POSTKARTE 20: Gartenzaun und Luftballons

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»So wie immer, schätze ich.« Er zuckt mit den Schultern und dann wendet er den Blick ab, er schaut auf den Boden, in Gedanken ist er wohl ganz weit weg. Vielleicht in Ashtown, wahrscheinlich bei seiner Grossmutter, ganz sicher sogar.

Vielleicht ist es Wehmut, vielleicht ist es Sehnsucht, vielleicht auch ein bisschen Schmerz, der jetzt gerade in seinem Blick liegt, aber ganz sicher sind gerade Gewitterwolken aufgezogen. Ich kann sie spüren.

Mary auch. Sie kann sie auch spüren. Und vielleicht weiss sie sogar, woher sie kommen, denn sie sagt mit sanfter Stimme: »Na kommt, ich zeig euch euer Zimmer. Wir haben sogar zwei frei, für den Fall, dass ihr -«

Sie sieht uns unschlüssig an, als würde sie nicht wissen, was wir zwei füreinander sind, und ich weiss es ja auch nicht so recht.

Gerade sind wir Freunde, die sich ein Bett und ihre Gedanken teilen.

»Eins reicht«, sagt Yule, als wäre es die normalste Sache der Welt, und dann sind die Gewitterwolken wieder weg. Einfach so. Genau so, wie er auch einfach so gesagt hat, dass wir ein Bett teilen.

🌲

Die Liebe zum Detail, mit der dieses Haus eingerichtet ist, ist überwältigend und ich kann nicht glauben, dass dieser Ort tatsächlich existiert.

Und vor allem bin ich ziemlich froh, dass die Eigentümerin dieses Hauses Yules Tante ist, denn andernfalls hätten wir uns ein Zimmer hier wohl kaum leisten können.

Mary führt uns über die Veranda, durch die Küche, wo eine Köchin morgen Frühstück zubereiten wird und wo jetzt ein Teller mit Keksen und ein Krug mit Limonade bereitsteht, ins Wohnzimmer.

Um einen Kamin herum stehen ein Sofa und ein paar Sessel, die mit aufwändig bestickten Kissen bestückt sind und so gemütlich aussehen, dass ich mir wünsche, es wäre Herbst und die Zeit für Kakao und Tee schon gekommen.

Schliesslich bleibt Mary vor einer Tür am Fuss der Treppe stehen.

»Hier wären wir«, sagt sie und schliesst die Tür auf, bevor sie beiseite geht und uns eintreten lässt.

Der Raum, in den wir treten, wird fast komplett durch ein riesiges und gemütlich aussehendes Himmelbett ausgefüllt, es sieht aus wie ein wahrgewordener Traum aus weichen Decken und Kissen. Der Baldachin ist dunkelblau, bestickt mit Sternen und irgendwie glaube ich, dass hier ganz schöne Gutenachtgedanken entstehen können.

»Das ...«, hauche ich und drehe mich zu Mary um, die uns erwartungsvoll ansieht, »ist wunderschön.«

»Ich hatte gehofft, dass es euch gefällt. Ich weiss, dass Yule Sterne mag. Wie viele Stunden hast du hier schon auf der Veranda gesessen und in den Himmel geschaut?«

»Ich fühle mich, als wäre ich mit dir in den Flitterwochen, Phoenix«, ist alles, was Yule zu sagen hat, während er das Zimmer stirnrunzelnd betrachtet und ich verpasse ihm einen Stoss zwischen die Rippen, aber Mary beginnt zu lachen.

»Man muss ihn einfach mögen, oder, Phoenix?«, sagt sie und obwohl ich ihn nicht so lange kenne wie sie, ist auch mir klar, dass er Dinge nicht so meint, wie er sie sagt, und dass er manchmal einfach nur ganz gern so tut, als wäre er dieser mürrische Yule, obwohl er das meistens eigentlich gar nicht ist.

Ja. Ja, man muss ihn einfach mögen.

»So. Ich lasse euch zwei mal allein. Ich bin noch in der Stadt ein paar Dinge erledigen, aber wenn ihr etwas braucht, ruft einfach an. Am Abend bin ich zurück und ich gebe euch gerne ein paar Tipps für Restaurants oder so, falls ihr mögt. Sagt einfach Bescheid. Geniesst die Flitterwochen.«

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