Am Morgen nach der nächtlichen Unterbrechung erfuhr Amina, dass nicht nur Malfoy in dieser Nacht beim Herumlaufen im Schloss erwischt wurde, sondern auch Potter und drei seiner Gryffindors. Minerva regte sich darüber auf, dass die vier es geschafft hatten, hundertfünfzig Punkte zu verlieren. Auch die Lernenden schienen einen regelrechten Hass auf Potter bekommen zu haben. Wobei Amina nicht verstand, warum seine Mittäter nicht den gleichen Maß an Verachtung abbekamen. Lediglich die Slytherins und Severus waren bester Laune. Mit diesem Punkteverlust von Gryffindor würde Slytherin den Hauspokal mit großer Wahrscheinlichkeit bekommen.
Amina wusste, dass Potter sich selbst die Schuld an dem Ganzen gab, was auch immer genau in dieser Nacht noch passiert war. Sie verstand es nicht wirklich. „Sag Amina, wie geht es Harry?", fragte Albus sie über Minervas Kopf hinweg. „Er hat Schuldgefühle. Ihm scheint es nicht allzu gut zu gehen. Außerdem ärgert er sich über irgendwas.", antwortete sie ihm, ohne den Blick von der Schülerschaft abzuwenden. „Ich frage mich, wie er nur so verantwortungslos sein konnte, eine Geschichte mit einem Drachen zu erzählen. Der arme Neville ist die drei extra suchen gegangen.", entrüstete sich Minerva nicht zum ersten Mal an diesem Morgen.
„Am-Amina, wie kommt es, d-dass Sie wi-wissen, was Potter fü-fühlt?", stotterte Quirinus und sah sie dabei interessiert an. Sie konnte sein Misstrauen spüren. Ahnte er, dass sie seinen geistigen Zwiespalt bemerkt hatte? „Ich bin Legilimentorin.", antwortete sie knapp und ohne ihn anzusehen. „Scho-schonn von Geb-burt an?", fragte er weiter. Amina nickte. „Fa-Faszinierend. Eine sel-seltene Ga-Gabe." „Ob es eine Gabe ist, ist Definitionssache. Ich selbst hätte nichts dagegen, ein wenig weniger von dem mitzubekommen, was in den Menschen vorgeht.", murrte sie. Quirinus nickte daraufhin lediglich. Er schien zu merken, dass sie nicht darüber sprechen wollte.
Eine halbe Woche vor den Abschlussprüfungen wurden die Hauslehrkräfte zu Albus gerufen. Amina hatte sich für die Korrekturen der letzten Aufsätze in diesem Schuljahr auf ihr Sofa gelegt und vertrieb sich so die Zeit, bis Severus aus der Besprechung kam. Er hatte ihr versprochen, direkt nach dieser zu ihr zu kommen. Gerade als sie den letzten Aufsatz fertig hatte, erklang ein Wusch und die Flammen in ihrem Kamin färbten sich grün. Severus war gekommen. Dieser musste schmunzeln, als er Amina mit dem Aufsatz über sich schwebend vorfand.
„Severus.", begrüßte sie ihn. Er ging ohne ein Wort auf sie zu und setzte sich neben ihren Kopf. Amina ließ den Aufsatz auf den Tisch schweben. „Und? Was wollte Albus?", fragte Amina und sah ihn an. Er seufzte schwer. „Potter und Malfoy sind bei ihrer Strafarbeit im Verbotenen Wald auf denjenigen gestoßen, der die Einhörner tötet. Zum Glück waren die Zentauren in der Nähe und konnten Schlimmeres verhindern.", berichtete er. „Potter scheint Gefahren anzuziehen. Wir werden ihn gut im Auge behalten müssen. Vorerst darf keiner der Lernenden zur Strafe in den Wald geschickt werden." Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Eine Geste, die er nur machte, wenn er sehr gestresst war.
„Das Schuljahr ist bald vorbei.", versuchte Amina ihn ein wenig zu trösten. Severus schnaubte abfällig. „Du denkst doch nicht ernsthaft, im nächsten Jahr wird es ruhiger werden?" Amina schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, dass es ein wenig ruhiger wird. Aber die Chancen stehen nicht gerade gut.", gab sie zu. „Hat Albus eine Vermutung, wer hinter den Angriffen auf die Einhörner steckt?" Sie setzte sich auf Severus' Schoß. Dieser strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Nein, im Moment noch nicht. Er hält es auch für möglich, dass der Versuch, den Stein zu stehlen, mit den Angriffen in Verbindung steht. Er ging sogar so weit, dass er auch die Vorkommnisse mit Lion im letzten Schuljahr mit dem geplanten Diebstahl des Steins in Verbindung bringen würde.", erklärte er in ruhigem Ton.
