November

By schattengedanken

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"Kannst du die Musik lauter machen? Damit keiner hört, wie wir aneinander zerbrechen." Milo liebt November, N... More

November
Ruhelose Seelen
Blutrot
Narbenlabyrinth
Entglitten ( 1 )
Vodka Küsse
Morgen
Schwarze Audis und küssende Lippen
Ich bin eine Mörderin
Stirnküsse
Normal sein
Neue Wege
Mütter und andere Monster
Familie Schwarz
Abschied 1
Abschied 2
Abschied 3
Tanzen im Licht

Entglitten ( 2 )

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By schattengedanken

Meine Gedanken weckten mich, es war, als würden sie gegen meinen Schädel drücken, auf der verzweifelten Suche nach einem Ausgang.
Doch ich würde ihnen keinen Ausweg gewähren, keiner sollte sie kennen, ich wollte sie einfach ertränken, in einem Meer aus meinen eigenen Tränen.
Der Versuch, sich in den süßen Schlaf zu flüchten, schlug leider fehl.
Ich hielt meine Gedanken gefangen und sie mich.

Stöhnend öffnete ich die Augen, mein Blick glitt zu November, sie schien tief und fest zu schlafen. Aber dennoch machte ich mir Sorgen. Sie sah furchtbar aus. Ihr Gesicht war total geschwollen, ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht und sie lag seltsam abgeknickt da.
Es wirkte, als würde sie bei der kleinsten Berührung zerbrechen.

Plötzlich öffnete November ihre Augen und blickte mich an.
Ihr Blick war ein Meer von Gefühlen, Wut, Angst, Trauer und Schmerz tobten wie Sturm durch ihre Augen.

"Warum starrst du mich an?", fragte sie leise. Ihre Stimme klang rau und brüchig.
"Ich weiß es nicht. Ich mache mir Sorgen, ich...ich, keine Ahnung."
Milo, du bist ein Idiot, sagten meine Gedanken, und sie hatten recht, es war ja wohl nicht so schwer, einen vollständigen Satz zu bilden?!

November lachte, aber es klang hart und verbittert.
"Niemand macht sich Sorgen um mich, Milo, niemand."
"Doch, November, ich...", doch sie unterbrach mich.
"Nein, Milo. Lass mich allein, bitte."

Ich saß noch einen kurzen Moment da, betrachtete sie schweigend, dann stand ich auf, nahm meine Klamotten und verließ den Raum.
Ich wollte sie nicht alleine lassen. Ich wollte für sie da sein und meine Arme um sie legen.
Frustriert schlug ich gegen die Wand, wieder und wieder, bis meine Fingerknöchel aufplatzten.
Außer Atem ließ ich die Fäuste sinken und ging ins Bad.
Irgendjemand hatte November das angetan, irgendjemand hatte sie so zugerichtet und ich konnte nichts tun, nichts, nichts nichts nichts.
Ich stützte mich aufs Waschbecken und blickte in den Spiegel, mein Gesicht war zu einer wütenden Fratze verzogen, in meinen braunen Augen brannte ein Feuer, das ich nicht kannte und meine dichten dunkel braunen Haare standen in alle Richtungen ab.
Ich schloß die Augen und versuchte mein rasendes Blut unter Kontrolle zu bekommen.

Ich beschloss zu duschen und raus zu gehen, die Wände waren zu einem Gefängnis geworfen, das mich einengte und die Luft zum Atmen nahm.

Ich trat vor die Tür und atmete die kalte Luft ein, es war eine Wohltat.
Die frische Luft strömte durch meinen Körper und ich beruhigte mich.

Ich lief ziellos durch die Straßen, ich hatte keine Ahnung, wohin mich die Straßen führten, ich kannte diesen Stadtteil nicht, aber das war egal, so war mein Leben nun mal, ich war Orientierungslos, ohne Richtung und Ziel.
Ein trockenes Lachen drang aus meiner Kehle, ein Leben ohne Ziel und Sinn, ist das überhaupt ein Leben?
Ich dachte an die Zeit zurück, wo noch alles gut war, aber das lag so weit zurück. Mit siebzehn war ich von zuhause abgehauen, so voller Zuversicht, dass ich mein Leben in den Griff bekommen würde, so absurd, so dumm.
Doch diese Hoffnung hatte mich stets voran getrieben. Jetzt mit neunzehn sah das ganz anders aus, da war keine Hoffnung mehr, aus mir würde nichts mehr werden, ich bin ein Versager.

Mit einem Kopfschütteln versuchte ich die Gedanken aus meinen Gedanken zu vertreiben.
Ohne es zu merken war ich zu Novembers Haus gelaufen.
Ich stand vor der abgenutzten Tür, doch konnte sie nicht öffnen, mein Herz zog mich hinein, doch mein Körper wollte davon rennen.
Schließlich wand ich mich ab und folgte der Straße Richtung Bahnhof.
Ich holte mein Portmonee aus der Tasche, ich besaß noch ganze 5€.

