Eine Woche nach dem eher unschönen Valentinstag ließ Albus sie in sein Büro rufen. Es schien dringend zu sein. Mit eiligen Schritten lief sie zu dem Büro, in welchem sie nicht nur ihr Urgroßonkel, sondern zwei weitere Personen erwarteten. Ein Mann und eine Frau. Eindeutig vom Ministerium. Der Mann musterte sie skeptisch, während die Frau Fawkes misstrauisch beäugte, der auf seiner üblichen Stange saß und die Besucher musterte.
„Albus, du hast mich hergebeten?" Amina sah den Schulleiter fragend an und ignorierte die beiden Personen erst mal.
„Miss Tahnea. Wir würden gerne mit Ihnen über den Abend des vierzehnten Februars reden. Gegen Sie wurde eine Anzeige gestellt, wegen des Gebrauchs des Cruciatus-Fluchs.", erklärte der Mann ihr, bevor ihr Urgroßonkel antworten konnte. Amina sah den Auror, denn das schien er zu sein, überrascht an. „Wegen des Gebrauchs eines unverzeihlichen Fluches? Wer kommt denn auf die Idee, ich könnte einen solchen eingesetzt haben?", fragte sie. „Daniel Thomsen. Sie haben sich letzte Woche mit ihm getroffen.", antwortete ihr die Frau. Amina zog eine Augenbraue hoch. „Das stimmt. Ich habe gegen ihn jedoch keinen Fluch eingesetzt. Weder einen legalen noch illegalen." „Da behauptet Mr. Thomsen etwas anderes, aber erzählen Sie uns bitte Ihre Version der Geschehnisse.", bat der Mann sie. „Wollen Sie sich nicht dazu nicht lieber setzen?", fragte Albus die drei Anwesenden mit seiner ruhigen, höflichen Stimme. Alle drei stimmten zu und setzten sich.
Amina fing an den Abend kurz wiederzugeben: „Ich bin der Einladung zu einem Gespräch, die Daniel mir am Vormittag geschickt hatte, gefolgt und habe mich mit ihm im Drei Besen getroffen. Nach einigem Small Talk und einem unverschämten Angebot, er würde sich meiner für eine Beziehung erbarmen und meiner Ablehnung auf dieses Angebot, erklärte er mir, dass ich nichts ohne ihn sei. Dies ließ ich wiederum nicht auf mir sitzen und sagte ihm dazu meine Meinung."
„Ist es korrekt, dass Sie ihn einen zweitklassigen Ministeriumsangestellten nannten?", fragte die Frau dazwischen. „Ja.", antwortete Amina einsilbig und fuhr dann fort: „Nach dieser Ansage zog er seinen Zauberstab und richtete ihn gegen mich. Er nannte mich ein Weibsstück und wollte gerade einen Zauber auf mich schießen, als ich ihn mit meinen Legilimentik-Fähigkeiten stoppte. Als er keine Gefahr mehr für mich darstellte, hörte ich damit auf und sagte ihm, er solle mich in Ruhe lassen. Er stürmte daraufhin raus, nicht ohne mir zu sagen, ich würde es noch bereuen. Ich nehme an, er meinte das hier damit." Sie machte eine allumfassende Geste.
„Sie haben also einen Gedankenzauber eingesetzt? Wie genau haben sie ihn gestoppt, wie sie es nennen?", fragte der Mann sie. „Ich habe ihn Bilder sehen lassen von Ereignissen, die er bereut.", erklärte sie wahrheitsgemäß. „Miss, nehmen Sie mir das nicht übel, aber das ist unmöglich. Einen solchen Zauber gibt es nicht.", sprach die Frau. Amina sah sie ausdruckslos an. „Selbstverständlich gibt es ihn. Was denken Sie, machen Dementoren? Sie nehmen die schlimmsten Erinnerungen eines Menschen und spielen diese immer wieder in deren Kopf ab. Diese Magie ist ebenfalls Gedankenmagie. Genau nach diesem Prinzip funktionierte auch das, was ich gemacht habe. Oder zweifeln Sie auch an den Fähigkeiten eines Dementors?", fragte Amina die beiden Ministeriumsangestellten. Diese sahen sich kurz überrascht an.
