Im Schatten des Phönix

By Cliffhouse

3.1K 489 1K

(AMBY AWARD WINNER 2023) Kira macht in Pompeji einen überraschenden Fund und gerät darauf in den Fokus einer... More

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40

Kapitel 12

134 13 61
By Cliffhouse

Schon bald nachdem Lian vorbeigekommen war, stand Albiel auf der Matte.

„Was soll das? Warum triffst du dich mit ... diesem Jungen?", fragte er und starrte sie dabei mit einem seltsam bohrenden Blick an. „Du kannst dich nicht einfach mit jedem x-beliebigen Jungen treffen! Du kennst ihn doch gar nicht!", schob er hinterher.

„Lian ist kein x-beliebiger Junge", hatte sie fest erklärt. Sie hatte sich ja schon an einiges gewöhnt, aber sie würde sich ja wohl nicht von ihm vorschreiben lassen, mit wem sie ihre Zeit zu verbringen hatte!

„Was hast du mit ihm zu schaffen? Er ... er könnte ein Spion sein", sagte er gedehnt. „Du solltest auf seine Besuche verzichten."

„Ein Spion?", platzte Kira lachend heraus. „Das ist lächerlich! Lian ist ein Jurastudent! Ich meine ..., ich kenne ihn, das reicht."

„Tut es nicht. Wir müssen ihn überprüfen." Kurz meinte sie, Schmerz aus seiner Stimme herauszuhören, doch dann war es schon wieder vorbei. Er sah sie immer noch grübelnd an. Dann fragte er: „Ich meine ... ist er in Ordnung? Kennst du ihn gut? In welchem Semester ist er?" Die plötzliche Neugier in seiner Stimme ging ihr auf die Nerven. Bei ihm war es vielleicht eine Berufskrankheit, aber sie selbst würde jetzt nicht anfangen, alles was andere sagten, zu hinterfragen oder sogar für eine Lüge zu halten!

„Was heißt hier überprüfen?" Mit blitzenden Augen funkelte sie ihn an. „Haben Sie eine Kartei angelegt? Ein Register, in dem steht, wer ein Böser und wer ein Guter ist? Wir sind hier nicht bei der Mafia! Außerdem kenne ich Lian schon ewig." Den letzten Satz hatte sie aus purem Trotz gesagt und weil sie Lian mit allen Mitteln verteidigen wollte. Sie würde sich keinesfalls verbieten lassen, ihn zu sehen! Abgesehen davon hatte sie manchmal wirklich das Gefühl, ihn schon länger zu kennen. Und ganz unbestritten vertraute sie Lian mehr als Albiel.

„Du kennst ihn schon länger?" Albiel hatte aufgehorcht. Seine Unrast machte sie wahnsinnig. Wenn er immer so angespannt wie ein Drahtseil war, trug das nicht gerade dazu bei, dass sich diese verdammte Arbeitsbeziehung oder wie auch immer man das zwischen ihnen bezeichnen wollte, besserte. Seine unruhige, angestrengte Art und sein immer wiederkehrender Jähzorn überforderten sie schlichtweg. Und mit seinem extremen Pflichtbewusstsein kam sie gleich gar nicht klar.

„Ja, ich kenne ihn schon länger", äußerte sie mürrisch und fragte dann übergangslos: „Machen Bodyguards eigentlich Yoga?"

Perplex schaute er sie an. „Wie kommst du jetzt darauf?"

„Ich frage mich das nur, das ist alles."

Verdattert kniff er die Augen zusammen. Dann sagte er langsam: „Du kennst Lian also schon länger. Nun ja ... dann ... das ist gut. Wie hast du ihn kennengelernt?"

Jetzt ging er wirklich zu weit. Musste man vor Bodyguards sein ganzes Leben ausbreiten? Sie würde sich strikt weigern, ihm die Details zu geben.

„Ach, das war eine ganz zufällige Begegnung. Wir saßen mal nebeneinander und kamen ins Gespräch." So, das war nicht mal gelogen. Und jetzt vage zu bleiben, fand sie auf jeden Fall besser. Sie musste ihm ja wirklich nicht alle Einzelheiten auf die Nase binden.

„Jura, soso. Wo wohnt er? Was macht er in seiner Freizeit?"

„Das weiß ich nicht, so gut kenne ich ihn auch wieder nicht."

„Was habt ihr für eine Beziehung? Trefft ihr euch öfters oder nicht?"

War das noch zu fassen? Sie straffte ihren Rücken und atmete einmal tief durch. „Ich weiß echt nicht, was das jetzt soll. Wollen Sie vielleicht noch wissen, was seine Lieblingsfarbe ist und ob er Absichten hat, seine Fingernägel bald wieder zu schneiden?", fragte sie ihn mit schlecht verhaltener Wut. „Man trifft sich eben manchmal unter Studenten. Das nennt man 'sozial'. Haben Sie nie studiert?" Sie war stinksauer.

Sein Blick ging über die Hügel in die Ferne, als schweife er in eine andere Zeit, und ein seltsam wehmütiger Zug flog über sein Gesicht, den sie nicht ganz einordnen konnte. Dann aber schüttelte er den Kopf, als müsse er eine unangenehme Erinnerung abschütteln.

„Das zu sagen, war jetzt wirklich ungehörig", knurrte er. „Und nebenbei gesagt auch dumm. Es gibt sehr intelligente Leute, die nie studieren. Und sehr dumme Leute, die studieren." Er schaute sie an, mit einem Blick, der brennend scharf und durchdringend wie ein Laserstrahl war, und doch gleichzeitig so lichtlos wie die schwärzeste Nacht.

„Das habe ich nicht gemeint", sagte sie, beinahe erschrocken über seine Reaktion. „Ich finde nur, dass ich ein Recht auf Privatsphäre habe."

„Das hast du, das hast du ...", brummte er. „Wir werden uns arrangieren müssen. Manche Fragen werde ich dir aber stellen müssen."

„Und ich werde auf manche antworten." Sie würde auf ihrer Freiheit und ihrer Privatsphäre beharren, egal was er wollte!

Er stieß ein Grunzen aus.

Und dabei hatten sie es belassen.
*

In den nächsten Tagen überwachte Albiel immer noch jeden ihrer Schritte, und immerwährend hatte sie das unangenehme Gefühl seiner Präsenz. Doch wenigstens war nicht mehr die Rede davon, dass er ihr Lian verbieten würde.

Sie fand es übertrieben, wie ihr Bodyguard beinahe jeden Tag seine Bekleidung und sein Aussehen änderte. Sie vermutete dahinter ein unverhältnismäßiges Geltungsbedürfnis. Aber Simeon hatte sie ja schon vorgewarnt. Wie hatte er gesagt? Er würde gerne in Rollen schlüpfen? Das machte er, in der Tat. Albiels Umtriebigkeit war nicht nur exzessiv, sondern schon beinahe kreativ zu nennen. An manchen Tagen hatte sie Mühe, ihn überhaupt hinter sich zu entdecken, weil seine Verkleidung jeweils unterschiedlich ausfiel. Er wechselte Bärte wie andere ihre Krawatten und schlüpfte jeden Tag in eine neue Rolle. Manchmal änderte er sein Outfit mehrmals täglich. Er variierte zwischen den unterschiedlichsten Berufsständen und trug eine Zimmermannskluft mit derselben Gelassenheit wie Anzug und Krawatte eines Geschäftsmanns, mal war er Postbote, mal Fahrradkurier, mal Polizist, Pizzabote oder Putzkraft. Seine Haare waren teils glatt nach hinten gegelt, teils standen sie wie bei einem verrückten Professor wild nach allen Seiten ab, mal trug er einen Mittelscheitel, mal gar keinen. Eine amerikanische Schildmütze folgte auf eine Baseballkappe, eine Schirmmütze auf ein Truckercap, die französische Baskenmütze löste den leichten Panama-Strohhut ab und der breitkrempige Filzhut den eleganten Ausgehhut mit dazugehörigem Hutband. Er musste ein beachtliches Budget für Kleidung ausgegeben haben, kannte wahrscheinlich alle Herrenausstatter und Berufsfachgeschäfte der Stadt und hatte offensichtlich eine ganze Kollektion an Sonnenbrillen, Kontaktlinsen und Schirmen. Sie staunte immer wieder über seine Verwandlung und musste sich manchmal eingestehen, dass sie schon auf den nächsten Tag gespannt war und beinahe Spaß daran hatte, ihn in der allgemeinen Betriebsamkeit in der Stadt zu entdecken. Manchmal sah sie ihn gar nicht. Da hatte er sich wahrscheinlich als Säule verkleidet, als Türsteher vor einem Hotel oder als Mülltonne.