„Das würde bedeuten, dass Quirinus nicht selbst hinter dem Stein her ist, sondern für jemand anderen. Und das auch derjenige, der Lion verzaubert hatte, den Stein wollte.", schlussfolgerte sie. Severus nickte bestätigend. „Die Angriffe auf die beiden Lernenden hatten den Hintergrund, dich von der Schule zu bekommen. Du bist Legilimentorin, vielleicht war das Risiko, entdeckt zu werden, zu hoch." „Und wenn die Schmerzen, die Potter hat mit dem ebenfalls zusammenhängen. Dann gibt es nur eine Person, die von meiner Legilimentik weiß und dafür infrage kommt..."
Amina stockte. War das der geistige Zwiespalt bei Quirinus und auch der bei Harry? „Der Dunkle Lord.", beendete Severus mit düsterer Stimme ihre Überlegung. „Wenn das stimmt. Dann sind sowohl Potter als auch Quirinus in irgendeiner Weise mit ihm verbunden. Ihre Geister sind sich in gewisser Weise ähnlich. Es ist, als wären sie nie ganz...allein.", erklärte sie ihm. „Besorgniserregend." Severus sah ihr Ernst in die Augen. Amina konnte ihm nur zustimmen. „Er muss aufgehalten werden. Der Junge ist noch zu jung. Er wird irgendwann gegen ihn kämpfen müssen, aber jetzt ist es noch zu früh." „Ja, das sehe ich auch so.", stimmte Severus ihr zu.
Amina saß im Lehrkräftezimmer und lauschte einer Unterhaltung zwischen Filius und Aurora. Die Schülerschaft hatte an diesem Tag ihre letzten Prüfungen geschrieben und Amina war damit beschäftigt, die Arithmantik-Prüfungen zu korrigieren. Sie hatten insgesamt eine Woche Zeit für alle Prüfungen, genug also, um sich nicht unnötig hetzen zu müssen. Die Schülerschaft hatte in dieser Zeit keinen Unterricht, damit die Lehrkräfte korrigieren konnten.
Nach einiger Zeit kam Severus in das Zimmer gerauscht und setzte sich auf den Platz neben ihr. „Potter und seine Anhängsel waren gerade bei Minerva. Ich denke, heute Abend ist es so weit. Der Direktor wurde ins Ministerium gerufen, oder?", flüsterte er ihr zu. Amina nickte leicht. „Ja, er kommt voraussichtlich morgen wieder. Auch wenn ich nicht verstehe, warum er in dieser Zeit mit dem Besen nach London fliegen musste.", bestätigte sie. „Allerdings könnte das genauso gut ein Ablenkungsmanöver sein." „Das würde zu Quirinus feiger Art passen.", stimmte der Tränkemeister ihr zu. Sie musste schmunzeln, als sie den Geist von Granger durch die Tür des Lehrkräftezimmers wahrnahm. „Wie es aussieht, haben die Kinder dich immer noch im Verdacht. Granger steht vor der Tür." Severus zog überrascht eine Augenbraue hoch und erhob sich. Keine Minute später holte er Filius aus dem Lehrkräftezimmer, mit dem Granger angeblich sprechen wollte.
Er selbst ließ sich wieder auf seinen Platz fallen. „Sollen wir Albus warnen?", fragte sie ihn. „Es wird wohl nichts nützen. Auf dem Besen erreichen wir ihn nicht. Wir müssen hoffen, dass die Hindernisse ausreichen, um Quirinus und die drei Erstklässler lange genug aufzuhalten, bis er kommt. Wir können nicht offen gegen Quirinus vorgehen." „Frustrierend." Amina strich sich ihre Haare aus dem Gesicht. Severus stimmte ihr mit einem kurzen Nicken zu. Nach einigen Minuten erhob sich Severus und verließ das Lehrkräftezimmer wieder. Sie beide würden abwarten müssen. Sie hatten alles in ihrer Macht stehende getan, jetzt blieb nur noch die Hoffnung, dass Albus die vermutliche Finte erkannte und rechtzeitig wieder da war.
Am Abend streifte Amina nervös durch die Gänge. Sie hatte schon vor einigen Minuten das Schloss analysiert und bemerkt, dass jemand an Fluffy vorbeigekommen war. Wie hatte Quirinus und die drei Lernenden erfahren, wie man Fluffy ruhigstellte? Hatte Hagrid geplaudert? Natürlich hatte dieser Dummkopf geredet! In einem der Korridore in der Nähe von Fluffy spürte sie Severus. Auch er schien nervös. Sie lief zu ihm. „Hast du etwas herausgefunden?", fragte er, als er sie bemerkte. „Fluffy wurde umgangen. Der Keller liegt zu tief, als dass ich spüren könnte, was darin vorgeht, aber sowohl Quirinus als auch Potter und seine Anhängsel konnte ich nicht finden. Sie müssen da unten sein." „Diese Dummköpfe!", zischte er. Amina nickte bestätigend.
