Brennende Feuer - Dunkle Scha...

By MagdalenaEfrt

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Alles beginnt mit einer außerkörperlichen Erfahrung für Dalerana. Dann steigt die junge Frau hinab in das Rei... More

+ Vorwort +
1) An einem dunklen Ort
2) Späte Reue
3) Antworten, die keine sind
4) Das Tor zur Unterwelt
5) Der Fürst der Finsternis
6) Die Macht der Zerstörung
7) Bilder aus der Hölle
8) Namenlose Schatten
9) Moderne Medien
10) Nomen et Omen
11) Hell's Gate
12) Vorstellungen von der Hölle
13) Lux Eterna
14) Palast der Wünsche
15) Geteiltes Leid
16) Zuflucht
17) Bettgeflüster
18)Gottes Werk - Teufels Beitrag
19) Eine weitere Begegnung
20) Totengericht
21) Über Umwege
22) Das Lichtland
23) Das Gefilde der Binsen
24) Eine Warnung
25) Offenbarungen
26) Konfrontation
27) Fragen und Antworten
28) Nephilim
29) Am Ufer des Styx
30) Zischende Flammen
31) Türsteher
32) An der Weggabelung
33) Die Göttin vieler Dinge
34) Schwarze Schnecken
35) Traumreise
36) Tanz der Toten
37) Kopie und Fälschung
38) Alte Weisheit
39) Der göttliche Plan
40) Rückkehr
41) Die Jagd
42) Die weißen Räume
43) Uneins
44) Die Quelle des Bösen
45) Über die goldene Brücke
46) Unter dem Weltenbaum
47) Gegensätze
48) Der Leichenstrand
49) Abschied und Anfang
50) Nahende Rettung
52) Bruderkampf
53) Der Anfang vom Ende
54) Nemesis
55) Zwei Seiten einer Münze
56) Göttergericht
57) Daleranas Aufgabe
58) Das Buch des Lebens
59) Eine Handvoll Angst
60) Die vier letzten Dinge
61) Erleuchtung
62) Die neue Welt
63) Heimkehr

51) Worte sind Waffen

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By MagdalenaEfrt

Es ist ein Wunder, dass ich nicht hinfalle. Vermutlich nur den engen Fesseln geschuldet, die sich um meine Hände winden und dem Seil, das Anden stramm in seinen hält. Ich stolpere mehr als einmal über Wurzeln, bleibe in Dornengestrüpp hängen, reiße mir die Schienbeine auf, spucke Laub und Staub aus meinem Mund.

Ich habe längst die Orientierung verloren. Ein Baum gleicht dem anderen. Eichen, Buchen, dazwischen vereinzelt ein Nadelbaum, Farne, Nesseln und ein Pfad, der mehr überwuchert als zugänglich ist - aber unverkennbar ein Pfad. Ob von Mensch oder Tier gemacht, vermag ich nicht zu beurteilen.

Mehr als ein Paar Augen funkelt uns aus dem Unterholz entgegen. Tiere? Dämonen? Ich kann es nicht genau erkennen.

"Wohin gehen wir?"

Als Antwort zieht Anden nur ruckartig an dem Seil. Wie ein unartiger Hund an der Leine, bin ich gezwungen einen Schritt vorwärts zu machen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dabei straffen sich meine Fußfesseln und verhindern, dass ich den nächsten Schritt machen kann. Schneller als ich reagieren kann, kommt mir der Untergrund entgegen. Doch bevor ich hart aufschlage, zerrt Anden erneut an meinen Fesseln und zieht mich in die Höhe. Die Schnüre beißen sich schmerzhaft in die Haut meiner Handgelenke. Ich zische laut auf. Anden quittiert den Laut mit einem Lachen und zieht mich weiter. Ich stolpere hinterher, so schnell ich kann. Immer weiter zwischen den Bäumen und Wurzeln hindurch. Das Laub über uns ist so dicht, dass kein Fleckchen Himmel zu erkennen ist. In den Ästen zwitschern Vögel. Die Umgebung wirkt beinahe friedlich. Unter normalen Umständen würde ich es vielleicht sogar genießen, hier zu sein. Wenigstens ein wenig. Wälder erscheinen mir immer auch etwas Bedrohlich mit all den Tieren, die tief im Verborgenen leben. Schlangen. Insekten, Spinnen und Ameisen. Holzwürmer, Maden, Schnecken, Holzböcke. Aber es sind nicht nur die kleinen Viecher, die mir Angst machen. Dieser Wald wirkt so urtümlich, dass es mich nicht wundern würde, wenn es hier von Hirschen mit prächtigen Geweihen, Bären mit wuchtigen Tatzen und Wölfen mit spitzen Zähnen nur so wimmeln würde.

Während Anden mich weiterzerrt, meine Handgelenke brennen und die Fesseln in meine Fußgelenke schneiden, suche ich die undurchdringliche Wand ab, die mich von allen Seiten umgibt. Ich fühle den Blick vieler Augenpaare auf mich gerichtet, aber keines der Wesen zeigt sich gänzlich. Würde Anden mich beschützen, wenn sich ein Bär auf uns stürzen würde? Oder gehorchen die Tiere des Waldes ihm?

Aber keine wilde Bestie erscheint, um meine Theorie zu bestätigen und ich weiß nicht, ob ich darüber erleichtert sein soll oder nicht.

Dann wird der Trampelpfad irgendwann breiter. Meine Füße finden schlammige Erde und Gras. Es gibt weder Zweige, die ins Gesicht peitschen, noch Wurzeln und Ranken, die sich um meine Beine winden.

Endlich habe ich Raum, um zu überlegen. Denk nach, sporne ich mich an und mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Es ist einfach. Ich tue, was ich am Leichenstrand getan habe. Ich löse mich in Luft auf, aber - es funktioniert nicht. Frustriert starre ich auf meine gefesselten Hände, die sich nicht verflüchtigen wollen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie ein Vogel zu schweben. Nichts passiert.

Anden stößt einen grässlichen Laut aus. Wohl der Versuch eines verunglückten Lachens. Es klingt, als würde er ersticken. Wäre mir recht. Ich hätte keine Einwände. Aber auch dieser Wunsch wird nicht Wirklichkeit.

"Vergiss es", zischt er jetzt, ohne sich zu mir umzudrehen. "Du glaubst wohl, ich bin komplett bescheuert."

"Da bin ich mir bereits ziemlich sicher", stoße ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Ich bereue meine vorlauten Worte eine Sekunde später, als mich Anden brutal zu sich heranzieht.

Er packt meinen Oberarm mit einer Hand. So fest, dass ich weiß, dass ich blaue Flecken bekommen werde, aber das ist augenblicklich nicht meine größte Sorge.

Die andere Hand streckt sich zu meinem Gesicht und die Finger drücken sich in meine Wangen, dass ich vor Schmerz aufschreie. Sein Gesicht schiebt sich in mein Blickfeld und er starrt mir in die Augen. Für einen Moment erwarte ich, dass er mich gleich küssen wird. Aber er bläst mir seinen Atem ins Gesicht. "Werd nicht frech, Kleine. Ich bin nicht Aljan. Vergiss das nicht."

Dann stößt er mich von sich, sodass ich ins Taumeln gerate. Nur mit Mühe und Not kann ich mich abfangen. Meine geschundene Haut protestiert.

"Aljan!" Sein Name legt sich um meine Gedanken wie ein Rettungsring um einen Ertrinkenden auf höchster See. Die Wogen um mich herum sind vergessen. Ich sehe nur noch sein Gesicht in meinem Gedächtnis.

"Wo ist Aljan? Erit hat ihn in eine Falle gelockt, stimmt's?"

Ich erwarte keine Antwort, brauche sie auch nicht wirklich, denn ich weiß es längst, daher bin ich überrascht, als ich sie doch bekomme.

"Rührend. Wirklich rührend, deine Sorge", höhnt Anden. "Ob er sich auch so um dich sorgt? Na, Erit wird es uns berichten, wenn er zurückkommt. Ihr beide habt es uns so leicht gemacht, euch zu trennen. Erit will eigentlich nur dich, aber dazu musste er Aljan erst loswerden."

"Und was springt für dich dabei heraus?", frage ich. "Bist du gerne sein Handlanger? Wie fühlt es sich an, der Schatten seines großen Bruders zu sein? Fühlt es sich gut an, die Drecksarbeit für ihn zu erledigen?"

Andens Geduld scheint zu Ende. Er holt aus und verpasst mir eine Ohrfeige. Meine Wange brennt und ich wünsche mir, mit meinem Blick töten zu können. Da ich das nicht kann, greife ich zu dem letzten Mittel, das mir bleibt. Ich spucke, aber anstatt sein dreckiges Gesicht, landet mein Geschoss auf dem Boden vor seinen Füßen.

Was mir eine erneute Ohrfeige einbringt. Jetzt brennt auch meine andere Wange wie Feuer.

"Klar gerne, nimm auch die andere Wange." Ich erschrecke, wie erbärmlich meine Stimme klingt. Jede Mundbewegung verursacht Schmerzen und ich schmecke das Blut auf meiner Zunge. Aber ich bin immer noch entschlossen, ihm zu trotzen. Mein Zorn stachelt mich an. Es ist mir egal, ob er mir noch mehr weh tun wird. Ich bin sicher, dass ich es aushalten kann. Egal was. Ich halte ihm die erste Seite hin. "Willst du noch mal? Macht es Spaß, wehrlose Mädchen zu schlagen?" Meine innere Stimme mahnt mich, es nicht zu weit zu treiben.

Anden beschließt, nicht weiter auf mich einzugehen. Und ich wundere mich, dass er sich kontrollieren kann und gleichzeitig muss ich an ein altbekanntes Sprichwort denken. Er dreht sich um und zieht mich weiter den Pfad entlang. Ohne mich anzusehen, ohne etwas zu sagen, aber immer noch hält er die Fesseln wie Zügel in der Hand. Immerhin läuft er jetzt etwas langsamer, was mir Gelegenheit gibt, über meine Situation nachzudenken. Viel kann ich nicht tun. Worte sind die einzige Waffe, die ich noch habe. Ich sollte sie wohlüberlegt einsetzen. Aber was kann ich damit anstellen?

Worte können scharf sein, aber kann ich mit ihnen irgendetwas bewirken?

Eine ganze Weile folge ich Anden schweigend. Starre abwechselnd auf seinen Rücken und auf den Wald. Aber auch von dort erhalte ich keine Antworten. Wie stumme, knorrige Riesen ragen die Bäume empor, unbeeindruckt von meinem Leid.

Irgendwann, ich kann nicht sagen, wie viel Zeit vergangen ist, lichten sich die Bäume und wir treten auf eine farnbewachsene Wiese.

An deren Ende der Lichtung erhebt sich zwischen zwei mächtigen Eichen ein Baumhaus. Es ist riesig. Der mittlere Teil steht auf Stelzen, rechts führt eine hölzerne Treppe und links eine Leiter hinauf zu einer Plattform. Über einen Steg gelangt man zu einem weiteren Teil, der noch weiter hinauf führt. Es ist der Traum jedes Kindes, das sich je ein Baumhaus gewünscht hat. Robin Hood wäre sicher vor Neid erblasst. Aber Anden betrachtet das Bauwerk nicht eine Sekunde, sondern führt mich daran vorbei.

Zu dem Zirpen der Grillen und dem Zwitschern der Vögel drängt sich ein weiteres Geräusch. Eines, das keinen tierischen Ursprung hat. Als wir uns dem anderen Ende der Lichtung nähern, erkenne ich die Quelle des Geräuschs. Zwischen einigen Felsen sprudelt ein Rinnsal hervor. Schilfgräser und gelbe Blumen säumen seine Ufer. Bienen und Schmetterlinge summen umher. Anden führt mich weiter, wieder auf den Wald zu. Das Wasser sammelt sich zu einem kleinen Bächlein, dem wir auf einem laubbedeckten Pfad folgen. Längst hat uns der Wald wieder verschluckt.

Ich erinnere mich an etwas. "Aljan!", flüstere ich. Hat er nicht gesagt, dass ich ihn jederzeit rufen kann. "Aljan", rufe ich noch etwas lauter.

Aber es ist Anden, der mir antwortet. "Sei still. Das ist mein Reich. Kapierst du es nicht, dass hier niemand Macht hat, außer mir?"

Oh nein, das kapiere ich ganz und gar nicht. Ich weigere mich. Er vergisst, dass mir noch die Macht der Worte bleibt, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, was ich damit anzufangen gedenke. Aber mir wird schon etwas einfallen. Muss einfach! Auch wenn ich mit einem Funken meines Verstandes weiß, dass ich mich an einen dünnen Grashalm klammere, nur um die Hoffnung nicht zu verlieren. Den dieser Gedanke wäre unerträglich. Die Bäume stehen hier weniger dicht zusammen und erlauben einen Blick in die Tiefe. Laub bedeckt den Boden, hier und da liegen Äste und Zweige abgebrochen auf dem Boden. Wurzeln ragen aus dem Erdreich, aber es wächst kaum eine Pflanze, dafür säumen moosbewachsene Gesteinsbrocken den Untergrund. Der Wald wirkt still, unbewohnt - düster.

Der Wasserlauf windet sich über ein schlammiges Bachbett, nur noch eine vage Erinnerung an die Frische und Lebendigkeit seiner Quelle. Mir wird schlagartig kalt.

Der Pfad folgt einer Biegung des Wassers. Auf der anderen Seite erhebt sich der Untergrund. Moosbedeckte Felsen türmen sich auf, bilden einen Abhang. Nach wenigen Metern öffnet sich das Gestein zu einer kleinen Grotte. Wasser sammelt sich an der überhängenden Decke und tropft herunter. Es riecht muffig, nach Erde und Sporen.

In die rissige Felswand sind Eisenringe eingelassen. Nur zu bald erkenne ich deren Zweck. Anden zieht mich zu einem von ihnen und bindet den Strick daran fest. Er zurrt, bis das Seil spannt und ich mich kaum mehr bewegen kann. Die Felswand presst sich kalt in meinen Rücken.

Ohne ein weiteres Wort kehrt Anden mir seinen breiten Rücken zu und ist kurz darauf um die Ecke des Pfades verschwunden.

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