46. Fünfzig Messerstiche

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Erst als ich taumelnd, wie ein Betrunkener, am Spiegel vorbeigehe und mich sehe, merke ich dass ich lache. Mir geht die Luft auf. Ich bleibe stehen und sehe in mein blutverschmiertes Gesicht.

Meine Augen sind panisch aufgerissen, meine Pupillen erschreckend klein und die Mundwinkel nach oben verzerrt, als wären sie verkrampft. Meine Haare sind tatsächlich kurz, aber so nah ich auch hinsehe, ich kann sie nicht erkennen. Ich weiß nicht wieso.

Bin das wirklich Ich, der mich da durch den Spiegel anlacht?

Bei dem Anblick pruste ich nur noch lauter los und der Klang meiner dünnen Stimme jagt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken.

Ich will hier raus. Ich habe Angst.

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,,Nagisa!"

Mein Körper wurde geschüttelt. Ich traute mich nicht die Augen zu öffnen, aus Angst vor dem was ich sehen würde, als ich es dann aber doch tat, war alles um mich herum schwarz. Das hysterische Lachen, welches aus meiner Kehle drang, erstarb und wurde wenige Sekunden später durch ein leises Wimmern ersetzt.

Ich konnte nichts sehen. Hab ich immer noch Blut an den Händen? Ich muss es abwaschen! Wo bin ich?

Das Geräusch von Stoff, das sich an Stoff rieb, war zu hören und eine Gestalt beugte sich über mich. Ich unterdrückte einen Aufschrei und versuchte meinen Kopf unter der Decke zu verstecken, allerdings wurde mein Kinn angehoben und zwang mich, nach oben zu sehen.

Panisch blickte ich in Karmas Gesicht. Seine Augen waren lebendig und die Blutspritzer in seinem Gesicht waren weg.
Eine gewaltige Woge der Erleichterung überkam mich. ,,Ka- Karma...!"

Zitternd fiel ich ihm um den Hals. Er umarmte mich überrascht zurück.
,,Ich hab das Gefühl, du hättest es dir zur Aufgabe gemacht mich so oft um den Schlaf zu bringen, wie möglich", bemerkte er sarkastisch.

Ich antwortete ihm nicht. Zu sehr war ich damit beschäftigt, seine Schulter zu durchnässen und mich an seinen nackten Oberkörper zu klammern.

Mit der Umarmung, mit der ich ihn halb zerquetschte, stellte ich sicher dass er am Leben war. Dass seine Hände, die sanft meinen Rücken streichelten und mich festhielten, kein weiterer Traum waren.

Er ließ mich ausheulen, ohne mich zu unterbrechen. Erst als ich nur noch schniefend an ihm lehnte, begann er zu sprechen. ,,Hattest du einen Albtraum?"
Er klang vorsichtig. Ich nickte langsam.

,,Wovon? Erzähl ihn mir."
,,Ich will nicht daran denken..."
,,Ich weiß. Aber vielleicht hilft es ja."

Zögerlich hob ich den Kopf von seiner Schulter. Er überspielte seine Überforderung mit einem Lächeln. Ich musste ihn wirklich überrumpelt haben. Schniefend begann ich zu erzählen.

Er hörte mir ruhig zu, ließ seine Arme nicht sinken und tupfte immer wieder meine Wangen trocken. ,,Es war doch nur ein Traum, Nagisa. Wir haben vorhin noch über Okuda gesprochen, da kann sowas eben passieren", beruhigte er mich, als ich fertig war.

,,Ein Traum, in dem ich dich und sie ersteche und lache? Was ist daran normal?", fragte ich seufzend. Er berührte meine Wange und er sah mir tief in die Augen.

,,Okay. Vielleicht ist es nicht normal. Genau so wenig wie der Assassination Classroom. Außerdem funktioniert das Gehirn so nun einmal. Wenn dich etwas beschäftigt, ist das die Art wie es die ganzen Dinge abarbeitet."

,,Aber es hat sich so echt angefühlt! Das Blut und der Geruch und der Geschmack", hauchte ich gequält.
,,Du träumst halt lebhaft", sagte er und entfernte sich von mir, um seine Lippen auf meine Stirn zu legen.