Sie warteten. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit hörten sie die Stimmen von Granger und dem Weasley. Diese wollten offensichtlich zur Eulerei, um Albus zu benachrichtigen. Dafür würde es schon zu spät sein. „Wir sollten da runter. Wenn Albus noch rechtzeitig kommt, sollte er sich nicht mit den Hindernissen rumschlagen müssen. Potter und Quirinus sind vermutlich im letzten Raum. Sie werden uns nicht bemerken.", schlug Amina vor. „In Ordnung. Vergiss aber nicht. Der Dunkle Lord ist ebenfalls ein Legilimentor. Unterschätze ihn nicht. Wir wissen nicht, wie viele seiner Fähigkeiten er momentan besitzt.", warnte Severus sie und lief in Richtung Tür. Diese öffnete er abrupt und blieb dann stehen.
Er trat zu Seite und zeigte ihr, dass sie vorgehen sollte. Er wusste schließlich immer noch nicht, wie man an dem dreiköpfigen Hund vorbeikam. Amina zog ihrem Zauberstab und ließ eine Geige erscheinen. Keine Minute später schlief der Hund. „Das ist ja geradezu lächerlich einfach.", stellte Severus trocken fest. „Es ist Hagrids Hund, was hast du erwartet?", fragte sie ihn und öffnete die Falltür. Sie ließ ihren Geist wandern. Keiner war in dem Raum unter ihnen. „Kannst du die Teufelsschlinge verbrennen?", fragte sie ihn. Er nickte und richtete seinen Zauberstab auf das Loch. Keine Sekunde später schossen Flammen aus seinem Zauberstab. Sie nahmen die Gestalten verschiedener Tiere an. Amina zog die Augenbraue hoch. „Dämonenfeuer?", fragte sie. „Es schien mir das Effektivste.", antwortete Severus ungerührt. Er und seine schwarze Magie. Amina schüttelte den Kopf und sprang in das Loch.
Sie verlangsamte ihren Fall mit Hilfe eines Levitations-Zaubers. Als beide gelandet waren, eilten sie weiter. Filius' Schlüssel flogen in dem zweiten Raum umher. „Immobilus", sprach Severus und die Schlüssel schienen in der Luft stehen zu bleiben. Er schnappte sich einen der Besen und holte den schon ziemlich lädierten Schlüssel aus der Luft. Sie öffneten die Tür und Amina zeigte mit ihrem Zauberstab auf diese. „Reductor" Die Tür zerfiel zu Staub. Severus sah sie anerkennend an. Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln.
Sie eilten zu Minervas Schachbrett. Die Figuren waren gerade dabei, sich wieder in Position zu bringen. „Reducio", sagte Severus und zeigte mit seinem Zauberstab auf die Schachfiguren. Amina schloss sich ihm an und es dauerte nicht lange, da war keine der Schachfiguren größer als einen Zentimeter.
Der Troll in nächsten Raum war getötet worden. Um ihn mussten sie sich also nicht mehr kümmern. Noch bevor Severus die Flammen seiner eigenen Aufgabe löschen konnte, hörten sie eilige Schritte aus der Richtung, aus der sie gekommen waren. „Albus.", flüsterte Amina ihm zu. Ihr Urgroßonkel stürmte in den Raum. „Ihr habt die Hindernisse beseitigt?" Beide nickten knapp. „Gut. Ich muss zu dem Jungen.", erklärte er. Severus reichte ihm ein Fläschchen. „Wir werden die Flammen ausschalten.", erklärte er ihm. Albus nickte und eilte dann in den Raum. Sofort wurde der Eingang von Flammen versperrt. Severus machte sich an die Arbeit und hatte innerhalb von Sekunden die Flammen verschwinden lassen.
Als sie in dem Raum mit dem Tisch liefen, hörten sie die gellenden Schreie von Quirinus. Sie würden warten müssen, bis Albus sein Okay gab. Auf dieses mussten sie auch nicht lange warten und so löschte Severus auch die letzten Flammen. Das Bild, dass sich ihnen bot, war erschreckend. Potter lag bewusstlos in Albus' Armen. Quirinus lag tot daneben und hatte überall Verbrennungen. Hatte Potter ihm die zugefügt? „Kümmert euch um Quirinus. Ich werde Harry hier raus schaffen." Albus erhob sich. Der Junge schwebte auf einer Trage hinter ihm her, als er an ihnen vorbeiging. Amina besah sich das Chaos. Der Stein lag achtlos auf dem Boden. Sie hob ihn auf und steckte ihn in ihre Tasche. Dann widmeten sie sich dem toten Quirinus.