Louvre

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Lautes Gemurmel und Stimmen, die zwanghaft versuchten leise zu sein, umgaben mich. Wirr und durchdringend hallten sie durch den großen Saal, der sich mit dem Gestank der vielen Menschen gefüllt hatte.

Ich starrte auf das Bild vor mir. Es nahm einen großen Platz auf der weissen Wand ein, verziert mit einem prächtigen goldrahmen mit Verzierungen und Schnörkeln. Wenige Zentimeter in der Wand eingelassen, lag das Gemälde leicht im Schatten. Links und rechts von mir standen wenige Touristen, die auf das Gemälde starrten, als ziehe es sie in einen unmöglich zu entkommendem Bann. Im Raum nebenan, nur fünfzig Meter entfernt, tummelten mehrere Dutzend Touristen – die meisten davon aus dem asiatischen Raum, die sich unhöflich bis nach vorne zwängten. Mit erhobener Kamera galt ihr einziges Ziel die prachtvolle Mona Lisa zu fotografieren. In Zehn Metern Entfernung, hinter dickem Glas verpackt und einem perfekten Halbkreis als Holz, konnte man das wohl bekannteste Werk der Welt betrachten. Ich hatte kaum fünf Sekunden damit verschwendet, sie lediglich von weit hinten angesehen, bevor ich in einem anderen Raum verschwand. Das Gemälde war nicht wirklich etwas Besonderes, die Menschen machten es lediglich zu etwas begehrenswertem, zu etwas, als sei es zum Leben notwendig. Dabei war es nichts weiteres als Ölfarbe auf dünnem Pappelholz, das erst an Wert gewann, als der Künstler selbst starb. Es gab so viel schönere Kunst, die mehr Geld und Aufmerksamkeit verdient hätte, aber in dem Ruhm, der die Menschen selbst erschufen, unterging.

»Das Gemälde ist ebenfalls eines von Da Vinci«, sagte plötzlich eine leise Stimme neben mir. Ich zuckte zusammen, verdrehte dann die Augen. »Verfolgst du mich?«, fragte ich sichtlich genervt und drehte mich zu dem unbekannten Jungen.

»Nein. Ich denke es ist einfach Schicksal, dass wir uns immer wiedersehen.«

Ich erwiderte darauf nichts und sah stattdessen wieder zu dem Gemälde von Leonardo Da Vinci. Meiner Meinung nach war es schöner und bewundernswerter als die Mona Lisa und sollte so viel mehr beachtung verdienen. Stattdessen schienen hier nur Touristen herumzutummeln, die versehentlich in den falschen Raum gelangt waren und eigentlich zur Mona Lisa wollten. Warum aber musste man Kunst überhaupt in unterschiedlichen Wert einstufen?

»Da Vinci malte an diesem Gemälde bis zu seinem Tod. Eigentlich ist es noch nicht mal fertig und der unbekannte Auftraggeber hat es niemals bekommen. Ich finde, es ist Da Vincis Meisterwerkt.«

Winziges Interesse wurde in mir geweckt. Ich starrte auf das Gemälde und horchte seiner Stimme. »Weißt du noch mehr darüber?«

Ein wenig überrascht schlich sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen. Es schien, als würde gerade etwas in ihm aufblühen, so wie seine Wangen augenblicklich zu leuchten begannen. »Er begann es im Jahr 1506, nachdem er drei weitere Fasssungen und etliche Skizzen dazu erarbeitet hatte. Die Frau auf dem Bild ist Anna Selbdritt, nach der das Gemälde benannt ist. Sie hält Maria auf dem Schoss, welche wiederrum den jungen Jesus mit einem weißen Lamm in den Händen hält. In einer vorherigen Fassung war der Johannesknabe noch im Bild zu finden, der schlussendlich aber durch das Lamm ersetzt wurde. Sigmund Freud glaubte im Mantel von Maria die Gestalt eines Geiers zu sehen. Also ich versteh nicht, wie er darauf kommt.«

»Doch«, wiedersprach ich, das Gemälde neugierig betrachtend. »Wenn du genau hinsiehst, erkennst du es. Blende alles andere aus, dann erscheint es dir plötzlich viel klarer.«

Dann trat stille ein. Lediglich die fremden Stimmen drangen durch die Räumlichkeit und durchbrachen die Ruhe.

»Naja, nicht wirklich.« Er stellte sich aufrecht hin.

»Woher weißt du so viel darüber?«

»Ich studiere Kunstgeschichte und interessiere mich demnach auch sehr dafür. Neben Diego Velázquez Las Meninas, gehört es zu einer meiner Lieblingswerke.«

»Wer war dieser Diego...« Ich stockte beschämt.

»Velazquez«, vervollständigte er grinsend. »Er war Hofmaler des spanischen Königs Philipp der Vierte. Das Gemälde ist faszinierend und verwirrend zugleich. Es wirft Fragen auf, birgt Geheimnisse mit sich, die niemals irgendwer lüften kann.«

»Manchmal würde es mich interessieren, welche Gedanken hinter den Bildern stecken. Was der jeweilige Künstler selbst hineininterpretiert.«

»Ist es nicht das, was Kunst so begehrenswert macht? Leute interessieren sich doch nur dafür, weil sie eben so viele Geheimnisse verbirgt.«

»Vermutlich schon.« Weitere Touristen reihten sich um uns herum, die den Saal der Mona Lisa verließen. Sie blieben stehen, hoben die Kamera und schossen Bilder, bevor sie zum nächsten schweiften.

»Darf ich der werten Lady noch mehr über die alte Kunst erzählen?« Wie ein Adliger, der vor der Königin steht, verbeugt er sich, eine Hand nach vorne gestreckt und abwartend, dass ich nach ihr greifen würde. Sein Kopf hob er erst, als ich zustimmend nach seiner Hand griff.

»Liebend gerne.«

Ein breites Lächeln zierte seine Lippen. Und schon zog er mich Quer durch den Louvre, erzählte, dass es einst die Residenz französischer Könige war und das ungefähr dreihundertundachzigtausend Kunstwerke umfasst, von denen gerade mal fünfunddreissigtausend ausgestellt waren. Beeindruckend und faszinierend zu gleich. Zu viel, um mir überhaupt vorstellen zu können, jedes dieser Gemälde jemals zu sehen.

LalalalaWhere stories live. Discover now