Er hatte sich ihren Wochenplan geben lassen, kannte ihre Seminarzeiten, betrat jedoch nie den Hörsaal mit ihr. Sie war froh darüber. Es hatte etwas Befreiendes, wenn sie ihrer Banknachbarin etwas zuflüstern konnte, ohne sich von ihm beobachtet zu fühlen. Denn dass seine Alarmglocken äußerst leicht angingen, wusste sie mittlerweile.

Nach den Vorlesungen wartete er meist in der Nähe des Ausgangs, um sich dann ungesehen an ihre Fersen zu heften.

So wurde die Uni zu einem ihrer Lieblingsorte, weil er sie dort in Frieden ließ. Während der Vorlesungen schweiften ihre Gedanken immer wieder zu Lian und sie musste daran denken, dass er vielleicht gerade gar nicht weit von ihr entfernt in einem anderen Hörsaal saß, in Fallanalysen die Anwendung von Gesetzen übte und sich Vorträge über Schuldrecht, Familien- oder Erbrecht anhörte. Sie fand nicht wirklich, dass Jura zu Lian passte. Klar hatte er das das nötige Selbstbewusstsein dafür und sie konnte sich auch gut vorstellen, wie er sich in einen Fall verbiss und dickköpfig sein Ziel verfolgte. Aber seine leidenschaftliche, impulsive Art passte nicht zu nüchternen, sachlichen Juratexten und er schien das Ungeplante, Spontane mehr zu lieben als die analytische, besonnene Vorgehensweise der Jurisprudenz. Sie wollte ihn einmal fragen, warum er gerade dieses Studium ausgesucht hatte. Vielleicht gab es ja einen Grund dafür?

Er war besonders, das stand fest. Wenn er ihr zuhörte und seine Augen aufmerksam auf ihr lagen, kribbelte es glücklich in ihr. Er hatte eine eigene Art, seine Haare aus der Stirn zu streichen und sie anzuschauen. Seine Augen waren so dunkel und tiefgründig, dass man sich in ihnen verlieren konnte, und wenn sie ihn ansah und ihr Herz Kapriolen schlug, gab es diese neue, überschwängliche Seite in ihr, die den rationalen Teil in ihrem Kopf übertönte, der ihr leise zuflüsterte, dass sie ihn eigentlich noch nicht lange und noch nicht gut genug kannte. Na und, rief dann ihr Herz, na und, - let it be!

Manchmal reichte es schon, dass nur ihr Handy summte oder die Türklingel läutete, um ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Sie freute sich schon Stunden vorher auf die gemeinsamen Momente mit ihm, auf ihre Gespräche und seine klugen Fragen.

Doch immer wieder gab es Momente, in denen Lian ihr Rätsel aufgab. Es kam vor, dass er aus einer plötzlichen Anwandlung heraus Dinge sagte, die sie auch beim besten Willen nur als unverständlich bezeichnen konnte, hieroglyphenartige Fragmente, die auch durch Nachfragen nicht durchschaubarer wurden.

Am Mittwoch zum Beispiel standen sie nebeneinander vor der Auslage eines Schaufensters und er blickte starr auf das Fenster und ihr gemeinsames Spiegelbild. Dann seufzte er und sagte: „So einfach könnte es sein."

In der Schaufensterauslage, einer Ansammlung von teuren Armbanduhren und Ringen, konnte sie beim besten Willen nichts entdecken, was diesen Satz hätte auslösen können.

Sie hatte ihn irritiert von der Seite aus angesehen und gefragt: „Was könnte einfach sein? Meinst du etwa ... uns? Wie wir nebeneinander stehen? Aber ... das ist einfach!" Und sie hatte still seine Hand genommen. Glücksgefühl war in ihr aufgestiegen.

