschaften zu begutachten.

Danach verkroch ich mich hinter den Vorhängen, auf meinem Fensterbrett mit einem Tee und einem guten Buch, die Abenteuer des David Balfour (ein Buch das viel zu wenige gelesen habe) und fühlte mich ein bisschen wie Jane Eyre, die sich vor ihren grausamen Verwandten versteckt. Natürlich waren meine Verwandten nicht grausam. Allerhöchstens Torben, aber der hatte sich heute wie ein Lämmchen verhalten, nachdem er seine Süßigkeiten bekommen hatte.

Ich war noch nicht sehr weit gekommen mit meinem Buch, weil ich mich irgendwie mal wieder nicht konzentrieren konnte. David Balfour saß gerade auf dem Berg und beobachtete mit flauem Gefühl im Magen das Haus Shaw, als mein Vater ins Zimmer kam und mich wieder komplett aus der Welt von schwarzer Tinte, Buchstaben und Wortmagie herausriss.

"April, da hat gerade jemand einen Brief durch den Türschlitz geworfen, auf dem dein Name steht. Muss ich da was wissen?", fragte er und klang tatsächlich nur neugierig und glücklicherweise nicht alarmiert.

Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte krampfhaft nicht rot zu werden, war mir aber sicher, dass ich dabei gerade kläglich scheiterte, denn meine Wangen brannten.

"Ist so ein Spiel zwischen mir und June.", versuchte ich mich herauszureden und mein Dad glaubte mir absolut kein einziges Wort.

Er zog die Augenbrauen hoch, reichte mir dann aber trotzdem den Brief.

"Wenn's was Ernstes wird, will ich ihn kennen lernen.", sagte er und verließ mein Zimmer wieder. Mein Gesicht fühlte sich an, als wenn es in Flammen stünde.

Das war eins der Dinge, die ich an meinem Dad liebte. Er bohrte nicht nach.

Ich betrachtete den Brief in meiner Hand und fasste unbewusst an die Kette die um meinen Hals hing.

Es war ein weiterer selbstgebastelter Briefumschlag auf dem in geschwungener Handschrift Für April stand.

Ich öffnete ihn.

April,

du fragst dich vielleicht woher ich weiß wo du wohnst, ich habe dich durch Zufall gestern aus diesem Haus kommen sehen und solltest du nicht hier wohnen hoffe ich das die Bewohner dir den Brief übermitteln, weil sie dich ja wenigstens kennen sollten, wenn du in eher privatem Outfit bei ihnen umgehst ;D

Ich habe gestern über Worte nachgedacht, die trauriger weise in Vergessenheit geraten.

Wie zum Beispiel Wildfang, Flegel, Bandsalat, Hupfdohle, Philister oder knorke.

Wobei meine Favoriten definitiv Hupfdohle und Philister sind.

Tolle Worte und sie rollen bestimmt gut von der Zunge.

Das hat aber nicht wirklich was mit dem Thema dieses Briefes zu tun.

Es ist Ostern, Jesus Auferstehung und der Tag, an dem kleine fette Kinder mit Süßigkeiten zugestopft werden, bis man sie nur noch durch die Tür rollen kann.

Natürlich macht man es ihnen nicht allzu leicht und versteckt diese Leckereien (noch ein vergessenes Wort!).

Ich habe es dir nicht zu leichtgemacht. Hoffentlich.

Ich mag Rätsel und deswegen bekommst du jetzt ein kleines Osterrätsel von mir.

Wenn du möchtest darfst du mich jetzt auch Evil Easter Bunny nennen.

Lew Tolstoj, das zweite 707 / 29 / 1 und 3

Cornelia Funke, das dritte mit dem Tod 249 / 12 und 13 / 10 und 2-4

Ursula Poznanski, es ist ein Spiel 280 und 281 / 31 und 1 / 10-12 und 1

Jane Austen, die nicht erwachsen werden wollte 190 / 40 / 1-2

Robert Louis Stevenson, du liest es 188 / 22 und 23 / 5-10 und 1-4

Charlotte Bronte, die Waise 432 und 433 / 35 und 1 / 6-9 und 1-3

Wenn du die Person bist für die ich dich halte, dann wirst du es leicht knacken.

Vice Versa

Jim

Ich grinste. Leichter hatte er es mir ja wohl nicht machen können. Es war ja wohl offensichtlich, dass es sich hierbei um das alte "Seite/Zeile/Wort"-Prinzip handelte!

