57. Ja... lieber nicht

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Wenn ich einmal eine solche Rolle einnehmen würde wie er, als... als Vater, dann würde ich es nie so weit kommen lassen. Ich würde für mein Kind niemals ein Fremder sein.

,,Apropos", sagte Dad plötzlich. ,,Yuka hat das auch gemerkt. Ich schätze, du solltest langsam mal deinen Freund retten."
,,Du lässt mich gehen?", fragte ich überrascht.
,,Ich kann alleine Kochen. Jetzt verschwinde endlich."

Sofort wusch ich mir die Hände und rannte die Treppe hoch. Bestimmt überreichte meine Hexe von Mutter, gerade meinem Freund, aka. der Blaubeerprinzessin, den vergifteten, blutroten Apfel...

(POV. Nagisa)

Ehrlich gesagt hatte ich befürchtet, von Karmas Mum ausgefragt, geneckt oder angefeindet zu werden. Dass sie so nett sein würde, hatte mich irgendwie überrascht.

Sie unterhielt sich hauptsächlich mit mir über meine Familie und den Assassination Classroom (mit anderen Worten, sie stellte mir Fragen, ich antwortete, sie kommentierte es und fragte weiter).

Am meisten interessierte sie meine Mutter. Während ich ihr von der Geschichte hinter meinen Haaren erzählte, ließ sie mich kein einziges Mal aus den Augen. Ich fühlte mich immer ein wenig unwohl, bei dem pausenlosen Blickkontakt den sie mit mir hielt.

Aber abgesehen von diesem Thema, Koro-Sensei und Karma, fragte sie nichts Bestimmtes. Beispielsweise wollte sie wissen, ob sich ihr Sohn gut benahm oder sie ihm eine Standpauke halten müsse. Dabei lachte sie, als wäre das mehr als absurd.

Irgendwie fiel es mir schwer, sie einzuschätzen.
Erst nach einer ganzen Weile hörte ich wieder Schritte und Karma kam herein. Als er mich sah, seufzte er erleichtert.

Hat er erwartet, dass sie mich tötet? Oder ich sie?

,,Ich will mich umziehen. Verschwinde", sagte er an seine Mutter gerichtet und ging zu seinem Schrank. Dass er sich überhaupt traute, so mit seiner eigenen Mutter zu reden... Meine wäre schon längst ausgeflippt.

,,Ja, ja. Bleibt ihr noch fürs Frühstück?", sagte sie. Auch sie sah ich verdutzt an. Ihre Beziehung war wirklich sonderbar, sein Ton ließ sie völlig kalt.
,,Nein, wir essen woanders", entschied er.

,,Okay. Ach übrigens, herzlichen Glückwunsch zum Abschluss. Dann geht's jetzt wohl in die Oberschule, was? Sorry, dass wir nicht zu eurer Absolvierungsfeier kommen konnten, war etwas stressig bei uns."

Karmas Mum lächelte, sie wusste genau, wie überspielt ihr Ton klang. Sie log ihm wirklich ohne zu Zögern ins Gesicht.
Im Zimmer knisterte es. Karma zog sich wortlos sein T-Shirt über den Kopf.

,,Danke", sagte er endlich. ,,Ist nicht schlimm. Geh jetzt."
Geschockt hob ich den Kopf. Er klang von ihrer Lüge ehrlich verletzt. Aus dem Nichts.

Oh, Karma...

Seine Mutter bemerkte davon wohl nichts, sondern säuselte nur noch ein: ,,Tja, tschüss, Nagisa-Kun!", und ließ uns alleine.
Karma seufzte und setzte sich neben mich. ,,Du hast also überlebt."
,,Ist was passiert unten?", fragte ich vorsichtig.

Er schüttelte den Kopf. ,,Nein. Eigentlich ist es auch nie so stressig hier. Das ist neu. Und sonst sind sie auch immer ein bisschen länger auf Geschäftsreise als jetzt. Dass sie so früh wieder kommen, hatte ich nicht erwartet... Wie geht's dir? Hat sie was gemacht?"

,,Nein, wir haben nur geredet, keine Sorge."
,,Worüber?"
,,Über meine Mutter", sagte ich nachdenklich. Ein wissender Ausdruck trat auf sein Gesicht, er sagte aber nichts weiter dazu.

,,Karma, warum hat sie dich angelogen? Hat sie doch, oder?", wollte ich wissen.
Er schnaubte. ,,Klar. Bei ihnen ist es immer stressig. Wenigstens ist sie nett genug, mir nicht direkt zu sagen, dass sie keine Lust hatte, herzukommen."

Sein verbitterter Unterton betrübte mich. Ich lehnte mich nach vorne und zog ihn in meine Arme.
,,Hey, ist schon okay", lachte er. Als ich den Kopf schüttelte, verstummte er und legte die Arme um mich.

