17 | Pornos und Probleme

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»Was bist du so gut gelaunt?«, fragte ich und schob mir eine der Frikadellen in den Mund. Das vertrocknete Ding hinterließ ein Kratzen an meinem Rachen, als ich runterschluckte. »Ist ja ekelhaft.«

Lexie schüttelte grinsend den Kopf und begann dann zu erzählen: »Da in der Sonnenallee wurde ein Haus besetzt, gestern Abend schon. Ich möchte nachher gleich rüberfahren.«

»Krass«, meinte ich, so desinteressiert wie immer.

»Wahrscheinlich penn' ich paar Tage dort. Ein Kumpel von mir, Suicide, ist auch dabei. Der ist eh krass drauf, hat lange in Spanien gelebt, immer nur in besetzten Häusern und so, und einmal, bei 'ner Räumung wurde er von den Bullen verletzt, dass er hier 'ne tiefe Narbe hat.« Sie fuhr mit einer Hand über ihre Hüfte, um zu verdeutlichen, wo sich die Narbe befand.

»Is' das der Typ, der neulich hier war?«, fragte ich nach.

»Nee, das war Kim.« Sie schüttelte den Kopf, sodass ihr hoher Zopf zur Seite flog. Im Flur war zu hören, dass die Wohnungstür geöffnet wurde, bestimmt unsere Alte, die von der Arbeit nach Hause kam.

»Kim, Suicide, dass ihr Linken auch immer so kernbehinderte Namen haben müsst.« Belustigt kratzte ich mit dem Löffel in meiner Schüssel herum, um an die letzte Portion Spinat zu kommen, während Lexie in die Frikadellen-Packung griff, um sich ebenfalls eine zu nehmen.

Ich packte ihr Handgelenk. »Mein Essen«, zischte ich und fokussierte sie mit meinem Blick, in dem mit Sicherheit etwas Drohendes auftauchte.

»Jay, du kannst auch nicht teilen, oder?« Genervt seufzte sie und nahm ihre freie Hand zur Hilfe, um meinen Arm wegzudrücken. Ich ließ nicht nach.

»Als ob das was Neues wär'«, grinste ich und verfestigte meinen Griff. Irgendwann würde sie schon lernen, dass sie mir nicht immer alles wegfressen konnte, das ging einfach ums Prinzip. Am Zucken ihrer Lippe bemerkte ich, dass ich ihr sehr wohl wehtat, auch wenn sie sich nichts anmerken ließ. Energisch sah sie mich an und versuchte, sich mit einer ruckartigen Bewegung zu befreien.

Gelang nicht.

Im Flur waren Schritte zu hören. Schwere Schritte, die nicht unserer Mutter gehören konnten, doch noch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, entdeckte ich bereits Tommy, der seine bullige Statur durch den Türrahmen schob. Auf dem Kopf trug er eine Wintermütze und sein gerötetes Gesicht verriet, dass es draußen ziemlich kalt sein musste.

»Wo kommst du jetzt her?« Ich kniff meine Augenbrauen zusammen und lockerte meinen Griff um Lexies Gelenk. Sie zog ihre Hand zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, sah ebenfalls in die Richtung von Tommy.

»Eure Mutter hat mir einen Schlüssel gegeben«, erklärte er und trat so selbstverständlich in die Küche, als würde sie ihm gehören. Als wäre er mehr als nur ein gescheiterter Versager, dem nichts als Hartz IV (oder vielleicht auch sein Beruf, keine Ahnung, war mir auch scheißegal) und dem Gucken von sinnlosen Fußballspielen blieb.

Ich warf Lexie einen kurzen Blick zu und sah, wie sie mit dem Zeigefinger eines ihrer Augenbrauenpiercings drehte. Die Stirn hatte sie zu einem nachdenklichen Runzeln verzogen. Keine Frage, sie fand das genauso beschissen wie ich. Ich wollte diesen Typen nicht die ganze Zeit hier rumhängen haben.

Warum meine Alte wieder angefangen hatte, sich mit ihm zu treffen, hatte ich schon nicht gerafft. Vor ein paar Monaten war Tommy wieder vor unserer Tür aufgetaucht, mit einer roten Rose in der Hand, die es safe bei Aldi im Sonderangebot gegeben hatte. Aber wohl hatte das gereicht, dass meine Mutter vergaß, wie er so drauf war.

»Ich hab' ihr nämlich vorgeschlagen, Corinna ein bisschen hier was zu helfen, solange mein Chef nicht so viele Aufträge hat«, erklärte er und zog sich die Mütze vom Kopf, ehe er sie auf der graugesprenkelten Arbeitsfläche ablegte. Auf der Pinnwand dahinter hingen alte Rechnungen, Kassenzettel, herausgerissene Rezepte aus Zeitschriften, die meine Alte eh nie kochen würde, und dazwischen ein, zwei Kinderbilder von mir und meiner Schwester.

Ich schob mir die letzte Frikadelle in den Mund und erhob mich dann. »Komm mit, nachher packt der dich wieder an«, forderte ich Lexie auf und warf Tommy einen Blick zu, in dem meine ganze Verachtung lag.

»Versuchst du es immer noch auf diese Tour?« Er seufzte und fuhr sich mit seinen Wurstfingern über seinen kahlen Kopf, auf dem er ein paar Muttermale hatte. »Ich hatte doch echt gehofft, dass es jetzt friedlicher werden könnte mit uns. Ich mein', du bist jetzt aus der Pubertät-«

»Jaja«, unterbrach ich ihn, kein Bock, mich mit seinem Gelaber auseinander zu setzen. Ohne etwas zu sagen, folgte Lexie mir aus der Küche und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

»Das hast du jetzt auch nur gesagt, um mich rumzukommandieren. Weil du dich dann wieder toll fühlen kannst«, grinste sie.

»Vielleicht hab' ich heut' einfach nur'n freundlichen Tag«, erwiderte ich und steuerte auf mein Zimmer zu, das neben der Garderobe lag.

»Oh, vielen Dank für deine Gnade. Womit hab' ich das nur verdient?«, spottete Lexie. »Danke, dass du mir mal wieder das Leben gerettet hast.«

Grob stieß ich sie zur Seite, sodass sie aus dem Gleichgewicht geriet und gegen die Wand taumelte.

»Irgendwann lern' ich einen Kampfsport und dann räch' ich mich für das alles«, ließ sie noch von sich vernehmen, ehe sie ihre eigene Tür aufriss, auf der das Poster einer Punkband klebte. Ich widmete mich wieder der Frage, wie ich gleich bei Kiral wohl am besten vorgehen würde. Wie ich am meisten Profit rausschlagen konnte.

Währenddessen streifte ich mir in meinem Zimmer einen Pulli über und steckte dann mein Klappmesser ein. Beantwortete zwei, drei Nachrichten, denn heute Abend hatte ich noch ein paar Kunden, die ich treffen würde. Aber jetzt war erst mal Kiral dran. Dieses Mal durfte ich mich auf keinen Fall so verarschen lassen. Ich spürte die Anspannung in meinem Kiefer, die sich langsam verbreitete, auch von meinem Nacken und meiner Schultermuskulatur Besitz ergriff. Kein Grund, jetzt aufgeregt zu sein. Tief atmete ich durch. Ich würde das schaffen, verdammt.

Ich ließ nicht mit mir spielen.


Die Verlierer - Sklaven des ErfolgsWhere stories live. Discover now