Aber mir war nicht so richtig klar was er mit Lew Tolstoj der zweite meinte. Meines Wissensstandes nach, hatte Tolstoj nie ein Buch geschrieben, das der zweite hieß.

Ich brütete ein wenig darüber nach und überlegte sogar kurz Google zu fragen, entschloss mich aber dagegen.

Ich wollte das hier alleine knacken. Google zu benutzen hätte sich wie schummeln angefühlt und mir wahrscheinlich auch gar nicht viel gebracht. Er hatte immerhin geschrieben, dass er es mir nicht zu leicht gemacht hatte.

Was, wenn mit der zweite nicht der Name gemeint war?

Lew Tolstoj's erster großer Roman war "Krieg und Frieden", demnach müsste der zweite "Anna Karenina" sein.

Ich zog meine Taschenbuchausgabe aus einem der Stapel und schlug Seite 707 auf. Dann fuhr ich mit dem Finger die Zeilen hinab und schrieb dann die ersten zwei Wörter auf ein Blatt.

Zwei saßen

Ich fragte ich, was genau das zu bedeuten hatte. Zwei saßen war schließlich doch ziemlich schwammig. Welche Zwei? Und wo genau saßen sie? Warum saßen sie überhaupt?

Also suchte schnell das zweite Wort.

Cornelia Funke, das dritte mit dem Tod damit war hundertprozentig Tintentod gemeint.

Ich schaute auf Seite 249 nach.

noch als Schatten.

Ich war verwirrt. Meinte er damit, als Schatten ihrer selbst? Das sie noch nicht voll entwickelt waren, so rein geistlich. Oder waren es Schatten die dort saßen? Oder saßen sie im Schatten?

Ich suchte das nächste Buch.

Es ist ein Spiel.

Schnell rekapitulierte ich im Kopf alle Bücher, die ich bisher von der deutschen Schriftstellerin gelesen hatte.

Erebos von Ursula Poznanski. Das musste es sein. Ein anderes Buch von ihr, dass von einem Spiel handelte kannte ich sonst nicht und ich ging mal stark davon aus, dass es dieses Buch sein musste.

Jedenfalls hoffte ich es.

wie bei einem Vexierbild

Ein Vexierbild? Ich hatte das schon mal gehört. Es waren diese Bilder wo zwei Gestalten in einem waren. Wie dieses mit der jungen Schönheit und auf der anderen Seite die alte Frau.

Wollte er mit damit die Doppelsinnigkeit von irgendetwas bewusstmachen?

Ich beschloss aufzuhören mit dem Interpretieren und Herumgedeute. Das würde ja doch zu nichts führen, solange ich nicht den ganzen Rätseltext hatte.

Das nächste Buch war Jane Austen's Emma. Emma, die nicht erwachsen werden wollte und einfach nicht erkennen wollte, dass sie seit Ewigkeiten verliebt war.

Dieses Geschenk

Diese Worte verwirrten mich nur noch mehr. Wie eigentlich alles zuvor. Wäre ich nicht so leicht von Rätseln und Verschwörungstheorien zu begeistern gewesen, hätte ich jetzt mit Sicherheit aufgegeben. Aber es wäre doch gelacht, wenn ich dieses Rätsel nicht würde knacken können!

Das nächste Buch war zweifellos Die Abenteuer des David Balfour. Er musste mich im Bus damit gesehen haben. Es war zwar nur eines der Bücher, die ich im Augenblick las, aber es war das einzige, dass ich in der letzten Woche mit zur Schule genommen hatte.

hier ist zweifellos eine recht sonderliche Beschäftigung für dich.

Ich fragte mich ein bisschen warum er die Stelle gewählt hatte in der sich David mit Alan darüber unterhält wie er am besten das Brot und Käse Mädchen verführen kann und das er dafür nicht gut aussehen muss, sondern nur ihr Mitleid erwecken muss.

Je mehr ich darüber nachgrübelte, desto mehr Fragezeichen tauchten vor meinem inneren Auge auf und dann fiel mir wieder ein, dass ich beschlossen hatte nicht mehr nachzugrübeln, bevor ich den gesamten Text herausgefunden hatte.

Mit Charlotte Brontes Waise war ohne Zweifel Jane Eyre gemeint. Ich war ein bisschen überrascht, wie leicht es mir doch fiel, herauszufinden welche Bücher und Romane gemeint waren. Das lag vielleicht daran, dass ich einfach eine Leseratte war oder aber es hatte den Grund, dass das Herausfinden des Textes nicht das schwierige an diesem Rätsel war.

