Faith blinzelte. Erst erkannte sie nichts. Dann sah sie eine weiße Zimmerdecke. War sie wieder zu Hause bei ihrer Tante? Hatte sie das alles nur geträumt? Sie bewegte ihre Hände. Nicht gefesselt. Und sie lag auf einem weichen Bett. Naja, so weich auch wieder nicht. Sie blinzelte nochmal. Und die weiße Decke war auch eher grau und sah alt aus. Die vergilbte Tapete blätterte bereits ab. Faith sah nach links. Ein Fenster befand sich neben ihr, doch die Fensterläden waren geschlossen. Sie erkannte nur an den Ritzen, dass es zumindest noch Tag war, denn sanfte Lichtstrahlen fielen durch sie hindurch. Die Frage war nur, welcher Tag...
Dabei musste sie an ihren Hinterkopf denken. Er schmerzte nicht, obwohl sie darauf lag. Sie tastete vorsichtig nach der Wunde - aber man hatte ihr einen Verband angelegt. Wer? Sie wandte den Kopf unsicher nach rechts. Und erschrak. Faith gab einen überraschten Laut von sich und rückte näher an die Wand mit dem Fenster heran. Es herrschte nicht allzu helles Licht hier im Raum. Wer da saß erkannte sie trotz des mäßigen Lichtes nicht. Es war von der Statur her ein junger Mann, das konnte sie aber nicht genau sagen. Er trug ein weißes Leinenhemd mit dezenten silbernen und blauen Einarbeitungen. Über seiner linken Schulter war eine Art Schulterteil einer Rüstung aus schwarzem Leder gegurtet, an dem hinten ein schwarzer Umhang herabhing. Auf Bauchhöhe befand sich ein breiter Gurt mit metallischen Mustern darauf, die in der Mitte ein Zeichen bildeten - wie eine Art Tropfen. Was dieses Zeichen bedeutete wusste sie nicht, aber es löste dieselben Gefühle aus wie das Kreuz, das sie bei dem Mann gesehen hatte. An den Armen trug ihr Gegenüber lederne Manschetten, die teils auch metallisch waren um ihn besser zu schützen. An der rechten Hand trug er einen Handschuh aus dunklem Leder. Was aber das Irritierende war - er hatte eine Kapuze auf. Sie war ebenso weiß wie das Oberteil. Das spitz zulaufende Ende hing ihm tief ins Gesicht sodass Faith in dem Licht kaum den Mund erkennen konnte, geschweige denn die Augen. Sie hatte aber das bedrückende Gefühl dass er sie stumm anstarrte und dabei durchgehend musterte. Irgendwann stand er auf und verließ den Raum. Dabei sah sie, dass das Oberteil eher einer Robe glich und er eine helle Hose trug, die aber schon weit oben von schwarzen Stiefeln verdeckt wurde.
Irgendetwas war jedoch komisch... Komischer als die Kapuze. Ja, man hörte seine Schritte kaum, obwohl Faith eher ein Knarzen des alt wirkenden Parkettbodens erwartet hatte. Sie sah ihm verwirrt nach und ließ sich dann ins Bett zurücksinken. Eine Kapuze... Irgendwoher kam ihr das bekannt vor. Ah, ja. Die Leute, die sie befreit und vor dem Mann mit dem Kreuz gerettet hatten - die hatten auch Kapuzen getragen. Faith fiel nur kein schlüssiger Grund ein, der diese fremden Gestalten zu solch einer Heldentat bewegen könnte... Waren sie wirklich gekommen, um sie zu retten, oder diente das nur ihrem eigenen Zweck? Faith seufzte und schloss die Augen. Ihre Tante! Wusste ihre Tante schon, dass Faith verschwunden war? Hatte sie schon die Wachen alarmiert? Wie lange war es her, dass sie das Haus verlassen hatte?
Irgendwann übermannte sie die Erschöpfung, sie nickte ein und vergaß all die Fragen vorerst.

Als sie das zweite Mal erwachte blickte sie in die Gesichter zweier Personen. Nun ja, man erkannte die Gesichter kaum, sie wurden wieder verdeckt. Von Kapuzen. War das hier der neueste Trend oder so? Unsicher blinzelte Faith die beiden an. Der eine wirkte älter und größer als der junge Mann, den sie vorher gesehen hatte. Die andere Person wirkte viel jünger und eher klein. Die Kapuze des älteren Mannes - es waren alles Männer, da war sie sich sicher - war weißer und abgerundeter als die des anderen vorhin. Außerdem war seine Montur vollkommen weiß und besaß kaum Verzierungen, höchstens zwei metallische Manschetten, einen breiten Metallgürtel und - wie Faith erschrocken erkannte - die Griffe mehrerer Messer und anderer Waffen. Außerdem erkannte sie, dass er einen Bart hatte. Ein brauner, der nun schon von grauen Strähnen durchzogen wurde. Der Junge hingegen trug eine schlichte, hellgraue Robe ohne jegliche Verzierungen, Falten oder Rüschen. Ein rotes Band diente als Gürtel, außerdem trug er dezente Ledermanschetten. Auch seine Kapuze wirkte kaum aufsehenerregend. Ich sah die beiden fragend an.
"Du wirst sicher viele Fragen haben", bemerkte der ältere Mann mit ruhiger Stimme. Er hatte die Hände hinter dem Rücken gefaltet und wirkte dadurch irgendwie weise und besonnen. Faith sah ihn erst verwirrt an und nickte dann hastig. Der Mann seufzte kurz.
"Ich werde sie dir später alle beantworten, versprochen...", erwiderte er daraufhin. "Ich bin Kadir."
Faith sah ihn erst zögernd an, dann lächelte sie schwach. Plötzlich trat der junge Mann von vorhin in Faiths Blickfeld.