„Gibt es denn Zeugen, die Ihre Aussage bestätigen könnten?", fragte der Mann, ohne auf ihre Frage einzugehen. Amina nickte. „Der ganze Pub hat die Auseinandersetzung mitbekommen. Die meisten Personen kannte ich nicht. Madam Rosmerta, Severus Snape und Lucius Malfoy waren jedoch in jedem Fall anwesend." Die beiden Zuhörer stockten. „Lucius Malfoy war anwesend?", fragte der Mann ungläubig. Amina nickte gelassen. „Severus Snape unterrichtet doch ebenfalls an Ihrer Schule, Professor Dumbledore. Könnte Sie ihn hierher bestellen?" Der Mann richtete das Wort an ihren Urgroßonkel. Dieser lächelte. „Aber natürlich."
Keine fünf Minuten später betrat Severus das Schulleiterbüro. Für wenige Sekunden sah man Überraschung auf seinem Gesicht, bevor es wieder ausdruckslos wurde. „Direktor, Sie wollten mich sprechen?", fragte Severus. „Die beiden Herrschaften vom Ministerium hätten ein paar Fragen an Sie.", erklärte Albus ihn heiter. Der Schulleiter schien sich nicht allzu viele Sorgen zu machen. Es beruhigte Amina ein wenig. „Um was geht es?", fragte Severus mit undurchsichtigem Gesichtsausdruck. „Um den Abend des vierzehnten Februars. Miss Tahnea sagte, sie seien in den Drei Besen gewesen, als sie eine Auseinandersetzung mit Daniel Thomsen hatte.", erklärte die Frau.
„Es heißt Frau Professor Tahnea. Und ja, ich war zu dieser Zeit dort. Warum ist das wichtig?", fragte er in kühlem Ton, wobei er nach jedem Satz eine kleine Pause machte. Amina konnte hören, dass er sauer war. Wahrscheinlich auf Daniel. „Professor Tahnea wird verdächtigt, einen unverzeihlichen Fluch eingesetzt zu haben, um Mr. Thomsen leid zuzufügen.", erwiderte der Mann, welcher es sich nicht nehmen ließ, das Professor besonders zu betonen, das Frau ließ er jedoch trotzdem weg. Severus verzog missbilligend das Gesicht. „Dem war nicht so. Frau Professor Tahnea hat einen Gedankenzauber angewendet. Mr. Thomsen sah nicht so aus, als würde er Schmerzen erleiden.", erwiderte er mit ausdrucksloser Miene, betonte das Frau Professor jedoch ebenfalls.
„Sie denken also nicht, dass Miss...ich meine Frau Professor Tahnea einen Cruciatus-Fluch gewirkt hat?", fragte die Frau nochmals nach. „Ja. Einen Cruciatus-Fluch hätte ich erkannt.", bestätigte Severus. „In Ordnung. Wir werden die beiden anderen Zeugen ebenfalls noch befragen. Professorin Tahnea, Sie dürfen vorerst weiter unterrichten. Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung, falls wir noch weitere Fragen haben sollten." Der Mann bedachte sie mit einem scharfen Blick. Offensichtlich waren sich die beiden nicht sicher, ob Amina schuldig war oder nicht. Amina nickte kurz als Antwort. Die Ministeriumsangestellten verabschiedeten sich und verließen das Büro.
Amina seufzte. „Du hättest ihn anders außer Gefecht setzen sollen.", stellte ihr Urgroßonkel mit belustigtem Ton fest. „Was für ein weißer Rat. Das nächste Mal denke ich dran.", erwiderte sie mit sarkastischem Unterton. „Wir können nur hoffen, dass Lucius dich genug leiden kann, um diesen Verdacht gegen dich in den Wind zu schlagen. Würde er dich aus dem Weg haben wollen, wäre es jetzt eine gute Gelegenheit.", gab Severus zu bedenken. Er stand immer noch steif mitten im Raum. „Da hast du recht. Vorerst können wir nichts machen. Ihr solltet wieder zu eurem Unterricht gehen. Die Klassen warten bestimmt schon." Die beiden jungen Lehrkräfte nickten und gingen gemeinsam aus dem Büro.