Vielleicht wollte er mich ja auch nur ärgern, in dem er es unmöglich machte den Rätseltext zu verstehen.

So oder so war Jane Eyre mein absolutes Lieblingsbuch für alle Zeiten.

Du brauchst keine Angst davor zu haben.

Die Worte stammten aus der Verlobungsszene des Romans. Jane Eyre und Mr. Rochester standen unter dem Baum und er macht ihr den lang ersehnten Antrag. Ich verlor mich kurz in den Zeilen und las viel zu weit und viel zu viel.

Das passierte immer wieder. Ich war einfach ein hoffnungsloser Büchernah und Jane Eyre hatte ich noch nie in die Hand nehmen und danach sofort wieder zurücklegen können.

Vielleicht ging es ihm ja genau so.

Ich konnte mir bei ihm auch nicht vorstellen das die Buchstellen zufällig gewählt waren.

Ich betrachtete das Gekritzel als Ganzes.

Zwei saßen,

noch als Schatten

wie bei einem Vexierbild

dieses Geschenk

hier ist zweifellos eine recht sonderliche Beschäftigung für dich.

Du brauchst keine Angst davor haben.

Ich zerbrach mir den Kopf, aber es wollte einfach keinen Sinn ergeben!

Ich hatte Recht gehabt. Er wollte mich einfach nur ärgern und mir ein bisschen Zeit klauen.

Oder er wollte mich dazu bringen, an ihn zu denken.

Na dann aber auch herzlichen Glückwunsch! Mission accomplished...

Allerdings hätte er mir dazu nicht mal ein Rätsel schicken müssen. Ich dachte ja eh an nichts Anderes als an ihn.

Meinte er mit den Schatten uns oder war es doch eine Metapher für irgendetwas anderes?

Da er mich in den letzten beiden Zeilen explizit ansprach, ging ich mal davon aus, dass ersteres zutraf.

Ich wendete mich den ersten drei Zeilen zu.

Zwei saßen

noch als Schatten

wie bei einem Vexierbild

Ein Vexierbild, war eine optische Täuschung. Hieß das, dass die Schatten nur eine Täuschung waren und sich darunter mehr verbarg?

Es war immerhin wahrscheinlich.

Was war eine sonderliche Beschäftigung für mich?

Sicherlich nichts Peinliches. Das tat ich ja oft genug.

Vielleicht irgendetwas ruhiges. Ein Ort, an dem man ruhig sein musste und nicht hektisch durch die Gegen wuselte?

Da fiel es mir plötzlich wieder ein.

Am Freitag, als wir in dem Café saßen lag auf einem der Sitze eine lokale Zeitung mit Groß-Überschrift.

Irgendeine Künstlerin, die mit Schatten und Täuschungen arbeitete kam hierher nach Sutton und es gab eine Ausstellung mit ihren Kunstwerken in einer kleinen, eher unbekannten Galerie.

Ich war ein bisschen beleidigt, dass er dachte ich könnte mir nicht in Ruhe und ohne etwas kaputt zu machen eine Kunstausstellung anzugucken, aber wenn ich recht überlegte, hatte er es ja so auch gar nicht gesagt. Das war wahrscheinlich der Fluch der weiblichen Überinterpretation.

Es wäre das erste Mal, dass ich eine Kunstausstellung besuchte.

Sofern ich mit meiner Vermutung richtiglag.

Aber wovor sollte ich denn keine Angst haben? Vor Liebe? Das war wohl leider nicht möglich! Ich hatte wahnsinnigen Schiss vor Liebe.

Zwei saßen

konnte nur wieder ein Hinweis auf unser Bushaltestellenhäuschen sein.

Da sprang mir die vorletzte Zeile seines Briefes ins Blickfeld.

Vice Versa?

War das irgendein Spruch aus der Barockzeit wie Carpe Diem? Oder irgendein komischer Gruß.

Ich googelte den Begriff.

Vice Versa = Das eine bedingt das andere.

Beispiel: Licht kann nicht ohne Schatten und Schatten nicht ohne Licht. Das eine ist im anderen verborgen.

Mein Kopf drehte sich. Wie sollte man denn dieses Rätsel bitte deuten?

