Kapitel 39

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Die Stunden verstrichen quälend langsam. Die Freunde vertrieben sich die meiste Zeit mit Kartenspielen und schauten eine schwachsinnige Komödie im Fernsehen. Die gesamte Zeit passierte nichts. Kein verdächtiges Geräusch vor der Haustür oder den Fenstern. Absolut nichts. Die Unruhe war allen Beteiligen anzumerken, auch wenn jeder von ihnen es zu verstecken versuchte.

Weitere Stunden vergingen, ohne dass das Geringste passierte. Dean teilte gerade die Karten zu der bestimmt hundertsten Runde Mau-Mau aus, als Cole seine Bedenken zum Ausdruck brachte.

„Es sind jetzt bereits über fünf Stunden vergangen und es ist absolut nichts passiert, mal abgesehen davon, dass es schon anfängt zu dämmern"

Gerade in diesem Moment klingelte das Telefon. Keiner bewegte sich, als das schrille Geräusch durch die Wohnung schallte. Schließlich erhob sich Jack vom Teppich und ging in den Flur, um den Anruf entgegen zu nehmen.

„Das alles kann doch nicht funktionieren.", gab Dean zu bedenken. June ordnete ihre Spielkarten und entgegnete dann: „Es sind nur noch etwa zwei Stunden, vielleicht weniger, bis der Mond aufgeht. Es wird nicht mehr lange dauern."

„June hat recht. Es wird nicht mehr lange dauern. Es beginnt nämlich genau jetzt." June drehte sich zu ihrem Bruder. „Wie meinst du das?"

„Das war Aidens Mutter.", sagte Jack leise, „Aiden ist aus dem Krankenhaus verschwunden. Sie hat gefragt, ob er vielleicht hier ist."

June fielen die Spielkarten aus der Hand. „Wir müssen ihn suchen!"

„Aber June, genau das wollen die Necromancer doch.", versuchte Dean sie davon abzubringen, doch June blieb stur.

„Und genau deswegen werden wir ihn suchen! Wenn wir nichts von alledem gewusst hätten, hätten wir auch nach ihm gesucht! Wir können nicht einfach hier sitzen bleiben! Der Plan beginnt. Außerdem geht es um Aiden! Er ist immer noch er und braucht unsere Hilfe!"

Jack verschränkte die Arme. „June hat recht.", stimmte er seiner Schwester zu. Robin sprang auf. „Dann wollen wir mal. Lasst die Show beginnen.", meinte sie grinsend.

Etwa eine dreiviertel Stunde später standen sie vor dem Krankenhaus. Inzwischen war es schon recht dunkel.

Dean drehte sich einmal im Kreis. „Ziemlich unheimlich.", meinte er, „Keine Menschenseele zu sehen."

„Die Besuchszeit ist ja auch schon vorbei.", flüsterte Cole und griff nach Deans Hand, die er kurz darauf fest drückte. Dann schaute er in die Runde. „Wisst ihr was mir aufgefallen ist. Das Krankenhaus liegt nicht weit entfernt von dem Wald, in dem das Versteck der Necromancer ist"

June verschränke die Arme hinter dem Kopf und atmete einmal tief durch. Jetzt wurde es ernst. „Dann mal los. Taschenlampen bereit?", fragte sie ihre Freunde. Diese nickten und knipsten ihre Taschenlampen an.

„Auf geht's!", forderte Jack seine Freunde auf und winkte sie hinter sich her. Vorsichtig gingen sie den Pfad entlang, der von dem schwach beleuchteten Krankenhaus in den Wald führte. Die Gestalt, die sie von dem Dach des Krankenhauses aus dunklen Augen beobachtete, bemerkten sie nicht.

Je weiter sie vordrangen, desto dunkler und stiller wurde es um sie herum. Als der Schrei einer Eule aus einem der dunklen Baumwipfel drang, zuckte Robin zusammen und rutschte etwas näher an Jack heran, der beruhigend seine Hand in ihrer verschränkte. „Keine Angst Robin. Das war nur eine Eule."

Robin zuckte gleichgültig mit den Schultern und richtete sich etwas weiter auf. „Ich habe keine Angst.", protestierte sie. Jack lachte und flüsterte ihr dann zu: „Doch hast du und das ist vollkommen ok. Ich habe auch Angst."

Robin seufzte. „Glaubst du wir werden ihn finden?", fragte sie leise und beleuchtete mit ihrer Taschenlampe die tiefhängenden Zweige einer alten Eiche. Jack seufzte. „Da bin ich mir leider sehr sicher. Wenn er nicht hier ist wird er in der Miene sein."

Robin zuckte leicht zusammen als wieder der Schrei einer Eule erklang, bemühte sich aber es sich nicht anmerken zu lassen. Sie wollte nicht wie ein Feigling aussehen.