"Aber Meister... Ich dachte wir verraten ihr nichts?"
Auch wenn er eine Kapuze trug merkte man deutlich, wie er seinen Meister argwöhnisch musterte. Anscheinend gehörten die drei zusammen und hatten eine Art Plan... Und der war es wahrscheinlich gewesen, Faith zu retten. Die Frage war - wieso?
"Der Plan war von Anfang an, sie mitzunehmen, mein misstrauischer Freund", erwiderte Kadir mit ruhiger, aber harscher Stimme. Sein Gegenüber öffnete kurz den Mund, schloss ihn dann aber und deutete eine Verbeugung an.
"Verzeiht mir, Meister", murmelte er daraufhin, doch seine Stimme klang nicht überzeugt. Faith war froh, dass dieser Kadir anscheinend auf ihrer Seite stand - und wohl auch noch auf einer hohen Position. Kadir wandte sich wieder an sie.
"Wie geht es dir, Faith?"
Das Mädchen stutzte. Woher kannte er ihren Namen? Jedoch zählte diese Frage wohl zu denen, die er noch beantworten würde. Also richtete Faith sich probeweise auf. Ihr Kopfweh meldete sich kaum.
"Ich denke... ganz gut. Wieso? Wo gehen wir hin?"
Faith erkannte ein Lächeln auf den Lippen des Mannes.
"Das erzähle ich dir auf dem Weg. Den Verband kannst du übrigens abnehmen."
Damit drehte er sich um und lief aus dem Raum. Der Junge, der die ganze Zeit ruhig im Raum gestanden hatte, verweilte kurz und folgte ihm dann. Faith sah mehr oder weniger gezwungenermaßen zum übrig gebliebenen Dritten. Er sah den beiden nach, dann zu ihr.
"Nur damit du es weißt - ich war von Anfang an dagegen, dich mitzunehmen", knurrte er schließlich kalt und verschwand ebenfalls aus der Tür.
Faith blieb verwirrt sitzen. Sie trug ihre Kleidung noch. Ihr weißes Hemd, die dunkle Hose und die hohen, hellbraunen Stiefel. An einem Haken im Zimmer hing ihre graue Jacke. Ja, sehr farbenfroh lief sie nicht herum. Da tauchte der unsympathische Typ wieder im Türrahmen auf.
"Kommst du?", fragte er ungeduldig nach, wartete kurz und verschwand dann wieder. Faith verdrehte nur die Augen, wickelte schnell den Verband ab, holte ihre Jacke und lief den anderen hinterher, während sie sich die Jacke überzog. Sie kam durch einen Gang, dessen Wände wie die in einem alten Fachwerkhaus aussahen. Dann kam sie zu einer Tür und trat hinaus auf die Straße.
Es war eine gepflasterte Straße - so wie jede andere hier in Synva auch. Vor der Tür standen die drei Männer mit Kapuze. Keiner hatte sie abgezogen seit Faith sie gesehen hatte. Aber jetzt konnte sie nichts anderes tun als diesen Leuten zu vertrauen. In diesem Teil der Stadt kannte sie sich nicht aus. Und selbst wenn... Diese Typen hatten Waffen. Und konnten sicher auch damit umgehen, das bezweifelte Faith nicht. Kadir lächelte sie aufmunternd an, als er bemerkte dass sie nun auch anwesend war. Die wenigen Menschen, die vorbeiliefen, warfen ihnen, wenn überhaupt, misstrauische Blicke zu und liefen wortlos weiter. Der Junge stand wieder in der Nähe von Kadir, wohingegen der andere eher Abstand hielt. Kadir schien das nicht zu stören.
"Komm, Faith", wies Kadir sie an. Die drei liefen los und Faith ging einfach links neben Kadir her. Hinter ihnen lief der Junge, vor ihnen und in einigem Abstand der mit den blauen Mustern im Gewand. Faith hatte bemerkt, dass er inzwischen einen schwarzen Langbogen um den Oberkörper herum trug - und zusätzlich noch einen schwarzen Köcher, der Pfeile mit schwarzen Schäften und dunkelroten Federn enthielt. Sie fand diese Waffen wunderschön. Aber die dazugehörige Person fand das Mädchen jetzt schon unsympathisch. Faith lief schweigend neben Kadir her bis sie einfach anfing zu reden.
"Kadir, wie heißen die anderen beiden?", wollte sie wissen und sah ihn fragend an. Er wirkte kurz erstaunt, als würde er nicht oft so angesprochen werden. Dann lächelte er aber und sah Faith an.
"Der hinter uns ist Aed, der vor uns wird Cade genannt. Nur ich kenne seinen echten Namen, aber den darf ich dir nicht verraten."
Kadir zwinkerte Faith verschmitzt zu und Faith musste unwillkürlich lächeln. Kadir hatte so eine ruhige, nette Art. Ganz anders als Aed oder Cade.
"Und wer seid ihr?"
Kadir sah plötzlich nachdenklich aus.
"Das erzähle ich dir später."
Faith seufzte und sah nach vorn. Manchmal verschwand Cade zwischen den Leuten, manchmal war er wieder ziemlich nah vor ihnen.
"Und wohin gehen wir?", wollte sie wissen.
"Das bemerkst du noch früh genug."
Kadir warf ihr kurz einen amüsierten Blick zu und sah dann wieder nach vorn. Faith machte ein missmutiges Gesicht. Wieso war denn alles so geheimnisvoll?
"Und mach dir keine Sorgen, deine Tante weiß Bescheid."
Faith warf ihm einen misstrauischen Blick von der Seite zu. Woher wusste er denn so viel? Aber solange ihre Tante davon wusste... Obwohl natürlich keine Garantie bestand, dass sie eingewilligt hatte.

Red SnowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt