Teil 2

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„Was zum Teufel ...?“ Harry musterte den Mann, der durch seinen Kamin gekommen war, von oben bis unten. Der klopfte sich gerade die Asche vom Umhang und hustete dabei laut. „Snape?“
Der Kopf des Mannes schnellte hoch. Die gerümpfte Nase wich der Macht entgleisender Gesichtszüge. „Potter?“
„Snape!“
„Potter!“ Snape schüttelte den Kopf. „Was soll das?“, zischte der ehemalige Lehrer ihn an. „Und vor allem warum?“
„Was? Ich ...“ Harry schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung, was los war. Dann wollte er Gewissheit über die Identität des Eindringslings haben und fragte: „Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern können?“

Für Harry stand die Antwort fest. Die Heulende Hütte. Er über Snape gebeugt, die Erinnerungen auffangend, ihm auf Wunsch hin in die schwarzen Augen blickend.

„Das Letzte, an das ich mich erinnern kann“, wiederholte Snape, dachte dabei angestrengt nach. Als er sich über die Antwort bewusst war, fuhr er zusammen, was wiederum Harry erschreckte. Aufgebracht schilderte Snape: „So ein fetter Kerl mit weißem Bart, rotem Hut und Umhang hat mich entführt! Hat mich doch tatsächlich in einen Sack gesteckt, der Mistkerl.“ Snapes Hände ballten sich zu Fäusten. „Wenn ich den erwische …!“
Harry traute seinen Ohren kaum. Wahllos griff er zu einer der vielen Weihnachtskarten, die Freunde ihm geschickt hatten und hielt sie Snape vor das mächtige Riechorgan. „Sah der so aus wie der hier?“
„Ja!“ Snape tippte aggressiv mit dem Finger drauf. „Das ist der Kerl! Das ist ...“ Snape blinzelte einige Male. Seine Worte blieben ihm im Hals stecken, aber Harry vollendete den Satz für ihn.
„… der Weihnachtsmann.“

In diesem Augenblick hörte man klingende Schellen und ein tiefes Hohoho. Gleichzeitig rannten Snape und Harry zum Fenster. Sie glaubten, im schwarzen Himmel einen Schlitten zu sehen, doch das Gebilde war zu schnell verschwunden. Mit zusammengekniffenen Augen blickte Snape zu Harry. Er bleckte sogar die schiefen Zähne.

„Warum um Himmels willen ich? Ich kann mir schönere Dinge vorstellen, die man sich zu Weihnachten wünschen kann, anstatt den verhassten Tränkemeister von früher.“
„Ich hab Sie mir nicht hergewünscht!“, rechtfertigte sich Harry.
„Warum um alles in der Welt bin ich dann hier?“, fragte der Gast wider Willen verzweifelt.
Als Snape ihm näherkommen wollte, wich Harry vor ihm zurück und hob seinen Zauberstab. „Keinen Schritt ...“
„Papa? Hast du das da draußen eben gehört?“, fragte eine junge Stimme.

Albus Severus stand an der Tür und rieb sich abermals die Augen. Die wurden erneut ganz groß, als er den Mann in Schwarz sah. Langsam kam der Junge näher.

„Geh wieder ins Bett!“, befahl Harry, der seinen Sohn im Auge behielt. „Sofort!“
Weil Harry abgelenkt war, nutzte Snape die Gunst der Stunde und zog in Windeseile seinen Stab. Womit er gar nicht gerechnet hatte, war, dass das Kind so flink bei ihm war und ihm durch Zufall den Stab aus der Hand schlug. Harry hatte das mit Verwunderung beobachtet und schüttelte den Kopf, senkte dabei den eigenen Stab.
„Von einem Sechsjährigen entwaffnet ...“ Er schnalzte mit der Zunge. „Sie lassen ganz schön nach, Snape.“
„Wer ist der Bengel?“, blaffte Snape ihn an, betrachtete kurz darauf den Jungen. Wuschelige, schwarze Haare, grüne Augen. „Nein, das kann nicht sein.“ Ihm lief eine Gänsehaut den Rücken runter. „Welches Jahr haben wir?“
„Zweitausendzehn.“
„Und was suche ich bitteschön hier?“
„Ich weiß es!“, rief der Junge und warf beide Arme in die Höhe. „Ich hab's mir gewünscht!“ Er wandte sich an den Herrn in schwarz. „Bist du Severus?“
„Für dich bin ich Professor Snape!“, belferte er, doch der Junge ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken.
„Onkel Severus! Ich habe mir gewünscht, dass du herkommst und mich gesund machst.“
„Dann bist du dafür verantwortlich, du mieser, kleiner ...“
„Snape“, warnte Harry, „keine Schimpfwörter! Ich bin froh, dass ich das im Griff habe.“ Mit Onkeln wie George und Ron war das nicht gerade leicht, dachte Harry.
„Ich bin also aus dem Totenreich entführt worden - wo ich nebenbei bemerkt ein sehr zufriedenes Dasein geführt habe -, um ein verwöhntes Balg, das ich nicht einmal kenne, gesund zu machen?“ An seiner riesigen Hakennase blickte Snape zu dem Jungen herab und fragte: „Was fehlt dir Rotzlöffel eigentlich?“

Von wegen »Stille Nacht«Where stories live. Discover now