„Ich weiß nicht in welchem Zustand er ist.", erklärte Jack weiter. Robin sah ihn liebevoll an und hörte zu, als Jack fortfuhr. „Es wird ihm bestimmt sehr schlecht gehen." Jack schluckte, „Und wenn er dann während des Rituals...", er stockte und ließ das Ende des Satzes unausgesprochen in der Luft hängen. Robin wusste was gemeint war. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Hey, du darfst nicht an so etwas denken Jack.", sagte sie. Jack biss sich auf die Unterlippe und nickte. „Ich mache mir nur Sorgen um June.", flüsterte er und warf einen Blick über die Schulter zu seiner Schwester, die mit Dean und Cole etwas hinter ihnen gingen und lautstark nach Aiden riefen, „Sie würde zerbrechen." Robin schaute auf den Boden. Ihre Taschenlampe beleuchtete nur einen kleinen Teil des Waldweges, doch genug, um die vertrockneten Blätter und kleinen Äste zu erkennen. „Es wird alles gut werden.", sagte sie und gab Jack einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann wechselte sie das Thema. „Du sag mal, hast du mit Dean geredet und dich entschuldigt?"

Jack seufzte. „Nein.", gab er schließlich zu. Robin kickte einen Stein zur Seite. „Habe ich mir gedacht.", meinte sie, „Ich meine, er hat dich nicht gerade nett angesehen und hat dich die meiste Zeit ignoriert."

Jack rieb sich über die Augen. „Was ich gesagt habe war falsch.", gab er zu, „Und es tut mir leid." Robin lachte.

„Das musst du nicht mir sagen Jack. Das musst du Dean sagen."

„Jetzt?"

Robin nickte, was man in der Dunkelheit jedoch kaum erkennen konnte. „Ja klar jetzt! Wer weiß ob es ein nachher geben wird."

„Robin! Nicht so pessimistisch."

Robin verdrehte die Augen. „Ich sag ja nur."

June ließ den Lichtkegel ihrer Taschenlampe über die Bäume gleiten. „Ist das gruselig.", murmelte sie leise. Cole strich ihr sanft über den Arm. „Es ist nur ein Wald June."

„Ein dunkler Wald.", fügte Dean hinzu und erntete einen Seitenblick von Cole der zu sagen schien: „Nicht hilfreich." Entschuldigend zuckte Dean mit den Schultern.

„Glaubt ihr, dass es hier Geister gibt?", fragte June weiter und drehte sich im Kreis, „Ich habe das Gefühl, dass wir beobachtet werden."

„Bestimmt nicht, Hier gibt es nur Grillen und Eulen.", versuchte Cole sie aufzumuntern, „Und falls es hier doch Geister geben sollte, können sie dir nichts tun und das weißt du."

June nickte. „Trotzdem."

„Falls die Geister uns etwas tun wollen, werde ich sie vertreiben.", mischte sich Dean wieder ein und ließ seinen Rucksack von einer Schulter gleiten, sodass er ihn öffnen konnte, kramte kurz darin herum und holte eine Dose heraus.

June hielt ihre Taschenlampe auf die Dose gerichtet und kratzte sich am Kopf. „Was ist das denn? Mehl?", fragte sie verwirrt und nahm Dean die Dose aus der Hand, um sie genauer zu betrachten.

Dean schüttelte den Kopf. „Das, meine liebe June, ist Salz.", antwortete er stolz, „Es hilft gegen Geister."

June tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Und das, mein lieber Dean, ist verrückt. Das ist gerade nicht die Zeit für Streiche."

Cole verschränkte die Arme. „Dean hat aber recht June. In vielen Überlieferungen und alten Schriften steht, dass Salz Geister abhält. Man streut es vor Türen und/oder Fenster, um die Geister fernzuhalten. Außerdem schwächt man Geister mit Salz."

June sah ihn entgeistert an. „Habt ihr das aus Supernatural?", fragte sie belustigt und drückte Dean die Dose zurück in die Hand, die dieser wieder im Rucksack verstaute.

„Mag sein, dass wir ein paar Folgen geschaut haben als ich bei Dean war.", gab Cole leise zu.

June lachte. „Da ist nicht euer Ernst, oder?"

Dean zuckte mit den Schultern. „Schaden kann es doch nicht.", sagte er und schaute geradeaus, den Lichtkegel auf Robin und Jack gerichtet. Dann bemerkte er, wie sich Jack etwas zurückfallen ließ und kurz darauf mit ihm auf gleicher Höhe war. „Können wir reden?", fragte er kleinlaut. Cole und June sahen sich kurz an und schlossen, ohne noch etwas zu sagen, zu Robin auf.

Clairvoyance- Zwillinge Der Hellsicht| #Wattys2020Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt