Ann hat die Versorgungstour auf den nächsten Tag gelegt und genügend Freiwillige aus dem Militärtrupp gefunden, die mit uns fahren. Ann war die starke Präsens von Aguni's Leuten nicht wirklich recht, aber der Hutmacher fand es wäre eine gute Idee. Mit zwei Autos haben wir uns auf den Weg zum Krankenhaus gemacht. In dem ersten Wagen saßen Ann, Chishiya und zwei von dem Militärtrupp. Ich musste in dem zweiten Wagen mit Niragi, einem Mann mit einer Handfeuerwaffe und dem Typen mit dem Schwert sitzen. Auf der Fahrt bemerke ich irgendwann, wie der Letztere mich stumm anstarrt, was mir irgendwann so auf die Nerven geht, dass ich einfach zurück starre. Nach einer Zeit scheint ihm das unangenehm zu werden und blickt endlich wieder aus dem Fenster.
Allgemein sind meine Nerven bis zum äußersten gereizt, denn er Mann vor mir trinkt die ganze Zeit Bier und Niragi hat das Radio auf volle Lautstärke gestellt. Warum konnte ich nicht einfach mit Ann fahren?
Nach schätzungsweise zwanzig Minuten fahren wir in die Tiefgarage des Krankenhauses und steigen aus den Fahrzeugen. Wir stellen uns in einem Halbkreis vor einem Plan des Gebäudes auf. Chishiya und Ann scheinen zu diskutieren, wie wir am besten vorgehen und in welche Stockwerke wir müssen. Währenddessen sehe ich Niragi nur wartend an und nachdem er betont die Augen verdreht, gibt er mir mein Messer. Das stecke ich mir wie immer hinter den Rücken in meine Hose und als der Schwerttyp neugierig auf die Klinge sieht, funkele ich ihn nur an.
„Also, ich und Sayuuri sehen uns die oberen zwei Stockwerke an. Chishiya übernimmt das Stockwerk danach mit zwei von dem Militärtrupp, Niragi du übernimmst die untere Etage mit einem deiner Soldaten"
Gorillas trifft es eher. Ich nicke nur bestätigend und bevor Niragi irgendetwas sexistisches sagen kann, von wegen wir brauchen doch jemanden, der uns zwei beschützt, zieht sie mich zum Treppenhaus mit.
„Übernimmst du das oberste Stockwerk?"
„Klar, nach was soll ich Ausschau halten?"
„Hier ist eine Liste von den Akten die ich brauche. Sonst alles was man gebrauchen könnte: Antibiotika, Beruhigungsmittel, Verbände, Skalpelle und Einweghandschuhe"
Verständlich nicke ich und wir trennen uns. Ich laufe noch ein Stockwerk weiter und lese auf dem Schild ‚Psychiatrie'. Na super.
Ich stehe vor einer großen Glastür und sehe nur ein Kartenlesegerät. Ich laufe um die Rezeption herum und suche nach einem dieser Kartenschlüssel, um weiter zu können. Ich breche mit meinem Messer eine der Schubladen auf und nehme die Karte eines Betreuers heraus. Nachdem ich es zaghaft durch das Gerät ziehe, erscheint ein grünes Licht und mit einem Schleusengeräusch öffnet sich die Tür einen kleinen Spalt. Die Karte behalte ich, falls die Tür wieder ins Schloss fällt.
Als erstes suche ich das Archiv mit den Patientenakten. Ich suche die Namen auf dem Zettel in den jeweiligen Registern und lege sie alle auf einen Stapel. Warum braucht Ann die Akten nur? Ich lasse die Akten erst einmal auf ihrem Platz und mache mich auf die Suche nach anderen nützlichen Dingen. Ich entdecke eine große, schwarze Sporttasche und leere deren Inhalt aus. Die eignet sich perfekt zum Transportieren. Ich packe erst die Akten ein und schmeiße dann alles an Medikamenten rein, die sich interessant anhören.
Niragi verhält sich seit unserem letzten Spiel zwar immer noch wie er selbst, aber ich komme damit eindeutig besser klar. Zu wissen, dass er nicht nur einfach Leute grundlos erschießt beruhigt mich ein wenig. Ich weiß nicht warum, aber meine Gedanken gehen automatisch zu Chishiya. Wie er gestern meinte, dass er heute mitkommt lässt mich immer noch grinsen. Es war wie als hätte es mir und Ann gegenüber eine völlig andere Bedeutung.
Ein lauter Knall lässt mich zusammenfahren und ich sehe aus dem Fenster eine schwarze Rauchwolke. Ich laufe vorsichtig darauf zu und erkenne, dass der Rauch von einem Fahrzeugbrand kommt. Wie zur Hölle kann ein Wagen einfach so in die Luft fliegen, irgendetwas stimmt hier nicht. Ich schließe schnell die Tasche und schultere sie, bevor ich wieder aus dem abgesperrten Bereich gehe. Ich laufe zu dem Treppenhaus und sehe über das Geländer nach unten. Im selben Moment erscheinen drei weitere Köpfe. Ein Stockwerk unter mir kann ich Ann erkennen, ein Geländer unten drunter erscheinen sowohl Chishiyas weißblonde Haare als auch Niragis schwarzer Dutt.
"Was war das?", fragt Niragi genervt und sieht nach oben.
"Eine Explosion, wir sollten lieber verschwinden", sagt Ann ernst. Es ertönen von unten drei laute Schüsse und wir sehen alle zum ersten Stock. Jemand packt mich an meinen Schultern und mit einer ungeheuren Kraft werde ich umgeschmissen. Mir entfährt ein kurzer Schrei, während ich die Stufen herunterfalle. Und dabei höre ich immer die selben Geräusche : Kaboom, Kaboom.
Ich lande mit einer Wucht auf dem Rücken und drehe mich langsam mit schmerzverzehrtem Gesicht auf die Seite. Meine Rippen brennen und ich schließe meine Augen, weil mein Kopf laut dröhnt. Ich kann Ann meinen Namen rufen hören, doch sobald ich die Augen öffne erkenne ich einen Mann mit wilden Haaren vor mir. Er sieht mich mit seinen großen Augen an und packt mich wieder an den Schultern. In seinem Blick erkenne ich mehr Angst als Wut und er schüttelt mich immer wieder. Erst nach ein paar Sekunden bemerke ich, dass diese Geräusche von ihm kommen. Er wiederholt immer wieder in verschiedenen Lautstärken das Wort 'Kaboom'. Ich sehe ihn verwirrt an und bei jeder Wiederholung wird er immer aggressiver.
Irgendwann schüttelt er mich nicht mehr an den Schultern, sondern legt seine Hände um meinen Hals. Ich erkenne, dass er Krankenhauskleidung trägt. Da er eben hinter mir aufgetaucht ist muss er aus dem selben Stockwerk gekommen sein, aus der Psychiatrie. Ich verstehe.
Auch wenn der Mann mir die Luft abdrückt hebe ich beschwichtigend die Hände, um ihn zu beruhigen. Er muss durch die Explosion aufgeschreckt worden sein, vielleicht will er nicht alleine sein oder mich warnen, jedenfalls auf seine eigene Art und Weise.
"Kaboom", wiederhole ich und er scheint sich langsam zu beruhigen. Sein Griff um meinen Hals lockert sich ein wenig und hustend rücke ich von ihm weg, als sich eine Hand um meinen Arm legt. Chishiya hilft mir wieder auf die Beine und stellt sich mit Niragi vor mich. Neben mir auf den Treppen entdecke ich den Mann mit dem Schwert und ein anderes bewaffnetes Beach- Mitglied wieder. Niragi setzt schon seine Waffe an, doch Ann scheint der selben Meinung zu sein wie ich und drückt den Lauf des Gewehres nach unten. Während Ann die Aufgabe übernimmt, den Mann zu beruhigen deutet mir Chishiya, dass ich leise sein soll. Ich höre von unten fremde Stimmen und als ich über das Geländer luge, sehe ich schon unser nächstes Problem. Vier Männer und eine Frau in Sträflingskleidung und Waffen kommen die Treppen hoch was bedeutet, dass wir in der Falle sitzen.
Ich hole schnell den Kartenschlüssel hervor und zeige ihn Ann, die nur bestätigend nickt. Chishiya scheint ebenfalls zu verstehen, nimmt die Karte an sich und läuft mit Niragi vor, während ich mit der Frau neben mir den Mann in Krankenhauskleidung beruhigen und mit uns ziehen. Selbst durch sein wirres Gerede könnten die Fremden bemerken, dass hier noch andere Leute sind. Es ist sicherer den Mann mit uns kommen zu lassen, als das Risiko einzugehen. Nachdem wir alle den abgesperrten Bereich betreten haben, schließt Chishiya die Sperre wieder zu und wir nehmen alle Deckung. Links neben mir am Eingang sitzt Chishiya, auf meiner rechten Seite der verwirrte Mann mit den wilden Haaren. Neben ihm hat Niragi in der Hocke sich postiert und sieht den Mann zwischen uns misstrauisch an.