,,Keine Sorge. Ich lebe noch, siehst du?" Lächelnd führte er meine Hand zu seiner Brust. Ich fühlte unter ihr das Pochen seines Herzschlags. Es ließ mich direkt wieder herunterfahren.

Dann verspannte sich Karma plötzlich. ,,Und Nagisa... Du bist kein Sexobjekt. Es ist meine Schuld, dass du so etwas träumen musstest. Tut mir leid, hätte ich heute nicht-"
,,Ist schon in Ordnung."

Jetzt war ich derjenige der ihn beruhigte. ,,Es war schön heute. Ich wollte es ja. Ich mag es, wenn... wenn wir sowas machen."
Er berührte seinen Nacken. ,,Sicher?"
Ich nickte und knirschte mit den Zähnen.

Bilde ich mir das nur ein, oder schmecke ich wirklich gerade Blut?

,,Äh, kann ich was trinken? Ich... habe einen komischen Geschmack im Mund", murmelte ich.
,,Mhm, lass uns runter gehen", sagte er und löste sich von mir.

Obwohl man in der Dunkelheit kaum etwas erkennen konnte, schien er sich bestens auszukennen. Er ging wohl nicht zum ersten Mal nachts durchs Haus. Wenigstens hielt er mich dabei an der Hand, ich hatte nämlich echt Angst davor, ihn loszulassen.

,,Achtung, ich mache das Licht an", warnte er mich und knipste den Schalter nach oben. Ich blinzelte in das helle Licht und sah mich um. Wir standen beide in Boxershorts vor seinem Kleiderschrank. Er öffnete ihn und gab mir einen Pullover und eine Hose.

Ich nahm die Kleidung mit fragenden Blick entgegen. ,,Ich will doch nur ganz kurz nach unten.. Ein T-Shirt reicht-"
,,Vertrau mir, du brauchst das", unterbrach er mich lächelnd und zog sich das Gleiche an.

Die Kleidung war mir etwas zu groß. Und Karma auch. Ein Rotschimmer trat auf unsere Wangen (ja, bei uns beiden), als wir uns ansahen.
Ich sah weg. ,,Bitte sag einfach gar nichts."

,,Okay", lachte er, griff nach meiner Hand und zog mich die Treppen runter. In der Küche war ich froh, dass ich die warmen Sachen trug. Sie schützten mich vor dem Durchzug.

Karma öffnete den Kühlschrank. ,,Wasser? Oder besser etwas mit Geschmack?", bot er mir an.
,,Mit Geschmack, bitte", antwortete ich und setzte mich auf einen der hohen Hocker vor der Kücheninsel. Er nickte und gab mir eine Flasche Limonade.

Ich kippte sie gierig herunter. Kichernd schloss er den Schrank wieder, welchen er zuvor geöffnet hatte, um mir ein Glas zu holen. ,,Du scheinst ja wirklich durstig zu sein."

Ich nickte nur und trank sie leer. Erleichtert, dass der metallische Geschmack durch das erfrischende Getränk verschwunden war, stellte die Flasche vor mich und lächelte ihn an.

Er erwiderte es. ,,Wie süß du bist."
,,Ich habe doch nur was getrunken..."
Kichernd stand ich auf und schloss ihn in meine Arme.
,,Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Und dass ich gerade die ganze Zeit geheult habe", murmelte ich dann.

Jetzt war es mir peinlich, dass ich mich so an ihn geklammert hatte. Vor allem weil ich wusste, wie schlecht gelaunt er sein konnte wenn man ihn unnötig aus dem Schlaf riss.

,,Das muss es nicht. Du kannst nichts dafür", sagte er und streichelte meinen Rücken. Ich lächelte und löste mich wieder von ihm, doch bevor ich zurücktreten konnte, hatte er mein Gesicht zwischen die Hände genommen und mir einen Kuss auf die Lippen gedrückt.

Seine Daumen strichen zärtlich über meine Wange. ,,Gehen wir."

How to love an Assassin ♡ KarmagisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt