Kapitel 5

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Sie rannten in die Halle der Underground Station, flogen die Stufen nach unten und nur einen Wimpernschlag, nachdem sie durch die Tür gestolpert waren, schlossen diese sich hinter ihnen.
Sie waren beide außer Atem, lehnten sich einander gegenüber an die Wand und atmeten tief durch. Plötzlich ruckelte der Zug, sie verlor das Gleichgewicht und stolpere nach vorne, direkt in seine Arme. “Hab‘ ich dich“, flüsterte er, zog sie an sich und positionierte sie so, dass sie zwischen der Wand und ihm stand.
“So, Risiko eines erneuten Stolperns minimiert!“ Er lächelte sie an. Sie war noch zu kaputt vom Rennen, sagte nichts, legte nur ihre Hand auf seinen Arm und entspannte sich. Die ganze Fahrt über redeten sie nicht, es war aber auch nicht nötig. Beide fühlten sie dasselbe und das konnte man kaum in Worte fassen.
Ihr fiel auf, wie nah sie sich waren, wie seine Finger an ihrer Seite mit dem Stoff ihres Pullis spielten, merkte wie seine Locken sie kitzelten. Sie konzentriere sich darauf, nahm alles in sich auf. Irgendwann hielt die Bahn und er löste sich von ihr, nahm sie an der Hand und zog sie aus dem Zug.
Wieder auf der Straße, stellte sie überrascht fest, wie sich die Umgebung geändert hatte. “Sagst du mir, was du als nächstes mit mir vorhast?“ Sie sah mit großen Augen zu ihm hoch und erst als sie seinen anzüglichen Blick sah, merkte sie, wie zweideutig das klang. Sein Blick verursachte ein Kribbeln in ihr, eines der angenehmen, warmen, vorfreudigen Sorte.
“Gleich. Wir sind fast da!“ Und dann zog er sie durch ein großes Tor in einen Park.
Hier war es dunkler, etwas unheimlich, doch er hielt ihre Hand und sie wusste, sie musste sich nicht fürchten. Tom und sie erreichten eine große weite Fläche, kein Baum versperrte ihnen die Sicht bis, ungefähr 200 Meter weiter, die nächste Baumgruppe stand. Tom setzte sich und auch sie ließ sich im leicht feuchten Gras nieder.
“Weißt du, ich, als eingefleischter Brite, liebe London ja mit all der Hektik und den vielen Menschen. Aber von hier aus sieht man nie die Sterne. Entweder es ist bewölkt, oder die Lichter der Stadt sind zu hell. Deshalb wird alle zwei Monate-“
Weiter brauchte er nicht zu reden, denn die erste Laterne erhob sich über den Bäumen und flog dem Himmel entgegen. Es folgte eine zweite, eine dritte und so weiter, bis sich unzählige kleine Lichter in den Himmel erhoben.
Sie hatte es nicht gemerkt, aber Tom hatte seine Position geändert. Er saß nun hinter ihr, sie zwischen seinen Beinen und dann zog er sie wieder an sich. Sie lehnte sich komplett gegen ihn, ihr Rücken an seiner Brust und beobachte fasziniert das Spektakel, während seine Finger über ihre Haut strichen. “Tom, das... das ist wunderschön“, flüsterte sie.
"Da sagst du was Wahres."
Schweigen überkam die beiden. Sie hörten die Grillen zirpen und den Wind mit den Blättern rascheln und den Atem des anderen, während sie den Lichtern nachsahen, die immer weiter in den Himmel flogen, bis sie so klein waren, dass man sie tatsächlich für Sterne hätte halten können.
"Was wohl mit ihnen passiert, wenn sie dort oben angekommen sind?" Sie hatte ihren Kopf gegen seinen gelehnt, den Blick noch immer gen Himmel gerichtet. Sie spürte seine Hand, die langen, dünnen Finger, die sich mit ihren verwoben, ihnen Halt gab.
"Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Niemand weiß, wo diese Lichter jemals landen werden. Vielleicht stürzen sie irgendwann ab, oder landen sicher bei irgendjemanden im Garten, oder sie fliegen tatsächlich bis nach oben zu den Sternen und leuchten uns in der Nacht den Weg. Aber was man weiß, ist, dass solange sie fliegen und solange ihre kleinen Lichter noch nicht erloschen sind, haben sie ein Ziel, eine Bestimmung. Und nur die Lichter selbst wissen, worin diese besteht, niemand anderes. Es ist ihr kleines persönliches Geheimnis, das sie mit sich tragen, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Und dann, erst dann erlischt die Flamme in ihrem Inneren und schickt eine Antwort zu den Sternen in der sie sagt: „Ich habe es geschafft. Ich bin angekommen.“‘"
Einen Moment lang war es still zwischen den beiden. Sie hatten den Blick gesenkt und betrachteten gedankenverloren ihre ineinander verschränkten Hände.
"Entschuldige", durchbrach Tom irgendwann das Schweigen, "das klang jetzt sicher unglaublich dämlich." Er lachte tief.
Sie drehte sich zu ihm. "Nein, nein das..." Er sah sie an. Es war der gleiche intensive Blick wie vorhin auf der Brücke. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus und nur mit Mühe konnte sie sich davon überzeugen, ihren Blick nicht zu seinen Lippen wandern zu lassen. Stattdessen legte sie ihren Kopf in seine Halsbeuge, eine Hand auf seiner Brust, die andere noch immer mit seiner verschränkt. "Das klang toll. Ehrlich."
Sie verlagerte ihr Gewicht etwas und plötzlich fielen sie beide nach hinten. Sie quiekte erschrocken auf und lag dann ganz auf ihm.
Sie wollte schon etwas entschuldigendes murmeln und sich wieder hinsetzten, als sie seine Hand an ihrem Kopf spürte. Dann zog er an ihrem Arm und drückte gegen ihre Hüfte, bis sie halb auf ihm lag, halb in seinem Arm. So sahen sie beide noch eine Weile in den Himmel.
Bis sie irgendwann das Schweigen brach: “Ich hätte jetzt Lust auf was Süßes. Meinst du, wir können jetzt noch was besorgen?“

A Night In London | Tom Holland ffOù les histoires vivent. Découvrez maintenant