Chapter 16- Die Wahrheit Teil 2

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Ich blieb eine Weile still.

Einfach still.

Nicht in der Lage etwas zu sagen.

Nicht in der Lage sich zu bewegen.

Nicht in der Lage einen klaren Kopf zu bekommen geschweige denn richtig denken zu können. Einen richtigen Gedanken konnte ich einfach nicht fassen.

Ich spürte zwar die Blicke meiner Mom und meines doch lebenden Opas und ich spürte ja schon fast wie sie schrien 'Sag doch etwas!', aber das war mir in dem Moment egal.

Was heißt egal. Ich konnte einfach nichts tun. Wie soll man nun mal umgehen, wenn dir ein alter Mann, vondem du dachtest, dass er tot wäre, erzählt, dass die Operation, die du in paar Tagen hast, dich womöglich umbringt?

Was sollte man in dieser Situation sagen? antworten?

"Kathy?" hörte ich eine weit entfernte Stimme. Doch die kam von meiner Mum, die eigentlich direkt neben mir saß. Trotzdem hörte sich ihre Stimme unreal an.

Ich schaute nur geradeaus auf einen Punkt vor mir und blinzelte kaum. Ich war wie in Trance. Alles um mich herum kam mir unreal vor. Ich war in meinem Kopf gefangen. Gefangen mit meinen Fragen. Wie ich dieses Gefühl hasste.

Mir wurde klar, dass ich etwas sagen musste. Ich kam denen bestimmt wie eine Verstörte vor. Nunja, verstört war ich wirklich in diesem Moment etwas. Eine andere Art von verstörtsein, aber trotzdem verstört.

"Kathy, sag doch etwas." hörte ich die Stimme meiner Mum, nun lauter. Ich blinzelte ein paar Mal und drehte den Kopf langsam zu ihr.

"Wieso?" fragte ich, während man sich entscheiden konnte, ob meine Stimme eher wütend kling oder verletzt.

"Wieso was, Kathy?" fragt meine Mutter etwas verwirrt.

"Wieso hast du gesagt Grandpa sei tot? Wieso hast du mir in dieser Nacht erst erzählt wie es Grandma erging. Und dann hast du eiskalt in einem kurzen Satz hinzugefügt, dass Grandpa eine kurze Zeit später starb. Du hast mir verdammt nochmal ihre 'Krebsgeschichte' erzählt. Wie konntest du das tun? Ich hatte Mitleid, wie man sich wohl fühlt, wenn man beide Elternteile verliert?
Mum ich hab gesagt du bist mein Vorbild.
Es kann sein, dass ich etwas überreagiere, aber hier sitzt nun mein Grandpa, dein Vater, und du hast ohne mit der Wimper zu zucken gesagt, dass er nicht mehr lebt. Tut mir leid, aber soetwas möchte ich nicht als Vorbild.
Sag mir wieso? Du warst nie diejenige die lügt. Selbst wenn du etwas nicht sagen wolltest, hast du die Antwort verschwiegen. Bist der Wahrheit aus dem Weg gegangen, oder sonst etwas, hast aber nie gelogen. Du hast es einfach nicht ausgesprochen, aber deiner Tochter eiskalt ins Gesicht zu lügen, ist tief. Es geht um Tod. Sowas nimmt mich vorallem jetzt in dieser Zeit echt mit. Also sag mir wieso?" Ich war total histerisch. Ich eskalierte schon fast und ich wedelte, während meiner Aussage, die ganze Zeit mit meinen Händen herum.

Meine Mum fing an zu weinen, während ich sie schon fast anschrie und ich bemerkte auch, als ich einen salzigen Geschmack in meinem Mund spürte, dass ich weinte.

Grandpa hatte ich währenddessen total vergessen, aber hatte auch jetzt nicht vor zu ihm zu gucken oder ihn miteinzubeziehen. Mein Kopf war zu voll. Erstmal musste ich die Frage beantwortet bekommen, damit mein Kopf leerer wird und mich dann irgendwie um ihn kümmern. Es ging zwar um Ihn, aber nicht er hat gelogen, sondern meine Mum.

"Kathy... es-es tut mir leid. Ich wollte das ganze eigentlich nicht. Ich hatte dir in der Nacht von Grandma erzählt und hatte erstmals gar nicht an meinen Dad gedacht. Ich war so vertieft in meine Erzählung, dass ich erst kurz bevor ich sagte, dass er tot ist, darüber nachgedacht habe wie ich versuchen soll ihn von dir fernzuhalten. Natürlich nicht für immer, aber die Sache ist die. Ich wusste wie Dad zu der Operation steht. Ich wusste, dass er dir Angst machen wird. Du kannst mir nicht sagen, dass du jetzt keine Angst hast. Das wollte ich verhindern. Ich wollte dich schützen. Ich wollte nicht, dass du noch mehr Angst hast, als jetzt schon. Jeder hat irgendwo Angst vor einer Operation. Doch ich wusste, dass sie noch größer wird, wenn Grandpa dir das erzählt.
Es war für dich. Ich habe einfach nicht richtig nachgedacht. Es rutschte mir raus, bevor ich eigentlich selbst realisieren konnte, was ich eigentlich sagte. Ich hatte ihm schon davor, in Telefonaten gesagt, dass er sich in der Zeit vor der Operation von dir fernhalten soll. Nicht im negativen Sinne.
Es ist nämlich nicht bei jedem so, dass die Operation schlechte Folgen hat. Ich habe mich darüber informiert, und es ist bei weniger als 1/4 passiert. Keiner sollte dir Angst machen. Bitte... Bitte.. Kathy.. Ich wollte dich nicht verletzen...Ich wollte... Ich.. Ich wollte dich nicht anlügen.. Ich war verzweifelt verdammt nochmal." Ihr letzter Satz war ein hoffnungsloses schreien. Sie schluchzte die ganze Zeit, während sie erzählte und ich schluchzte mit ihr zusammen. Niemand kann seine eigene Mutter so sehen. Ich nahm ungewollt ihre Hand.

Die ganzen Wahrheiten die mir heute, in so kurzer Zeit, offenbart wurden waren zu viel für mein Herz, für meinen Kopf und für meine Seele.

Ich schwankte zwischen Wut, wegen der Lügen, Verzweiflung, weil ich nicht weiß was ich tun soll, Traurigkeit, weil ich enttäuscht bin aber auch Freude, dass mein Opa doch nicht tot ist.

Ich war aber auch verwirrt. Verwirrt über das Gefühlschaos was in mir vorgeht.

Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber danach sofort wieder, weil ich.... ich weiß nicht. Ich könnte mir Haare rausreißen, weil ich so verwirrt bin.

Ich atmete einmal tief ein und aus, öffnete dann nochmals meinen Mund, diesmal aber mit Erfolg.

"Mum. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Du lügst mich an, obwohl du mir seit dem ich klein bin immer sagtest, dass lügen nicht okay wäre. Ich bin einfach verwirrt und das alles ist wirklich zu viel. Ich muss das alles einfach verdauen. Versteh mich bitte." Ich seufzte und überlegte schnell, was sie noch alles gesagt hatte, bevor ich fortfuhr. "Aber es ist einfach nicht okay, dass du mir die Wahrheit verschwiegen hast. Ich könnte zu den 1/4 gehören. Was wenn mit mir genau dasselbe passiert. Immerhin sind Oma und ich  ja verwandt. Du konntest mir das nicht einfach vorenthalten. Du hättest offen sein sollen. Ich... Ich weiß nicht was du jetzt von mir hören willst, aber ich denke, dass Opa auch irgendetwas wie eine Erklärung verdient hat."

Mein Kopf war von der einen Sekunden zu der Anderen einfach leer.

Ich fand keine Worte mehr.

Ich kam mir verarscht vor, und ich fühlte mich dämlich.
Ich blickte zu Grandpa, der ebenfalls nasse Wangen hatte, und das brachte mir wieder die Tränen in die Augen. Ich machte einfach das, was mich vor dieser Situation noch retten konnte.

Abhauen.

"Mum. Ich lass euch jetzt alleine. Ihr braucht Zeit. Ich brauche Zeit. Ich komm' klar."

Ich stand auf und verließ den Raum und ging Richtung mein Zimmer.

Ich war mal wieder wie in Trance. Doch diesmal mit leerem Kopf. Ich guckt nur geradeaus und wollte einfach in mein Zimmer.

Meine Gefühle waren weg. Mit ihnen mein Verstand.

Ich war irgendwie nicht mehr Ich selbst. Ich fühlte mich komisch. Mein Körper machte mich verrückt. Genau jetzt, wo ich das eigentlich total nervende rumgedenke brauche, war nichts mehr da. Ich strengte mich an, doch das alles war einfach viel zu viel für mich, was in den letzten Tagen so passiert ist.

Klar, es gibt schlimmeres, aber das ist halt für meine Erfahrungen schlimm genung.

Erst erfahre ich, dass meine Oma an Krebs starb.

Dann das mein Opa anscheinend auch tot ist.Er es dann doch nicht ist.

Der Tag an dem meine Mum mir die Geschichte von Grandma erzählte war auch nicht ohne.

Dann heute der Tag, der einfach schlimmer war.

Und jetzt sitze ich hier oben angekommen, auf meinem Bett und starre ins Leere. Mal wieder nicht in der Lage, irgendetwas sinnvolles zu denken.

So ist das nun mal mit der Wahrheit.

Es gibt gute Wahrheiten und Schlechte.

Bis jetzt kamen nur die Schlechten.

KrebsWhere stories live. Discover now