Im Schatten des Phönix

By Cliffhouse

3.1K 489 1K

(AMBY AWARD WINNER 2023) Kira macht in Pompeji einen überraschenden Fund und gerät darauf in den Fokus einer... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40

Kapitel 33

53 8 6
By Cliffhouse

Kira packte ein Tau, stieß sich von der Plattform ab, schwang sich in einem Bogen durch die Luft und kam mit den Füßen voraus vor Eleonora auf dem Boden zu stehen.

Eleonora strahlte übers ganze Gesicht „Kira, du bist soweit!", jubelte sie. „Du machst das richtig gut mittlerweile. Jetzt ist Ombrine mit ihrem Schutzwall an der Reihe."

Kira atmete schwer. Stolz erfüllte sie, wenn sie daran dachte, was sie alles gelernt hatte. Es war eine lange und intensive Trainingsphase gewesen und oft hätte sie sich am liebsten irgendwo zwischen den Farnen verkrochen und Eleonora ohne sie an Tauen und Stricken herumwirbeln lassen, statt ihren leichtfüßigen Schrittfolgen zuzuschauen und sich zu sagen, dass sie das nie im Leben schaffen würde.

Irgendwann hatte sie der Ehrgeiz gepackt und sie schaltete ihre schreienden Muskelkater-Schmerzrezeptoren aus und übte einfach weiter. Und sie wurde besser. Sie wurde sogar richtig gut. Das merkte sie einerseits daran, dass es sich auf einmal flüssiger anfühlte, wenn sie sie zwischen verschiedenen Positionen wechselte, Handgriffe durchführte und ihre Füße setzte, andererseits aber auch daran, dass sie immer weniger außer Puste kam.

Hatte sie anfangs noch wie ein Sack an einem der Seile gehangen und war ziemlich unelegant auf den Boden geplumpst, beschrieb sie jetzt durch die Luft fliegend mit durchgedrücktem Rücken einen Bogen und landete auf beiden Füßen.

„Was ist ein 'Schutzwall'?", fragte sie Eleonora neugierig.

„Das kann dir Ombrine erklären. Der Schutzwall erfordert einiges an Geschick. Sie ist die Beste dafür."
*

Ombrine, groß und schlank, stand in ihrer grauen Wolljacke, die ihr bis zu den Knien reichte, mit ihr unter der großen Buche.

„Der Schutzwall kostet Kraft", erklärte sie ihr, „doch du kannst bei einigen Gelegenheiten verwenden. Er umschließt dich mit einer ringförmigen Kuppel und lässt sich in Sekunden errichten, er wehrt giftige Nebel, sowie Kugelhagel oder auch Lichtpfeile ab. Vor allem kommt er zum Einsatz, wenn du nicht weißt, aus welcher Richtung der Feind angreift, wenn du in die Enge getrieben wirst oder dich gegen eine Vielzahl an Angreifern wehren musst. Du kannst ihn breitwandiger oder größer machen, doch musst du wissen, dass es dich in diesem Fall auch mehr Kraft kostet. Starke Lichthüter, die routiniert sind, schaffen es, einen doppelten Schutzwall aufzufahren, doch birgt dies auch gewisse Gefahren."

Kira sah sie ängstlich an.

Ombrine seufzte. „Nun ja ..., wahrscheinlich ist es besser, du weißt Bescheid ... Ein doppelter Schutzwall kann in Flammen aufgehen und die Person, die er eigentlich schützen soll, mit verbrennen; es kann sich ein aufsteigender Feuerpilz bilden oder das hineingeleitete Licht hat zu wenig Platz und die gesamte Struktur explodiert – in der Praxis hatten wir das glücklicherweise nur sehr selten."

„Äh, ich denke, ein einziger Schutzwall reicht mir völlig", platzte Kira eilig heraus.

Ombrines Miene blieb ausdruckslos. „Auch wenn du den doppelten Schutzwall erst mal nicht anwenden wirst, ist es gut, die Details zu kennen." Sie verzog die Mundwinkel zum Hauch eines Lächelns. „Aber keine Angst, ich zeige dir, wie alles geht. Kommen wir also erst Mal zum normalen Schutzwall ..."

Sie stellte sich aufrecht hin, strich dann mit beiden Händen die langen glatten, grauen Haare hinter die Ohren und sah konzentriert geradeaus. Dann warf sie Kira einen kurzen Seitenblick zu. „Konzentration ist alles", sagte sie, schloss die Augen und legte die Hände vor der Brust wie zum Gebet zusammen.

„Es muss aus dir kommen", sagte sie. „Du kannst die Energie des Feuervogels tief in dir finden. Dort musst du sie holen."

Sie ließ eine Lichtkugel in ihren gefalteten Händen entstehen, strahlend und hell, und gerade als Kira geblendet die Augen abwenden wollte, riss Ombrine die Hände auseinander und führte sie in einem reißenden Bogen um sich herum. Es war, als ließe sie einen Wasserfall um sich herum entstehen. Das Licht strömte, blitzschnell und mit immenser Kraft, in alle Richtungen, sodass sich eine Art Kuppel um Ombrine bildete, hinter der sie wie hinter einer flüssigen Wand aus Licht stand.

Kira stand wie gebannt. „Das ist ... beeindruckend", brachte sie hervor. „Aber das werde ich nie hinkriegen."

„Doch, das wirst du, das wirst du", entgegnete Ombrine gelassen, erhob dann eine Hand, fasste in den fließenden Strom und zog die Lichtmassen wieder herunter, als ziehe sie einen Reißverschluss auf.

„Du hast den Vorteil, dass du Training bekommst. Die Technik hat sich über Jahrhunderte hinweg verfeinert, wohingegen Korbinian immer noch bei seinen primitiven Dunkelpfeilen und Schwarznebel geblieben ist."

Kira schluckte. Ihr Mund war plötzlich staubtrocken. „Trotzdem hoffe ich, dass ich nie gegen ihn kämpfen muss", würgte sie heraus. „War er nie hier in der Ausbildungsstätte?"

Ombrine schüttelte resolut den Kopf. „Natürlich nicht. Wie sollte er?"
*

Kira hatte schon befürchtet, dass die goldschimmernden Muster auf ihrer Haut für immer bleiben würden. Eigentlich sah es ja auch schön aus. Irgendwie hatte sie sogar angefangen, sie zu mögen. Doch nach drei Tagen im Wald begannen die geschwungenen Linien zu verblassen. Noch ein paar Tage später war nichts mehr davon zu sehen. Als sie einen Hauch Enttäuschung darüber verspürte, war sie selbst überrascht.

Übrig geblieben waren nur ein paar einzelne, golden schimmernde Strähnen in ihrem Haar, die auch bei festem Rubbeln im eiskalten Brunnenwasser ihren Farbton nicht verloren.

„Als hättest du sie gefärbt", meinte Joella.

„Nur schöner", sagte Lian und errötete leicht. Kira brummte nur etwas Unverständliches. Seit der Cavea gab es ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen. In ihren Gesprächen ging es nur darum, wer kochte oder beim Abwasch half, wer die Hühner fütterte oder wo die Blitzschleuder aus einem Zimmer hingekommen war. Sie wich ihm aus, so gut es denn möglich war. Und es war leicht möglich. In dem riesigen Haus mit seinen Gängen und Zimmern, dem Wald mit seinen versteckten Pfaden, Seilbrücken und Plattformen war es ein Leichtes, sich aus dem Weg zu gehen. Lian schien penibel darauf bedacht, ihr Freiraum zu lassen und sie nicht zu bedrängen. Vielleicht nervte ihn ihre abweisende Art ja auch. Doch seine frech-arrogante Art ihr gegenüber war verschwunden, was sie manchmal geradezu vermisste. Dabei war er immer freundlich zu ihr, ja, direkt aufmerksam, und oft ertappte sie ihn dabei, wie seine Augen auf ihr lagen. Sobald sie dies merkte, war es, als würde ihr Herz zwischen zwei Spanplatten gepresst. Dann wandte sie den Blick ab und suchte sich schnellstmöglich etwas, womit sie ihre Hände beschäftigen konnte.

Manchmal sah sie ihn auch draußen sitzen, allein, in die Luft starrend, als gäbe diese ihm einen unsichtbaren Halt. Eine unüberwindbare Barriere hielt sie jedes Mal davon ab, zu ihm zu gehen. Sie merkte, wie sie ständig damit beschäftigt war, ihren Gefühlen für ihn nachzuspüren. Doch es war schwer, sich in ihrem Gefühlslabyrinth zurechtzufinden, es war ein Gewirr aus verschlungenen Wegen, teilweise von Gestrüpp zugewachsen und von Unkraut überwuchert wie Milas Gemüsebeet hinterm Haus.

Immer noch hallte das schmerzhafte Gefühl des schmählichen Verrats in ihr nach. Sie glaubte nicht, dass sie es je vergessen konnte. Lians fanatischer Glaube an die sektenhafte Vereinigung der Scuros und das unreflektierte Nachbeten von Dogmen war zum Glück Vergangenheit und er verlor kein Wort mehr darüber. Sie hätte seine früheren Anschauungen und seinen Verrat gerne auf die Müllhalde der Geschichte geworfen und nur noch an seinen mutigen und selbstlosen Einsatz bei ihrer Befreiung gedacht, - doch sie schaffte es nicht.

Lian war komplizierter als jeder andere Junge, den sie je kennengelernt hatte. Sie hatte seine Schattenseiten schon immer gespürt und war unmittelbar und grausam damit konfrontiert worden. Auch wenn er jetzt freundlich und nett war, - es war einfach nur verdammt schwer, jedes Mal, wenn sie ihn sah, an alles, was passiert war, denken zu müssen.
*

Sie war oft unruhig und nervös.

Irgendwann, es musste ungefähr eine Woche sein, nachdem sie bei den Drei Schwestern angekommen waren, lag sie abends im Bett, wälzte Gedanken im Kopf hin und her, wusste dass es nichts brachte und merkte, dass es mit Schlafen erst mal nichts werden würde. Wenn sie daran dachte, dass Joella im Zimmer nebenan schon tief und fest schlief und wahrscheinlich von Jonathan träumte, machte sie das nur noch gereizter. Also stand sie noch einmal auf, tappte barfuß durch die Gänge und trat vor die Haustür. Der Wald hatte immer eine beruhigende Wirkung auf sie, und sie horchte in die Nacht hinein, hörte auf das Blätterrascheln, sog die frische, kalte Luft ein und merkte, wie sie ruhiger wurde. Vielleicht würde doch noch alles gut werden. Da sah sie ihn am Stamm der Buche sitzen.

„Kannst du auch nicht schlafen?", fragte sie ihn leise, um ihn nicht zu erschrecken.

Er wandte den Kopf. Sein Blick war vorsichtig. Langsam nickte er.

Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander.

Dann brach es ohne jeglichen Übergang aus ihr heraus: „War alles gelogen?"

Die Wipfel der Bäume über ihnen rauschten sacht, irgendwo im Wald rief ein Waldkauz einen sehnsüchtigen Ruf, ein anderer antwortete. Kira streckte die Hand nach einem weichen Moosbüschel aus und fuhr mit den Fingern nervös darüber. Sie fröstelte. Am liebsten wäre sie aufgestanden und wieder in Licht und Wärme des Hauses zurückgegangen.

Leise stockend suchte Lian seine Worte, so als bewege er sich auf einer Eisfläche, wo er jeden Moment auf die Nase fallen könnte.

„Weißt du, ich wollte nicht ..." begann er. Seine Stimme klang trostlos. „Ich studiere wirklich Jura. Ich ...Es tut mir so leid, Kira. Du hast das Recht, mich zu verurteilen und ich erwarte nicht, dass du mich verstehst, aber bitte, hör mir einfach zu..." Er brach ab und sah sie an, das Gesicht voller Schmerz. Dann nahm er einen neuen Anlauf: „Ich wusste es nicht, aber früher hatte ich einen roten Faden in meinem Leben. Das waren meine Eltern. Als sie starben, war es, wie wenn dieser Faden gekappt worden wäre. Plötzlich hatte ich keinen Boden mehr unter den Füßen, ich hatte nichts mehr, woran ich mich festhalten konnte. Onkel Magnus hat meine Studiengebühren übernommen, er hat mir von den Scuros erzählt und davon, dass meine Eltern treue Anhänger waren. Ich staunte und meinte, über meine Eltern etwas zu erfahren, das ich noch nicht wusste. Magnus sagte, dass es das Recht der Scuros ist, sich tausendfach zurückzuholen, was ihnen vor Jahrhunderten geraubt wurde. Es ging um Gerechtigkeit, um Ländereien und Macht. Ich war wie blind. Indem ich zu den Scuros ging, wollte ich meinen Eltern nahe sein. Ich wollte spüren, was sie gespürt hatten und glauben, was sie geglaubt hatten. Ich schwor den Scuros Treue. Ich habe geglaubt, was mir Magnus erzählt hat."

Kira schluckte.