Ich wurde ein bisschen ärgerlich. Er wollte mich sicherlich nur wütend machen und es steckte eigentlich gar nichts dahinter!

Da waren wieder der Schatten und die verborgene Täuschung. Ich war mir sicher.

Des Rätsels Lösung war eine Kunstausstellung. Alles andere machte keinen Sinn und bevor ich anfing über Illuminati nachzudenken, machte ich mich lieber auf den Weg zum Bushaltestellenhäuschen, in der Hoffnung ihn dort anzutreffen.

Ich schnappte mir meinen Regenmantel und die Gummistiefel und rief meinem Dad zum Abschied zu.

Ich joggte durch den Nebel, der sich durch meine Kleidung fraß und rannte fast gegen die Glasscheibe, weil ich sie nicht hatte kommen sehen.

Er saß auf der Metallbank und grinste ein fettes Wolfsgrinsen.

Ich verdrehte die Augen. Wie lange zum Teufel saß der Kerl denn bitte schon hier?

Langsam fing ich an ihn für einen gruseligen Stalker zu halten. Andererseits war ich hier diejenige, die abends zu einem Bushaltestellenhäuschen lief, weil sie vermutete eventuell einen Typen dort zu sehen. Wie lange hätte ich wohl hier gesessen und mir den Arsch abgefroren, wenn er nicht hier gewesen wäre?

Er sah nicht im Geringsten aus als wenn er fror.

Hast du es rausgefunden? Wollte er wissen.

Kunstausstellung? gestikulierte ich fragend.

Er nickte. Dann grinste er noch breiter.

Wusstest du, dass ich herkommen würde? wollte ich wissen.

Er schüttelte nur den Kopf.

Ich bin auf dem Weg zu Freunden. Ich hatte keine Ahnung, dass du hier auftauchen würdest. Deshalb hab ich ja meine Handynummer auf die Rückseite vom Brief geschrieben. erklärte er dann.

Da war eine Handynummer? fragte ich.

Natürlich Schlaukopf. Hast ja lange genug für mein Rätsel gebraucht. Dabei hat doch „Vice Versa" schon alles gesagt.

Ich schlug ihn leicht gegen die Schulter.

Zwei saßen noch wie Schatten buchstabierte ich umständlich und zog die Augenbrauen hoch.

Zur Antwort grinste er noch breiter. Ich hatte fast Angst seine Mundwinkel würden aufreißen und er würde sich in den Joker verwandeln und auch wenn ich Heath Ledger in anderen Rollen ziemlich heiß gefunden hatte, entsprach der Joker doch nicht so ganz meiner Vorstellung vom perfekten Typen.

Eine Weile saßen wir stumm nebeneinander und genossen die Anwesenheit des anderen.

Wann?  wollte ich irgendwann wissen.

Dienstag um 14 Uhr. antwortete er.

Ich lächelte und beugte mich dann einem Impuls folgend zu ihm und hauchte ihm ein kleines Küsschen auf die Wange.

"Danke, dass du dieses Ostern zum Verworrensten und Kompliziertesten seit langem gemacht hast.", flüsterte ich und obwohl ich wusste, dass er mich nicht hören konnte, hatte ich das Gefühl er würde genau verstehen, was ich ihm sagen wollte.

Ich stand auf, ließ ihn winkend am Bushaltestellenhäuschen stehen und flüchtete durch den Nebel zurück in mein Zimmer.

An diesem Abend lag ich einmal mehr lange wach und dachte über Schatten nach.


________

Himmel! Das war vielleicht eine schwere Geburt ich sags euch...

Seit 13 Uhr heute sitze ich jetzt an dem scheiß und bin alle drei Minuten von was anderem abgelenkt!

Aber jetzt habe ich es geschafft und wünsche euch ganz viel Spaß mit Aprils Ostersonntag.

_____

Schaut hier jemand Voltron? Ich bin sehr süchtig. Sehr, sehr süchtig. Wenn ihr auf Anime mit tiefgründigen und lieben Charakteren und ein bisschen Action, gepaart mit nem super genialen Zeichenstil und nem durchdachten Plot steht, dann schaut euch "Voltron - Legendary Defender" an!

Scheut euch bloß nicht mich privat anzuschreiben, um darüber zu reden und eure Theorien zu teilen!

Ich werde mich jetzt wieder zurück zu Klance (Keith und Lance sind soooooooo süß) Fanfictions begeben und wünsche euch einen schönen Montag Abend.

Jule


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