Einige Tage später saß Amina beim Frühstück, als die Post kam. Auf sie flog eine dunkle Eule mit einem offiziell aussehenden Brief im Schnabel zu. Amina nahm der Eule den Brief ab. Wie erwartet war dieser von der Abteilung für magische Strafverfolgung des Ministeriums. Amina öffnete ihn interessiert. Sie las ihn schweigend durch. Erleichtert atmete sie auf. Ein Freispruch. Lucius und Rosmerta hatten beide ihre Aussage bestätigt. Zudem wurde Daniel suspendiert. Gegen ihn lief jetzt wohl ein anderes Verfahren wegen Rufschädigung und falscher Verdächtigung. Amina war erstaunt. Normal war dieses Vorgehen nicht, doch vielleicht hatte Lucius da seine Finger im Spiel gehabt. Sie bemerkte den Blick von Albus und reichte ihn über Minerva hinweg den Brief. Zufrieden nickte er, als er ihn gelesen hatte.
So vergingen die Wochen ohne weitere Aufregungen. Nur die Flamels hatten sich ausgiebig über das Verfahren aufgeregt, als Amina ihnen davon in einem ihrer Briefe berichtete. Sie war sich sicher, dass Daniel sich mehr vor den Flamels hätte fürchten müssen als vor dem Malfoy, wenn er einem der dreien begegnen würde.
Am Tag des ersten Quidditch-Spiels nach den Osterferien lief Amina, wie üblich, durch die Gänge und unterhielt sich mit einigen Gemälden. Die meisten Schlossbewohnenden waren schon beim Spielfeld und Amina konnte eine gewisse Ruhe im Schloss wahrnehmen, die es während des Schuljahres selten gab. Grade als sie in einen Gang nahe der Bibliothek einbog, stockte sie. Auf dem Gang standen zwei Mädchen. Beide vollkommen erstarrt.
Amina wusste sofort, was den beiden widerfahren war. Schnell ließ sie ihren Zauberstab aus ihrer Tasche schießen und sprach einige stumme Schutzzauber, um sich und die Mädchen. Dann schickte sie einen Patronus zu ihrem Urgroßonkel. Sie kannte die beiden. Es waren Hermine Granger und Penelope Clearwater, eine Vertrauensschülerin von Ravenclaw. Soweit sie es wusste, war die Ravenclaw mit Percy Weasley zusammen. Sie war sich jedoch nicht sicher.
Nach einigen Minuten konnte Amina Schritte und aufgeregte Stimmen wahrnehmen. Sie löste den Desillusionierungszauber gerade als Albus mit Minerva und Filius um die Ecke bog. „Amina, was ist passiert?", fragte Minerva entsetzt. „Ich weiß es nicht. Die beiden standen schon so da, als ich in den Gang einbog.", erklärte Amina ihnen. „Wir bringen Sie in den Krankenflügel. Minerva, sag das Spiel ab. Ich werde den anderen Lehrkräften Bescheid geben. Unser Notfallplan kommt zum Einsatz. Kein Mitglied unserer Schülerschaft darf mehr allein irgendwo hingehen und nach achtzehn Uhr soll keiner mehr den Gemeinschaftsraum verlassen.", bestimmte Albus mit ernster Stimme. Filius und sie brachten die Schülerinnen in den Krankenflügel, während Minerva in Richtung Quidditch-Feld eilte, um das Spiel abzusagen.
Im Krankenflügel wurden sie von einer aufgelösten Poppy in Empfang genommen. „Die armen Mädchen. Wo haben Sie sie gefunden?", fragte die Krankenschwester sie. „In der Nähe der Bibliothek.", antwortete Filius ihr. Amina besah sich die braunhaarige Zweitklässlerin genauer. Granger hatte einen Handspiegel in der Hand und schien direkt in ihn hineinzusehen. Amina stutzte. Sie hatte die junge Schülerin noch nie mit einem Spiegel in der Hand gesehen. Schon gar nicht mitten auf den Gängen. Hatte sie etwa geahnt, dass es sich um einen Basilisken handelte?
Sie untersuchte die zweite Hand der Schülerin. In dieser befand sich eine Seite aus einem Buch. Eine Seite über Basilisken. Das Mädchen war alles andere als dumm. Sie hatte auf der Seite sich die Frage notiert, wie die Schlange sich durch das Schloss bewegte. Doch weiter war sie wohl mit ihren Überlegungen nicht gekommen. Amina richtete unauffällig ihren Zauberstab auf das Blatt und wandelte die Frage in die Antwort um. Dann legte sie ihr den Zettel wieder in die Hand. Vielleicht würden ihre Freunde ihn finden. Dann wussten sie zumindest, was mit ihrer Freundin passiert war und vor allem wie es passiert war. Mehr konnte sie nicht für sie tun.
Amina verließ den Krankenflügel gerade als Minerva mit Potter und dem jüngsten Weasley hineinkam. Wie hatte Granger es eigentlich geschafft, eine Seite aus einem Bibliotheksbuch zu reisen? Eigentlich hätte das Buch sich beschützen müssen. Oder wussten die Bücher, wann sie sich zu schützen hatten? Sie würde bei Gelegenheit Irma danach fragen. Die Bibliothekarin konnte ihr bestimmt weiterhelfen.
Noch am selben Abend wurden die Patrouillen verstärkt. Die Lehrkräfte, Schulsprechenden und Vertrauenslernende würden die Schichten bis drei Uhr nachts unterstützen, dann würden die Geister die kompletten Schichten übernehmen, damit die Lebenden auch etwas Schlaf bekamen. Amina patrouillierte zusammen mit Severus. Bei dieser Aufteilung hatten beide synchron eine Augenbraue gehoben. Sie waren beide keine schlechten Kämpfer und Amina konnte im Umkreis von gut zwanzig Schritt jedes Lebewesen wahrnehmen. Nicht einmal der Basilisk würde sie überraschen können. Doch Albus bestand darauf, sie beide zusammen loszuschicken.
Also stand Amina neben Severus und versuchte ihren Geist offen für jede noch so kleine Regung zu haben. Tatsächlich konnte sie auch nach einiger Zeit des Schweigens zwei nervöse Geister wahrnehmen. Sie seufzte. Potter und Weasley hatten sich aus dem Schlafsaal geschlichen. Severus sah sie fragend an, doch sie schüttelte nur kurz den Kopf. Severus nieste genau, als sie einen Schmerz von dem jüngsten Weasley wahrnehmen konnte. Er musste sich irgendwo gestoßen haben. „Gesundheit.", sagte sie zu Severus. „Danke.", erwiderte er knapp und sah sich misstrauisch um. Amina hoffte, dass er die Jungen nicht bemerkt hatte. Sie hatte ihrem Urgroßonkel versprochen, dass sie diese nicht verraten würde, wenn sie ihr unter dem Tarnumhang begegneten. Gerade bereute sie dieses Versprechen, wie konnten sie nur so dumm sein? Was wollten sie überhaupt noch hier draußen?
„Was ist los?", fragte Severus sie nach einigen weiteren Sekunden des Schweigens. Die beiden Schüler waren noch nicht ganz aus ihrer Hörweite, denn Amina merkte, wie die beiden wieder nervöser wurden. „Nichts. Ich dachte, ich hätte etwas gehört.", erwiderte sie in dem ruhigen Ton, mit dem sie immer mit ihm sprach, wenn jemand zuhörte. Er bemerkte es offensichtlich, kommentierte es jedoch nicht weiter. Erst als die Jungen aus ihrer Hörweite waren, flüsterte sie ihm zu: „Potter und Weasley haben sich unter dem Tarnumhang gerade an uns vorbei geschlichen. Frag mich aber bloß nicht warum." Entsetzt sah er sie an.