Drei Fragen an den Tod

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Beitrag zu Frankfurt Youngstories 2020.
(Hat leider n Absage erhalten ://   )

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Schon viel zu lange hatte er in diesem Bett gelegen.
Schon viel zu lange war der kleine, warme Körper in seinem unruhigen Schlaf immer wieder von viel zu starkem Husten erschüttert worden.
Lange würde er nicht mehr durchhalten, da waren sich alle einig.
Und so war es.
Der Tod holte ihn sich in der Nacht.

Sanft reichte er allem, was den Kleinen zu seinen Lebzeiten ausgemacht hatte, die kühle Hand und spann es zusammen mit seiner Seele in eine neue, menschlich-körperlose Form.
So wurde er wieder zu mehr, als eine schimmernde, Seifenblasenseele und fing an, seiner fleischlichen Hülle in ihren besten Zeiten bedeutend ähnlicher zu sehen, denn der Tod konnte ihm all das geben, was er aufgrund mangelnder Zeit nie geschafft hatte zu werden.
Kaum das der Tod seine Hände von seinem neuesten Werk nahm, erwachte der Junge.

Seine Blicke schweiften durch den Raum, glitten über seinen eigenen, wie eine Wachsfigur daliegenden Körper bis hin zu seiner neuen Form, ehe er am Tod selbst hängen blieb.
Langsam drang ein penetrantes, lautes Piepen an sein durchscheinendes Ohr.
„Bist du der Tod?“, fragte die kindliche Stimme hallend.

Der Tod nickte nur und streckte seine Hand aus.
Der Junge zögerte kurz.
„Wenn ich deine Hand nehme, bringst du mich dann von hier weg bitte? Ich möchte meine Mom nicht mehr weinen sehen.“, bat er leise mit einem kurzen Blick zurück auf seinen Körper.
Wieder nickte der Tod und der kleine Junge griff nach seiner erstaunlich sanften Hand.

Der Raum begann langsam, sich aufzulösen, während die beiden langsam einen Fuß vor den anderen setzten.
Sie sahen die Ärzte nicht, die hereinstürmten und sie hörten auch ihr lautes, aufgebrachtes Gespräch nicht mehr.

Ebenso wenig vernahmen sie das herzzerreißende Schluchzen der Frau, die sich langsam auf einen Stuhl vor dem Raum sinken ließ.
„Ich hab dich lieb Mom. Bitte sei nicht traurig, es geht mir jetzt besser!“, wisperte der Junge leise, ehe der Raum ganz verblasste und sie unter einem dunklen, von tausenden und abertausenden Sternen übersähten Himmel auf einem Hügel zum stehen kamen.

Der Tod wandte sich dem Jungen zu, sein Gesicht jedoch lag im Schatten unter einer großen Kapuze.
„Wohin hast du uns gebracht?“, fragte er mit tiefer Stimme.

Der Junge sah sich um, seine hellen Augen funkelten von einem Hauch Begeisterung.
„In den Wald am Stadtrand. Ich wollte schon immer mal solange draußen sitzen bleiben, bis die Sonne aufgeht und ich den Sonnenaufgang anschauen kann.“, erklärte er.
Der Tod lächelte sanft unter seiner Kapuze.

„Ein schöner letzter Wunsch. So einfach. Lass ihn uns erfüllen.“
Der kleine Junge lächelte und strich sich ein paar widerspenstige, ehemals blonde Locken aus dem Gesicht.
„Echt? Du bleibst mit mir hier? Vielen Dank!“, meinte er, ehe er sich ins Gras sinken lies.

Wieder lächelte der Tod und setzte sich neben ihn.
Der Junge strich mit den Händen durchs Gras, nur um zu sehen dass er es nicht berühren konnte.
Er seufzte leise, als er merkte, das er aber immerhin den Wind noch spüren konnte, der ja genau so körperlos und geisterhaft war wie er jetzt.

Eine Weile lang saßen sie so da und sahen den Sternen beim Wandern über den Nachthimmel zu, ehe der Junge in die Stille der Nacht hineinfragte: „Darf ich dich mal was fragen?“.
„Natürlich, Kleiner.“
„Du kommst ja viel herum...haben die Menschen keine Angst vor dir?“
Der Tod schnaubte belustigt.
„Doch, haben sie. Aber du hattest keine.“
„Stimmt“, antwortete er,“ aber ich wusste ja auch schon, das du mich holen würdest.“

Der Tod wunderte sich, hakte aber nicht weiter nach.
„Warum denkst du, hassen dich so viele Menschen?“, hakte der Kleine neugierig nach.

Der Tod wandte ihm sein verdecktes Gesicht zu. „Sie hassen mich nicht.
Sie haben Angst vor mir, weil ich ihre Liebsten hole.
Aber früher oder später führe ich alle von dieser Welt, ganz egal wie es ihnen gerade geht oder wie gern sie bleiben würden.
Ausnahmen gibt es nunmal keine.“; erklärte ihm der Tod sanft.

„Wärest du gern noch geblieben?“.
Der Junge überlegte kurz, ehe er den Kopf schüttelte.
„Nein. Ich wäre nicht mehr gesund geworden und meine Mom wäre so traurig gewesen, sie hätte es nicht ertragen.

Ich denke, jetzt hat sie eine Chance darauf, wieder glücklich zu sein.“, erwiderte er, die kleine Stirn in Falten gelegt, nachdenklich.
Der Tod lächelte sanft.
Ein kluges kleines Kind.
Irgendwie mochte er den Kleinen, doch langsam schwand die Nacht und die Sonne begann, sich über den Horizont zu erheben.

Dem Jungen war dies ebenfalls aufgefallen, deshalb wandte er sich dem Tod mit einer letzten Frage, über die er lange nachgegacht hatte, zu.
Er hatte sie kurz bevor er krank geworden war von einem Typen in einer der kitschigen Liebesfilme, die seine Mom immer geschaut hatte, aufgeschnappt.
„Kann ich dir noch eine allerletzte Frage stellen, bevor die Sonne aufgeht und du mich wegbringst?“
Und der Tod nickte.

„Was denkst du, machen wir falsch im Leben? Und wofür leben wir?“, fragte er und richtete seine großen Augen auf die ersten, warmen Sonnenstrahlen, die alles in ein goldenes Licht tauchten.
„Eine wirklich ernste Frage für so ein junges Kind, meinst du nicht? Aber gut, ich will sie dir beantworten.“
Der Tod seufzte und richtete sich auf.

„Ich denke, ihr verlasst euch zu sehr auf etwas, was Vorsehung oder Schicksal heißt. Euer Schicksal ist die Freiheit, selbst zu entscheiden.

Eure Vorsehung ist alles zu tun, was in eurer Macht liegt.
Ihr seid nicht dafür gemacht worden, zu warten bis euch irgendeine mystische, nicht existente Macht zu Hilfe eilt. Aber anstelle wirklich und wahrhaftig und mit jeder einzelnen Faser eures Körpers zu lieben, zu lachen und vorallem zu leben, sitzt ihr da und seid sauer auf euer Schicksal.“, redete sich der Tod in Rage, ehe er dem kleinen Jungen die Hand reichte und ihn hochzog.
Die Sonne war aufgegangen und es war Zeit, ins wortwörtliche Licht zu laufen.

Der Junge folgte dem Tod, der nun aber das Gefühl hatte, einen letzten Satz sagen zu müssen ehe sie verschwanden und er weiterzog.

So wandte er sich noch beim auf die zunehmends greller scheinende Sonne Zuschweben ein letztes Mal dem kleinen Jungen zu.
„Euer einziger und schwerwiegendster Fehler im Leben ist, aufgrund von irgendwelchen Banalitäten wie den Meinungen anderer zu eurer Selbst, nicht zu leben und euch irgendwo in Selbstmitleid zu verbuddeln. Ihr lebt nicht für andere, denn der Sinn eurer Leben ist es, dem Leben einen Sinn zu geben. Ganz einfach.“
Und der kleine Junge schloss mit einem kleinen, ehrlichen Lächeln ein letztes Mal die Augen, ehe er vom Tod geleitet in ein anderes Reich überging.

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⏰ Last updated: Oct 14, 2020 ⏰

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