„Nein", hatte er da gesagt, den Kopf prüfend zum Himmel gerichtet, an dem nur ein paar Vögel ihre Kreise zogen und ihr seine Hand entzogen. Sie hatte sich wie vor den Kopf gestoßen gefühlt. Hatte es nicht verstanden. Ihr gerade eben noch überwältigendes Glücksgefühl war im selben Moment in unendliche Tiefen gerissen worden.

„Aber warum denn nicht?", hatte sie leise gefragt und das Gefühl von Verletztheit verdrängt. Sie hatte versucht, sich nichts anmerken zu lassen. „Woran denkst du?", hatte sie gefragt.

Er hatte eigenartig gelächelte und gemurmelt: „Die meisten denken nur an sich und das eigene Glück und vergessen dabei das große Ganze."

Jetzt war sie noch verwirrter. „Welches große Ganze?"

„Es braucht etwas, was die Welt zusammenhält."

„Äh ... Toleranz und Menschlichkeit?"

Er hatte die Lippen zusammengepresst, den Kopf geschüttelt. „Das meine ich nicht", hatte er gesagt. "Es braucht ein Konstrukt, das jeden daran erinnert, wo sein Platz ist, welche Aufgabe er hat und wie er seinen Mitstreitern zu ihrem Recht verhilft. Man müsste versuchen, ein solches Konstrukt mit allen Mitteln durchzusetzen, verstehst du?" Sie hatte nichts verstanden von dem, was er sagte.

„Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wovon du sprichst. Geht es etwas genauer?"

„Du kannst nicht wissen, wovon ich spreche. Vergiss es, ich habe nur manchmal seltsame Ideen."

„Und du kannst nicht versuchen, es mir zu erklären?"

Sein Blick hatte sich überschattet. „Nein, leider nicht. Tut mir leid, ich fasele nur dummes Zeug, komm, gehen wir."

Situationen wie diese verwirrten sie. So rätselhaft wie er war, so gerne hätte sie diese Rätsel gelöst.

Einerseits verunsicherte sein Verhalten sie, andererseits war es genau das, was sie so an ihm faszinierte. Er war vielschichtig wie manches Gestein, das ihnen im Studium vorgelegt wurde und hatte diese unergründlichen, tiefen Schichten, die sie nicht verstand, aber auch solche, die offen vor ihr lagen und sanft und nachgiebig waren (und die sie mindestens genauso charmant fand). Je besser sie ihn kennenlernte und je mehr unterschiedliche, schillernde Schichten sie an ihm entdeckte, desto mehr mochte sie ihn.

Erst viel später verstand sie, dass es genau diese verschiedenartigen Schichten in ihm waren, die ihm zu schaffen machten. Sie waren wie Sedimente, die sich in ihm abgelagert hatten. Und so wie die Witterung Einfluss auf die oberste Gesteinsschicht in einer Landschaft nahm, so hatte seine Umgebung Einfluss auf ihn genommen. Unter dem Zusammenspiel der zeitweiligen vorherrschenden „Witterungsverhältnisse", zu der sie wohl auch gehörte, seiner ureigensten Überzeugungen und des Geschiebes seiner inneren Kräfte wurden bestimmte Sedimentschichten bei ihm zusammengestaucht, manche türmten sich auf, andere zerfielen. Risse waren entstanden, die, anfangs noch isoliert, allmählich ein Netzwerk bildeten und zu extremen Spannungen führten. Wahrscheinlich war dies bei allen Menschen so. Er jedoch wurde durch die unterschiedlichen Kräfte unverkennbar aufgerieben.

Continue Reading

You'll Also Like

3.4K 221 25
Aggressiver skandiiii 🥷🏼🎀
3K 342 20
Die Geschichte von Ömer und Ayşe Sie haben Höhen und Tiefen bis sie zueinander finden ob ihre liebe das übersteht und ob sie überhaupt zueinander fi...
249K 11K 103
Salam wa alaykum mein Name ist Layla und ich bin 21 jahre alt. Ich möchte euch meine Geschichte erzählen, voller Herz schmerzen und Trauer, doch auc...
8K 179 78
Jessica ist eine junge Nixe. Sie wohnt zusammen mit ihrer Mutter Aurelia in der wunderschönen Unterwasserstadt Atlantis. Als ihr Freund James ihr ein...