Auf der anderen Seite sehe ich zu Ann und den anderen beiden Männern vom Militärtrupp die Augenkontakt mit Niragi suchen. Wir haben zwei Schusswaffen, die Sträflinge im Krankenhaus mindestens vier. Das bedeutet unsere besten Chancen bestehen darin, uns zu verstecken und zu warten, bis sie wieder gehen. Ich spüre jemanden an meinen Haaren ziehen und drehe mich nach rechts. Der Mann mit dem verwirrten und verängstigten Blick wippt immer wieder hin und her, während er durch eine Strähne meiner Haare fährt. Es scheint ihn ein wenig zu beruhigen und ich lächele ihn leicht an, was ihn dazu veranlasst weniger nervös zu wippen. Ich forme mit dem Mund, dass alles in Ordnung sei und er nickt nur wild.
Seine weit aufgerissenen Augen machen mir ein wenig Angst, weswegen ich mein Stück von ihm wegrücke und mit meiner Hand an die von Chishiya stoße. Unsere Blicke gehen direkt zueinander und er harkt seinen kleinen Finger leicht in meinen, während er mit zunickt. Ich lächele ihn dankbar an und beruhige mich ein wenig, auch wenn mein Herz einen Purzelbaum schlägt. Doch der fremde Mann neben mir wippt wieder schneller und schlägt sich ab und zu selbst auf den Hinterkopf. Ich löse meine Berührung zu Chishiya und fädele schnell einen Schnurrsenkel aus meinen rechten Schuh. Ich drücke ihn dem Mann in die Hand und mit seinem fixierten Blick auf das Band, lässt er sich gegen die Wand fallen und beginnt einige Knoten auszuprobieren. Er scheint für eine Zeit lang ruhig gestellt zu sein und meine Gedanken gehen zurück zu Chishiya und etwas, das Kuina gesagt hat: Warum hast du deine Hand weggezogen.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und lege meine Hand wieder neben seine, dieses Mal bin ich es die sich wieder einharkt. Ich sehe nur nach vorne und versuche ruhig zu bleiben angesichts der angespannten Situation. Ich schließe kurz meine Augen und lege meinen Kopf an die Wand hinter mich als ich die Stimmen der fremden Leute höre. Doch ich bemerke wie Chishiya unsere kleinen Finger nur noch mehr einharkt. Als ich zu ihm sehe stelle ich jedoch fest, dass er ziemlich ruhig wirkt.
Ich höre einen neuen Schuss fallen und dann geht alles blitzschnell, sodass ich nicht an der Situation ändern kann. Der fremde Mann neben mir lässt den Schnurrsenkel vor schreck fallen und wird panisch. Er steht auf und schnappt sich meinen Fuß. Er läuft zu dem Durchgang und zieht mich mit sich. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und versuche mich am Boden gegen die Kraft des Mannes abzustützen. Sofort legt Chishiya seine Arme um mich und hält mich fest, damit der Mann mich nicht auf den Gang in Sichtweite der Sträflinge zieht. Panisch greife ich nach seinem Arm und versuche mich festzuhalten, doch dadurch dass der fremde Mann immer noch an meinem Fuß zieht, fühlt es sich an als würde ich in zwei Hälften gerissen werden. Mich durchfährt der stechende Schmerz des Haibisses und schreie laut auf, doch sofort hält mir Niragi den Mund zu. Ich winde mich vor Schmerzen und es bilden sich Tränen in meinen Augen, doch niemand der Männer lässt ab.
Irgendwann zieht der Mann mit der Krankenhauskleidung so heftig, dass mein Schuh herunterfällt und er abrutscht. Er hat so kräftig gezogen, dass er auf die andere Seite fällt. Während Chishiya mich wieder an meinen Platz zieht, reagieren Ann und die beiden vom Militärtrupp schnell und fixieren den anderen Mann am Boden, während sie ihm den Mund zuhalten. Ich unterdrücke einen lauten Schrei und Niragi hilft, mich wieder zu ihnen zu ziehen. Ich drücke mein Gesicht in Chishiyas Oberarm, um die Schmerzen auszuhalten und atme durch meine zusammengebissenen Zähne. Die Fremden draußen scheinen von alle dem nichts mitbekommen zu haben, denn die Stimmen entfernen sich wieder von der Station, während sich Chishiyas Weste mit meinem Blut tränkt.