Frustriert ging ich zum Bankautomat, steckte meine Karte ein und checkte meinen Kontostand 3605€.
Meine Mutter überwies mir also immer noch Geld.
Ich hasste dieses Geld, ich wollte es nicht, sie hatte mich für das Geld geopfert.
Ich schlug gegen den Automaten, entschied mich dann aber doch dafür, Geld abzuheben.
Ich steckte die Scheine in meinen Geldbeutel und ging mir was zu essen kaufen.

Fünf Cheeseburger später fühlte ich mich immer noch genauso leer wie vorher.
Ich wusste nicht, wann leer zu einem Gefühl wurde, dass ich schon so lange in meinem Brustkorb trug.
Es hatte was lähmendes und es machte mir Angst.
Er ist schuld, er hat dich zerbrochen, jeden Abend aufs neue.
Ich raufte mir die Haare, mein Kopf hatte recht, aber es war vorbei ich war älter und ein ganz anderer Mensch.

Ich lief vom Bahnhof weg, erst langsam, dann schneller, zum Schluss rannte ich.
Ich rannte, bis meine Lunge brannte und ich das Gefühl hatte, dass meine Beine zu schwach waren, um mich zu tragen.
Der salzige Geschmack von Tränen hing an meinen Lippen, ich versuchte ihn zu vertreiben, dieses Geschmack von Schmerz und Leid.

Das Problem am weinen ist, dass, nachdem die letzte Träne versiegt ist, sich ein Gefühl ausbreitet, dass traurig und süchtig zu gleich macht.

Erschöpft sank ich auf den Boden. Seit langer Zeit hatte ich diese Ausbrüche nicht mehr gehabt, doch nun fühlte es sich an, als wären alle Narben wieder aufgerissen.
Ich atmete ruhig und Stille kehrte in meinem Kopf ein.
Es ist vorbei.
Die Gewissheit tat gut.
Alles wird gut.
Ich lächelte, bestimmt. Bestimmt würde irgendwann alles gut werden.

Ich stand schwerfällig auf, keine Ahnung, wo ich war. Aber es war mir egal.
Langsam begann es zu dämmern, ich war einen ganzen Tag durch Straßen gehetzt.
Doch nun ging es mir besser.
Ich war immer noch leer, aber es war eine angenehme Leere.

Ich versuchte meinen Weg zurück zu finden und nach einigen Verirrungen und Umwegen gelang mir das auch.
Erschöpft stand ich schließlich in Novembers Flur und atmete den Geruch nach ihr, Minze und Zigaretten ein.

"Milo?"
November trat aus der Küche und sah mich an.
Ich nickte nur.
Wir standen einfach nur da, unsere Blicke tasteten sich ab und versuchten den anderen zu erfassen.
Doch das war bei November nicht möglich.
Selbst wenn man sie stundenlang betrachtete, wüsste man noch lange nicht, wer sie ist.
Sie war wie ein Puzzle.
Ein Puzzle von einem blauen Himmel mit 10000 Teilen.

November kam auf mich zu und umarmte mich.
Vor Erstaunen stand ich einige Sekunden einfach nur da.
Ich konnte diese Umarmung nicht einordnen, war es die Suche nach Trost? Oder Mitleid?
Vorsichtig legte ich meine Arme um sie.
"Es tut mir leid, Milo. Ich weiß, ich entschuldige mich schon wieder. Mein Verhalten war nicht in Ordnung. Du wolltest mir helfen und ich habe diese Hilfe mit Füßen getreten, aber das war nicht meine Absicht. Ich bin ein schrecklicher Mensch, es tut mir leid."
Ihre Stimme war zum Schluss nur noch ein leises flüstern.
Ich zog sie ein bisschen näher an mich ran und vergrub mein Gesicht in ihren Haaren.
Ich wollte nicht reden, ich wollte einfach nur hier stehen und ihre Nähe genießen.

Nach einer Ewigkeit löste sich November von mir, "es tut mir wirklich leid."
Ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.
Erstaunt blickte sie mich aus ihren blauen Augen an.
"Es ist okay."
Ich musste den Drang sie zu küssen unterdrücken.
Noch nie hatte ich mich so zu einem Mädchen hingezogen gefühlt, aber sie war was besonderes.
Sie war ein Mensch mit tausend Facetten und ich wollte sie alle kennen lernen.
Wie gingen ins Wohnzimmer und setzten uns auf die Couch. Als ich meinen Arm um sie legte, spürte ich, wie sie zusammenzuckte.
"Alles gut?"
Sie nickte, aber als ich an ihr hinunter blickte bemerkte ich, dass der schmale Streifen haut zwischen ihrer Jeans und dem Pullover lila-blau schimmerte.
Bevor sie etwas tun konnte, zog ich den Pullover ein Stück weiter hoch, ihre rechte Seite war übersät mit blauen Flecken.
Ich atmete tief ein, wer hatte das getan?
"Was ist passiert?"
November schwieg.
"November, rede mit mir."
"Mein Leben entgleitet mir, Milo. Es rinnt mir wie Sand durch die Finger."
Ich konnte mit diesen Worten nichts anfangen. Sie schienen seltsam Zusammenhangslos, doch es war wohl die einzige Erklärung, die ich bekommen würde.
Seufzend legte ich meinen Kopf auf die Sofalehne und sah November einfach nur an.
Dieses Mädchen faszinierte mich, das hatte sie von der ersten Sekunde an.
Ich strich ihr vorsichtig eine Strähne aus ihrem Gesicht und mein Finger strich über ihre Wange, ihre Haut war so weich.
Ein leichtes Lächeln lag auf Novembers Lippen, ich wollte mich vorbeugen, wollte sie küssen, doch hielt ich mich zurück, ich wollte sie nicht verschrecken.
"Woran denkst du grade?", fragte mich November.
"An alles und an nichts", sagte ich und lächelte.
"Bin ich auch ein Teil von alles und nichts?"
"Natürlich", meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
November legte ihren Kopf gegen meine Brust, sanft strich ich über ihr Haar, über ihren Nacken und schließlich über ihren Rücken. Es fühlt sich so gut an, ihre Nähe war wie Balsam für meine strapazierte Seele, ich wollte, dass es für so bleibt, dass die Zeit in genau diesem Moment stehen bleibt.
Tatsächlich schien die Zeit für einen kleinen  Moment stehen zu bleiben, doch dann durch brach ein Magenknurren die Stille.
"Hast du Hunger?", fragte ich November.
Diese antwortete nicht sondern nickte nur gegen meine Brust.
Ich hielt sie noch ein paar Sekunden im Arm, dann löst ich mich von ihr.
"Wollen wir was bestellen? Die Küche gibt nicht mehr viel her, befürchte ich."

"Ich hab kein Geld mehr...", November senkte ihren Blick.
"Ich habe, wonach ist dir?"
"Ich weiß nicht, chinesisch vielleicht. Ich kann dir die Karte geben."
Sie griff unter die Couch und zog einen Flyer von einem chinesischen Lieferdienst hervor.
"Ich esse immer Frühlingsrollen."
Ich nickte und bestellte, für sie die Frühlingsrollen, für mich Ente mit Reis.
Als ich auflegte war November im Bad verschwunden, es war seltsam, mal war sie mir so nah, dann wieder unglaublich weit weg.
Als würde sie mir immer wieder entgleiten.

Nach dem Essen setzten  wir uns zusammen auf die Fensterbank, tranken Tee und rauchten, es war schrecklich kalt, aber November schien es nichts auszumachen.
"Vermisst dich eigentlich keiner?", fragte sie mich.
"Vermutlich nicht, nein."
"Also hast du noch Familie?"
"Ja."
Eine Pause entstand.
"Warum gehst du dann nicht zurück?"
Ich schwieg. Ich wollte nicht über meine Vergangenheit reden, wollte nicht, dass wie am Morgen alles wieder hoch kam.
"Wie sieht es bei dir aus?", stellte ich ihr die Gegenfrage.
"Die sind tot."
"Oh, das tut mir leid."
Mir stieg die Röte ins Gesicht, mal wieder war ich voll ins Fettnäpfchen getreten, aber das war ja auch kein Wunder, dafür hatte ich nämlich echt Talent.
"Ihr Tot ist eine Bereicherung."
Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette, dann schnipste sie sie nach unten auf die Straße.
"Komm, es ist kalt."
Sie schlüpfte ins Zimmer und ich tat es ihr gleich. Zusammen schlossen wir die Fenster und machten sie Heizung an.
"Was hältst du von Baden?"
Erstaunt blickte ich sie an, "wie kommst du denn jetzt darauf?"
November errötete leicht, "ich hätte da grade Lust drauf."
"Ähm...dann geh doch."
Novembers Wangen wurden noch röter, "kommst du mit?"
Jetzt schoss auch mir das Blut in die Wangen, meinte sie das ernst?
"Uhm...ja...klar."
"Gut."
Sie packte meine Hand und zog mich ins Bad.
Dort ließ sie Wasser in die Wanne und gab Schaum dazu.
"Du gehst zu erst rein, ich mache die Augen zu, dann machst du sie zu und und ich komme rein, okay?"
Ich nickte nur. Sie legte die Hände über die Augen und ich zog mich aus, dann glitt ich in das warme Wasser und schloss die Augen.
Es dauerte kurz, dann spürte ich, wie sie neben mich ins Wasser glitt, ich öffnete die Augen, sie saß neben mir, dass Wasser ging ihr bis zu den Schlüsselbeinen und ihre blauen Augen blitzten mich an.
Ich lächelte und legte den Kopf zurück.
Alles würde gut werden.
In Momenten wie diesen glaubte ich das sogar.

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