Trotzdem schaffte er es zu lächeln, als ich ihn wieder los ließ. ,,Wo essen wir? Wollen wir in ein Café?"
Ich wünschte, ich könnte etwas sagen, ohne es schlimmer zu machen.

Hey, das liegt nicht an dir, oder mach dir nichts draus, fühlten sich falsch an.
Deshalb blieb ich mit schlechtem Gewissen stumm, als wir uns fertig machen.

,,Sieh an, da fliegt er mit seiner frischen Liebe hinfort", flötete seine Mum, als wir nach unten kamen. Ich errötete.

Frische Liebe? Fliegt hinfort? Äh, was?

Karma schnaubte. ,,Wie gerne ich das tun würde, Mama."
Sie verzog das Gesicht. ,,Nenn mich nicht so..."
,,Ja, tschüss."

Karma zog mich an der Hand aus dem Haus und hatte offenbar entschieden, ihr genau die kalte Schulter zu zeigen, die sie ihm zeigte. Ich hatte ein Dejavue. Letztes mal hatte er mich genau so schnell von dem Haus weggezogen.

,,Wieso möchte sie nicht Mama genannt werden?", fragte ich ihn.
,,Weil sie sich dann alt fühlt."
,,Wieso das denn?"
Er zog die Schultern hoch. ,,Sie fand die Mutterrole schon immer blöd."

,,Aber warum-"
,,Warum sie Kinder bekommt?", tippte Karma und lachte. ,,Äh, nicht freiwillig. Als mich meine Eltern bekommen haben, waren sie noch nicht mal verheiratet. Ich war sozusagen ein Fehler."

Störrisch drückte ich seine Hand. ,,Das ist gar nicht wahr! Bist du nicht! Ich bin froh dass du da bist, und außerdem-"
,,Ist ja gut", unterbrach er mich irritiert. ,,So war das doch überhaupt nicht gemeint."

Erst jetzt bemerkte ich, dass uns jeder auf dem Bürgersteig anglotzte. Karma hob vielsagend die Augenbrauen.

Oh...

Ich wurde rot und flüsterte den Rest. ,,Tschuldigung. Aber denk sowas nicht. Du bist kein Fehler. Wirklich nicht, Karma."
Er winkte ab. ,,Ich weiß. Ich bin umwerfend. Ich weiß schon."

Ich lächelte matt und drückte seine Hand. ,,Ja."
Er lächelte mich sanft an. ,,Komm jetzt. Ich hab Hunger."

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Da in den folgenden Wochen bis zu den Sommerferien natürlich keine Schule mehr stattfand, hatten wir ziemlich viel Freizeit.

[Ich weiß nicht ob das stimmt, aber anders kann ich mir nicht erklären, warum ihre Absolvierungsfeier im März ist und sie erst im Juli Ferien haben. Was haben sie in all der Zeit gemacht? ... öhhh, let's call it Coronaferien :))))]

Karma und ich trafen uns nicht nur zu zweit, sondern auch oft mit den anderen aus unserer (nun ehemaligen-) Klasse. Das alte Schulgebäude, das selbstverständlich geschlossen wurde, kauften wir von der Regierung ab. Das war Karmas Idee gewesen.

Meine Eltern gingen neuerdings oft abends aus. Auf den Rat von Koro-Sensei hin, versuchten sie es erneut miteinander und schienen sich sogar recht gut zu verstehen. Es stellte sich heraus, dass es viele Missverständnisse gegeben hatte, als sie noch verheiratet waren. Und jetzt klärten sie alles ganz in Ruhe.

Ich war darüber echt glücklich. Vor allem, weil sich die Stimmung meiner Mutter in der letzten Zeit ins Positive verändert hatte. Und noch glücklicher wurde ich, als ich ihre Entwicklung mitbekam.

Inzwischen umarmten sie sich zum Abschied und ich hatte letztens beobachtet, wie Vater meine Mutter auf die Wange geküsst hatte. Sie war sogar rot geworden. So hatte ich sie noch nie gesehen.

Meinem Vater hatte ich bereits von meiner Beziehung mit Karma erzählt. Er hatte es ganz gut aufgefasst, auch wenn er seine Verwirrung nie ganz verbergen konnte, wenn mich Karma so anfasste, wie es nur ein Liebster tat.

Und das tat er ziemlich oft. Dadurch, dass seine Eltern in letzter Zeit viel Zuhause waren, erklärte er unsere Wohnung als sein Ersatz-Zuhause.

Ich konnte jedes Mal nur im Erdboden versinken, wenn er mich vor meinen Eltern küsste (und das nicht nur harmlos), oder sich eng an mich kuschelte, oder morgens nach dem Duschen mit nichts als einem Handtuch um der Hüfte an meinen Eltern vorbei lief und ihnen auch noch einen guten Morgen wünschte.

Wo blieb denn bitte sein Schamgefühl?!

How to love an Assassin ♡ KarmagisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt