Über den Wolken hinaus

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Er war tatsächlich verschwunden. Das Bett lag leer im Raum, die weißen Lacken unordentlich beiseitegestossen, lag das Kissen im Gegensatz noch am richtigen Platz und es zeichneten sich gerade noch die Abdrücke des Kopfes ab. Die Stelle war eiskalt. Sein Verschwinden musste länger her sein. Dutzende Minuten, wenn nicht sogar Stunden.

»Verdammt, verdammt, verdammt!«, schrie Malachai verzweifelt und die Haare raufend. Er ging im Zimmer hoch und runter, konnte kaum still stehen bleiben, als die Tatsache ihn zu ergreiffen schien, dass er tatsächlich verschwunden war. Dass er es sich nicht eingebildet hatte und ich ihm durch meinen zweifelnden Blick bestätigte, dass das Bett des Jungen leer lag.

»Die verfluchten Mutanten wollten mich nicht töten«, sagte er. Endlich blieb er stehen, gegenüber des Bettes und ein verachtendes Lächeln setzte sich auf seine Lippen. »Sie wollten mich nur ablenken.«

»Und den Jungen holen?«, hackte ich nach. Er nickte. »Aber was würden sie von ihm wollen?«

»Keine Ahnung.«

»Du lügst.« Ich war mir noch nicht mal sicher. Es blieb eine Vermutung, die sich jedoch bestätigte, als seine Fassade bröckelte. Er wusste mehr, viel mehr, als er jemals zugeben würde in meiner Gegenwart.

»Du solltest gehen und nie mehr wiederkommen, bevor es zu spät ist.« Er packte mich unsanft an der Schulter und drückte mich in Richtung der Türe. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen sein Gewicht, wehrte mich und schaffte es schließlich unter seinem Arm vorbei zu schlüpfen. »Nein«, sagte ich bestimmend mit einem trotzigen Unterton. »Es nervt, dass alle immer glauben wissen zu müssen, was das Beste für mich sei. Was gefährlich sein soll. Verfluchte Scheiße, der Sensenmann ist mein bester Freund, in meinem Leben gibt's nichts Gefährlicheres als mein eigener Körper.

Lass mich dir helfen, den Jungen zu finden und die Geheimnisse hinter all dem zu lüften.« Theatralisch gestikulierte ich, warf die Hände in die Luft, indes meine Stimme lauter und bestimmender wurde.

Malachais Mund öffnete und schloss sich mehrmals. Er stieß laut Luft heraus, einzelne, stockende und zusammenhangslose Wörter verliessen seinen Mund. »Ich weiß wirklich nichts. Nur, dass der Junge eine wichtige Rolle spielt.«

»Aber warum sollten diese Mutanten, wie du sie nennst, einen Nutzen an ihm haben?«

Er zuckte mit den Schultern und setzte sich auf den Rand des Bettes. Seine Schultern hingen und seine Haltung sackte zusammen. Er wirkte müde und erschöpft, am Ende seiner Kräfte, als wäre der Tag bereits ewig lang gewesen und fände kein Ende. Aber es war erst Nachmittag, die Sonne stand noch hoch Oben und erst in Stunden würde der Nachthimmel über das Land einbrechen. Stunden, in denen wir gehen konnten, von dem Waldrand und der Ruine weg und rein in die Suche nach dem unbekannten Jungen.

»Es macht keinen Sinn. Die Mutanten leben erst seit zehn Jahren in dieser Welt. Es gibt keinen Grund, warum sie Interesse an einen Jungen haben sollten, der hundert Jahre zuvor hier lebte. Alles, was ich weiß ist, dass der Junge wichtig zu sein scheint. Wichtig für die Zukunft dieser Welt und -« Er stoppte, schluckte schwer und mühsam, als klemmte ein Klotz in seinem Hals. »und der Vergangenheit.«

Was auch immer es war, es gab etwas in der Vergangenheit, dass Malachai solche Angst einjagte, dass er kaum daran zu denken wagte. Ich sah, wie etwas Erdrückendes über ihn kam, das ihn zu Boden drücken versuchte, ihm seine Kraft rauben wollte. Er stemmte sich dagegen, hielt der unsichtbaren Macht stand.

»Verstehst du nicht, dass ich längst mittendrin bin?«, fragte ich.

»Du stehst erst am Anfang.«

»Vielleicht noch diese einzelne Minute.«

»Und in dieser Minute musst du dich entscheiden«, sagte Malachai. In seinen Augen blitzte etwas auf, ein kleiner Schimmer von Hoffnung. Hoffnung in etwas, dass ich unmöglich definieren konnte. Seine eigene Stimme wankte vor Angst, er überlegte, unsicher und nervös. Überlegte, sich tatsächlich einzumischen, wo er doch schon längst drinstand. Da, wo ich reingerutscht war, als ich entschieden hatte diese Welt ein zweites Mal zu betreten.

Das Amulett glitt zwischen meinen Fingern. Ich blickte darauf hinab, sah in das endlos wirkende schwarze Loch und tausende Gedanken strömten durch meinen Kopf. Über meine Familie, meine Freunde, die Krankheit, dem nun verschwundenen Jungen und Malachai.

Dann sah ich hoch, in seine Augen, die alles versuchten hinter einer dunklen Mauer zu begraben, und sagte: »ich bleibe.«

Und obwohl die Panik in mir strömte, ich glaubte, diese Entscheidung einst zu bereuen, glaubte ich keinen Fehler begangen zu haben. Ich wusste, ich hatte die richtige Entscheidung getroffen, die mir noch zum Verhängnis werden würde.

»Und ich glaube, ich weiss, wo wir anfangen müssen.«

Es reichte ein fragender Blick, damit ich weitersprach. »Was auch immer der Grund dafür ist, warum der Junge schläft...« Während ich sprach, sah ich zur Wendeltreppe, in die Dutzenden Stockwerke hinauf. »... es hat mit all dem hier zu tun. Und damit, warum die Menschen vernichtet wurden.«

LalalalaWhere stories live. Discover now