Amina blieb bei Severus im Büro. Sie machte es sich auf einem Stuhl ihm gegenüber bequem. Sie hatten beide noch Aufsätze zu korrigieren und genossen die Gesellschaft des anderen. Das ganze Schuljahr mussten sie solche Momente nutzen. Anders hätten sie keinerlei gemeinsame Zeit gehabt.
Nach etwa einer Stunde wurde die angenehme Stille durch ein hysterisches Klopfen unterbrochen. Malfoy schien etwas Dringendes von Severus zu wollen. Amina konnte durch die Tür den Gedanken: „Jetzt ist Potter dran." hören. Was hatte der Junge denn jetzt schon wieder angestellt? „Herein.", bat Severus in genervtem Ton. Die Tür schwang sofort auf und der blonde Schüler trat ein. Er erzählte, dass er sich mit Potters Freund unterhalten habe, als ihm ein Matschball im Genick traf und dass er Potters Kopf gesehen habe. Amina konnte sich denken, was passiert war. Potter hatte sich irgendwie aus dem Schloss geschlichen. Bedachte man, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte, wusste sie auch wie.
Severus entschuldigte sich bei ihr und eilte aus dem Raum. Er wollte Potter offensichtlich auf frischer Tat ertappen und war zudem sauer, dass der Junge sämtliche Schutzmaßnahmen mit Füßen trat. Der junge Malfoy sah sie mit wissendem Blick an. Amina hätte sich denken können, dass Lucius seinem Sohn von ihr und Severus erzählte. „Richten Sie ihren Eltern einen schönen Gruß von mir aus, Mr. Malfoy.", sagte sie zu ihm und winkte ihn dann davon. Mit einem überheblichen: „Mach ich, Frau Professor." verschwand der Slytherin.
Wenig später kam Severus gefolgt von Potter in das Büro. Dieser schien nicht so erstaunt sie hier vorzufinden, wie er eigentlich sein sollte. Sie bemerkte, dass sein Blick zwischen Severus und ihr hin und her huschte. Dann kam er zu dem Schluss, dass sie sich mit dem Tränkemeister gegen ihn verschworen hatte. Seinen Hass konnte sie fast schon greifen. Nie würde er auf den Gedanken kommen, sie würden ihm helfen. Sie hatten in den letzten Jahren ganze Arbeit geleistet. Auch wenn Amina selbst eher wenig dafür getan hatte.
Severus forderte den Jungen auf, seine Taschen zu leeren. Unter einigen Scherzartikeln befand sich auch ein altes Stück Pergament in den Taschen. Amina musterte es interessiert, hielt sich aus dem Wortgefecht jedoch raus. Severus konnte das auch ohne Hilfe. Sie bemerkte, dass Potter das Pergament in Gedanken als Karte betitelte. Eine Karte? Von Hogwarts etwa? Wofür brauchte er die? Er kannte sich doch hoffentlich nach drei Jahren in dem Schloss einigermaßen aus. Oder war diese Karte etwa mehr als ein einfacher Lageplan?
Severus bearbeitete das Pergament, um herauszufinden, um was es sich handelte. Erst als er sich als Oberlehrer betitelte und dem Blatt mit einem Schlag seines Zauberstabs befahl, sich zu offenbaren, erschien eine Schrift. Es musste sich um einen Abwehrmechanismus handeln, denn das Papier oder vielmehr ein gewisser Mr Moony bat Severus, sich aus den Angelegenheiten anderer herauszuhalten. Severus blick verfinsterte sich. Bei Potter wechselten sich Erstaunen und Panik ab. Dann erschien ein weiterer Schriftzug und nach diesem noch zwei weitere. Bei einem der Namen runzelte sie die Stirn.
Mr. Tatze, stand da. Es musste sich um Black handeln. Nannte Remus seinen alten Freund nicht so an Halloween? Dann war er bestimmt Moony und Potter und Pettigrew waren die anderen beiden. Auch von Severus konnte sie wahrnehmen, dass er die Namen erkannte. Er schien auch zu vermuten, um was es sich bei dem Papier handelte, und fasste einen Entschluss mit dem Amina nicht gerechnet hatte. Er holte Remus zu sich in das Büro. In voller Gewissheit, dass dieser Potter und die Karte schützen würde. Amina hielt ihn nicht auf. Sie wusste schließlich immer noch nicht, was es mit dieser Karte auf sich hatte.
Der Werwolf hingegen schien genau zu wissen, was das für ein Stück Pergament war. Sie konnte hören, wie er dachte: „Wie kommt der Junge an unsere Karte?" Der schäbig gekleidete Professor richtete seinen Blick forschend auf sie. Er war unsicher, ob sie eine Lüge seinerseits enttarnen würde. Sie nickte ihm hinter Severus und Potters Rücken wohlwollend zu. Erst dann zog er sich eine Geschichte über einen Scherzartikel aus den Fingern. Severus widersprach ihm, um den Schein zu wahren, doch der Braunhaarige nahm nach einigen Worten sowohl Potter als auch die Karte mit.
Severus schnaubte abfällig. „Warum bringt dieser Dummkopf sich eigentlich immer in Gefahr?", zischte er. Amina antwortete ihm nicht. Erst als er sich zu ihr umdrehte, fragte sie ihn: „Was war das für eine Karte?" Er zog eine Augenbraue hoch. „Du weißt, dass es eine Karte war, und sagst nichts?" „Du schienst so, als wüsstest du es. Außerdem hast du Remus doch nur geholt, damit er Potter vor uns rettet. Oder liege ich damit falsch?" Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht ganz. Ich wusste nicht, was genau es ist. Ich habe Potter und seine Freunde öfter damit gesehen und die Namen haben sie oft untereinander benutzt. Aber was genau die Karte kann, außer mich zu beleidigen, weiß ich nicht.", gestand er. „Der Werwolf wird besser entscheiden können, ob Potter das Ding braucht oder nicht." „Du vertraust auf die Einschätzung von ihm?" Amina sah ihn ungläubig an. Er kräuselte zornig seine Lippen. „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig." Damit war das Gespräch beendet.
Die Wochen vergingen wie im Flug. Aminas Problem wurde mit jedem Tag schlimmer, doch sie hatte mehr über die Seromentik herausgefunden und würde in den Osterferien allein in ein abgelegenes Haus der Flamels reisen, um sich in dieser Fähigkeit zu unterrichten. Sie hatte mit ihrem Urgroßonkel bereits alles Wichtige besprochen. Er ging nicht davon aus, das Pettigrew in ihrer Abwesenheit etwas unternehmen würde. Beiden war es das Risiko wert, dass er es doch tun würde, denn es ging um Aminas Gesundheit.
Mit der Seromentik konnte sie ihren eigenen Geist einsperren und nach Belieben entscheiden, ob sie ihn freilassen wollte oder nicht. Kein Wunder, dass diese Fähigkeit unbekannt war. Sie würde nur von Legilimentoren gebraucht werden, welche ein ähnliches Problem hatten wie Amina. Sie war sich zwar noch nicht sicher, ob sie es hinbekommen würde, ihre Okklumentik parallel zu der Seromentik aufrecht zu erhalten, doch sie würde es probieren und dafür musste sie allein sein. Auch Severus durfte sie nicht begleiten, so sehr er dies auch mochte. Er wurde außerdem im Schloss gebraucht. Seitdem die Sicherheitsvorkehrungen verschärft wurden, hatten die Lehrer keine freie Minute mehr. Sie hasste Black regelrecht für seine Dummheit und den Egoismus, den er an den Tag legte.
Sie gab den Lernenden über die Ferien viel zur Prüfungsvorbereitung auf, so wie in jedem Jahr. Die Lust, das Ganze später zu korrigieren, fehlte ihr gänzlich.
Am ersten Tag der Osterferien verabschiedete sie sich dann von Albus und Severus und reiste in das verlassene Haus. Lediglich Bess begleitete sie, damit sie sich melden konnte, falls sie Hilfe bräuchte.
Am letzten Tag reisten sie wieder an. Die Wochen waren anstrengend und trotzdem erholsam für sie. Kein Mensch war ihr begegnet und sie konnte sich ganz auf sich konzentrieren. Die Flamels waren so freundlich und hatten Verpflegung für sie bereitgestellt und auch dafür gesorgt, dass das Haus bewohnbar war. Sie hatten es schon einige Jahre nicht mehr genutzt. Es lag abgeschieden in den schottischen Highlands. Eine wundervolle Gegend, die der von Hogwarts nicht unähnlich war. Schließlich lag die Schule am Rande der Highlands in den Lowlands. Egal wohin man sah, es war grün und einsam. Dies wiederum hatte Bess nicht gefallen. Die Eule hatte sich wohl in ihrem Zwangsurlaub gelangweilt und war umso begeisterter, wieder in Hogwarts zu sein.
Mit der Seromentik kam die Alchemistin trotzdem nur bedingt weiter. Da es über diese Fähigkeit so gut wie keine Aufzeichnungen gab, musste Amina sich das meiste selbst denken. Sie schrieb diese Dinge aber akribisch auf, um später noch zu wissen, was sie gemacht hatte und ab welchen Punkt sie etwas verändern musste, sollte etwas schief gehen.
Als sie in Hogwarts ankam, bemerkte sie die vielen Geister der Menschen und Tiere sofort. Gleichwohl sie nicht so viele Gedanken und Gefühle wahrnahm wie vor ihrer Abreise, waren es immer noch zu viele, als dass sie keine Kopfschmerzen davon bekam. Sie hatte noch einen langen Weg vor sich, bis sie wieder auf dem Wahrnehmungsniveau zurückgekehrt war, dass sie am Anfang des Schuljahres hatte.
Am Abend ihrer Ankunft hatten Severus und sie frei. Was für beide bedeutete, dass sie sich bei Amina trafen, um ihn gemeinsam zu verbringen. Amina öffnete gerade ein Fenster um Bess, die gerade erst aufgewacht war, in den Abendhimmel entlassen zu können, als Severus mit einem leisen Zischen aus dem Kamin trat. Sofort richtete Bess ihren Blick auf den Tränkemeister und schon war die Eule mit einem begeisterten Ausruf auf ihn zugeflogen und begrüßte ihn überschwänglich. Erst nach mehreren Minuten schaffte er es, die Eule zu beruhigen und davon zu überzeugen, dass er nicht sofort wieder verschwindet. Zufrieden flog Bess daraufhin aus dem Fenster.
Amina, die sich in der Zeit auf ihr Sofa niedergelassen hatte, schüttelte belustigt den Kopf, stand auf und lief auf ihren Freund zu. „Darf ich dich auch begrüßen oder hast du genug davon?", fragte sie amüsiert. Severus zog einen Mundwinkel nach oben. „Wenn du mich nicht auch anspringst.", sagte er und strich sich die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht, die durch Bess' stürmische Begrüßung ihrem ursprünglichen Platz verlassen hatten. Sie ging auf den Schwarzhaarigen zu und umarmte ihn. „Ich habe dich vermisst.", flüsterte sie in sein Ohr. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. „Ich dich auch.", flüsterte er zurück. Dann lockerte er die Umarmung etwas, um ihr in die Augen zu sehen.
„Geht es dir besser?" Er klang besorgt. Sie nickte. „Ja, etwas. Seromentik ist nicht leicht und ich werde einiges an Übung brauchen, aber es war ein Anfang. Außerdem sind eine Millionen Feldmäuse um einiges leiser als eine Schule voller Menschen. Vielleicht sollten wir im Sommer ein bisschen Urlaub dort machen. Der Meister würde uns das Haus bestimmt eine Zeit lang überlassen.", sagte sie und sah ihn liebevoll an. Er nickte zustimmend und zog sie mit sich auf das Sofa.