Kapitel 16

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Es war am nächsten Morgen. Joella konnte es nicht glauben. „Wie kommt er zu diesem seidenweichen, duftigen Gefieder?", fragte sie und lief wie ein aufgescheuchtes Huhn um den Phönix herum. „Er sieht überhaupt nicht mehr zerrupft aus! Nicht einmal schmutzig ist er noch! Was ist passiert? Hast du ihn heute Nacht einmal durch die Waschstraße gejagt?"

„Trockengefönt und frisch lackiert hast du noch vergessen." Kira kicherte vergnügt. Obwohl sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen hatte, fühlte sie sich voller Energie und Tatendrang.

„Es war ganz einfach", erklärte sie und legte eine möglichst ernsthafte Miene auf. „Ich habe im Internet nach einem neuen Federkleid gesucht, und dieses hübsche, elegante Daunenmodell gefunden, - und die Lieferung kam heute Nacht!" Sie platzte fast vor Lachen.

„Du bist eine Knalltüte! Jetzt sag schon! Irgendetwas muss doch passiert sein! So wie ihr hier in schnuckeliger Eintracht zusammensitzt ..." Aus zusammengekniffenen Augen schaute Joella zu, wie Kira dem Phönix einen Sonnenblumenkern nach dem anderen zuwarf, die dieser gekonnt mit dem Schnabel auffing und verspeiste.

„Wo sind deine ganzen Berührungsängste hin, hm?" Joella umrundete ihre Freundin und den Feuervogel wie eine übereifrige Detektivin.

„Ziehst du jetzt gleich eine Lupe heraus oder was?", spottete Kira.

Joella fuhr fort, ihre Runden zu drehen. Plötzlich platzte sie heraus: „Hast du ihn etwa erst jetzt lieb, weil er kein hässliches Entlein mehr ist? Das wäre ja total unmoralisch!"

Kira gluckste. „Nein, so ist es nicht. Spielen wir hier Rumpelstilzchen? Es kommt mir fast so vor. Ach, wie gut, dass niemand weiß ..."

„Jetzt sag schon ... Raus mit der Wahrheit oder ich backe dir nie wieder meine Dattel-Energy-Kugeln."

„Das wäre echt traurig, du weißt, wie sehr ich sie mag. Aber ganz ehrlich, - was heute Nacht passiert ist, ist mir auch ein Rätsel. Ich weiß nur, dass der Phönix heute Nacht geleuchtet hat, er hat im Mondlicht gebadet."

„Der Phönix hat im Mondlicht gebadet? Wie soll ich das jetzt verstehen? Hast du ihm etwa eine Badewanne im Mondenschein aufgestellt? Mit Kerzen, so richtig romantisch?"

„Nein, natürlich nicht." Kira schüttelte den Kopf. „Der Mond hat zum Fenster herein geschienen. Und er saß da, in diesem Kegel aus Licht, als sei er aus einer anderen Sphäre. Wie er da einfach so vor sich hingeleuchtet hat, das war schon ... äh, es gibt kein anderes Wort dafür ... magisch."

Joella machte große Augen. „Er hat geleuchtet? Gestrahlt? So richtig glühbirnenmäßig? Warum hast du mich nicht geweckt?"

Entschuldigend hob Kira die Hände. „Ich war ja selber nicht mal richtig wach. Es hatte etwas von einem Traum. Jedenfalls dachte ich, dass so etwas nur in Träumen vorkommt. Und es war nicht glühbirnenmäßig, nein. Das Licht hatte nichts Blendendes oder Grelles, es war eher wie sanfter Kerzenschein."

„Mondenschein, Kerzenschein ... das hört sich ja romantisch an. Und jetzt seid ihr beste Freunde?" Joella war immer noch skeptisch.

„Äh, sagen wir mal, ich habe jetzt gemerkt, dass er mir nichts Böses will."

„Pfff, so weit war ich gestern schon. Und sonst ist nichts passiert?"

„Ich habe in den Lichtschein gefasst. Und bin in reingegangen. Seitdem prickeln meine Hände nicht mehr."

Joella hob die Augenbrauen. „Nächstes Mal holst du mich. Ich will auch sehen, wie er badet."
*

„Das muss dir doch klar sein, dass er hier in deinem Zimmer besser aufgehoben ist!!"

Im Schatten des PhönixWhere stories live. Discover now