„Als ich von der Organisation meine erste Aufgabe zugeteilt bekam, - eine Art Aufnahmeprüfung, um mich zu beweisen - war ich stolz. Man hat mich nach Neapel geschickt, um eine Person zu beschatten. Magnus war schon dort. Es hieß, jemand hätte einen Phönix gefunden und würde ihn für die Liga der Lichthüter beschlagnahmen wollen. Eine Krähendrohne hatte es gefilmt. Erst am Flughafen bekam ich übers Handy die genauen Daten. Ich war davon ausgegangen, dass es sich um einen miesen, verabscheuungswürdigen Kerl handeln musste ... Dann aber traf ich auf dich. Ein absolut hinreißendes, atemberaubend hübsches Mädchen, das Vögel nicht ausstehen konnte und die Lichthüter nicht zu kennen schien ..." Er lachte leise. „Du hast mich verzaubert ... Ich habe gesehen, wie einfühlsam und warmherzig du bist, und mit welcher Leidenschaft du tust, was du tust. Deine Natürlichkeit war ... umwerfend. Du warst so sehr du selbst, wie ich es eben nicht war. Oder nicht sein konnte. Ich habe dich darum beneidet." Er kämpfte mit seinen Emotionen.

Kira sah ihn an. Das erste Mal, seit er sie verraten hatte, sah sie ihm in wieder in die Augen. Nicht oberflächlich und mit den Gedanken ganz woanders. Sie sah ihn an und kämpfte mit den Tränen. Seine Worte hatten eine Seite in ihr gerührt, von der sie gedacht hatte, sie sei herausgerissen worden. Der Wall, den sie um sich errichtet hatte, brach in sich zusammen wie ein gesprengter Staudamm.

„Aber du wurdest auf mich angesetzt ...", schniefte sie und brach dann ab. Sie war froh, dass die Dunkelheit des Waldes sie umgab.

„Je besser ich dich kennenlernte, umso schwieriger war es. Die Vorschriften der Scuros, meine Gefühle für dich ... es passte nicht mehr zusammen. Ich fing an, die Krähendrohnen zu hassen. Ich wollte mit dir allein sein, wollte die Organisation vergessen. In den Momenten mit dir war ich oft so glücklich, dass ich manchmal sogar den Tod meiner Eltern vergaß. Es war ein einziges Wirrwarr, und ich bin blindlings weitergeschlittert auf dem Weg, den die Scuros vorgaben. Ich dachte, es sei sowieso ein Irrtum, es gab ja keinen Phönix und alles wäre gut ..."

„Doch es gab ihn."

„Das wusste ich anfangs nicht. Jedes Mal wenn wir zusammen waren, hätte ich die Scuros am liebsten vergessen. Oft habe ich sie vergessen. Aber immer wieder wurde ich hartnäckig daran erinnert."

„Die Krähen!", entschlüpfte es Kira.

„Ja. So oft waren da diese verfluchten Krähendrohnen, die mir im Nacken saßen und mich an meine Aufgabe erinnerten. Oder auch normale Krähen, die ich für Drohnen hielt. Anfangs dachte ich, du seist total ahnungslos und wüsstest nicht von der Liga der Lichthüter, von dem Feuervogel und dem Kampf, der um ihn entbrannt war. Dann aber ist der Phönix plötzlich aufgetaucht ..." Seine Stimme brach und er musste sich sammeln, um weiterzureden. „Ich habe ihn gesehen, am Fluss, als du mit ihm kommuniziert hast. Erst da verstand ich, dass du sehr wohl Bescheid wusstest. Du warst nicht ganz so unbeteiligt, wie ich gedacht hatte."

„Ich durfte nicht darüber sprechen", sagte Kira tonlos.

„Ich weiß, ich mache dir keinen Vorwurf. Wir waren Spieler auf zwei Seiten des Schachbretts ... Als ich kapiert habe, dass du den Phönix hast und für die Lichthüter arbeitest, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Magnus hatte gesagt, dass meine Eltern den Dunkelvogel wollten. Also wollte ich das auch. Ich dachte, sie würden dich einfach wieder laufen lassen, ich dachte, sie wollen nur den Phönix ... Und dann lief alles aus dem Ruder." Verzweifelt blickte er sie an, seine Augen waren tränennass.

Kira brauchte einen Moment, um sich zu fangen. Vorsichtig suchte sie nach Worten: „Ich hatte anfangs wirklich keine Ahnung. Wie oft habe ich das Ei verwünscht! Ich habe lange gehofft, dass der Phönix mich nicht findet. Als er dann aufgetaucht ist, wollte ich ihn nur möglichst schnell wieder loswerden. Erst später habe ich kapiert, dass er ein absolut besonderer Vogel ist."

„Ich habe dich ehrlich gesagt auch für eine Amateurin gehalten. Dabei bist du eine echte Kämpferin, eine, die auch bei einer Übermacht nicht aufgibt. Du schleuderst Feuerblitze und setzt dich, wenn es sein muss, sogar mit dem Ellbogen zur Wehr." Er rieb sich gedankenverloren die Brust.

Kira lachte trocken auf. „Ich bin eine Amateurin. Dass ich besondere Fähigkeiten habe, wusste ich bis vor kurzem ja gar nicht. Ich bin in die ganze Sache ungewollt reingerutscht. Vorher war der Phönix für mich nur ein Vogel, aber jetzt geht es um Phoe! Ich will ihn retten um seinetwillen, nicht wegen irgendwelcher geheimer Organisationen, die ihn für sich beanspruchen."

„Du magst ihn, stimmt's?"

Kira nickte. „Klar mag ich ihn, und außerdem musste ich mich ja irgendwie verteidigen. Und zwar wegen so mieser Personen wie deinem Onkel und diesem grauenhaften Korbinian ..."

Lian senkte schuldbewusst den Kopf. „Wenn ich gewusst hätte, wie brutal sie vorgehen, hätte ich nicht dorthin gebracht. Ich dachte, sie seien nur an dem Vogel interessiert. Weil du ja eine unwichtige Passantin warst. Onkel Magnus ... es war ein Schock. Es ist immer noch ein Schock. Ich meine ... er war mein Onkel! Wie hätte ich ahnen können, dass er meine Mutter auf dem Gewissen hat?"

„Wie war er zu dir?"

„Er war mein Vormund, streng und auch unnahbar, aber ich dachte trotzdem, dass er das Beste für mich will. Als meine Eltern starben, hat er sich für mich eingesetzt und mir ein Zimmer besorgt. Er war der Einzige, der mir noch von meiner Familie übrig war."

„Hat Magnus immer schon für die Scuros ... äh ... gearbeitet?"

„Soweit ich weiß ja. Er war immer wieder von der Bildfläche verschwunden, ohne dass ich wusste, was er machte. Ich habe mich auch nicht darum gekümmert. So eng war unser Verhältnis nicht. Ich wusste nur, dass es für die Organisation war. Irgendwann hat er mir erzählt, dass es die Lichthüter waren, die meine Eltern umgebracht haben."

„Was?" Kira hatte es beinahe geschrien. Schockiert schaute sie ihn an. „Aber du hast doch gesagt, sie seien bei einem Autounfall gestorben!"

„Hätte ich dir erzählen sollen, dass sie ermordet wurden?"

„Nein. Aber ..."

„Von da an habe ich die Lichthüter gehasst. 'Der Zweck heiligt die Mittel', hat Magnus immer gesagt. Ich habe nie genau verstanden, was er damit meinte. Jetzt weiß ich es." Sein Kopf sank herunter, er schlug die Hände vors Gesicht. Als er wieder aufblickte, weinte er. „Aber das macht meine Mutter auch nicht mehr lebendig."

Behutsam legte Kira ihre Hand auf seinen Arm.

„Ich bin ein Vollidiot", sagte er, „ein kompletter Vollidiot." Er sah sie an und schniefte. „Ich hätte es früher kapieren sollen. Vielleicht hätte ich dich dann schützen können." Kurz sah es aus, als wolle er den Arm um sie legen, doch dann fuhr er sich nur ungelenk durch die Haare und stützte sich auf einer herausragenden Wurzel am Boden ab.

Kira spürte ein klobiges Etwas in ihrem Magen. Da hockten sie wie zwei gestrandete Wale, mit salzigen Tränen in den Augen und einer Flut der widersprüchlichsten Gefühle.

„Ich habe es vermasselt. Verzeih mir." Dumpf hatte es geklungen. Resigniert. Dann sah er auf. „Ich habe so lange gebraucht, um zu merken, dass ich meinen Weg selbst suchen muss."

„Jeder muss seinen Weg selbst finden", murmelte Kira.


Continue Reading

You'll Also Like

Jealous By bleary

Short Story

2.3K 355 26
"Ich bin eifersüchtig auf jede Zigarette, die deine Lippen berührt, weil die Zeit meine Erinnerung daran schwinden lässt." inspired by labrinth - jea...
17.9K 1.3K 23
Einblicke in die verunsicherte Gedankenwelt eines wirklich schüchternen "Strebers". In den einzelnen Kapiteln schneide ich verschiedene Themen an, di...
630K 19.5K 78
!ACHTUNG - LESEN AUF EIGENE GEFAHR! Die Geschichte habe ich mit 14 Jahren geschrieben und ich entschuldige mich für alle Rechtschreib-, Grammatik- un...
13.8K 2K 47
Kira, eine junge Schülerin, spielt nach der Schule heimlich und auch ohne jede offizielle Anmeldung oder Zugehörigkeit zu einer Akademie DAS SPIEL de...