34 | Niemals bedanken

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»Die beiden kennen sich noch aus der Schule, sind lose Kollegen gewesen. Haben sich manchmal unterstützt, manchmal nicht«, begann Moussa zu erzählen. Es war immer ein wenig seltsam, ihn so viele Worte am Stück sagen zu hören. Das passierte vielleicht alle paar Wochen mal, die meiste Zeit beschränkte er sich auf so kurze Kommunikation wie möglich.

»Kiral ist der Typ, mit dem Ibrahim unterwegs war, als sie ihn abgestochen haben«, fuhr Moussa fort und setzte den Blinker, um sich auf den Linksabbiegerstreifen einzuordnen.

»Ibrahim? Tareks Bruder, oder?«

Knapp nickte Moussa. »Also Kiral hatte nichts mit der Sache zu tun, aber der Kontakt zwischen denen ist trotzdem abgebrochen.«

»Tarek hat einfach keinen Bock auf egoistische Wichser, denen alles andere als ihr Erfolg scheißegal ist«, warf der Typ auf dem Beifahrersitz ein. Er hatte breite Schultern und einen kahlgeschorenen Kopf, der Stiernacken tätowiert.

»Und das' halt das Ding mit Kiral, du weißt nie, welche gezinkten Karten er im Ärmel hat.«

»Mhm.« Ich wandte meinen Blick zum Fenster raus, denn eine weitere Predigt darüber, wie dumm es war, sich mit Kiral einzulassen, wollte ich mir echt nicht geben.

Die restliche Fahrt verlief schweigend, nur der recht leise amerikanische Rap und das gelegentliche Tocken des Blinkers war zu hören. Ich entsperrte mein Handy und warf einen kurzen Blick auf den Chat mit Fede. Er hatte mir keine neue Nachricht geschrieben, die letzte stammte von heute Nachmittag.

»Ey, du kannst mich hier schon rauslassen.« Ich nickte in Richtung des Blocks, den wir beinahe erreicht hatte. Gestrichen in einem hässlichen Kotzgrün, das man jetzt bei Nacht kaum von der dunklen Umgebung unterscheiden konnte.

»Ey, Junge. Gut gemeinter Rat«, setzte Moussa an und fokussierte mich mit seinem Blick. Seine Augen hatten ein warmes Braun, das nicht zu seiner sonstigen, kühlen Ausstrahlung passte. »Nochmal macht Tarek sowas nicht.«

Ich nickte. »Bis dann«, verabschiedete ich mich von den beiden, schlug die Tür schwungvoll zu und steuerte dann langsamen Schrittes Fedes Block an. Kramte meine Kippen hervor, während ich den Motor von Moussas Karre beschleunigen und wieder verklingen hörte.

Mit der brennenden Zigarette im Mundwinkel legte ich meinen Kopf in den Nacken, dachte darüber nach, wie ich das gleich anstellen würde.

Verdammt, irgendwie freute ich mich darauf, Fede zu sehen. Wieder mit ihm zu kuscheln oder hoffentlich auch weiter zu gehen. Dieses Mal würde ich mich nicht so einschüchtern lassen. Denn das war ja auch vollkommen dämlich.

Es war ungewohnt, nüchtern genug zu sein, um den passenden Klingelknopf auf Anhieb zu finden. »Ja, hallo?«, erklang eine klare Mädchenstimme. Eine seiner beiden Schwestern, die ich nicht voneinander unterscheiden konnte. Sie ließ mich herein, allerdings ohne zu erwähnen, ob Fede ebenfalls zuhause war. Hoffentlich. Während ich die Treppen nach oben stieg, legte ich mir im Kopf zurecht, was ich gleich sagen könnte.

Mit einem Mal wäre ich am liebsten wieder umgekehrt. War doch auch scheiße, dass ich ihm ständig hinterherrannte.

In der geöffneten Wohnungstür empfing mich die ältere seiner beiden Schwestern, die vielleicht elf Jahre alt war. Giulia oder so. Gloria. »Hi«, begrüßte sie mich kühl und strich sich eine ihrer wilden Locken aus der Stirn. »Du kannst hier warten.«

Ich nickte ihr zu und verschränkte die Arme vor meiner Brust, ehe sie lautstark »Fede! C'é il tuo amico strano« ins Innere der Wohnung brüllte. Sie verschwand ohne ein weiteres Wort hinter der mit Fußballpostern beklebten Tür, die gegenüber von Fedes Zimmer lag.

Erst mal tat sich nichts, während ich die Wohnungstür hinter mir zuzog und mich dagegen lehnte. Aus dem Wohnzimmer klangen Fernseherstimmen, von irgendwoher Sirenen. Ein lautes Poltern aus dem Hausflur. Jemand, der brüllte: »Ich mach dich kaputt, du Hurenkind!«

Ich griff in meine Hosentasche und umfasste meine Kippenschachtel, drehte sie in den Fingern. Alter. Irgendwie war das doch eine scheiß Idee gewesen. Ich hatte ja nicht einmal einen wirklichen Grund, um hierher zu kommen.

»Oh, hi, Jay«, erklang auf einmal Fedes Stimme und ich löste meinen Blick von der Zigarettenpackung.

Über sein Gesicht huschte ein kurzes Grinsen, das ich erwiderte. Er steckte in dem schwarzen Shirt, das er auch im Kino getragen hatte. Dazu eine Sweatjacke und eine helle Jeans, die ein paar Löcher hatte. Etwas, das ich an anderen komplett hirnamputiert fand und doch ... meine Fresse, er sah viel zu gut aus als dass ich aufhören konnte, ihn anzuschauen. Sollte er echt mal lassen, das machte die Sache nämlich nicht unbedingt leichter.

»Hey.« Ich räusperte mich. Hoffentlich freute er sich, dass ich da war. Aber keine Ahnung, irgendwie wirkte das nicht so, dafür kam er viel zu gleichgültig rüber. Alter, war doch auch scheißegal. Der konnte dankbar sein, dass ich überhaupt bei ihm vorbeiguckte.

»Du, ich muss leider gleich los«, erklärte er und griff nach einem Müllsack, der bereits mit leeren Plastikflaschen befüllt war. Er hob ein paar herumliegende auf und stopfte sie zu den anderen.

»Arbeit oder was?«

»Ja, und davor noch das Pfand wegbringen, solange die noch aufhaben.« Er schlüpfte in seine Turnschuhe und verzichtete darauf, sie zu schnüren. Die Senkel steckte er lediglich in die Seiten.

»Boah, ich raff's nicht, wie du dich für sowas stressen lässt«, merkte ich an. »Ich könnt' mir nie so für andere den Arsch aufreißen.« Alter. Das hier ging irgendwie in die komplett falsche Richtung, das war mir hier schon klar, als ich die Worte aussprach.

»Ganz ehrlich, das ist jetzt das letzte, das ich noch gebrauchen kann. Mir deine tollen Sprüche anzuhören, wonach eh alles, was ich tue, unnötig ist«, fuhr er mich unerwartet gereizt an. Kurz begegneten sich unsere Blicke und den Ärger, der in seinem lag, erkannte ich direkt.

Ich presste meine Zähne aufeinander. Fuck, Mann, ich wollte nicht, dass diese Aktion so dermaßen nach hinten losging. Ich musste das irgendwie noch hinbiegen.

Mir das nehmen, was ich wollte.

»Und jetzt geh bitte aus dem Weg, ich muss los«, meinte Fede und schlüpfte in die Ärmel seiner Winterjacke. Seine Haare waren ein wenig durcheinander, die Wangen und das Kinn unrasiert.

»Was, wenn nicht?«, fragte ich ihn mit einem provokanten Grinsen. Ich änderte nichts an meiner Position.

»Ich find das gerade nicht so lustig.« Fede hob seine Augenbrauen und runzelte die Stirn, ehe er mich am Arm packte. Versuchte, mich von der Tür wegzuziehen, doch schaffte es nicht.

Wir waren nah genug beieinander, dass ich sein Deo riechen konnte. Ich fühlte seine Finger auf meinem Oberarm, auf meinen angespannten Muskeln ruhen. Für einen Moment sahen wir uns in die Augen. So richtig konnte ich seinen Blick nicht deuten. Aber keine Ahnung. Gerade war in meinem Gehirn ohnehin nur noch Bullshit. Nichts mehr, das Sinn machte.

Ich wollte Fede küssen. Wollte es so verdammt sehr. Damals schon, heute auch. Da hatte auch die Wut in seinen Augen gelegen und wir hatten uns genauso feindlich gegenüber gestanden.

Vielleicht wäre es besser gewesen, jetzt einfach zu gehen. Vielleicht war es nicht der richtige Moment.

Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Fick diese viel zu schwache Entschuldigung, um feige zu sein.

Ich würde nicht länger zögern. Ich war jemand, der sich nahm, was er wollte. Niemand, der sich selbst im Weg stand. Und ich konnte haben, was ich wollte. Das war es doch, wie diese Welt funktionierte. Das war es, was Gewinner von Verlierern unterschied.

Grob legte ich meine Hand auf seine Schulter und drückte ihn gegen die Wand, suchte kurz seinen Blick. Jetzt oder nie, verdammte Scheiße.



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C'é il tuo amico strano – Dein komischer Freund ist hier

Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now